OGH 7Ob654/85

OGH7Ob654/8516.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*** BANK Aktiengesellschaft in Wien 1., Habsburgergasse 5, vertreten durch Dr.Peter Schnabl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Land NIEDERÖSTERREICH, Wien 1., Herrengasse 11, vertreten durch Dr.Kurt Schneider, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme (Streitwert 16 Mio. S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 28. September 1983, GZ.13 R 229/82-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30.April 1982, GZ.39 b Cg 381/79-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 58.248,06 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 20.400,-- S Barauslagen und 2.803,56 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Urteil des Erstgerichtes vom 9.Mai 1973, 39 c Cg 105/72-18, in diesem Umfang bestätigt durch die Urteile des Oberlandesgerichtes Wien vom 16.Jänner 1974, 6 b R 227/73, und des Obersten Gerichtshofes vom 27.Juni 1974, 7 Ob 85, 129/74, wurde das Begehren der klagenden Partei auf Feststellung des Nichtzurechtbestehens der vom beklagten Bundesland in den Rechnungsabschlüssen seit 1968 als Teil einer 80 Mio. S-Forderung gegen die klagende Bank ausgewiesen, von der NEWAG zedierten Forderung von 16 Mio. S abgewiesen und der beklagten Partei über ihre Widerklage ein Zinsenbetrag aus dem somit zu Recht bestehenden Guthaben bei der klagenden Bank zugesprochen. Streitentscheidend war die Frage, ob aus Anlaß der Umbuchung von 80 Mio. S im Auftrag der NEWAG vom Konto 33.033 auf das neu eröffnete Konto 33.413 mit der Bezeichnung "Land NIEDERÖSTERREICH, Vorfinanzierung Gartenstadt Süd" dem damaligen Landeshauptmann-Stellvertreter des beklagten Bundeslandes und damals vertretungsweisen sowie später bestellten Vorstandsvorsitzenden der NEWAG Viktor M***, der gleichzeitig die klagende Bank als Treuhänder führte, ein Alleinverfügungsrecht über das neue Konto eingeräumt oder wenigstens die Abbuchung der strittigen 16 Mio. S am 28. November/9.Dezember 1963 auf ein Konto der F*** Beteiligungsgesellschaft mbH (über das Viktor M*** allein verfügen konnte) von den vertretungsbefugten Organen der NEWAG oder des beklagten Bundeslandes nachträglich genehmigt wurde. Nach den Tatsachenfeststellungen im Hauptprozeß war Viktor M*** nicht alleine berechtigt, das beklagte Bundesland oder die NEWAG zu vertreten. Die F*** Beteiligungsgesellschaft mbH war mit der Bereinigung von Schulden einer Firma P*** & CO. betraut, an der der frühere Generaldirektor der NEWAG Dr.Fritz S*** beteiligt gewesen war. Der klagenden Partei ist im Vorprozeß der Beweis nicht gelungen, daß Viktor M*** die alleinige Zeichnungsberechtigung über das Konto 33.413 eingeräumt oder eine Ermächtigung zur Überweisung der strittigen 16 Mio. S von diesem Konto auf das Konto der F*** vorher oder nachträglich erteilt worden wäre. Demnach wurde die Abweisung des negativen Feststellungsbegehrens im Hauptprozeß mit der nicht gerechtfertigten Überweisung des strittigen Betrages begründet, die die beklagte Partei nicht gegen sich gelten lassen müsse.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei die Wiederaufnahme des Hauptprozesses im eingangs dargestellten Umfang mit der Behauptung, aus neu hervorgekommenen Beweismitteln ergebe sich, daß zwischen der NEWAG und der F*** ein Treuhandverhältnis bestanden habe und Viktor M*** berechtigt gewesen sei, über die strittigen 16 Mio. S zugunsten der F*** zu verfügen. Die NEWAG sei auch verpflichtet gewesen, die F*** mit diesem Betrag auszustatten oder ihn ihr zu ersetzen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat nach Darstellung der Beweisergebnisse im Hauptprozeß und der im Wiederaufnahmsverfahren vorgelegten Urkunden und abgelegten Zeugenaussagen die Rechtsansicht, daß die als neu geltend gemachten Beweismittel zum Teil bereits im Hauptverfahren vorgelegen und zum anderen Teil vom damaligen Vertreter der klagenden Partei schuldhaft nicht benützt worden seien. Weiters vorgelegte Schriftstücke seien auch abstrakt nicht geeignet, die behaupteten Tatsachen unter Beweis zu stellen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es trat auf Grund der als nicht gesetzmäßig bekämpft übernommenen Tatsachenfeststellungen des Erstrichters dessen rechtlicher Beurteilung nach weiterer eingehender Würdigung der vorliegenden Urkunden bei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der klagenden Partei erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Als aktenwidrig rügt die Revisionswerberin zu Unrecht die Annahme des Berufungsgerichtes, das Erstgericht habe offengelassen, ob eine Treuhandschaft der F*** für die NEWAG bestand. Das Erstgericht hat bloß die betreffende ergänzende Aussage des Zeugen Dr.Friedrich S*** wiedergegeben, aber eine Feststellung in der gleichen Richtung unterlassen. Dazu kommt, daß das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichtes eine Rechtsfrage darstellt, zu der weitere Tatsachenfeststellungen nicht getroffen wurden. Schließlich kommt es auf das behauptete Treuhandverhältnis aus rechtlichen Gründen nicht an (siehe unten).

