OGH 7Ob64/14h

OGH7Ob64/14h7.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr.

 Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen B***** O*****, und M***** O*****, Mutter Mag. S***** O*****, diese vertreten durch Mag. Arno Pajek, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorge, über die „Grundrechtsbeschwerde“ und den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Dr. H***** L*****, vertreten durch Mag. Walter Pirker, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 7. Jänner 2014, GZ 4 R 438/13y‑497, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00064.14H.0507.000

 

Spruch:

1. Die „Grundrechtsbeschwerde“ wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art 267 AEUV wird zurückgewiesen.

3. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Zu 1.:

§ 1 Abs 1 GRBG räumt dieses außerordentliche Rechtsmittel nur dem durch inländische strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung Betroffenen ein. Ein nach §§ 1 Abs 1, 2 Abs 1 GRBG fassbarer Beschwerdegegenstand setzt daher eine strafgerichtlich angeordnete Freiheitsentziehung voraus; als solche sind Maßnahmen der staatlichen Gewalt zu verstehen, durch die jemand gegen seinen Willen an einem bestimmten, begrenzten Ort für eine gewisse Dauer festgehalten wird; wie etwa bei vorläufiger Verwahrung, Beugehaft oder Haft als Ordnungsstrafe bis hin zur zwangsweisen Vorführung (RIS‑Justiz RS0122464). Wie bereits in der in dieser Pflegschaftssache ergangenen Entscheidung vom 1. 9. 2010, 7 Ob 59/10t, 7 Ob 169/10v ausgeführt wurde, ist damit die Erhebung einer Grundrechtsbeschwerde in einem Pflegschaftsverfahren unzulässig.

Zu 2.:

Eine Prozesspartei hat nach ständiger Rechtsprechung keinen verfahrensrechtlichen Anspruch, die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu beantragen. Ein solcher Antrag ist zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0058452). Der Oberste Gerichtshof sieht sich auch nicht veranlasst, ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art 267 AEUV einzuleiten.

Zu 3.:

3.1 Die Revisionsrekursgründe sind in § 66 Abs 1 AußStrG aufgezählt. Die in Z 1 angeführten schweren Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze entsprechen im Wesentlichen einzelnen Nichtigkeitsgründen der ZPO. Ein derartiger Verfahrensverstoß wird nicht aufgezeigt.

3.2 Verfahrensverstöße bilden nur dann eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, wenn sie abstrakt geeignet sind, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0043027 [T4]). Die Erheblichkeit des Mangels in diesem Sinn ist vom Rechtsmittelwerber auch im Außerstreitverfahren darzulegen. Darüber hinaus sind in zweiter Instanz bereits verneinte Mängel des Verfahrens grundsätzlich auch im Außerstreitverfahren in dritter Instanz nicht mehr anfechtbar, es sei denn, eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ist aus Gründen des Kindeswohls erforderlich (RIS‑Justiz RS0030748 [T4]).

Ein wesentlicher Verfahrensmangel, der geeignet wäre, eine unrichtige Sachentscheidung herbeizuführen oder das Kindeswohl zu gefährden, wird hier nicht dargelegt.

3.3 Soweit sich der Revisionsrekurswerber über die vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen hinwegsetzt, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist (RIS‑Justiz RS0007236). Fragen der Beweiswürdigung sind nicht revisibel (RIS‑Justiz RS0043125, RS0043414).

3.4 Das Kindschafts‑ und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, BGBl I 2013/15 ist mit 1. 2. 2013 in Kraft getreten und auch auf Sachverhalte anzuwenden, die sich bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben (RIS‑Justiz RS0128634). In allen Fällen des § 180 Abs 1 und Abs 3 ABGB (nF) kann die Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge, aber auch die Belassung einer solchen Obsorgeregelung auch gegen den Willen beider oder gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden (RIS‑Justiz RS0128810). Im Gegensatz zur Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 soll nunmehr die Obsorge beider Elternteile (eher) die Regel sein (RIS‑Justiz RS0128811). Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, so kommt es doch darauf an, welche Form der Obsorge dem Wohl des Kindes besser entspricht. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt allerdings ein gewisses Mindestmaß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit beider Elternteile voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist also eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist und ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (RIS‑Justiz RS0128812). Bei der Entscheidung über die Obsorge ist ausschließlich das Wohl des Kindes maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RIS‑Justiz RS0048632). Die Entscheidung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0115719).

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass ausgehend von den getroffenen Feststellungen eine Kommunikationsbasis zwischen den Eltern in jeder Hinsicht fehlt und mit einer solchen auch in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann, sodass die gemeinsame Obsorge der Eltern nicht im Kindeswohl liegt, hält sich im Rahmen der Judikatur.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte