OGH 7Ob65/04s

OGH7Ob65/04s26.5.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, ***** vertreten durch Dr. Georg Kahlig, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Milanka P*****, vertreten durch Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 45.209,89 samt Anhang, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 11. Dezember 2003, GZ 15 R 155/03d-22, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 23. Mai 2003, GZ 53 Cg 225/01z-18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die Klägerin gewährte schon 1994 dem Ehegatten der Beklagten einen Kredit, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob die Beklagte schon damals als Mitschuldnerin oder Bürgin haftete (diese Feststellung wurde vom Berufungsgericht nicht übernommen). Am 19. 9. 1996 vergab die Klägerin dem Ehegatten der Beklagten einen weiteren Kredit, für den die Beklagte die Mitschuldnerschaft übernahm. Von der Kreditvaluta wurde ein Betrag von S 260.318 auf das Konto des Ehegatten der Beklagten ausbezahlt, ein Betrag von S 185.381 diente zur Abdeckung des Vorkredites aus dem Jahr 1994. Am 9. 12. 1998 schloss der Ehegatte der Beklagten neuerlich einen weiteren Kreditvertrag mit der Klägerin über S 510.794 ab. Davon diente ein Teilbetrag von S 35.626 der Abdeckung des Girokontos des Ehegatten der Beklagten, der Restbetrag von S 475.168 wurde zur Abdeckung des 1996 gewährten Vorkredites verwendet. Am Tag der Kreditunterfertigung unterfertigte die Beklagte ein bereits ausgefülltes Formular der Klägerin, nach dessen Inhalt sie für den Kreditvertrag zwischen Klägerin und dem Ehegatten die Haftung als Bürgin und Zahlerin übernehme. Die Klägerin erkannte damals, dass der Ehegatte der Beklagten als Kreditnehmer seine Verbindlichkeiten nicht bzw nicht vollständig erfüllen werde können, unterließ es jedoch, der Beklagten gegenüber einen entsprechenden, für sie verständlichen Hinweis über die wirtschaftliche Lage ihres Ehegatten zu machen. Die Beklagte war weder im Zuge der Aufnahme des Vorkredites darüber aufgeklärt worden, was passiere, wenn der Ehegatte die Kreditraten nicht rechtzeitig zurückzahlen könnte, noch wurde sie beim gegenständlichen Vertrag in für sie verständlicher Weise über die Bedeutung der nunmehr abgegebenen Bürgschaftserklärung, über die rechtlichen Folgen derselben sowie die Folgen einer Zahlungseinstellung seitens des Ehegatten aufgeklärt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte bei ordnungsgemäßer Information die Bürgschaft übernommen hätte.

Die Beklagte bezog vom 1. 11. 1995 bis 31. 1. 1997 eine Invaliditätspension von monatlich S 8.698 bzw S 8.887 wegen vorübergehender Invalidität. Seit Februar 1997 verfügt sie über kein Einkommen mehr. Ende 2000 geriet der Ehegatte der Beklagten mit seinen Zahlungen in Rückstand, weshalb die Klägerin den Kredit fälligstellte und der zuletzt begehrte Betrag unberichtigt aushaftet.

Ob die zugezählte Kreditvaluta - sowohl hinsichtlich des Kreditvertrages aus 1996 als auch aufgrund des Kreditvertrages 1998 - auch der Beklagten zugute gekommen sei, konnte nicht festgestellt werden (diese Feststellungen des Erstgerichtes übernahm das Berufungsgericht nicht).

Die Klägerin macht nun die Haftung der Beklagten als Bürgin und Zahlerin geltend. Zur strittigen Kreditgewährung sei es über die Initiative der Beklagten und ihres Ehegatten gekommen, wobei ausführliche Gespräche über die Einkommensverhältnisse der Ehegatten geführt worden seien. Für die Klägerin habe kein Grund bestanden, an der wirtschaftlichen Angemessenheit der Haftungsübernahme zu zweifeln. Die Form der Bürgschaftserklärung sei ausschließlich deshalb gewählt worden, weil bei Eingabe des Kredites die Beklagte irrtümlich nicht sofort als Mitschuldnerin eingetragen worden sei und eine Änderung dieses Umstandes einen hohen Arbeitsaufwand und eine Verzögerung der Kreditgewährung bedeutet hätte. Über das Vermögen des Ehegatten der Beklagten sei ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet worden. Die Haftungsübernahme durch die Beklagte sei nicht sittenwidrig, weil der Kredit lediglich einer Umschuldung gedient habe und der Vorkredit für gemeinsame Anschaffungen der Ehegatten gewährt worden sei, daher auch der Beklagten zugute gekommen sei.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung mit der Begründung, dass sie bei Abgabe der Haftungserklärung eine einkommens- und vermögenslose Hausfrau gewesen sei, wovon die Klägerin Kenntnis gehabt habe. Dennoch sei sie von dieser und ihrem Ehegatten emotional unter Druck gesetzt worden, die Haftungserklärung abzugeben. Ihr selbst sei keine Kreditvaluta zugezählt worden und auch nicht tatsächlich zugekommen. Ihre Mithaftung sei sittenwidrig und nichtig. Da sie auch nicht entsprechend § 25c KSchG informiert worden sei, sei sie nicht zur Zahlung verpflichtet. In eventu beantragt sie die Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechtes nach § 25d KSchG.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe es unterlassen, die Beklagte gemäß § 25c KSchG auf die wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners hinzuweisen. Diese Informationspflicht bestehe auch dann, wenn der Interzedent über die finanzielle Situation des Hauptschuldners Bescheid wisse, zumal diese Information der Verminderung des Risikos des Interzedenten und seiner nachdrücklichen Warnung diene. Die Klägerin habe den Beweis der fehlenden Kausalität der Pflichtverletzung nicht angetreten. Im Übrigen sei die Haftung der Beklagten auch sittenwidrig im Hinblick auf die festgestellten Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beklagten, ihres fehlenden Verständnissses von wirtschaftlichen Zusammenhängen und der Bedeutung einer Bürgschaftserklärung, dem emotionalen Druck im Hinblick auf "familiäre Verpflichtungen" den gemeinsamen Kindern gegenüber und der wirtschaftlichen Abhängigkeit von ihrem Ehemann, von dessen Einkommen sie gelebt habe. Die Mithaftung aus einem Vorkredit reiche nicht aus, ein ausreichendes Eigeninteresse des Bürgen zu begründen, auch nicht die Verwendung der Kreditvaluta für Zwecke der gemeinsamen Kinder der Ehegatten.

Das Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil. Es trat der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei, dass der Klägerin eine Verletzung ihrer Informationspflicht gemäß § 25c KSchG vorzuwerfen sei. Für die Anwendung des § 25c KSchG komme es nicht darauf an, ob der Interzedent ein eigenes Interesse an der Kreditaufnahme habe bzw ob ihm diese Kreditaufnahme in irgendeiner Form zugutekomme, weshalb die angefochtenen Feststellungen ohne Relevanz seien. Diese Umstände spielten zwar bei der Prüfung einer allfälligen Sittenwidrigkeit im Sinn des § 879 ABGB und bei der Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechtes nach § 25d KSchG eine Rolle, doch würde man ein eigenes Interesse des Interzedenten an der Kreditaufnahme, etwa weil der Kreditnehmer ein Angehöriger sei, dem gegenüber eine wirtschaftliche Abhängigkeit bestehe, oder von dessen Einkommen auch der Interzedent lebe, ausreichen lassen, um ihn als "echten Mitschuldner" bzw die Verbindlichkeit als "materiell eigene Schuld" anzusehen, würde der Anwendungsbereich des § 25c KSchG gerade um Fälle eingeschränkt, für die er geschaffen worden sei. Es seien regelmäßig auch Angehörige, die in einem persönlichen und wirtschaftlichen Naheverhältnis zum Kreditnehmer stünden, die dessen Verbindlichkeiten beitreten. Ein solcher bleibe Interzedent auch dann, wenn die Kreditvaluta ihm selbst irgendwie zugutekomme.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Frage, ob eine Aufklärungspflicht des Gläubigers im Sinne des § 25c KSchG bestehe, regelmäßig von den Umständen des Einzelfalles abhänge.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Treten Verbraucher einer Verbindlichkeit als Mitschuldner, Bürge oder Garant bei (Interzession), so haben die Gläubiger auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners hinzuweisen, wenn sie erkennen oder erkennen mussten, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht oder nicht vollständig erfüllen wird. Wird diese Information unterlassen, so haften die Interzedenten nur dann, wenn sie die Verpflichtung trotz einer solchen Information übernommen hätten (§ 25c KSchG).

