OGH 7Ob648/94

OGH7Ob648/9421.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 20.Juni 1993 verstorbenen Maria S***** infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der erbserklärten Erbin Silvia St*****, vertreten durch Dr.Eric Agstner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. September 1994, GZ 47 R 350/94-22, womit infolge Rekurses der erbserklärten Erbin Anna D***** der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 23.Februar 1994, GZ 1 A 169/93b-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs der Silvia St***** wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Text

Begründung

In der Verlassenschaftssache nach der am 20.6.1993 verstorbenen Maria S***** gaben deren erbliche Cousine Anna D***** und Silvia St***** einander widersprechende Erbserklärungen ab. Anna D***** stützte sich dabei auf ein schriftliches Testament vom 27.5.1983 mit Nachtrag vom 28.10.1988 und auf ein weiteres schriftliches Testament vom 29.12.1988. Silvia St***** berief sich auf ein mündliches Testament vom 23.10.1991.

Das Erstgericht hat in seiner Entscheidung die Klägerrolle für den Erbrechtsstreit der Cousine Anna D***** zugeteilt und ist dabei von nachstehenden Feststellungen ausgegangen.

Mit rechtskräftigem Beschluß des Bezirksgerichtes Neulengbach vom 8.10.1991 wurde im Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters für Maria S***** Silvia St***** als einstweilige Sachverwalterin für das Verfahren bestellt (wie sich aus der Aktenlage ergibt nach § 238 Abs 1 AußStrG). Nach der Aktenlage erfolgte die Zustellung dieses Beschlusses an die Betroffene sowie an die Sachwalterin am 14. bzw 17.10.1991. Am 23.10.1991 fand im Rahmen des Sachwalterschaftsverfahrens eine Tagsatzung statt, an welcher der zuständige Richter, die Schriftführerin, der Sachverständige, die einstweilige Sachwalterin und eine Vertreterin des Heimes, in welchem sich die Erblasserin befand, teilnahmen. Die Schriftführerin nahm über den Verlauf der Verhandlung ein wörtliches Stenogramm auf, das sie danach in Langschrift übertrug und zur Beurkundung der Richtigkeit die Übertragung unterfertigte. Das Protokoll wurde vom zuständigen Verhandlungsrichter allerdings nicht unterschrieben. Während der Verhandlung wurde die Erblasserin vor allem durch den Sachverständigen befragt, der die Aufgabe hatte, ein Gutachten über den psychischen Zustand der Erblasserin zu erstellen. Auf die Frage, ob sie ihrer eigenen Meinung nach einen Sachwalter benötige, antwortete die Erblasserin, sie glaube nicht, weil sie ja die Frau St***** habe. Weiters meinte sei, sie schreibe alles der Frau St***** zu. Auf die Frage, ob sie alles, was sie habe, Frau St***** vermachen wolle, antwortete die Erblasserin: "Ja, sie hat sich das erarbeitet". Der Sachverständige fragte noch einmal, was in einem Testament stünde, wenn die Erblasserin ein solches machen würde. Eine solche Formulierung im Konjunktiv wurde bereits einmal im Gespräch gewählt, als sich die Erblasserin nicht an ihre Adresse erinnern konnte und der Sachverständige fragte, wo die Erblasserin eine Postkarte hinschicken würde, wenn sie sich selbst eine schicken wollte. Diese Frageform sollte der Erblasserin als Gedächtnisstütze dienen. Die Erblasserin antwortete, daß sie alles Frau St***** vermache. Aufgrund dieser Erklärungen forderte der Richter den Sachverständigen auf, in seinem Gutachten auch auf die Testierfähigkeit der Erblasserin einzugehen. Der Sachverständige führte daraufhin aus, daß es sich bei den Erklärungen der Erblasserin in bezug auf ihren Wunsch, ihr Vermögen Frau St***** zu vermachen, trotz der teilweisen und zeitweiligen geistigen Schwächen um klare und fundierte Willenserklärungen handle. Aufgrund der Ergebnisse der Tagsatzung wurde mit rechtskräftigem Beschluß vom 6.11.1991 Silvia St***** für die Erblasserin als Sachwalterin für alle Angelegenheiten bestellt.

