European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00042.840.1122.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.318,70 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.920 S Barauslagen und 581,70 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger, der am 4. 11. 1981 bei einer Tochterfirma der beklagten Versicherungsgesellschaft einen PKW leaste, schloss aus diesem Anlass bei der beklagten Partei unter anderem eine Vollkasko‑Neuwertversicherung ab. Er begehrt nach einem Unfall vom 6. 2. 1982 die Deckung des Fahrzeugschadens aus dieser Versicherung. Sein Hauptbegehren auf unmittelbare Zahlung der Versicherungssumme wurde vom Erstrichter unangefochten abgewiesen. Strittig ist noch das Eventualbegehren auf Zahlung zu Handen der vinkulierungsberechtigten Leasingfirma, und zwar sowohl dem Grunde nach wegen behaupteter Leistungsfreiheit als auch der Höhe nach, weil die beklagte Partei wegen des bei der Prämienberechnung berücksichtigten Vorsteuerabzugs der Leasingfirma von einem geringeren Neuwert des PKW ausgeht.
Beide Vorinstanzen gaben dem Eventualklagebegehren statt. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachenfeststellungen des Erstrichters wurde der Versicherungsantrag vom Versicherungsvertreter der beklagten Partei, Heinz E*****, aufgrund der Angaben des Klägers ausgefüllt und vom Kläger unterfertigt. Im Punkt 6 des Antrags wurde von Heinz E***** die Frage „vorsteuerabzugsberechtigt“ mit „ja“ angekreuzt, ohne dass dieser Punkt erörtert worden war. Für den Versicherungsvertreter war zwar klar, dass der Kläger als Mittelschullehrer nicht selbst vorsteuerabzugsberechtigt war, er folgte aber mit dem Ankreuzen des „ja“ einer internen Arbeitsanweisung der beklagten Partei im Hinblick auf die Anführung des vorsteuerabzugsberechtigten Leasinggebers als Inkassoanschrift. Bei der Berechnung der Versicherungsprämie wurde ebenfalls schon im Antrag ein Abzug von 15 % eingesetzt, der wiederum der internen Arbeitsanweisung im Zusammenhang mit einer allgemeinen Abmachung zwischen der beklagten Partei und dem Leasinggeber entsprach. Auch diese Frage wurde mit dem Kläger anlässlich der Ausfüllung des Formulars nicht weiter erörtert. Erst bei der Bearbeitung dieses Antrags bei der beklagten Partei wurde der weitere handschriftliche Vermerk „4823/4847“ auf der vierten Seite beigefügt. Er betraf die mit diesen Nummern bezeichneten besonderen Bedingungen der beklagten Partei, nach denen mit Rücksicht auf die Erklärung des Versicherungsnehmers, zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein (?), im Schadenfalle eine Vergütung der Mehrwertsteuer nicht erfolgt. Über den Inhalt dieser besonderen Bedingung wurde aber mit dem Kläger nicht gesprochen. Es ist auch nicht feststellbar, ob sie der in der Folge zugesandten Polizze, die einen Hinweis auf diese Bedingungen allerdings enthielt, beigefügt war. Von der beklagten Partei wurde auch nicht besonders auf die Abweichungen vom Antrag des Klägers hingewiesen.
Der strittige Unfall ereignete sich bei Nacht auf einer Baustelle der L*****, die dort in der Fahrtrichtung des Klägers ein leichtes Gefälle aufweist. Die aus Naturstein bestehende Fahrbahn war feucht bis nass. Im Unfallsbereich befand sich nach dem Ausgang eines Straßentunnels rechts der durch Baustelleneinrichtungen eingeengten Fahrbahn eine nahezu senkrecht ansteigende Felswand, linksseitig fiel das Gelände unmittelbar neben der Fahrbahn steil in ein ca 300 m tiefes Tobel ab. Der Kläger fuhr an die Fahrbahnenge ungeachtet zweier aufeinanderfolgender gelb blinkender Ampeln und einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h mit 40 km/h heran. Er musste noch im Tunnel auf den linken Fahrstreifen ausweichen. Im Zuge des Passierens dieses Baustellenbereichs leitete der Kläger, ohne dass dazu aus technischer Sicht eine Notwendigkeit bestand, eine Vollbremsung ein und ließ sich danach, noch bevor das Fahrzeug über den Straßenrand in den Tobel abstürzte, aus dem Fahrzeug fallen. Hätte er stattdessen durchgehend weiter gebremst, so hätte er den PKW noch 2,4 m vor der Absturzstelle zum Stillstand bringen können. Die Annahme, wegen der am linksseitigen Fahrbahnrand befindlichen Absperrung voll bremsen zu müssen, ist nur dann technisch erklärbar, wenn der Fahrzeuglenker unaufmerksam fuhr. Den Entschluss, sich aus dem PKW zu entfernen, musste der Kläger zu einem Zeitpunkt gefasst haben, wo er noch nicht feststellen konnte, dass er den Pkw nicht mehr vor der Abschrankung linksseitig der Fahrbahn zum Stillstand bringen könne. Durch das Verlassen des Fahrzeugs hat sich der Kläger in eine noch größere Gefahr gebracht, als wenn er nur voll gebremst hätte. Ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts des Versicherungsbetrugs wurde nach § 109 Abs 1 StPO eingestellt. Der Leasinggeber hat den Anspruch aus der Kaskoversicherung gegenüber der beklagten Partei nicht geltend gemacht. Seine Restforderung aus dem Leasingvertrag gegen den Beklagten beträgt 184.519 S. Die Kosten der Bergung des Fahrzeugs wurden vom Bergungsunternehmen dem Kläger mit 26.554,25 S in Rechnung gestellt. Der Unfall ist im Ganzen nach wie vor nicht objektiv rekonstruierbar. Es besteht die Möglichkeit, dass er sich so wie vom Kläger in groben Zügen geschildert ereignet hat. Ein weiterhin bestehender gewisser Verdacht, dass der Kläger den PKW in die Schlucht stürzen ließ und einen Verkehrsunfall vorgetäuscht hätte, ist nicht erweislich. Dass der Kläger in seinen Einvernahmen teilweise widersprüchliche und teilweise verwirrende Angaben machte, erscheint im Hinblick auf die kurze Zeitspanne, in der sich das Geschehen ereignete, und im Hinblick auf die Ausführlichkeit, in der der Kläger zu diesem Geschehen jeweils befragt wurde, verständlich. Die Situation kann sich für den Kläger subjektiv so dargestellt haben, als ob er keinen anderen Ausweg mehr sähe, als das Fahrzeug zu verlassen.
Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts fällt dem Kläger eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht zur Last, weil sein wenn auch im Nachhinein objektiv gesehen unzweckmäßiges Verhalten subjektiv nicht schwer vorwerfbar sei, wenn er bei Dunkelheit aus dem beleuchteten Tunnel in den unbeleuchteten und durch Baustelleneinrichtungen und Bauwaren teilweise blockierten Fahrbahnbereich kommend eine überhöhte Reaktion durch Vollbremsung und durch Verlassen des Fahrzeugs in der Annahme, es nicht mehr rechtzeitig zum Stillstand bringen zu können, setzte. Das Klagebegehren sei aber auch der Höhe nach berechtigt, weil eine Minderung der Versicherungsleistung wegen Vorsteuerabzugsberechtigung mit dem Kläger nicht erörtert, auf die Abweichung der Polizze vom Antrag nicht hingewiesen und auch besondere Bedingungen nicht zur Kenntnis gebracht worden seien.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist im Ergebnis zulässig, aber nicht berechtigt.
Die Meinung des Berufungsgerichts, die beklagte Partei habe die im Hinblick auf die Vinkulierung zunächst erfolgte Bestreitung der Aktivlegitimation des Klägers in der Verhandlungstagsatzung vom 14. 7. 1983 fallen gelassen, übersieht, dass die beklagte Partei nach der Erhebung des Eventualklagebegehrens in der Tagsatzung vom 14. 7. 1983 neuerlich vorbrachte, der Kläger sei gerade wegen der Vinkulierung nicht berechtigt, irgend eine Leistung aus dem Versicherungsvertrag zu verlangen, und es sei ausschließlich Sache des Leasinggebers, die Rechte aus der Kaskoversicherung geltend zu machen. Die Vinkulierung allein schließt es aber nicht aus, dass der Versicherungsnehmer Ansprüche aus dem Vertrag zur Zahlung an den Vinkulierungsberechtigten einklagt. Der Zweck einer Vinkulierung liegt in der Sicherstellung der gegen den Versicherungsnehmer gerichteten Forderungen des Dritten (JBl 1980, 100 VRdsch 1982, 274). Ein Klagebegehren auf Zahlung zu Handen des Vinkulierungsberechtigten widerspricht diesem Zweck ebenso wenig wie etwa eine Klage auf gerichtlichen Erlag der Forderung eines Verpflichteten, die gepfändet, aber an den betreibenden Gläubiger noch nicht überwiesen ist (vgl Heller‑Berger‑Stix in Neumann‑Lichtblau , EO 4 2131). Die Behauptung der Revisionswerberin aber, dass im vorliegenden Fall (ebenso wie in VRdsch 1982, 274) infolge der Abtretung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag eine Fremdversicherung vorliege, ist als unzulässige Neuerung unbeachtlich, weil die Revisionswerberin in erster Instanz nach Rückziehung ihrer weitergehenden, auf den Inhalt des Leasingvertrags gegründeten (S 26) Einwendung (S 33 und 65) die mangelnde Aktivlegitimation des Klägers nur noch aus der Vinkulierung abgeleitet hat (S 66). Von einer Aushändigung des Versicherungsscheins war überhaupt nie die Rede. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Prüfung der Rechtsfrage, ob nicht schon die Weigerung des Leasinggebers, die Versicherungsansprüche geltend zu machen, den Versicherungsnehmer im Sinn der Auslegung des § 75 VersVG zur ausnahmsweisen Wahrnehmung seiner Ansprüche berechtigen würde (vgl Prölss‑Martin VVG 23 456; ebenso 7 Ob 19/83).