Die Materialien (RV 311 BlgNR 20. GP, 25) legen klar, dass sich der Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf solche Mitschuldner beschränken solle, die einer fremden Verbindlichkeit beitreten (vgl § 1347 ABGB). Zur Vereinfachung bediene sich § 25c KSchG hiefür des Ausdrucks "Interzession". Diejenigen Fälle, in denen mehrere Personen gemeinsam und im gemeinsamen Interesse eine Verbindlichkeit (als "echte Mitschuldner") eingingen, sollten nicht erfasst werden.

Der Begriff Interzession erfasst alle Fälle, in denen ein Verbraucher einer materiell fremden Verbindlichkeit beitritt. Bei der Beurteilung, in wessen Interesse die Übernahme der Verbindlichkeit liegt, ist von der Perspektive des Schuldners auszugehen (Krejci in Rummel II/4 § 25c KSchG Rz 2). Interzedenten sind Personen, die eine Haftung für Rechnung eines anderen und im fremden Interesse auf sich nehmen (Apathy in Schwimann, Praxiskommentar2, § 25c KSchG, Rz 1 mwN).

Aus der Verwendung des Begriffes "Interzession" und den Materialien geht eindeutig und unzweifelhaft hervor (Argument "im gemeinsamen Interesse"), dass dann, wenn die Kreditaufnahme auch dem Mithaftenden zugutekommt, § 25c KSchG nicht anzuwenden ist. Hat eben der Mithaftende auch ein Interesse an der Kreditaufnahme, kann man nicht von einer fremden Verbindlichkeit sprechen.

Um dies beurteilen zu können, fehlt es aber - insbesondere auch durch die Nichterledigung der entsprechenden Beweisrügen der Revisionswerberin - an geeigneten Feststellungen, obwohl das Beweisverfahren dazu ausreichende Grundlagen eröffnet. Aus rechtlichen Erwägungen muss abgeklärt werden, ob sich die Beklagte für den Kreditvertrag aus dem Jahr 1994 und bei Abschluss des Umschuldungskreditvertrages im Jahr 1996 wirksam als Mithaftende nur für Verbindlichkiten ihres Ehegatten verpflichtete, oder ob der gegenständliche Kreditvertrag aus dem Jahr 1998 (fast zur Gänze?) zur Abdeckung einer eigenen Schuld, nämlich Tilgung ihrer Zahlungspflicht wegen ihrer Mithaftung aus den früheren Verträgen diente. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 25c KSchG erst am 1.1.1997 in Kraft trat. Bei der Prüfung einer allfälligen Sittenwidrigkeit früherer Haftungserklärungen der Beklagten als Ehegattin des Kreditnehmers wird aber genauso u.a. zu prüfen sein, ob die damalige Kreditaufnahme auch in ihrem Interesse erfolgte und ob ein krasses Missverhältnis zwischen ihrer damaligen Vermögenssituation und dem Umfang der eingegangenen Schuld bestand. Bestand ein eigenes Interesse der Beklagten an der Kreditaufnahme, so etwa zur Anschaffung von Möbel für die Ehewohnung oder für Geschenke an gemeinsame Kinder, die auch vom Willen der Beklagten getragen wurden, so kann von einer Interzession im fremden Interesse und damit von einer Sittenwidrigkeit nicht mehr ausgegangen werden (8 Ob 100/03v, 8 Ob 73/03y, 10 Ob 315/02i, RIS-Justiz RS0048309, RS0048312, RS0048300 uva). Nur wenn die Haftungserklärung(en) nicht wirksam sein sollten, käme es ausschließlich auf die Umstände der gegenständlichen Kreditgewährung an.

Hinsichtlich jenes Betrages, der dem Konto des Ehegatten gutgeschrieben wurde, bedarf es jedenfalls Feststellungen dazu, ob das Geld, das von diesem Konto behoben wurde, der gemeinsame Lebensführung diente, bzw wofür das Geld verwendet wurde. Die Beweislast dafür, dass der Kreditbetrag nicht ihr zugutekam, trägt, da es sich um eine rechtsvernichtende Tatsache handelt, die Beklagte.

Da erst nach abschließender Klärung der Tatfrage im oben dargelegten Sinn eine abschließende rechtliche Beurteilung getroffen werden kann, war dem Berufungsgericht eine abschließende Erledigung der Beweisrüge aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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