Spruch:
Bei vereinbarter Zulieferung von Baumaterial an einen Privaten "frei Haus" ist der Käufer im Zweifel nicht zur Mithilfe beim Abladen verpflichtet
OGH 1. Juli 1982, 7 Ob 534/82 (OLG Graz 3 R 162/81; LGZ Graz 23 Cg 157/81)
Text
Die klagende Partei begehrt die Bezahlung des von den Beklagten bestellten Baumaterials mit der Behauptung, die Käufer seien durch Nichtmitwirkung bei der Abladung der Ware in Annahmeverzug geraten. Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht dieses Begehren (neuerlich) ab; das Berufungsgericht bestätigte. Nach den von der zweiten Instanz übernommenen Feststellungen des Erstrichters wurde einerseits die kostenfreie Lieferung der Ware durch den Verkäufer an die Baustelle des Käufers vereinbart; andererseits sollte nach den in der Bestellung bezogenen Liefer- und Verkaufsbedingungen der klagenden Partei der Kaufgegenstand "auf Rechnung und Gefahr des Käufers reisen, auch wenn die Preise frachtfrei gestellt sind". Bei der Anlieferung verlangte der Fahrer des von der klagenden Partei beauftragten Spediteurs die Mithilfe des Bestellers beim Abladen und fuhr nach dessen Weigerung wieder weg.
Nach der Rechtsansicht der Vorinstanzen war die klagende Partei zur Übergabe der Ware an die Baustelle nach deren Abladung verpflichtet, sodaß die Beklagten nicht in Annahmeverzug geraten seien.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die unbestrittene Verpflichtung des Verkäufers, die gekauften Fenster und Türen kostenfrei an die Bauadresse zu liefern, seine Verpflichtung enthielt, den Kaufgegenstand auf der Baustelle so zu übergeben, daß die Käufer die Verfügung über die Ware frei von Pflichten jeder Art erhielten. Der in § 905 ABGB für den Zweifelsfall (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 362) bestimmte gesetzliche Erfüllungsort des Wohnsitzes des Schuldners zur Zeit des Vertragsabschlusses (Holschuld) wird allerdings nur durch eine Vereinbarung eines anderen Leistungsortes (Bringschuld) ersetzt, während bei einem Versendungskauf der Verkäufer die Sache bloß am gesetzlichen (oder einem vereinbarten) Erfüllungsort zum Transport durch eine dritte Person oder eine Beförderungsunternehmung an den Käufer abzusenden hat. Die Schuld wird dann zur Bringschuld, wenn vereinbart ist, daß der Verkäufer die Sache selbst oder jedenfalls in eigener Verantwortung (§ 1313a ABGB) zum Käufer zu befördern und ihm erst dort zu übergeben hat (Bydlinski in Klang[2] IV/2, 138 f.). In jedem Fall sind die Parteien hinsichtlich der Gestaltung des Vertrages frei, wer die Kosten des Transportes sowie der Ein- und Ausladung zu tragen hat. Im vorliegenden Fall geht die klagende Partei in ihrer Revision selbst davon aus, daß die strittige Lieferung "frei Haus" ("frei Baustelle") erfolgen sollte. Damit liegt, selbst wenn im Zweifel ein bloßer Versendungskauf anzunehmen sein mag (JBl. 1969, 337), nahe, daß sie sich nicht bloß zur Absendung der Ware mittels Übergabe an ein Transportunternehmen verpflichtete (zumal die Übersendungsart durch einen privaten Spediteur auch nicht iS des § 429 ABGB vom Käufer bestimmt oder genehmigt war), sondern zur Lieferung auf die Baustelle iS der Vereinbarung eines besonderen Erfüllungsortes (vgl. Koziol - Welser, Grundriß[5] I 190, II 26; Bydlinski in Klang[2] IV/2, 139, 318 f.; Palandt[41] 451 zu § 448 BGB). Die Revisionswerberin hat auch nie bestritten, daß die Käufer nicht allein zum Abladen verpflichtet gewesen wären. Eine solche Pflicht kann aber mangels einer besonderen Vereinbarung nicht zugleich beide Parteien des Kaufvertrages treffen. Dem Käufer jedoch wird mit der gesetzlichen "Pflicht", richtig Obliegenheit nach § 1062 ABGB, den Kaufgegenstand zur bedungenen Zeit zu übernehmen, nur auferlegt, jene notwendigen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen, die nach dem Vertrag, dessen Gegenstand und den näheren Umständen von ihm vorgenommen werden müssen, um die Kaufsache in seine Verfügungsgewalt zu bringen. Muß der Käufer die Kaufsache nicht abholen, sondern nur am Ablieferungsort übernehmen, so entscheidet bezüglich der genaueren Art und Weise der Übernahmshandlungen die Verkehrsübung, sodaß etwa beim Kauf von Brennstoffen der Lagerraum geöffnet und ein bestimmter Platz für das Abladen angewiesen werden muß, im bekannten Fall des Kaufes einer Fuhre Sand aber der Verkäufer einfach am Bauplatz des Käufers abzuladen hat (Bydlinski aaO 341). Auch die Kosten der Abnahme, deren Tragung ebenso wie die Übernahme allerdings seine Sache ist (Bydlinski aaO 319), können nur in diesem Rahmen auf den Käufer fallen. In diesem Sinn kann es zwar, wie das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang zutreffend erkannt hat, mangels Kaufmannseigenschaft der Beklagten nicht auf einen Handelsbrauch bestimmter Art ankommen. Bei der Lieferung sperrigen und schweren Baumaterials, wie es Einbaufenster und -türen sind, auf eine Baustelle kommt aber eine Verpflichtung zur tätigen Mithilfe des (dazu schon körperlich nicht immer fähigen) Käufers beim Abladen der Ware nach der Verkehrsübung offensichtlich nicht in Betracht; der Fall liegt jenem einer Zustellung von Brennmaterial oder Sand durchaus nahe.
Daran kann auch der Punkt 5 der hier im Bestellschein bezogenen und auf dessen Rückseite abgedruckten Liefer- und Verkaufsbedingungen der klagenden Partei, auf die allein sie sich übrigens in der Revision beruft, schon deshalb nichts ändern, weil die dortige Klausel, daß die Ware auf Rechnung und Gefahr des Käufers reise, mindestens im ersten Punkt der Kostentragung mit der Vereinbarung der kostenfreien Lieferung an die Baustelle in einem unlösbaren Widerspruch steht. Auch sonst ist aber diese Klausel der AGB nicht deutlich genug, um trotz § 915 zweiter Halbsatz ABGB in der Frage der Abladepflicht zu Lasten des Käufers ausgelegt werden zu können. Der Gefahrübergang muß sich nämlich keineswegs mit dem Zeitpunkt decken, in dem die Kosten auf den Käufer übergehen oder seine Mitwirkungspflicht eintritt (vgl. Koziol - Welser, Grundriß[5] II 26 f.; Eisenmann - Melis, Incoterms, Ausgabe 1980, 27 f.).
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