In anderen Richtungen sind weder die Aktenwidrigkeitsrüge noch die Mängelrüge der Revisionswerberin ausgeführt. Entgegen deren Ansicht genügt die bloße formelle Verweisung auf Ausführungen zu einem anderen Berufungsgrund (hier: der unrichtigen rechtlichen Beurteilung) nicht, wenn nicht wenigstens dort klare Behauptungen darüber enthalten sind, welche Feststellungen und warum sie der Aktenlage widersprechen sowie aus welchen Gründen das (Berufungs-)Verfahren mangelhaft geblieben sein soll. Da dies hier nicht der Fall ist, sind die genannten Revisionsgründe in einem weiteren als dem bereits behandelten Umfang nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Das Schwergewicht der Rechtsrüge liegt in der Behauptung, die Vorinstanzen hätten die "komplette neue Dimension in der Wiederaufnahmsklage", wonach es nicht mehr nur um die formelle Verfügung über ein Bankkonto, sondern um die tatsächliche Verwendung dieser Gelder zugunsten der NEWAG gehe, nicht beachtet. Entgegen der Meinung der Revisionswerberin kommt aber gerade diesen Umständen im Wiederaufnahmsverfahren schon aus grundsätzlichen Erwägungen keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Nach § 530 Abs.1 Z 7 ZPO berechtigen nur solche neuen Tatsachen und Beweismittel zur Wiederaufnahmsklage, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Es kommt dabei darauf an, ob die Außerachtlassung der neuen Tatsachen oder Beweismittel im Vorprozeß einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Findung der materiellen Wahrheit und die Vollständigkeit der Urteilsgrundlage darstellt (Fasching, Komm.IV 472, 513 f). Gegenstand des Wiederaufnahmsverfahrens ist demnach der Streitgegenstand des Vorprozesses, über den das dortige Urteil ergangen ist. Das entspricht der Beschränkung der Rechtskraftwirkung nach § 411 ZPO auf den mit dem Urteil entschiedenen Anspruch (Fasching III 711; SZ 48/113) und der Präklusionswirkung der Rechtskraft (dem Ausschluß der Geltendmachung des gleichen Begehrens auf Grund von Tatsachen und Erwägungen, die bereits vor Schluß der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses vorhanden und der verfahrensmäßigen Erledigung zugänglich waren) im Rahmen desselben Anspruchsbegriffes des § 411 ZPO (Fasching III 719 f; vgl. auch SZ 52/151). Streitgegenstand ist dabei nicht der materiellrechtliche Anspruch, sondern der im Prozeß geltendgemachte Anspruch, das aus dem Privatrechtsverhältnis abgeleitete Begehren. Dieses wird durch den vorgetragenen und vom Gericht festgestellten und rechtlich qualifizierten Sachverhalt bestimmt (Fasching I 337 f, III 700 f, 709, 737; SZ 48/113 ua). Auch der Streitgegenstand von Feststellungsklagen ist das (Feststellungs-)Begehren im Zusammenhang mit dem Sachverhalt, aus dem es abgeleitet wird

(vgl. Fasching III 20 f). Dementsprechend gelten auch für Feststellungsklagen die allgemeinen Vorschriften über eine nur unter den Voraussetzungen des § 235 ZPO zulässige Klagsänderung (Fasching III 75). Ein gleicher Streitgegenstand liegt also nur vor, wenn sowohl das Begehren als auch der rechtserzeugende Sachverhalt identisch sind (SZ 48/113 ua).

