OGH 7Ob545/86

OGH7Ob545/863.4.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine Maria H***, geb. S***, Hausfrau, Wien 19., Billrothstraße 42/1/4, geboren am 16.11.1944 in Stockerau, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Manfred Richard H***, Verkaufsleiter, Wien 19., Görgengasse 26/15/3, geboren am 4.4.1939 in Wien, vertreten durch Dr. Armin Kaufmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 14.Oktober 1985, GZ. 11 R 206/85-40, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 15.April 1985, GZ. 13 Cg 157/83-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Dieser bestritt die ihm angelasteten Eheverfehlungen und stellte einen Mitschuldantrag. Das Erstgericht schied die Ehe aus beiderseitigem Verschulden und sprach aus, daß das Verschulden des Beklagten überwiegt. Nach seinen Feststellungen mutmaßte die Klägerin seit Oktober 1982, daß der Beklagte ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen, insbesondere zu Christa B*** unterhalte. Die Klägerin begann daher, zu überprüfen, ob der Beklagte bei Christa B*** "aus- und eingeht". Sie fand den PKW des Beklagten "unzählige Male" vor dem Haus der Christa B***. Sie rief daher diese an und ersuchte sie, vom Beklagten zu lassen. Christa B*** erklärte ihr, daß dies Sache des Beklagten sei. Es kam zu einem Gespräch zwischen den Streitteilen darüber, ob der Beklagte nicht von Christa B*** lassen und man nicht einen Neubeginn der Ehe machen könne. Zu diesem Zeitpunkt wußte die Klägerin noch nicht, daß der Beklagte im Feber 1983 auch ein Verhältnis zu Johanna H*** aufgenommen hatte. Der Beklagte hatte sowohl mit Christa B*** als auch mit Johanna H*** Geschlechtsverkehr. Im Osterurlaub 1983 kam es auch noch zwischen den Streitteilen zum Geschlechtsverkehr. Dies war jedoch auf Seiten der Klägerin nicht Ausdruck der Verzeihung, sondern lediglich die Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses. Eine Verzeihung der Eheverfehlungen des Beklagten durch die Klägerin fand zu Ostern 1983 nicht statt. Auch zu diesem Zeitpunkt wußte die Klägerin noch nicht, daß der Beklagte mit Johanna H*** Geschlechtsverkehr hatte. Nach Rückkehr vom Osterurlaub fuhr der Beklagte, ohne der Klägerin davon etwas zu sagen, zu Christa B***, um diese in ihr Haus in Niederösterreich zu bringen. Die Klägerin fand im Kofferraum des Autos die Schlüssel der Christa B***. Es kam daraufhin zu einem Streit zwischen den Parteien, in dessen Verlauf die Klägerin den Beklagten schlug und ihm die Kopfhörer vom Kopf riß. In der Folge verkehrten die Ehegatten nur mehr schriftlich miteinander. Die Klägerin hatte inzwischen erfahren, daß der Beklagte mit Johanna H*** Geschlechtsverkehr hatte. Am 10.7.1983 zog der Beklagte aus der Ehewohnung aus und zu Christa B***, mit der er ein eheähnliches Verhältnis unterhält. Es kommt zwischen Beiden zum Austausch von Zärtlichkeiten und zum Geschlechtsverkehr. Die Klägerin untersagte daraufhin ihren Kindern den weiteren Kontakt mit dem Beklagten. In der Ehewohnung vorgefundene unentwickelte Filme ließ sie entwickeln, um allenfalls Beweise für die Eheverfehlungen des Beklagten zu haben. Gegenüber Bekannten und Verwandten erklärte sie, daß sie den Beklagten für unzuverlässig halte. Nach dem Auszug des Beklagten aus der Ehewohnung ging die Klägerin öfter in Discotheken tanzen. Nach der Auffassung des Erstgerichtes fielen dem Beklagten die Eheverfehlungen des Ehebruchs und auch sonstige schwere Eheverfehlungen zur Last. Der Klägerin dagegen seien als Eheverfehlungen das Vorenthalten von Fotomaterial, die Äußerungen im Bekanntenkreis über die Unzuverlässigkeit des Beklagten sowie das Verbot des Kontaktes der Kinder bzw. Adoptivkinder mit dem Beklagten als schwere Eheverfehlungen anzulasten.

