Spruch:
Das zum Nutzen eines landwirtschaftlichen Gebäudes eingeräumte Fahrtrecht umfaßt auch Fuhren zur Erhaltung oder Neuaufführung dieses Gebäudes mit gleichbleibender Zweckwidmung
OGH 21. Juni 1979, 7 Ob 650/79 (KG Korneuburg 5 R 305/78; BG Zistersdorf C 152/77 )
Text
Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke 1566 Acker und 106/2 Scheune, beide KG E, während die Mutter des Beklagten Eigentümerin des angrenzenden Grundstücks 1567/1 ist. Seit über 30 Jahren benützen der Kläger und sein Rechtsvorgänger das letztgenannte Grundstück, um zu ihren Grundstücken zu gelangen, wobei dieses Fahrtrecht ursprünglich mit einem Pferdefuhrwerk ausgeübt worden ist, seit Jahren aber mit einem Traktor ausgeübt wird. Dieser Weg dient zum Transport landwirtschaftlicher Geräte und Produkte. Die Scheune auf dem Grundstück 106/2 wurde stets zur Lagerung landwirtschaftlicher Produkte und zum Abstellen landwirtschaftlicher Geräte, wie Pflug, Egge, Gummiwagen usw., verwendet. Wegen Baufälligkeit der Scheune hat sich der Kläger zu deren Neubau entschlossen. Für diesen Neubau muß Baumaterial herangeschafft werden, zu welchem Zweck der Weg zirka 40mal zu befahren wäre. Die Scheune wird zwar eine ungefähr doppelt so große Grundfläche wie die alte aufweisen, doch soll sie weiterhin zur Lagerung derselben Art und im selben Ausmaß wie bisher dienen.
Als der Kläger nach Erteilung der Baubewilligung im Juli 1977 mit seinem Traktoranhänger, mit dem das Baumaterial geführt werden soll, Schotter zur Baustelle bringen wollte, hat ihm der Beklagte mit einem Traktor den Weg verstellt. In der Folge hat der Beklagte den Weg mittels einer Absperrung unpassierbar gemacht. Diese Absperrung wurde spätestens im Jänner 1978 entfernt.
Unter Berufung auf sein Fahrtrecht begehrt der Kläger, den Beklagten schuldig zu erkennen, ab sofort jegliche Behinderung des Fahrtrechtes zu unterlassen.
Der Beklagte wendete ein, der Zutransport von Baumaterial bedeute eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit des Klägers.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt. Hiebei vertrat es den Standpunkt, Fuhren, die lediglich der Erhaltung oder Wiederherstellung des herrschenden Grundstückes oder seiner Anlagen im Rahmen der bisherigen Benützungsart dienen, bedeuteten keine Erweiterung der Servitut und müßten daher geduldet werden. Die Tatsache, daß die Absperrung vor Schluß der Verhandlung wieder entfernt worden sei, tue noch nicht hinreichend den Wegfall der Wiederholungsgefahr dar. Demnach sei das Unterlassungsbegehren nach wie vor berechtigt.
Das Berufungsgericht wies mit dem angefochtenen Urteil das Klagebegehren ab, wobei es aussprach, daß der Wert des Streitgegenstandes 2000 S übersteigt. Es vertrat hiebei den Standpunkt, durch die Absperrung sollte nur der Transport von Baumaterial gehindert werden. Da das Wegerecht nur dem Transport landwirtschaftlicher Geräte und Produkte diene, müsse der Nachbar Fuhren mit Baumaterialien nicht dulden. Demnach könne in der Absperrung ein rechtswidriger Eingriff in die Rechte des Klägers nicht erblickt werden. Durch die Entfernung der Absperrung sei das Rechtsschutzinteresse des Klägers weggefallen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das Ersturteil in der Hauptsache wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Keinesfalls kann gesagt werden, daß der Beklagte nicht in die Rechte des Klägers eingegriffen hätte, hat er doch durch die Absperrung nicht nur die seiner Meinung nach unzulässigen Fuhren, sondern jegliche Benützung des Weges unmöglich gemacht. Daß aber der Kläger zumindest zum Transport landwirtschaftlicher Produkte und Geräte über den Weg berechtigt ist, gesteht auch der Beklagte zu.
Fraglich kann lediglich sein, ob die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, der Transport von Baumaterial würde eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit im Sinne des § 484 ABGB bedeuten, richtig ist oder nicht. Bei ungemessenen Dienstbarkeiten entscheidet das jeweilige Bedürfnis des herrschenden Gutes im Rahmen seiner ursprünglichen Bewirtschaftungsart (Klang[2] II, 564; EvBl. 1978/165; SZ 42/10; EvBl. 1961/333 u. a.). In der bloßen Veränderung der Belastung der Fuhrwerke (Baumaterialien statt Wirtschaftsfuhren) ist eine unzulässige Erweiterung des Wegerechtes nicht zu erblicken (Klang a. a. O.). Nur eine die Belastung des dienenden Gutes erheblich erschwerende Änderung der Benützungsart des herrschenden Gutes stellt eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit dar (7 Ob 709/77).
Der Kläger hat jedoch überhaupt nicht die Absicht, die Benützungsart des herrschenden Gutes zu ändern. Er will lediglich die bereits dort befindliche Scheune derart wiederherstellen, daß sie im Rahmen der bisherigen Benützungsart und im selben Ausmaße weiterbenützt werden kann. Dient ein Fahrtrecht der Benützung eines landwirtschaftlichen Gebäudes, so muß es auch für Fuhren gelten, die der Erhaltung dieses Gebäudes dienen. Die Neuaufführung des baufällig gewordenen Gebäudes ist aber einer Erhaltung gleichzuhalten. Demnach gehört der Zutransport von Baumaterial für derartige, der Erhaltung gleichzuhaltende Arbeiten zu jenen Fuhren, die im Rahmen der bisherigen Dienstbarkeit geduldet werden müssen. Die Vergrößerung der Scheune führt nicht zu einer Benützung im größeren Umfang und somit auch nicht zu einer ständigen Ausweitung der notwendigen Wirtschaftsfuhren. Daß die Aufführung eines größeren Baues an sich die Anzahl der notwendigen Fuhren erheblich vermehren und daher für sich allein eine Ausweiterung der Dienstbarkeit darstellen würde, hat der Beklagte gar nicht eingewendet. Er steht vielmehr auf den Standpunkt, die Zufuhr von Baumaterial sei schlechthin unzulässig. Wie bereits ausgeführt, muß aber ein solcher Zutransport, soweit er der Erhaltung des auf dem herrschenden Gut befindlichen Bauwerkes dient, geduldet werden. Hiebei handelt es sich keineswegs um eine ständige Mehrbelastung des dienenden Gutes, sondern lediglich um nur vorübergehende Mehrbelastungen, die den Rahmen der Dienstbarkeit nicht sprengen.
Zutreffend verweist die Revision darauf, daß der in SZ 39/92 veröffentlichten Entscheidung insoferne ein anderer Sachverhalt zugrunde lag, als dort durch die Aufführung eines Neubaues die Bewirtschaftungsart des bisher rein landwirtschaftlich genutzten herrschenden Gutes geändert werden sollte. Eine solche Änderung ist im vorliegenden Fall nicht beabsichtigt. Die Transporte, die nach den getroffenen Feststellungen nur mit jenem Traktor des Klägers durchgeführt werden sollen, der auch bisher landwirtschaftliche Produkte transportiert hat, dienen nur einer der Erhaltung eines bereits vorhandenen Bauwerkes gleichzuhaltenden Wiederherstellung zum Zwecke der Benützung im Rahmen des bisher bestandenen.
Nicht gefolgt werden kann auch der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, daß durch die Entfernung der Absperrung eine endgültige Klaglosstellung des Klägers erfolgt sei. Richtig ist allerdings, daß materiellrechtliche Voraussetzung für die Erhebung einer Unterlassungsklage das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses und Wiederholungsgefahr ist (EvBl. 1972/20 u. a.). Bei der Prüfung, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, darf nicht engherzig vorgegangen werden. Es genügt die ernste Besorgnis weiterer Eingriffe in die vom Kläger behaupteten Rechte (SZ 48/45 u. a.). Von einem solchen Wegfall kann nur die Rede sein, wenn eine Wiederholung zumindest höchst unwahrscheinlich ist (ÖBl. 1971, 45; ÖBl. 1969, 43; 7 Ob 527; 528/77 u. a.). Hat der Beklagte rechtswidrig in die Rechte des Klägers eingegriffen, so ist es seine Sache, den Wegfall der Wiederholungsgefahr zu beweisen (JBl. 1975, 484; ÖBl. 1973, 135 u. a.). Die bloße Beseitigung des Eingriffs unter Aufrechterhaltung eines Rechtsstandpunktes, der den Eingriff rechtfertigen soll, wird in der Regel den Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht dartun (vgl. ÖBl. 1969; SZ 13/75 u. a.).
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte nicht nur Abwehrhandlungen gegen eine vermeintliche Ausweitung der Dienstbarkeit des Klägers gesetzt, sondern schlechthin die Ausübung der Dienstbarkeit auch in jenem Umfang, der selbst nach seinem Standpunkt gerechtfertigt wäre, unmöglich gemacht. Er hat während des gesamten gegenwärtigen Prozesses weiterhin den Standpunkt vertreten, zu seiner Handlungsweise berechtigt gewesen zu sein. Demnach läßt sein Verhalten keinesfalls den Schluß zu, die Wiederholung gleichartiger Eingriffe in die Rechte des Klägers könne praktisch als ausgeschlossen angesehen werden. Damit hat aber die derzeitige Beseitigung des Hindernisses dem Klagebegehren seine Berechtigung nicht entzogen.
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