OGH 7Ob635/92

OGH7Ob635/9226.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Unterbringungssache der Patienten Lepoldine B*****, Johann B*****, Maria B*****, Marianne B*****, Herbert D*****, Rosa G*****, Irene H*****, Maria H*****, Margarethe H*****, Anna J*****, Rosa K*****, Antonie K*****, Herta L*****, Josefine L*****, Maria M*****, Albertine St*****, Maria U*****, Hildegard V*****, sämtliche untergebracht in der Station ***** des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien, Wien 14., Baumgartner Höhe, infolge Revisionsrekurses des Abteilungsleiters gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 29.September 1992, GZ 44 R 723/92-9, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 24.August 1992, GZ 11 Nc 12/92-5, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die - nicht im geschlossenen Bereich des Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien gelegene - Station*****, welche zu einer geronto-psychiatrischen Abteilung dieses Krankenhauses gehört, wird immer dann vorübergehend versperrt gehalten, wenn das Personal wegen anderer Aufgaben nicht in der Lage ist, die - infolge des körperlichen oder geistigen Zustandes mancher Patienten - erforderliche Aufsicht vorzunehmen. Die Patienten können jedoch in solchen Fällen auf Wunsch die Station verlassen.

Die Patientenanwältin beantragt die Überprüfung der Zulässigkeit der Unterbringung sämtlicher auf der Station *****befindlichen Patienten.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Ausgehend von der weiteren Feststellung, daß die Station anläßlich des Lokalaugenscheins vom 21.8.1992 nicht versperrt war, vertrat es in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, daß zumindest derzeit die Voraussetzungen für die Einleitung von Unterbringungsverfahren nicht vorlägen, weil die Station nicht ständig versperrt sei. Aber auch die in Zukunft zu erwartenden fallweisen Sperren dieser Station seien keine wesentlichen Beeinträchtigungen der Freiheit und damit auch keine Beschränkung im Sinne des UbG.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht die Einleitung von Unterbringungsverfahren auf. Weiters sprach es aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das UbG enthalte zwar nicht die Definition einer "geschlossenen Station", doch ergebe sich aus § 33 UbG, daß ohne Vorliegen einer psychischen Erkrankung keinerlei, somit auch nicht geringfügige Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ohne Vorliegen einer psychischen Erkrankung vorgenommen werden dürften. Das Verschlossenhalten von Räumen in einer geriatrischen Abteilung zum Schutze desorientierter Patienten oder aus pflegerischen Gründen sei durch das UbG nicht gedeckt.

Der Rekurs des Abteilungsleiters ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 2 UbG gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes für Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden. Beide Anwendungsfälle werden nach dem Klammerausdruck in § 2 UbG unter dem Begriff der "Unterbringung" zusammengefaßt. Unterliegt demnach ein Patient Bewegungseinschränkungen, dann ist er im Sinne des UbG untergebracht, unabhängig davon, ob er sich in einem geschlossenen Bereich befindet oder nicht (Kopetzki, UbG Rz 21). Aus dem Zusammenhang zwischen § 2 UbG und § 33 UbG, wonach Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig sind, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 3 Z 1 UbG sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerläßlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen, ergibt sich, daß sämtliche der in § 33 UbG erwähnten Formen von Beschränkungen auch zum Vorliegen einer "Unterbringung" iSd § 2 UbG führen. Eine besondere "Erheblichkeitsschwelle" hinsichtlich Dauer und Ausmaß der Beschränkung sieht das Gesetz nicht vor; therapheutische und pflegerische Beweggründe können die Qualifikation einer solchen Maßnahme als Unterbringung verhindern (vgl dazu Kopetzki aaO Rz 32) wie das Fehlen des für die notwendige Beaufsichtigung erforderlichen Pflegepersonals.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (EvBl 1992/101 mwN), ändert auch der Umstand, daß Patienten über Verlangen durch das Personal das Öffnen der Tür gewährt wird, nichts am Vorliegen einer Unterbringung; eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Die ständige Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines anderen stellt bereits die Beschränkung der Bewegungsfreiheit her. Aber auch der Hinweis des Abteilungsleiters im Revisionsrekurs auf einen "ärztlichen Notstand" ist nicht zielführend. Das - in Wahrheit nur vorliegende - Fehlen des für eine Beaufsichtigung im offenen Bereich erforderliche Personal darf niemals zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit führen, welche nur unter den Voraussetzungen des UbG zulässig sind. Daran kann auch nichts ändern, daß zu den Aufnahmezwecken einer öffentlichen psychiatrischen Krankenanstalt auch die Betreuung und Pflege des Kranken (§ 37 Abs 2 Z 4 KAG; § 59 Abs 2 Z 4 WrKAG; im Revisionsrekurs offensichtlich mit "Beaufsichtigung des Kranken" gemeint) gehört. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sind durch diesen Zweck nicht gedeckt. Auch Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie sind grundsätzlich offen zu führen (§ 38 KAG; § 60 WrKAG).

Das Verfahren zur Überprüfung der Zulässigkeit ist daher von Amts wegen einzuleiten, unabhängig davon, von wem das Gericht von einer Unterbringung erfahren hat (EvBl 1992/101).

Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

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