Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, als daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.604,72 (darin S 1.134,12 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 5.848,80 (darin S 724,80 Umsatzsteuer und S 1.500 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile heirateten am 7.12.1963. Während der Ehe wurden zwei Kinder geboren, und zwar die am 10.5.1967 geborene Renate und der am 2.1.1965 geborene Ronald, der am 29.3.1987 tödlich verunglückte. Die Streitteile lebten sich etwa ab 1974 auseinander. Für den Beklagten stand der Aufbau seiner Firma im Vordergrund, der Klägerin oblag zunächst die Führung des Haushaltes und die Erziehung der Kinder, später mußte auch sie eine Ganztagsbeschäftigung im Betrieb ihres Mannes übernehmen. Traten geschäftliche Probleme auf, so reagierte sich der Beklagte an der Familie ab, er beschimpfte die Klägerin wegen Kleinigkeiten mit den Worten "blöde Kuh, Schwein und Sau". In der Folge wurde er auch gegen sie tätlich, er ohrfeigte sie, stieß sie die Stiegen hinunter und warf mit Gegenständen nach ihr, wodurch die Klägerin Schürfwunden, blaue Flecken, Nasenbluten und fallweise auch Bewußtlosigkeiten erlitt. Der Beklagte machte die Klägerin für Fehler der Kinder verantwortlich und erging sich in seiner Rechthaberei in längeren Belehrungen der Familienmitglieder. In der Folge ging der Beklagte abends immer häufiger alleine aus. Etwa Anfang 1980 traten die betrieblichen Probleme gehäuft auf. Der Beklagte veranlaßte die äußerst widerstrebende Klägerin zur Übernahme von Haftungen über insgesamt S 8,000.000 für Betriebskredite. Er erklärte, falls sie sich zur Haftungsübernahme nicht bereit erkläre, lasse er sie mit den Kindern sitzen und setze sich ins Ausland ab. 1983 erkrankte die Mutter der Klägerin, zu der sie eine sehr innige Beziehung hatte, an Lungen- und Lymphdrüsenkrebs. Die Klägerin besuchte ihre Mutter täglich im Krankenhaus. Der Beklagte kommentierte dies mit den Worten, was sie bei einer Halbtoten, der man sowieso nicht helfen könne, wolle. Durch die bestehenden Eheprobleme, die existentiellen Belastungen durch die eingegangenen Haftungen in Millionenhöhe und durch die schwere Erkrankung der Mutter erkrankte die Klägerin an einer reaktiven Depression. Zu dieser Zeit begann sie erstmals allein Alkohol zu konsumieren, um die ihre seelische Belastbarkeit übersteigenden Fakten zu bewältigen. 1984 verstärkte sich ihr Alkoholkonsum. Sie mußte sich bereits damals einem ambulanten Aufenthalt im Genesungsheim Traun unterziehen. Der übermäßige und chronische Alkoholkonsum der Klägerin seit dieser Zeit ist als eine geistig-seelische Störung anzusehen. Bei den sich daraus bis Juli 1989 ergebenden Verhaltensweisen der Klägerin war ihre Willensbildung und ihre Kontrolle im Bereich des ehebelastenden Verhaltens jedenfalls erheblich beeinträchtigt. Auf den zunehmenden Alkoholkonsum der Klägerin reagierte der Beklagte zunehmend mit Mißhandlungen. Er ging im Anschluß daran alleine abends fort und blieb bis 3.00 Uhr in der Früh weg. Allerdings sorgte der Beklagte sich darum, daß die Klägerin regelmäßig ihren Arztbesuchen nachkam. 1985/86 bewegte er die neuerlich widerstrebende Klägerin, eine Haftung für einen weiteren Betriebsmittelkredit von 2 Mill. S zu übernehmen. 1986 verstarb die Mutter der Klägerin. Am 4.4.1987 wurde über das Vermögen des Beklagten der Konkurs eröffnet. Zuvor hatte die Klägerin im Februar 1987 in Wels eine Parfumerie eröffnet, welche nach anfänglich positivem Geschäftsverlauf in der Folge jedoch ebenfalls in Konkurs ging. Für diesen Betrieb hat der Beklagte der Klägerin für einen Kredit von S 500.000 gebürgt. Am 28.3.1987 verunglückte der Sohn der Streitteile tödlich. Ab diesem Zeitpunkt wandte sich die Klägerin noch mehr dem Alkohol zu. Sie war ca. einbis zweimal wöchentlich stark alkoholisiert. In der Folge wurde sie 5mal stationär in das Wagner-Jauregg-Krankenhaus Linz aufgenommen. War die Klägerin zwischenzeitig abstinent, so verfiel sie zu Hause bald wieder dem Alkohol, weil der Beklagte in ihrer Gegenwart Alkohol konsumierte. Der Beklagte zwang die Klägerin mit Brachialgewalt zur Einnahme der verordneten Medikamente. Im alkoholisierten Zustand wurde die Klägerin gegenüber dem Beklagten aggressiv und beschimpfte ihn, worauf sie von ihm mißhandelt wurde. Es kam zu wechselseitigen Tätlichkeiten, die auch zu einer strafgerichtlichen Verurteilung der Klägerin führten. Maßgeblich für die Zerrüttung der ehelichen Gesinnung der Streitteile war, daß die Streitteile ab April 1987 ihre Freizeit nicht mehr gemeinsam verbrachten, weil der Beklagte stets allein diverse Lokale aufsuchte und der Klägerin verschwieg, was er machte. Diese wandte sich darauf verstärkt dem Alkohol zu. Ende März 1989 fand der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Streitteilen statt. Im Anschluß an den letzten Krankenhausaufenthalt unterzog sich die Klägerin vom 7.4.1989 bis Anfang Juli 1989 einer Entwöhnungsbehandlung. Anläßlich eines Besuches des Beklagten erklärte sie diesem, daß sie in der nächsten Zeit zu sich finden möchte. Sie lernte im Genesungsheim einen Mann kennen, mit dem sie seit Juli 1989 auch geschlechtliche Beziehungen unterhält. Sie ist seither abstinent. Seit Mai 1990 unterhält der Beklagte geschlechtliche Beziehungen zu Ilse F*****.