In diesem Sinn können einerseits die für den Anspruch des Vorprozesses rechtserheblichen Tatsachen nur zur Begründung einer Wiederaufnahmsklage herangezogen werden (SZ 52/151 ua). Umgekehrt ist aber die Wiederaufnahmsklage nach ihrer Funktion auf das mit der vorangegangenen Sachentscheidung abgeschlossene Verfahren bezogen. Sie ist nicht Selbstzweck. Ihr Schutzanspruch ist verfahrensrechtlicher Art. Sie hat die Eröffnung einer neuerlichen Möglichkeit zur Beurteilung (nur) des Streitgegenstandes des Vorprozesses zum Inhalt (6 Ob 689/84) und ist nicht dazu bestimmt, von den Parteien begangene Fehler ihrer Prozeßführung zu beheben (JBl.1976, 439 ua). So wie demnach nicht erst mit einer Wiederaufnahmsklage vorgebracht werden kann, daß über eine auf den Rechtsgrund des Darlehens gestützte Klage im Vorprozeß unrichtig entschieden worden sei, weil ein im Vorprozeß nicht behaupteter Kaufvertrag das Klagebegehren rechtfertigen würde; oder daß eine positive Feststellungsklage, die nur auf die Ersitzung einer Servitut gestützt wurde, aus dem neuen Titel eines Vertrages berechtigt sei (vgl. dazu Fasching III 705); ebenso kann auch eine negative Feststellungsklage nicht erst im Wiederaufnahmsverfahren auf gänzlich neue Gründe gestützt werden, deretwegen die vom Gegner behauptete und im Vorprozeß aus anderen Gründen bestrittene Forderung nicht zu Recht bestehe (vgl. auch Jelinek, JBl.1968, 512 f). Eine Zulassung solcher neuer Rechtsgründe im Wiederaufnahmsverfahren stünde auch mit der Beschränkung einer Klageänderung schon im Vorprozeß gemäß § 235 ZPO im krassen Widerspruch. Nur neue Einwendungen der im Hauptprozeß beklagten Partei gegen den schon im Vorprozeß erhobenen Anspruch wären allenfalls anders zu beurteilen (Fasching III 720; SZ 52/151). In der Sache selbst haben demnach alle jene angeblich neuen Tatsachen und Beweise von vornherein unbeachtet zu bleiben, die über die im Vorprozeß allein geltend gemachten Rechtsgründe einer Alleinzeichnungsberechtigung Viktor M***S einerseits oder einer nachträglichen Genehmigung der strittigen Überweisung auf das F***-Konto andererseits hinausgehen, vor allem also gerade die im Vordergrund der Revisionsausführungen stehenden Behauptungen einer Verwendung des an die F*** als angeblichen Treuhänder der NEWAG überwiesenen Betrages zu deren Vorteil oder in Erfüllung einer Bevorschussungs- oder Ersatzpflicht. Alle diese Rechtsgründe bildeten keinen Streitgegenstand des Vorprozesses (vgl. auch S.41 f des dortigen Berufungsurteils).

Im Umfang der verbleibenden, zulässigerweise geltend gemachten Wiederaufnahmsgründe genügt zwar nach der soweit zutreffenden Ansicht der Revisionswerberin zur Bewilligung der Wiederaufnahme bereits die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses; die Frage, ob die Möglichkeit zur Wirklichkeit wird, ist erst im Hauptprozeß zu lösen (EvBl1961, 26 uva). Unrichtig ist jedoch die in der Revision vertretene Auffassung, eine Würdigung der neuen Beweismittel sei im Wiederaufnahmsverfahren schlechthin ausgeschlossen. Schon in diesem Prozeß ist eine beschränkte Beweiswürdigung dahin vorzunehmen, ob die Nichtberücksichtigung einer Erkenntnisquelle einen Verstoß gegen die Forderung nach Richtigkeit und Vollständigkeit der Entscheidungsgrundlage darstellt (Fasching, Komm.IV 551, ders., Lehrbuch Rz 2068; SZ 38/215 ua). Mit Recht hat sich demnach das Berufungsgericht mit dem Inhalt der behaupteten neuen Beweise auseinandergesetzt und geprüft, inwieweit es sich um neue Beweise handelt, die unter Zugrundelegung der im Vorprozeß vertretenen Rechtsansicht (JBl.1954, 98) zu einem anderen Ergebnis in der Hauptsache führen könnten.

Die Revisionsausführungen sind zur Widerlegung dieser Beurteilung nicht geeignet. Soweit es nicht um die bloße Tatsachenfeststellung geht, welche Urkunden überhaupt neu vorgetragen wurden, enthalten die neuen Beweismittel tatsächlich keine neuen bedeutsamen Gesichtspunkte. Dr.Friedrich S*** hatte schon im Vorprozeß das dort auch festgestellte Naheverhältnis zwischen der NEWAG und der F*** geschildert; nach seiner Aussage im Wiederaufnahmsverfahren hat sich sein Sachwissen seit dem Vorprozeß nicht erweitert. Die einzige "Neuerung" bestand in der Bezeichnung des Verhältnisses zwischen NEWAG und F*** als "Treuhandverhältnis". Diese bloße rechtliche Qualifikation, die sinngemäß ohnehin auch schon den Entscheidungen im Vorprozeß zugrundelag, kann nicht Gegenstand einer Wiederaufnahmsklage sein. Auch Viktor M*** wurde im Vorprozeß vernommen und hat zu dessen Gegenstand (siehe oben) nichts Neues ausgesagt. Die im Vorprozeß als unrichtig gewertete Aussage eines Zeugen wird auch dann kein neues Beweismittel, wenn dieser Zeuge im Wiederaufnahmsprozeß dieselbe Aussage wiederholt. Die neu vorgelegten Urkunden, besonders das Endgutachten des Sachverständigen N*** im zweiten (nicht mehr verhandelten) Strafverfahren gegen Viktor M*** betreffen die nach dem oben Gesagten nicht rechtserhebliche Verwendung des strittigen Betrages durch die F***, wobei im übrigen der Beurteilung des Berufungsgerichtes zu folgen ist, daß es der Revisionswerberin als Verschulden im Sinne des § 530 Abs.2 ZPO anzulasten wäre, daß sich ihr im Hauptprozeß eingeschrittener Vertreter um die Erhebungsergebnisse in diesem ihm bekannten Verfahren nicht gekümmert hat (vgl. Fasching, Komm.IV 512 f, 520; SZ 45/109 ua). Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO

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