Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 17.462,11 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.587,46 an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile sind Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft "Gebrüder R***" (im folgenden kurz: OHG); Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis kommt nur den Beklagten zu.
Die Klägerin begehrt
a) die Feststellung, daß ihr als Gesellschafterin der OHG Geschäftsführungsbefugnis zustehe,
b) die Beklagten schuldig zu erkennen, eine Handelsregistereingabe zu unterfertigen, mit welcher angemeldet werde, die Klägerin und die Beklagten vertreten die OHG je selbständig.
Die Klägerin bringt vor, der Gesellschaftsvertrag der seit 1923 bestehenden OHG sei mit Vertrag vom 10. November 1964 geändert worden. Punkt VI.4. dieses Vertrages regle, unter welchen Voraussetzungen einzelnen Gesellschaftern Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis zukomme. Sie erfülle alle diese Voraussetzungen und habe insbesondere die vertraglich geforderte siebenjährige Praxis als Geschäftsführerin der L*** Gesellschaft m.b.H. erworben. Die Beklagten bestreiten jedoch ihre Befugnis zur Geschäftsführung und weigerten sich, ihre Einzelvertretungsbefugnis beim Handelsregister anzumelden. Das Verhalten der Beklagten sei schikanöse Rechtsausübung. Die Beklagten beantragen die Abweisung der Klage. Punkt VI.4. des Gesellschaftsvertrages räume den übrigen Gesellschaftern das Recht ein, zu überprüfen, ob die Voraussetzungen zur Erteilung der Geschäftsführungsbefugnis von dem sie beanspruchenden Gesellschafter erbracht seien. Die Klägerin hätte daher auf Zustimmung der Beklagten zu ihrer Bestellung als Geschäftsführerin klagen müssen; ihr Feststellungsbegehren sei verfehlt. Voraussetzung für die Bestellung zum Geschäftsführer sei nach der genannten Vertragsbestimmung die Ableistung einer Praxis in einem "artverwandten Betrieb". Darunter hätten die damaligen Gesellschafter der OHG einen Betrieb verstanden, der sich zumindest teilweise mit der Erzeugung von Emailgeschirr befasse. Die L*** Gesellschaft m.b.H. erzeuge aber weder Geschirr, noch emailliere sie Bleche für andere Zwecke. Gegen die Tätigkeit der Klägerin für die L*** Gesellschaft m.b.H. hätten die Beklagten nur deshalb keinen Einwand erhoben, weil diese mit der OHG nicht in einem Wettbewerbsverhältnis stehe. Schikane liege nicht vor. Die Beklagten ließen sich bei ihrem Verhalten entgegen der Meinung der Klägerin nur von sachlichen Erwägungen im Interesse der OHG leiten. Das Erstgericht wies die Klage ab und traf folgende Feststellungen:
In dem am 10. November 1964 vor dem Notar Dr. F***
errichteten und als "Kaufvertrag mit Änderung des Gesellschaftsrechtes" betitelten Vertrag forderten die damaligen Gesellschafter der OHG in Punkt VI.4. für zukünftige Geschäftsführer neben einem mindestens 20 %-igen Gesellschaftsanteil auch noch Mittelschulreife und eine siebenjährige Praxis im Gesellschaftsunternehmen oder einem artverwandten Betrieb, wobei unter "artverwandt" ein Betrieb mit gleicher Produktionspalette, also Verarbeitung von Blechen durch Emaillierungen zu Fertigprodukten (Emailgeschirr, Badewannen und dgl.) oder ein kunststoffverarbeitender Betrieb, vor allem jedoch mit etwa dem gleichen Umfang wie die OHG verstanden wurde, weil deren Gesellschafter ein ganz besonderes Interesse daran hatten, daß ein zukünftiger Geschäftsführer nicht aus einem Kleinbetrieb komme. Da die Beklagten eine Praktikantentätigkeit der Klägerin im Stanz- und Emaillierwerk der OHG in Ybbsitz ablehnten, ist die Klägerin seit 9. August 1978 bei der L*** Gesellschaft m.b.H. als Geschäftsführerin tätig. Die L*** Gesellschaft m.b.H. betreibt neben einer Handelsagentur einen Großhandel mit elektrotechnischen Fabrikaten und erzeugt fabriksmäßig elektrische Heizapparate und Heizanlagen. Sie erzielte 1985 einen Jahresumsatz von S 17,500.000,-- und einen Gewinn von S 800.000,--. Sie beschäftigt 50 Arbeitnehmer. Der größte Teil des Umsatzes wird mit einem Rippenrohrheizgerät (Radiator) erzielt, das hauptsächlich aus Stanz- und Ziehteilen gefertigt wird. Emaillierungen werden im Betrieb der L*** Gesellschaft m.b.H. nicht vorgenommen. Die OHG beschäftigt 130 Arbeitnehmer und erzielte 1985 einen Jahresumsatz von S 75 Millionen.