Das Berufungsgericht änderte das nur im Ausspruch über das Mitverschulden der Klägerin von dieser angefochtene Ersturteil dahin ab, daß es das Alleinverschulden des Beklagten feststellte. Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes sei die Mitschuld des klagenden Ehegatten nur auszusprechen, wenn der beklagte Ehegatte zur Zeit der Erhebung der Klage oder später selbst auf Scheidung wegen Verschuldens hätte klagen können. Die vom Beklagten zur Begründung seines Mitschuldantrages behaupteten Verfehlungen müßten daher schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG sein. Entschuldbare Reaktionshandlungen, zu denen sich ein Ehegatte in unmittelbarer Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen in einer verständlichen Gemütsbewegung hinreißen lasse, stellten keine schweren Eheverfehlungen dar. Als solche Reaktionshandlungen wertete das Berufungsgericht den Großteil der vom Beklagten der Klägerin als Mitverschulden angelasteten Eheverfehlungen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.

Insoweit die Revision von einer Verzeihung durch die Klägerin ausgeht, ist ihr entgegenzuhalten, daß die Verzeihung ein innerer Vorgang ist, dessen Feststellung auf Schlüssen beruht, die nach freier richterlicher Beweiswürdigung aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten durch den Richter zu ziehen sind. In erster Linie ist daher die Frage, ob Verzeihung vorliegt, eine Frage der Beweiswürdigung, deren Überprüfung dem Revisionsgericht versagt ist (RZ 1980/29; EFSlg.8626; 7 Ob 356/55 uva.). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat aber die Klägerin dem Beklagten seine Eheverfehlungen nicht verziehen. Im übrigen ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zutreffend, daß der Ausspruch eines Mitverschuldens des klagenden Ehegatten im Sinne des § 60 Abs.3 EheG nur dann zulässig ist, wenn der beklagte Ehegatte auf Grund der betreffenden Umstände auf Scheidung wegen Verschuldens klagen hätte können (EFSlg. 20.511; Schwind, Eherecht 2 252). Eine angemessene Reaktion auf das Verhalten des anderen Ehegatten ist daher keine Grundlage für einen Mitschuldantrag (EFSlg.20.502). Daß die Mißhandlung des Beklagten durch die Klägerin eine solche Reaktionshandlung darstellt, räumt der Beklagte selbst ein. Dem Berufungsgericht ist aber auch darin beizupflichten, daß es nach dem vorangegangenen Verhalten des Beklagten verständlich war, wenn sich die Klägerin durch Aneignung des Filmmaterials Gewißheit und Beweise für die Eheverfehlungen des Beklagten zu verschaffen suchte. Die Äußerung der Klägerin, ihren Bekannten und Verwandten gegenüber, hat schon das Berufungsgericht zutreffend nicht als schwere Eheverfehlung qualifiziert. Unerörtert bleiben kann es, ob das Verbot an die Kinder, mit dem Beklagten zu verkehren, und die Discothekenbesuche der Klägerin noch als angemessene Reaktionshandlungen beurteilt werden können. Sie fallen nämlich bereits in eine Zeit, in der die eheliche Gesinnung von beiden Ehegatten endgültig verloren und die eheliche Gemeinschaft bereits aufgehoben war. Der Umstand, daß eine Ehe bereits tief zerrüttet ist, schließt die Berücksichtigung nachfolgender Eheverfehlungen bei der Mitschuldaufteilung zwar nicht aus. Wenn jedoch die Zerrüttung bereits zu einem völligen Erlöschen der ehelichen Gesinnung geführt hatte und eine weitere Zerrüttung daher nicht mehr eintreten kann, wird auch den neuen Eheverfehlungen keine Bedeutung am Scheitern der Ehe beigemessen werden können (EFSlg.34.051). Insbesondere kann einem Ehegatten eine der unheilbaren Zerrüttung der Ehe nachfolgende Treuepflichtverletzung nicht mehr als Mitverschulden angelastet werden, wenn die Ehe durch schwere und beharrliche Treuepflichtverletzungen des anderen bereits so tiefgreifend zerrüttet wurde, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist (EFSlg.34.051).

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte