OGH 7Ob45/86

OGH7Ob45/866.11.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Egon N*** Gesellschaft mbH & Co KG, Fliesen und Estriche, Seefeld, Rielweg 190, vertreten durch Dr.Kurt Zangerl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei I***, Internationale Unfall- und Schadenversicherungs-AG, Landesdirektion Tirol, Innsbruck, Andreas Hofer-Straße 4, vertreten durch Dr.Heinz Bauer und Dr.Harald E. Hummel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert S 200.000,-- s.A.), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 6.Juni 1986, GZ. 6 R 57/86-10, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 3.Dezember 1985, 11 Cg 401/85-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.360,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 669,15 an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat für den von ihr gehaltenen PKW Mercedes bei der Beklagten eine Vollkasko-Neuwertversicherung abgeschlossen. Am 22. Juli 1985 stieß Klaus N*** mit diesem PKW gegen eine Steinmauer, wodurch am PKW erheblicher Sachschaden eintrat. Die Beklagte hat die Deckung dieses Schadens aus dem Kaskoversicherungsvertrag unter Berufung auf die Führerscheinklausel abgelehnt.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, die Beklagte habe für den Schaden ihm Rahmen der Vollkasko-Neuwertversicherung Deckung zu gewähren. Klaus N*** habe am 18.Juli 1985 die Führerscheinprüfung mit Erfolg abgelegt. Aus rein organisatorischen Gründen sei ihm das Dokument von der Behörde erst am Tag nach dem Unfall ausgefolgt worden. Eine Obliegenheitsverletzung liege daher nicht vor. Das Streitinteresse werde mit S 200.000,-- bewertet, da die Leistung aus der Kaskoversicherung diesen Betrag erreiche. Eine Schadensabrechnung sei der Klägerin bisher nicht übermittelt worden. Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage und wendet ein, Klaus N*** sei zur Unfallszeit noch nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung gewesen. Die Beklagte sei deshalb wegen einer Obliegenheitsverletzung gemäß den Allgemeinen Bedingungen für die Kaskoversicherung leistungsfrei. Ein Kausalitätsgegenbeweis sei hier anders als bei der Haftpflichtversicherung unzulässig. Außerdem sei ein Feststellungsbegehren nicht zulässig, weil die Kaskoschadensberechnung bereits erfolgt und sohin eine Leistungsklage möglich sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat. S 60.000,--, nicht jedoch S 300.000,-- übersteigt und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Das Berufungsgericht ging von folgenden Feststellungen aus:

Der am 24.Dezember 1965 geborene Klaus N*** hat am 15. Mai 1985 bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck den Antrag auf Erteilung einer Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B gestellt. Zum Nachweis der geistigen und körperlichen Eignung des Antragstellers zum Lenken von Kraftfahrzeugen lag der Behörde ein ärztliches Gutachten vom 7.Mai 1985 vor. Auch eine Bescheinigung über die Unterweisung in lebensrettenden Sofortmaßnahmen iS des § 28 b KBV war der Behörde vom Antragsteller vorgelegt worden. Einen Bericht über die Verkehrszuverlässigkeit des Antragstellers nach § 66 KFG hat die Behörde am 21.Mai 1985 beim Gendarmerieposten in Seefeld angefordert. Der Bericht des Gendarmeriepostens Seefeld vom 23. Mai 1985, wonach gegen die Ausstellung des Führerscheins für Klaus N*** keine Bedenken bestehen, ist am 29.Mai 1985 bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck eingelangt. Am 28.Mai 1985 langte bei dieser Behörde auch eine Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres ein, wonach im Strafregister der Bundespolizeidirektion Wien keine Verurteilung des Klaus N*** aufscheint. Nach Vorliegen dieser Erhebungsergebnisse wurde das Amt der Tiroler Landesregierung um Abnahme der Prüfung gebeten. Nach zwei erfolglosen Versuchen am 14. Juni und 27.Juni 1985 hat Klaus N*** die Kraftfahrzeuglenkerprüfung für die Gruppen A und B am 18.Juli 1985 bestanden. Am 23.Juli 1985 wurde Klaus N*** von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B erteilt. Den darüber mündlich verkündeten Bescheid hat Klaus N*** am selben Tage zur Kenntnis genommen und gleichzeitig den Führerschein übernommen.