Das Erstgericht wies aufgrund dieser Feststellungen die Klägerrolle der Cousine Anna D***** zu. Ein gerichtliches mündliches Testament liege zwar nicht vor, weil das diesbezügliche Protokoll nicht vom Richter unterfertigt worden sei, doch liege ein im Sinne des § 585 ABGB im Bezug auf die äußere Form gültiges außergerichtliches mündliches Testament vor. Die Frage, ob bei der Erblasserin der Wille, eine letztwillige Verfügung zu errichten vorgelegen sei, beziehe sich nicht auf die äußere Form und sei vom Abhandlungsgericht nicht zu prüfen gewesen.

Das Rekursgericht gab dem gegen die Zuteilung der Klägerrolle gerichteten Rekurs der erbserklärten Erbin Anna D***** Folge und wies die Klägerrolle Silvia St***** zu. Es ging davon aus, daß für die Erblasserin ein einstweiliger Sachwalter bestellt worden sei. Personen, denen ein Sachwalter bestellt worden sei, könnten nur mündlich vor Gericht oder mündlich notariell testieren. Dies gelte auch bei Bestellung eines einstweiligen Sachwalters nach § 238 Abs 2 AußStrG zur Besorgung dringender Angelegenheiten während des Bestellungsverfahrens. Ein mündliches gerichtliches Testament liege nicht vor, ein bloßes außergerichtliches mündliches Testament entspreche nicht den Formvorschriften des § 568 ABGB und sei daher als schwächerer Erbrechtstitel anzusehen. Demnach sei die Klägerrolle Silvia St***** zuzuweisen, da gegen das Testament vom 23.10.1991 Bedenken bezüglich der Einhaltung der notwendigen Form bestünden, wogegen Anna D***** sich auf ein der äußeren Form nach gültiges schriftliches Testament vom 28.10.1988 berufen könne.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionskurs nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht vorlägen.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Silvia St***** mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist.

Zunächst ist vorauszuschicken, daß - wie sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes und aus der Aktenlage ergibt - für die Erblasserin ein einstweiliger Sachwalter für das Verfahren gemäß § 238 Abs 1 AußStrG und nicht, wie vom Rekursgericht offensichtlich angenommen, (auch) nach § 238 Abs 2 AußStrG zur Besorgung dringender Angelegenheiten bestellt wurde.

Die von der Lehre (Welser in Rummel2 Rz 7 zu §§ 566 bis 569 ABGB mwN) und der Judikatur (SZ 58/113; SZ 64/111) entwickelten Grundsätze über die Rechtsfolgen der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters nach § 238 Abs 2 AußStrG können daher auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat, enthält § 238 AußStrG Vorschriften über die Bestellung einstweiliger Sachwalter durchaus verschiedener Art (NZ 1991, 298). Absatz 1 dieser Bestimmung bezieht sich auf die Bestellung eines Sachwalters für das Verfahren. Dieser Sachwalter ist eine Art Pflichtverteidiger des Betroffenen im Verfahren und nur dann zuständig, wenn der anscheinend Behinderte keinen gesetzlichen oder zur Vertretung im Sachwalterbestellungsverfahren ermächtigten selbstgewählten Vertreter hat. Er beschränkt den Betroffenen in seinen Rechtshandlungen nicht, sodaß auch die Verfahrenshandlungen des Vertretenen denen des einstweiligen Sachwalters im Fall eines Widerspruches vorgehen. Danach treten die Rechtsfolgen, die an eine Sachwalterbestellung nach § 273 ABGB geknüpft sind, bei der Erstellung eines einstweiligen Sachwalters nach § 238 Abs 1 AußStrG nicht ein. Dies bedeutet, daß der Betroffene weiterhin auch in jeder sonst für ihn zulässigen Form testieren kann (Welser aaO; Kralik Erbrecht Erg S 8; SZ 64/111; NZ 1991, 298).

Auf den vorliegenden Fall bezogen ergibt sich daraus, daß die Erblasserin bis zur Bestellung des Sachwalters für sie nach § 273 ABGB mit Beschluß vom 6.11.1991 auch nach der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters gemäß § 238 Abs 1 AußStrG in der für sie zulässigen Form, dh auch außergerichtlich mündlich testieren konnte.

Wie bereits vom Erstgericht dargelegt, liegen die äußeren Voraussetzungen für die Annahme eines mündlichen Testamentes vor. Da dieses Testament dem zuletzt gültigen schriftlichen Testament vom 28.10.1988 nachfolgt, kommt ihm der stärkere Erbrechttitel zu, weshalb die Klägerrolle der Cousine Anna D*****, die sich auf das schriftliche ältere Testament stützt, zuzuweisen war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Ein Kostenersatzanspruch ist im Außerstreitverfahren nicht vorgesehen (§ 9 AußStrG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte