OGH 7Ob63/14m

OGH7Ob63/14m21.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. M***** W*****, geboren am *****, und 2. M***** W*****, geboren am *****, beide in vorläufiger Obsorge des Landes Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien MA 11, Amt für Jugend und Familie, Bezirk 3, 1030 Wien, Sechskrügelgasse 11), Mutter: ***** I***** W*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, Vater: ***** DDr. M***** P*****, vertreten durch Suppan & Spiegl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 4. März 2014, GZ 44 R 93/14y‑212, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00063.14M.0521.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsrekursverfahren ist nur die Entscheidung über die vorläufige Obsorge der Tochter strittig. Die Mutter begehrt die Übertragung der alleinigen Obsorge auf sie.

1. Die Frage der Obsorgeübertragung und der Erlassung einer vorläufigen Maßnahme hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, der keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, es sei denn, dass bei dieser Entscheidung das Wohl der Minderjährigen nicht ausreichend bedacht wurde (RIS‑Justiz RS0007101). Das ist hier nicht der Fall.

2. § 107 Abs 2 AußStrG idF des KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15, erlaubt eine vorläufige Obsorgeentscheidung nach Maßgabe des Kindeswohls, insbesondere zur Aufrechterhaltung der verlässlichen Kontakte und zur Schaffung von Rechtsklarheit. Auf eine akute Gefährdung des Kindeswohls kommt es ‑ entgegen der Ansicht der Mutter ‑ nach dieser Bestimmung nicht mehr an (Kindeswohlförderung statt bisheriger Gefahrenabwehr; 9 Ob 8/14p; Beck in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 107 Rz 38; Höllwerth , Obsorgeverfahren und Durchsetzung der Obsorge, in Gitschthaler [Hrsg], KindNamRÄG 2013 [2013] 211 [213 f]).

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Pflegschaftsgericht nunmehr schon dann eine vorläufige Entscheidung treffen, wenn zwar für die endgültige Regelung noch weitere Erhebungen notwendig sind, aber eine rasche Regelung der Obsorge oder der persönlichen Kontakte für die Dauer des Verfahrens Klarheit schafft und dadurch das Kindeswohl fördert. Dabei soll eine vorläufige Regelung der Obsorge im Zusammenhang mit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Eltern möglich sein, wenn dadurch eine Beruhigung der Situation für das Kind zu erwarten ist (ErläutRV 2004 BlgNR XXIV. GP  38; 7 Ob 68/14x; Beck aaO § 107 Rz 40; Höllwerth aaO; Fucik , Verfahren in Ehe‑ und Kindschaftsangelegenheiten nach dem KindNamRÄG 2013, ÖJZ 2013/32, 297 [303]).

3. Das Rekursgericht ging aufgrund der festgestellten eingeschränkten Erziehungskompetenz der Mutter und des vom Erstgericht in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens zur Frage einer möglichen psychischen Störung der Mutter und deren Auswirkung auf die Kindererziehung davon aus, dass derzeit ihre Erziehungskompetenz nicht ausreichend intakt sei. Der anhaltende Widerstand der Tochter gegenüber ihrem Vater mache aber gleichzeitig dessen Betrauung mit der Obsorge unmöglich. Damit sei zur Entspannung der bestehenden Loyalitätskonflikte bis zur Klärung der Erziehungskompetenz der Mutter und der Lebensumstände der Tochter (gemäß § 107 Abs 2 AußStrG) der Kinder‑ und Jugendhilfeträger mit deren vorläufiger Obsorge zu betrauen.

Die Mutter verweist selbst auf die zuletzt eingeholte Stellungnahme der Familiengerichtshilfe, wonach sich die Mutter zum Teil in einer nicht nachvollziehbaren Gedankenwelt bewege und sich bei der Tochter eine mögliche erhöhte Belastung aufgrund einer überdurchschnittlich häufigen emotionalen Beanspruchung durch ihre Mutter zeige. Bestehen aber solche begründeten Anhaltspunkte, die durch das einzuholende Sachverständigengutachten abzuklären sind, kommt derzeit ‑ wie das Rekursgericht jedenfalls vertretbar darlegte ‑ weder die Belassung der Tochter in der Mitobsorge der Mutter noch deren Betrauung mit der alleinigen Obsorge in Betracht.

4. Der Wille der mündigen Tochter ist zwar auch nach der Rechtslage des KindNamRÄG 2013 weiterhin ein relevantes Kriterium. Allerdings ist der Wunsch des Kindes nicht allein entscheidend, wenn schwerwiegende Gründe dagegen sprechen oder seiner Berücksichtigung das Wohl des Kindes entgegensteht (RIS‑Justiz RS0048981; RS0048820; RS0048818 [T1]; 3 Ob 38/13d = EF‑Z 2013/109, 167 [zust Beck ]).

Die Tochter entschied ihren ‑ aus dem Verhalten beider Eltern resultierenden ‑ Loyalitätskonflikt zu Gunsten der Mutter. Das Rekursgericht maß dem offenkundig nicht ohne Beeinflussung durch die Mutter geäußerten Willen der Tochter unter Berücksichtigung des Kindeswohls keine entscheidende Bedeutung zu. Darin ist keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

5. Da der außerordentliche Revisionsrekurs keine Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigt, ist er zurückzuweisen.

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