OGH 7Ob543/94

OGH7Ob543/9413.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Christoph M*****, und 2. Michael M*****, beide vertreten durch Dr.Gert Paulsen, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Dorit J*****, vertreten durch Dr.Wolf-Günter Auer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, und des der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenienten Günther U*****, wegen Räumung (Streitwert nach RATG S 240.000,--, nach GGG S 8.000,--), infolge Rekurse beider Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 4.Februar 1994, GZ 1 R 7/94-38, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 28.September 1993, GZ 14 C 556/92z-29, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Beide Rekurse werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Rekursbeantwortung der beklagten Partei bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Die Kläger sind Eigentümer des Hauses P*****, H*****straße 158, in dem die Beklagte ein Geschäftslokal gemietet hat. Der jährliche Bestandzins beträgt S 240.000,--. Er ist in zwei Raten, und zwar jeweils am 15.Juli und am 15.Oktober eines jeden Jahres, zur Zahlung fällig. Die am 15.Juli 1992 fällige Mietzinsrate von S 120.000,-- bezahlte die Beklagte am 19.Oktober 1992, den am 15.Oktober 1992 fälligen Betrag bezahlte sie am 23.Juni 1993 und den am 15.Juli 1993 fälligen Mietzins erst am 17.August 1993. Gegen die Beklagte waren im Jahre 1992 15 Exekutionsverfahren anhängig, am 21.August 1992 legte sie den Offenbarungseid (Vermögensverzeichnis nach § 47 Abs.2 EO) ab. Zu 5 Nc 459/92 und 5 Nc 602/92 des Landesgerichtes Klagenfurt wurden gegen die Beklagte Konkursanträge eingebracht, letzterer stammte von den Klägern.

Anläßlich der Einlieferung der Beklagten in das Krankenhaus U***** am 26. Oktober 1992 wegen einer Allergie wurde bei ihr ein bösartiges Schilddrüsenkarzinom festgestellt. Sie verbrachte die Folgezeit zunächst im Krankenhaus U*****, dann im Landeskrankenhaus K***** und befand sich ab 13.Feber 1993 in häuslicher Pflege bei ihrer Mutter in K*****. Die Beklagte litt an schweren Schwächeanfällen, welche eine unmittelbare Pflege erforderlich machten. Aufgrund ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage war die Beklagte nicht imstande, die am 15. Oktober 1992 fällige Mietzinsrate pünktlich zu bezahlen. Nach ihrem Krankenhausaufenthalt verkaufte sie das Inventar ihres Geschäftslokales an ihren Bruder Günther U***** und bezahlte mit dem Erlös am 23.Juni 1993 den Mietzinsrückstand. Die wirtschaftliche Lage der Beklagten war bereits längere Zeit schlecht und verschlechterte sich durch ihre Krankheit, weil die Beklagte zu keiner geregelten Arbeit imstande war.

Die beiden Kläger begehrten ursprünglich die Bezahlung der am 15.Juli 1992 fälligen Mietzinsrate sowie gestützt auf § 1118 ABGB die Räumung des Bestandobjektes. Sie schränkten in der mündlichen Streitverhandlung vom 22.Oktober 1992 das Zahlungsbegehren um die am 19. Oktober 1992 bezahlten S 120.000,-- auf 4 % Zinsen aus diesem Betrag vom 12.8.1992 bis 19.10.1992 ein und dehnten gleichzeitig um die am 15.Oktober 1992 fällig gewordene Mietzinsrate von S 120.000,-- s. A. aus. In der Streitverhandlung vom 17.August 1993 schränkten die Kläger zufolge der Zahlung der letzten Mietzinsrate ihr "Leistungsbegehren" auf "Zinsen und Kosten" unter Aufrechterhaltung des Räumungsbegehrens ein.

Die Beklagte hat neben der Behauptung, daß keine Mietzinsrückstände bestünden, unter anderem eingewendet, daß sie die Zahlung des Mietzinses nicht grob schuldhaft verspätet geleistet habe. Die Nichtzahlung des Mietzinses im Herbst 1992 sei einerseits auf die unklare, von den Klägern durch Unterbreitung eines Räumungsvergleiches hervorgerufene Rechtssituation und andererseits auf die schwere Erkrankung der Beklagten zurückzuführen. Die Kläger hätten versucht, das unbefristete Mietverhältnis durch Abschluß eines Räumungsvergleiches in ein befristetes umzuwandeln. Weil der Beklagten dabei nicht klar gewesen sei, ob das Bestandobjekt nicht überhaupt geräumt werden müsse, habe sie den Mietzins nicht zeitgerecht bezahlt. Von ihrem Krebsleiden habe die Beklagte im Herbst 1992 erfahren. Die Nichtzahlung des Mietzinses am 15.Oktober 1992 könne ihr zufolge dieser lebensbedrohenden Erkrankung nicht als grobes Verschulden angelastet werden.

