OGH 7Ob610/91

OGH7Ob610/9114.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Unterbringungssache des Elias M*****, Landesnervenkrankenhaus, infolge Revisionsrekurses des Patientenanwaltes Mag. Helmut DIETL vom Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, Geschäftsstelle Hall, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 26. September 1991, GZ 1 b R 161/91-15, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hall vom 23. August 1991, GZ Ub 544/91-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs des Patientenanwaltes wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der seit 1987 insgesamt schon 11mal in einer geschlossenen Anstalt untergebrachte Revisionsrekurswerber leidet an einer paranoid halluzinatorischen Schizophrenie mit sekundärem Alkoholabusus. Derzeit ist sein Zustand relativ gut kompensiert. Die letzte Behandlungsserie mit Neuroleptika - diese Behandlung ist die Grundlage der jetzt eingetretenen Besserung - begann am 22. Juli 1991. Ohne eine solche Behandlung verstärken sich die Krankheitssymptome in kurzer Zeit. Der Kranke ist dann nicht mehr in der Lage, seine Umwelt und sich selbst realistisch einzuschätzen. Mit der Entlassung des Kranken aus der geschlossenen Anstalt wäre eine ernste und erhebliche Gefährdung seiner Gesundheit, verursacht durch den zu erwartenden Behandlungsabbruch, insbesondere durch die unterlassene Einnahme der vorgeschriebenen Medikamente, zu erwarten. Versuche, den Revisionsrekurswerber auf einer offenen Station zu behandeln, scheiterten daran, daß er gegen den Willen der Ärzte das Krankenhaus verließ. Er hat die Behandlung dann stets abgebrochen, weil er nicht erkennt, wann er die Hilfe der Psychiatrie braucht. Es ist zu befürchten, daß dies bei einer Verlegung auf eine offene Station wieder eintreten wird.

Das Erstgericht erklärte die Unterbringung des Revisionsrekurswerbers in der geschlossenen Anstalt des Landesnervenkrankenhauses Hall für die Dauer von 3 Monaten bis 5. November 1991 für zulässig. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es traf nach Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens die oben wiedergegebenen Feststellungen. Es erklärte die Revision für zulässig.

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 3 UbG (BGBl 1990/155) darf eine Person in einer geschlossenen Anstalt nur dann untergebracht werden, wenn sie an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit ihr Leben oder ihre Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet; weiters, daß sie nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur RV (464 BlgNR, 17. GP, 20) muß die Gefährdung eine "ernstliche" sein. Darunter ist eine hohe Wahrscheinlichkeit des wie oben umschriebenen Schadenseintrittes zu verstehen, darüber hinaus hat die Schädigung direkt aus der Krankheit zu drohen. Eine bloß vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdschädigung ist nicht ausreichend. Die mit dem Aufenthalt im geschlossenen Bereich verbundenen Beschränkungen dürfen im Verhältnis zu der mit der Krankheit verbundenen Gefahr nicht unangemessen sein. Nach dem Ausschußbericht (1202 der BlgNR 17 GP, 5) umfaßt der Begriff "Gefährdung der Gesundheit" auch die Gefährdung der Sicherheit einer Person im Sinn der Beeinträchtigung ihrer körperlichen Unversehrtheit. Das Wort "ausreichend" drückt aus, daß die vom Kranken ausgehende Gefahr für sich oder andere nicht anders als durch eine Unterbringung abgewendet werden kann. Die Unterbringung aufgrund einer bloßen "Behandlungsbedürftigkeit" ist ebensowenig zulässig wie eine Anhaltung als "Maßnahme der Fürsorge". Da nicht jede psychische Erkrankung regelmäßig zu einer Gefährdung des Kranken oder seiner Umwelt im beschriebenen Sinn führt, kommt es auf den im Einzelfall gegebenen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der dadurch verursachten Gefahr an.

Die Beurteilung, inwieweit die Kriterien für eine Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt gegeben sind oder nicht, hängt sohin zunächst weitestgehend von irrevisiblen Tatfragen ab, eine rechtliche Überprüfung hat nur im Bereich der Ermessensabwägung, ob die mit der Anhaltung im geschlossenen Bereich, im Verhältnis zu der mit der Krankheit verbundenen Gefahr, unangemessen sind, Platz zu greifen.

Das Rekursgericht hat, wie aus dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hervorgeht, sowohl festgestellt, daß es bei einer Aufhebung der Unterbringung des Revisionsrekurswerbers in einer geschlossenen Anstalt im hohen Maß wahrscheinlich ist, daß bei ihm die früheren Krankheitssymptome sehr bald wieder auftreten, es zu einer schweren Verschlechterung der Krankheit kommen wird und daß daraus eine erhebliche Gesundheitsschädigung des Revisionsrekurswerbers eintreten wird. Richtig ist, daß eine Umschreibung der schweren Gesundheitsschäden, die bei Aufhebung der Unterbringung des Revisionsrekurswerbers mit dem Abbruch der Behandlung zu erwarten sind, fehlt. Bei dem aber nach den Feststellungen nach einer Entlassung aus der geschlossenen Abteilung sofort zu erwartenden Verlust der Kontrolle über sich ist im Hinblick auf das Krankheitsbild eine Wiederholung der früheren Vorfälle sehr wahrscheinlich. Daß bei dem krankheitsbedingten exzessiven Alkoholabusus des Untergebrachten auch mit dem Eintritt von irreparablen Vergiftungen oder auch von Unfällen konkret zu rechnen ist, entspricht der Lebenserfahrung. Der Gesetzestext läßt in Verbindung mit den Materialien die Auslegung zu, daß bei Anwendung des Ermessens nach § 3 UbG, die Entscheidung eines noch kritikfähigen Geisteskranken - inwieweit dies der Fall ist, ist eine Tatfrage - eine an sich notwendige Behandlung abzubrechen und dafür gewisse Nachteile in Kauf zu nehmen, dann zu respektieren ist, wenn daraus keine ernstliche und erhebliche Gefährdung der Gesundheit resultiert. Demgegenüber setzt eine bloße Behandlungsbedürftigkeit entweder nur geringe Nachteile nach Abbruch der Therapie oder einen noch intakten Entscheidungsfreiraum des psychisch Kranken voraus. Daß der bei Behandlungsabbruch zu befürchtende Schaden keine typische Krankheitsfolge sein dürfe, sondern "selbständig entstehen" müsse, kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Die Revisionsrekursbehauptungen, daß ein Behandlungsabbruch zu keiner erheblichen Gesundheitsschädigung führen würde, und daß beim Untergebrachten nur eine offenbar an und für sich nicht besonders dringliche Behandlungsbedürftigkeit vorliege, daß im Entweichungsfalle bestenfalls eine vorübergehende Verwahrlosung zu befürchten sei, weil der Untergebrachte ohnedies wieder rechtzeitig sich in der Anstalt einfinde, gehen daher nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Die Ansicht, daß unter einer Gesundheitsgefährdung im Sinne des Unterbringungsgesetzes nur eine Schädigung durch aktives Verhalten, nicht aber auch durch ein Unterlassen (Wegfall der Medikamenteneinnahme) zu verstehen sei, kann weder aus dem Gesetz noch seinen Materialien abgeleitet werden. Die im Rechtsmittel angestrebte Beantwortung grundsätzlicher Fragen des Unterbringungsrechtes steht in keinem Zusammenhang mit dem vorliegenden Sachverhalt. Die Auffassung, daß jede Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt zu einer Krankheitsbesserung führen müsse, kann nicht dem Gesetz entnommen werden. Die vom Revisionsrekurswerber immer wieder ins Treffen geführte Abwägung zwischen dem durch die Unterbringung verursachten Rechtsverlust des Kranken gegenüber der durch die Unterbringung abgewendeten Gefahr hat dort ihre Grenze zu finden, wo der Gebrauch der Freiheit krankheitsbedingt zu einem einschneidenden Verlust der körperlichen Integrität oder sogar des Lebens des psychisch Kranken führen kann. Mit derartigen Folgen muß aber im vorliegenden Fall gerechnet werden.

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