Rechtlich folgerte das Erstgericht aus seinen Feststellungen, der Klägerin fehle die im Gesellschaftsvertrag für einen Geschäftsführer geforderte Praxis. Sie erbringe daher nicht die vertraglich festgelegten Voraussetzungen.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteige.
Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat in seiner rechtlichen Beurteilung die Ansicht, die Auslegung des Gesellschaftsvertrages vom 10. November 1964 (Beilage A) habe gemäß § 914 ABGB zu erfolgen. Es sei daher auch die Absicht der Parteien zu erforschen gewesen. Ein Abgehen von den Auslegungsregeln des § 914 ABGB sei im Fall eines Gesellschafterwechsels bei einer OHG - anders als bei einer Gesellschaft, die auf häufigen Gesellschafterwechsel ausgerichtet sei, wie etwa einer kapitalistisch strukturierten Gesellschaft m.b.H. - nicht geboten, da der neu hinzutretende Gesellschafter die Möglichkeit habe, auftretende Unklarheiten zu besprechen und auf ihre Klärung zu dringen. Im vorliegenden Fall sei der Parteiwille darauf gerichtet gewesen, daß - unter anderem - nur derjenige Gesellschafter Geschäftsführer sein soll, der in einem "Großbetrieb", der sich zumindest zum Teil mit Emaillierungen beschäftige, Praxis erworben habe. Eine derartige Praxis weise die Klägerin nicht auf. Es sei zulässig, im Gesellschaftsvertrag einzelne Gesellschafter von Geschäftsführung und Vertretung zur Gänze auszuschließen. Der Schikaneeinwand der Klägerin sei nicht berechtigt. Die Weigerung der Beklagten, der Klägerin Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis einzuräumen, beruhe nicht auf der Ausübung eines Rechtes der Beklagten, sondern auf dem Mangel eines Rechtes der Klägerin. Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus den Revisionsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, es im klagestattgebenden Sinn abzuändern, in eventu es aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt die Klägerin, daß die Vorinstanzen Feststellungen darüber, warum ihr die Ablegung der Praktikantenzeit im Unternehmen der OHG nicht gewährt worden sei, nicht getroffen haben. Sie macht damit einen Feststellungsmangel geltend, der unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu behandeln ist. Eine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt die Klägerin in dem behaupteten Feststellungsmangel und in der Auslegung des Gesellschaftsvertrages durch die Vorinstanzen. Eine Tätigkeit als Praktikantin im Unternehmen der OHG sei der Klägerin rechtswidrig und rechtsmißbräuchlich verwehrt worden. Der Gesellschaftsvertrag sei in seinem Punkt VI.4. (Geschäftsführung) so deutlich gefaßt, daß es einer "ergänzenden" Vertragsauslegung (durch Erforschung der Absicht der Parteien) nicht bedürfe. Es sei sinnwidrig und mißbräuchliche Rechtsausübung, die Praxis der Klägerin als Geschäftführerin in einem metallverarbeitenden Mittelbetrieb, nämlich der L*** Gesellschaft m.b.H., nicht als entsprechende Qualifikation im Sinne des Gesellschaftsvertrages anzusehen. Auch das Unternehmen der OHG gehöre zum Bereich der metallverarbeitenden Industrie. Da es zur Zeit ein der OHG artgleiches Unternehmen in Österreich nicht gebe, wäre der Klägerin die Erbringung der nach Absicht der Beklagten erforderlichen Praxis nur im Ausland möglich. Das Beharren auf Vertragserfüllung sei sittenwidrig, wenn aus einem Grund, der bei Vertragsabschluß nicht vorhersehbar gewesen sei (kein gleichartiges Unternehmen in Österreich), die Vertragserfüllung für den Vertragspartner unverhältnismäßig erschwert werde. Das Revisionsgericht schließt sich diesen Ausführungen nicht an. In Punkt VI.4. des Gesellschaftsvertrages haben die Gesellschafter der OHG für den Fall des Ausscheidens eines der Geschäftsführer die Regelung getroffen, daß Geschäftsführer der männlichen oder weiblichen Gesellschafter ist, der a) .... über einen Gesellschaftsanteil von mindestens 20 % verfügt und b) .... noch folgende Qualifikationen zu erbringen hat, und zwar Mittelschulreife und sieben Jahre Praxis in einem artverwandten Betrieb oder im Gesellschaftsunternehmen; die für das Hochschulstudium (Technische Hochschule, Rechtswissenschaft, Chemie oder Hochschule für Welthandel) und für sonst eine zweckentsprechende Schulausbildung aufgewendete Zeit ist auf die vorgeschriebene Praktikantenzeit anzurechnen.
Zwar hat bei der Vertragsauslegung die wörtliche Auslegung am Anfang des Interpretationsvorganges zu stehen. Es darf jedoch die Buchstabeninterpretation bei Ermittlung der Absicht der Parteien nicht im Wege stehen. Die Absicht der Parteien ist im buchstäblichen Sinn des Ausdrucks keineswegs nachrangig (Rummel in Rummel, ABGB, Rdz 4 zu § 914). Der Umstand, daß bereits die Bezeichnung "artverwandter Betrieb" eine sinnvolle Auslegung ermöglicht hätte, macht daher die Erforschung, was die Parteien darunter verstanden wissen wollten, nicht entbehrlich. Die Ermittlung der Parteienabsicht als Ziel der "einfachen" Auslegung ist von der "ergänzenden " Auslegung - wie sie in der Revision erwähnt wird -, bei der es um die Lösung von Problemfällen geht, insbesondere von Störungen in der Vertragsabwicklung, für die die Vertragschließenden nichts geregelt haben, zu unterscheiden. Als Behelf ergänzender Auslegung kommt unter anderem der hypothetische Parteiwille in Betracht (Rummel aaO, Rz 9 und 11). Eine ergänzende Auslegung aber haben die Vorinstanzen nicht vorgenommen.
Bei dem Betrieb der OHG handelt es sich vor allem um eine Blechverarbeitung mit Emaillierung, insbesondere von Emailgeschirr, wobei die Produktion im Jahre 1959 auch auf Kunststoffartikel ausgedehnt worden ist. Ging die Absicht der Vertragsparteien deshalb dahin, daß unter "artverwandt" ein Betrieb mit gleicher "Produktionspalette" zu verstehen sei, also ein Betrieb, der Bleche durch Emaillierung zu Fertigprodukten (Emailgeschirr, Badewannen und anderes) verarbeitet, oder ein kunststoffverarbeitender Betrieb, wobei noch Wert darauf gelegt wurde, daß ein zukünftiger Geschäftsführer nicht aus einem Kleinbetrieb komme, sondern aus einem Unternehmen, das dem Umfang der OHG entspreche, ist dieser durch die Verwendung des Wortes "artverwandt" im Gesellschaftsvertrag vom 10. November 1964 vollkommen gedeckt. Bei der Prüfung, ob die Klägerin, die unbestritten keine Praxis im Unternehmen der OHG aufweisen kann und auch kein Hochschulstudium oder sonst eine zweckentsprechende Schulausbildung absolviert hat, in einem "artverwandten" Betrieb tätig war, fällt der Umfang des Betriebes der L*** Gesellschaft m.b.H. gegenüber jenem der OHG nicht ins Gewicht (Feststellungen über die Betriebsgröße der OHG zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages sind schon deshalb entbehrlich, weil bei Beurteilung der Frage, ob ein Gesellschafter die vereinbarten Voraussetzungen erfüllt, um Geschäftsführer sein zu können, es wohl nur darauf ankommen kann, welchen Umfang das Unternehmen jetzt hat). Denn ein Unternehmen, das elektrische Heizapparate und Heizanlagen, insbesondere einen Radiator, erzeugt und vertreibt und in dem Emaillierungen nicht vorgenommen werden, kann keinesfalls als "artverwandt" mit einem Betrieb angesehen werden, der Email- und Kunststoffgeschirr herstellt. Durch ihre Tätigkeit bei der L*** Gesellschaft m.b.H. erfüllt die Klägerin daher nicht die vertragsmäßigen Erfordernisse, um Geschäftsführerin der OHG zu sein.
Daß derzeit - anders als zur Zeit des Vertragsabschlusses - ein weiterer Betrieb, der Emailgeschirr erzeugt, in Österreich nicht vorhanden ist, vermag daran umsoweniger zu ändern, als entgegen den Revisionsausführungen der Klägerin eine Praxis in einem "artgleichen" Betrieb nicht verlangt wird.
Dem Gesellschaftsvertrag vom 10. November 1964 kann nicht entnommen werden, daß ein Gesellschafter Anspruch auf Abschluß eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses hat (es ergibt sich aus dem Gesellschaftsvertrag auch keine Pflicht zur Arbeitsleistung für die Gesellschaft als eine gesellschaftliche Verpflichtung; vgl. hiezu Hueck, Das Recht der OHG4 114). Die Weigerung der Beklagten, ein Dienstverhältnis zwischen der OHG und der Klägerin abzuschließen, ist daher im Mangel eines Rechtes der Klägerin begründet und kann nicht als schikanös angesehen werden. Im übrigen aber würde eine schikanöse Rechtsausübung im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB - durch rechtsmißbräuchliche Weigerung der Beklagten als Geschäftsführer der OHG, mit der Klägerin einen Praktikantenvertrag abzuschließen; wenn also ein berechtigtes Interesse der Beklagten bei ihrer Weigerung nicht einmal mitbestimmend gewesen wäre (MietSlg. 35.255) - zwar schadenersatzpflichtig machen. Sie könnte aber nichts daran ändern, daß die Klägerin die vertragsmäßigen Voraussetzungen für eine Geschäftsführerin der OHG derzeit nicht erfüllt.
Der Revision war deshalb ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.
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