Das Erstgericht gab dem restlichen Zahlungsbegehren (unbekämpft) statt und wies das Räumungsbegehren ab. Es begründe kein grobes Verschulden, wenn der Mieter die rechtzeitige Zahlung des Mietzinses wegen schlechter Wirtschaftslage unterlassen habe, wobei es allerdings auf die Umstände des Einzelfalles ankomme. Die Beklagte habe sich in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen befunden, zu welchen noch ihre schwere Erkrankung hinzugekommen sei.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil, soweit damit das Räumungsbegehren abgewiesen wurde, auf und trug dem Erstgericht eine neue nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf. Es sprach die Zulässigkeit des Rekurses gegen diesen Aufhebungsbeschluß aus. Rechtlich folgerte das Rekursgericht, daß der Beklagten die noch nicht erfolgte Zahlung der Zinsen aus den bezahlten Mietzinsbeträgen und der Kosten nicht schade. Bei Verwirklichung des Räumungstatbestandes nach § 1118 ABGB sei es Sache des beklagten Mieters, all jene Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, die die Annahme eines groben Verschuldens an der verspäteten Zahlung ausschlössen, wobei der Mieter den ihn entschuldigenden Sachverhalt in jeder möglichen Richtung zu konkretisieren habe. Ausdrücklich habe sich die Beklagte nur auf eine von den Klägern verursachte angebliche unklare Rechtssituation und auf ihre schwere Erkrankung berufen. Die erste Einwendung erweise sich, da die Beklagte das Bestandobjekt ja weiterhin benützen habe können, als untauglich; die erst Ende Oktober 1992 erkannte Krebserkrankung der Beklagten könne keine Entschuldigung für den bereits am 15.7.1992 eingetretenen Zahlungsverzug darstellen. Die vom Erstgericht festgestellte schlechte Wirtschaftslage habe die Beklagte tatsächlich nie als Entschuldigungsgrund für ihre Säumigkeit ausdrücklich herangezogen. Diese Frage sei aber durch die Klagsbehauptung, die Beklagte sei zahlungsunfähig und Schuldnerin mehrerer Gläubiger, untermauert durch die Anführung der einzelnen Exekutionsverfahren und durch die Erhebung von Konkursanträgen sowie einer Strafanzeige gegen die Beklagte Gegenstand des Verfahrens geworden. Die schlechte Wirtschaftslage der Beklagten sei zwischen den Streitteilen gar nicht strittig, sondern geradezu evident gewesen, sodaß nach Auffassung des Berufungsgerichtes ein darauf abzielendes Vorbringen der Beklagten nicht mehr erforderlich gewesen sei. Dennoch reichten die erstgerichtlichen Feststellungen nicht zu einer abschließenden Beurteilung aus. Eine schlechte Wirtschaftslage exkulpiere den Mieter nur dann, wenn ihn an der Herbeiführung dieser Situation kein grobes Verschulden treffe. Dazu fehlten aber Feststellungen, die noch nachzutragen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung von beiden Streitteilen erhobenen Rekurse erweisen sich als unzulässig.

Während nach der älteren Rechtsprechung (vgl. SZ 21/123) die Beachtung von über das Parteienvorbringen hinausgehenden Beweisergebnissen (uneingeschränkt) für zulässig erachtet wurde, können vom Berufungsgericht nach der neueren Rechtsprechung "überschießende" Feststellungen des Erstgerichtes nur dann berücksichtigt werden, wenn sie in den Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einreden fallen (vgl. MGA ZPO14 § 266/13 ff und § 503/50 f; JBl. 1992, 709, WoBl. 1992, 208 ua). Die Lehre tritt weiterhin für eine weitergehende Berücksichtigung überschießender Feststellungen des Erstgerichtes durch das Berufungsgericht ein (vgl. Fasching LB2 Rz 661 und 899). Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zur Berücksichtigung der überschießend getroffenen Feststellungen ist beizupflichten, weil die Beklagte den Vorwurf der Kläger, sich der Straf- und Exekutionsverfolgung durch Flucht ins Ausland entzogen zu haben, bestritten (vgl. AS 28) und damit in Abrede gestellt hat, durch grobes Versculden in wirtschaftliche Not geraten zu sein. Die Berücksichtigung jener Feststellungen des Erstgerichtes, mit denen die schlechte Wirtschaftslage der Beklagten zu deren Exkulpierung für den Mietzinsverzug aufgezeigt wurde, fällt daher noch in den Bereich des beiderseitigen Parteienvorbringens. Geht man aber davon aus, so ist die vom Berufungsgericht gezogene rechtliche Konsequenz, daß nicht ohneweiteres davon ausgegangen werden kann, daß die Beklagte kein grobes Verschulden an ihrer bedrängten wirtschaftlichen Lage trifft - und nur dann wäre die Beklagte exkulpiert - zutreffend (vgl. MietSlg. 30.475 sowie MietSlg. 20.526). Ob auch die Einwendung, daß die Beklagte an ihrer schlechten Wirtschaftssituation kein grobes Verschulden trifft, noch in deren Parteienvorbringen gedeckt ist, ist eine Frage des Einzelfalles, der keine über den vorliegenden Rechtsstreit hinausgehende Bedeutung zukommt.

Damit erweisen sich beide Revisionsrekurse als unzulässig, weil damit keine Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs.1 ZPO geltend gemacht werden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 50 ZPO. Da die beklagte Partei auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Kläger im Sinne des § 502 Abs.1 ZPO hingewiesen hat, wären die Kosten ihrer Rekursbeantwortung bei ihrem Obsiegen zu berücksichtigen.

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