Die Klägerin begehrt die Scheidung ihrer Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten.
Der Beklagte erhob einen Mitschuldantrag, in dem er der Klägerin ihre Alkoholsucht als schwere Eheverfehlung anlastete und die Scheidung aus deren überwiegendem Verschulden beantragte.
Die Klägerin erwiderte darauf, daß ihre Alkoholkrankheit auf einer geistigen Störung im Sinne des § 50 EheG beruht habe und ihr daher nicht als Verschulden angelastet werden dürfe.
Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Dessen Eheverfehlungen hätten zu der 1987 eingetretenen Zerrüttung der Ehe geführt. Hingegen könne der Klägerin die Alkoholsucht nicht als Verschulden angelastet werden, weil sie auf einer geistig-seelischen Störung beruhte. Dennoch habe die Klägerin die im Zusammenhang mit ihrer Alkoholisierung gesetzten Beschimpfungen und Mißhandlungen des Beklagten sowie das Eingehen einer Geschlechtsgemeinschaft mit einem anderen Mann ab 1989 als Verschulden zu vertreten.
Das Berufungsgericht gab der nur gegen den Verschuldensausspruch erhobenen Berufung des Beklagten Folge und sprach das gleichteilige Verschulden der Streitteile am Scheitern der Ehe aus. Es erklärte die Revision für zulässig. Im Gegensatz zum Erstgericht vermeinte es, daß der Alkoholmißbrauch der Klägerin als Eheverfehlung anzulasten sei. Bei Einbeziehung des Alkoholabusus der Klägerin in die Verschuldensabwägung ergebe sich, daß kein Verschulden eines der Streitteile überwiege..
Die gegen diesen Verschuldensausspruch von der Klägerin erhobene Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Vorweg zu bemerken ist, daß bei einer Entscheidung über einen Mitschuldantrag auch die Bestimmung des § 50 EheG zu berücksichtigen ist 8 Ob 37/66). Der Tatbestand nach § 50 EheG trifft alle Verhaltensweisen, die nach § 49 EheG eine Eheverfehlung darstellen würden, jedoch keine solchen sind, weil sie infolge geistiger Störung nicht als Verschulden zurechenbar sind. Scheidungsgrund ist nicht die Unheilbarkeit der geistigen Störung, sondern die Unheilbarkeit der Ehezerrüttung, die auf einem durch die geistige Störung hervorgerufenen Verhalten beruht, selbst wenn die Krankheit geheilt wurde. Regelmäßig fallen unter geistige Störungen im Sinne des § 50 EheG geistig-seelische Anomalien, Formen von Psychopathien, Psychoneurose, Zwangsneurose, Hysterie sowie unwiderstehliche Drogen- oder Alkoholsucht, psychopathische Zustände, Zwangshandlungen u.ä., die alle gemeinsam haben, daß sie zwar die moralische Kraft des Betroffenen in einer seine freie Willensbildung erheblich beeinträchtigenden Weise herabsetzen, aber sein sonstiges Geistes- und Seelenleben nicht so beeinflussen, daß die geistige Gemeinschaft zwischen ihm und dem anderen Ehegatten im Sinne des § 51 EheG aufgehoben wird. Es ist nicht erforderlich, daß die Verantwortlichkeit des Kranken ganz ausgeschlossen ist. Es genügt, wenn sie herabgemindert oder seine freie Willensbildung in einer erheblichen Weise beeinträchtigt wird (vgl Schwind, EheR2, 219 f mwN). Die Frage, ob eine geistige Störung im Sinne des § 50 EheG vorliegt, ist eine Tatfrage (vgl 2 Ob 511/90). Im vorliegenden Fall war die reaktive Depression der Klägerin kausal für den dann einsetzenden Alkoholabusus, dieser wiederum war auch mitkausal für die Zerrüttung der Ehe. Der Alkoholabusus kann der Klägerin daher nicht als Verschulden im Sinne des § 49 EheG angelastet werden. Ist jedoch die Alkoholkrankheit der Klägerin nicht in die Verschuldensabwägung mit einzubeziehen, so überwiegen im vorliegenden Fall die vom Beklagten gesetzten Ehescheidungsgründe, hat er doch durch sein liebloses und interesseloses Verhalten, seine Tätlichkeiten die Zerrüttung der Ehe in die Wege geleitet und später keinerlei Anstalten getroffen, der schwer vom Schicksal getroffenen Klägerin wieder eine taugliche Basis für ein gemeinsames Leben zu bieten. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß die Erkrankung der Klägerin weitgehend durch das Verhalten des Beklagten negativ beeinflußt wurde.
Bei der Entscheidung als irrelevant erweisen sich die von den beiden Streitteilen nach eingetretener Zerrüttung der Ehe gesetzten Verletzungen der ehelichen Treue (vgl EFSlg 63.392 ua).
Es war daher in Stattgebung der Revision der Klägerin das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründen sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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