In seiner rechtlichen Beurteilung bejahte das Berufungsgericht die Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens, da der Anspruch der Klägerin auf Entschädigung aus der Kaskoversicherung nach der Aktenlage noch nicht fällig sei. Nach Art.16 der AKIB entscheide bei Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des Schadens oder über den Umfang der erforderlichen Wiederherstellungsarbeiten ein Sachverständigenausschuß. Eine Meinungsverschiedenheit liege schon in der Bestreitung der Schadenshöhe, auch wenn dafür keine bestimmte Begründung angegeben werde. Ein Leistungsanspruch aus der Kaskoversicherung könne erst dann geltend gemacht werden, wenn entweder die Höhe des Schadens außer Streit stehe oder das Sachverständigenverfahren nach Art. 16 AKIB entweder abgeschlossen oder endgültig gescheitert sei. Daß ein Sachverständigenverfahren iS des Art.16 der AKIB bereits stattgefunden habe, sei im Verfahren nicht hervorgekommen und von den Parteien auch gar nicht behauptet worden. Die Höhe des Schadens stehe aber auch nicht außer Streit. Während nämlich die Klägerin zur Begründung ihrer Bewertung des Streitinteresses mit S 200.000,-- angeführt habe, daß die Leistung der Kaskoversicherung diesen Betrag erreiche, habe die Beklagte eine der Klägerin allenfalls zustehende Entschädigungsleistung aus der Kaskoversicherung mit S 176.700,-- errechnet. Mangelnde Fälligkeit hindere jedoch nicht die Geltendmachung des Anspruches mittels Feststellungsklage, wenn außer der Höhe auch der Grund des Anspruches streitig sei. Das Feststellungsbegehren sei auch berechtigt. Klaus N*** habe zum Unfallszeitpunkt am 22. Juli 1985 zwar noch keine behördlich erteilte Lenkerberechtigung für einen PKW besessen. Er habe jedoch alle für die Erteilung der Lenkerberechtigung erforderlichen Prüfungen bereits bestanden gehabt. Auch alle sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung seien vorgelegen. Die Verzögerung der Formalität der Ausstellung der Lenkerberechtigung sei nicht aus sachlichen, sondern lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen erfolgt. Durch Art.6 Abs 1 lit b der AKIB werde als Obliegenheit, die zum Zwecke der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen sei und deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadensereignisses nach Maßgabe des § 6 Abs 2 VersVG die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirke, bestimmt, daß der Lenker eine Lenkerberechtigung für die Gruppe besitze, in die das Fahrzeug falle. Eine im wesentlichen gleichlautende Führerscheinklausel sei in Art.6 Abs 2 lit a der AKHB enthalten. In beiden Fällen sei durch die ausdrückliche Bezugnahme auf § 6 Abs 2 VersVG klargestellt, daß es sich um eine Obliegenheit und keinen Risikoausschluß handle. Entgegen der Meinung der Klägerin schließe die Vertragsbestimmung des Art.6 Abs 1 der AKIB den in § 6 Abs 2 VersVG normierten Kausalitätsgegenbeweis schon nach ihrem Wortlaut ebensowenig aus wie bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung. Nach § 6 Abs 2 VersVG könne sich der Versicherer bei Verletzung einer der dort angeführten Obliegenheiten auf die vereinbarte Leistungsfreiheit dann nicht berufen, wenn die Verletzung keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der ihm obliegenden Leistungen gehabt habe. Auch bei Verletzungen der "Führerscheinklausel" sei der Beweis der fehlenden Kausalität zulässig. Es sei nicht einzusehen, warum sich dieser Grundsatz trotz identischer Rechtslage nur auf die Haftpflichtversicherung, nicht aber auch auf die Kaskoversicherung beziehen solle. Nach den von der Rechtsprechung für den Kausalitätsgegenbeweis bei Verletzung der "Führerscheinklausel" in der Haftpflichtversicherung entwickelten Grundsätzen führe das Fehlen der Lenkerberechtigung dann nicht zur Leistungsfreiheit, wenn nachgewiesen werde, daß der Lenker im Unfallszeitpunkt bereits die Kraftfahrzeuglenkerprüfung bestanden habe und die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften auf die im Gesetz beschriebene Weise überprüft worden seien und damit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung bereits vorgelegen gewesen seien und diese nicht aus sachlichen, sondern nur aus verfahrenstechnischen Gründen bis zum Unfallszeitpunkt unterblieben sei. Denn in einem solchen Fall könne der Nichtbesitz der Lenkerberechtigung nicht mehr als unfallskausal angesehen werden. Die Klägerin habe den Kausalitätsgegenbeweis erbracht. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil sich die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, auf welche Weise der Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs 2 VersVG bei Verletzung der Führerscheinklausel geführt werden könne, nur auf Fälle aus der Haftpflichtversicherung, nicht aber auch aus der Kaskoversicherung beziehe.

Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß die Klage abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte macht zunächst neuerlich geltend, daß eine Feststellungsklage nicht zulässig sei. Die Klägerin habe die Abrechnung der Beklagten im gegenständlichen Verfahren nicht bestritten; es bestehe deshalb Einvernehmen bezüglich der Schadenshöhe, so daß die Einleitung eines Sachverständigenverfahrens nicht notwendig sei. Bei der Bewertung des Feststellungsbegehrens mit S 200.000,-- handle es sich nur um eine Schätzung. Einvernehmen bezüglich der Schadenshöhe liegt jedoch nicht vor. Wie bereits vom Berufungsgericht hervorgehoben wurde, hat die Klägerin einerseits ihr Streitinteresse deshalb mit S 200.000,-- bewertet, weil die Leistung aus der Kaskoversicherung diesen Betrag erreiche (AS 2), und andererseits die im Zuge dieses Verfahrens von der Beklagten vorgenommene Abrechnung mit S 176.700,-- (AS 22) bestritten (AS 13). Über die sohin bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des Schadens hat gemäß Art.16 Abs 1 der AKIB ein Sachverständigenausschuß zu entscheiden. Vor Feststellung der Schadenshöhe durch den Sachverständigenausschuß ist der Anspruch nicht fällig. Mangelnde Fälligkeit hindert jedoch nicht die Geltendmachung mittels Feststellungsklage, wenn außer der Höhe auch der Grund des Anspruches strittig ist (Petrasch, ZVR 1979, 326).

Im übrigen vertritt die Beklagte weiterhin die Ansicht, es sei bei der Verletzung der Führerscheinklausel nach Art.6 Abs 1 lit b der AKIB wegen des bei der Kaskoversicherung im Gegensatz zur Haftpflichtversicherung freiwilligen Vertragsabschlusses eine sachliche Differenzierung gegenüber der Haftpflichtversicherung gerechtfertigt. Da die Kaskoversicherung keine Pflichtversicherung sei und sohin der Vertragsinhalt weitgehend dem freien Parteiwillen unterliege, könne eine gesetzliche Bestimmung wie jene des § 6 Abs 2 VersVG durchaus außer Kraft gesetzt werden. Die vom Berufungsgericht zitierte Bestimmung des § 15 a VersVG, derzufolge sich der Versicherer auf eine zum Nachteil des Versicherungsnehmers von der Bestimmung des § 6 Abs 2 VersVG abweichende Vereinbarung nicht berufen könne, beziehe sich nur auf den Haftpflichtbereich. Diese Ausführungen sind unzutreffend. Dem Wortlaut des § 15 a VersVG kann keinesfalls entnommen werden, daß dieser sich nur auf den Haftpflichtbereich beziehe. Die Bestimmung gehört vielmehr dem ersten Abschnitt des Versicherungsvertragsgesetzes an, der "Vorschriften für sämtliche Versicherungszweige" enthält. Die Bestimmungen des § 6 Abs 2 VersVG wurden durch die AKIB auch nicht außer Kraft gesetzt, sondern es wird in deren Art.6 ebenso ausdrücklich auf sie Bezug genommen wie in Art.6 Abs 2 (jetzt § 7 Abs 2) der AKHB; hierauf hat schon das Berufungsgericht ausdrücklich hingewiesen. Zufolge dieser Parallelität fehlt auch jeder Grund für eine verschiedenartige Behandlung der Führerscheinklausel. Wird deshalb der in der angefochtenen Entscheidung dargelegte strenge Kausalitätsgegenbeweis für den Bereich der AKHB als zulässig angesehen, muß für jenen der AKIB das gleiche gelten. Es ist auch nicht richtig, daß die Klägerin den Kausalitätsgegenbeweis nicht angetreten und auch ein entsprechendes Vorbringen nicht erstattet hat. Der Umstand, daß Klaus N*** zwar den Führerschein noch nicht in Händen, die Lenkerprüfung aber bereits abgelegt gehabt habe und die Aushändigung bis zum Unfallstag lediglich aus organisatorischen Gründen unterblieben sei, bildet vielmehr das wesentliche Klagevorbringen. Dies wurde von der Beklagten auch keineswegs anders verstanden, wie aus der Klagebeantwortung und dem vorbereitenden Schriftsatz ON 4 hervorgeht. Mit Recht hat das Berufungsgericht den Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs 2 VersVG als erbracht angesehen, weil Klaus N*** im Zeitpunkt des Unfalls die Fahrprüfung bereits bestanden hatte, auch sonst alle Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung vorlagen und damit der Nachweis erbracht wurde, daß die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften des Lenkers schon auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise überprüft waren und bloß die Formalität der Ausstellung der Lenkerberechtigung noch nicht erfüllt war (SZ 56/23). Mit Recht haben deshalb die Vorinstanzen der Klage stattgegeben, so daß der Revision ein Erfolg versagt bleiben mußte. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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