Die Frage der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls hat nicht das Gewicht der Erheblichkeit im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nF. Die Vorinstanzen haben die maßgebenden Rechtssätze zutreffend dargestellt, und es ist keine unrichtige Anwendung derselben, die die Rechtssicherheit gefährden könnte, erkennbar. Die besonderen Umstände des Einzelfalls haben den Ausschlag gegeben. Der nicht genügenden Beachtung der mehreren Verkehrszeichen steht das geringe Ausmaß der Überschreitung der angeordneten Höchstgeschwindigkeit und der Umstand gegenüber, dass es sich bei dem Fehlverhalten des Klägers im Wesentlichen um eine Panikreaktion gehandelt hat, durch die er sich selbst in große Gefahr begab. Das Argument, der Kläger habe die Baustelle bereits gekannt, ist nicht überzeugend, weil ein Befahren der Baustelle schon im Jahr vorher stattfand, das zweite aber am Unfallstag bei Tageslicht und in der Gegenrichtung, sodass die besondere Situation bei der Rückfahrt nur ungenügend vorhersehbar war.
Auch die Verneinung einer Leistungsfreiheit der Revisionswerberin wegen Verletzung der Aufklärungspflicht betrifft keine erhebliche Rechtsfrage. Der Hinweis, dass die Beweislast für die Schuldlosigkeit den Versicherten treffe, geht ins Leere, weil schon der objektive Sachverhalt der Obliegenheitsverletzung, für den der Versicherer beweispflichtig ist, nach der im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbaren Beurteilung der Vorinstanzen im Tatsachenbereich nicht erwiesen ist.
Erheblich im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ist aber wieder die zur Höhe des Klagsanspruchs zu entscheidende Rechtsfrage, welche Bedeutung der Angabe über die Vorsteuerabzugsberechtigung im Versicherungsantrag und der Anführung der strittigen Sonderbedingungen in der Versicherungspolizze zukommt. Auch zu dieser Frage kann der Rechtsrüge der Revisionswerberin nicht gefolgt werden. Sie kommt selbst nicht mehr auf die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichts zurück, dass die in Bezug auf den Kläger unrichtige Angabe einer Vorsteuerabzugsberechtigung im Versicherungsantrag dem Revisionsgegner nicht zur Last fällt, weil es sich um eine nicht von diesem veranlasste Eintragung ihres eigenen Vertreters handelte, und dass eine Vereinbarung der Streitteile über eine aus diesem Grund verminderte Versicherungssumme wegen der erst nachträglichen Einsetzung der Kennzahlen in den Antrag und des Fehlens eines Hinweises auf die Abweichung vom Antrag in der Polizze nicht zustande gekommen ist. Die Revisionswerberin macht nur noch einen Verstoß gegen das versicherungsrechtliche Bereicherungsverbot geltend. Eine solche Behauptung in erster Instanz ist aus dem Vorbringen zu Punkt 2.) der Klagebeantwortung ableitbar. Danach wäre der Kläger jedoch nicht in der Höhe der jetzt hervorgehobenen Mehrwertsteuer bereichert, sondern nur im Ausmaß der Differenz zwischen seiner Restschuld an den Leasinggeber und der vollen Versicherungssumme. Abgesehen davon aber, dass diese Differenz nur wenige tausend Schilling ausmacht und der Schaden des Klägers nach seinem zutreffenden Hinweis auch noch die hohen Abschleppkosten umfasst, ist die Kasko‑Neuwertversicherung schon ihrem Wesen nach eine zulässige Ausnahme vom sonstigen versicherungsrechtlichen Prinzip des Bereicherungsverbots ( Prölss‑Martin aaO 323 mwN). Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass der tatsächliche Schaden eines Leasingnehmers nach Vernichtung des geleasten Fahrzeugs mit der Folge der Abrechnung des Leasingvertrags wegen dessen besonderer Gestaltung keineswegs immer mit seiner Restschuld an den Leasinggeber identisch sein muss und dass es im besonderen Fall an einer Beweisführung der Revisionswerberin für eine solche Übereinstimmung fehlte. Die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Behauptung der Revisionswerberin, es habe sich überhaupt um einen Fremdversicherungsvertrag zugunsten ihrer Tochterfirma gehandelt, sodass die Versicherungsleistung nach dem Schaden ihrer Tochterfirma (ohne Mehrwertsteuer) zu berechnen sei, ist nach dem schon oben Gesagten als unzulässige Neuerung unbeachtlich.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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