Spruch:
Das Vermächtnis eines Fruchtgenußrechtes ist nach versicherungsrechtlichen Grundsätzen zu bewerten. Auszugehen ist vom Alter des Bedachten am Todestag des Erblassers.
Entscheidung vom 26. Februar 1964, 7 Ob 33/64. I. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger ist ein Sohn der am 5. Februar 1959 verstorbenen Gutsbesitzerin Maria Josefa Juliane Th. Diese hinterließ außer dem Kläger ein zweites Kind, nämlich die Drittbeklagte Maria Luise B. Drei Kinder sind vorverstorben. Die Erblasserin vermachte testamentarisch einzelne Grundstücke und Grundstücksteile der Tochter Maria Luise B. und den beiden Töchtern des Klägers und Enkelinnen der Erblasserin, Mary Evelyne Th. (Erstbeklagte) und Johanna, verehelichte H. (Zweitbeklagte). Im übrigen setzte sie R. Th. (vorverstorben) und die vier Streitteile zu je 1/5 als Erben ein und vermachte dem Kläger und dem R. Th. das lebenslängliche Fruchtgenußrecht an den den beiden Enkelinnen vermachten Grundstücken und Grundstücksanteilen. Die Streitteile gaben zu je 1/5 des Nachlasses auf Grund des Testamentes die unbedingte Erbserklärung ab, der Kläger und die Drittbeklagte Maria Luise B. außerdem auf Grund des Gesetzes zu je 1/10 hinsichtlich der durch den Vortod des R. Th. freigewordenen Erbportion.
Der Kläger behauptet, in seinem Pflichtteil verletzt worden zu sein, und begehrt als Pflichtteilsergänzung den Betrag von 105.603 S. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es lehnte die Anwendung des nur für Steuer- und Gebührenzwecke geschaffenen Bewertungsgesetzes 1955 ab und legte der Berechnung des Wertes des Fruchtgenußrechtes die mittlere Lebenserwartung eines Mannes im Alter des Klägers laut der in den statistischen Nachrichten veröffentlichten allgemeinen Sterbetafel zugrunde. Es stellte fest, daß der Kläger am 29. März 1893 geboren ist und daher am Todestag der Erblasserin, dem 5. Februar 1952, 65 Jahre, 10 Monate und 7 Tage alt war. Der Kläger hatte selbst sein Alter in diesem Zeitpunkt zugrunde gelegt. Die Lebenserwartung betrage bei 65 Jahren 12.01 und bei 66 Jahren 11.43; durch Interpolation ergebe sich für das Alter des Klägers daraus
11.51 Jahre. Danach ergebe sich für die Fruchtgenußrechte im Werte von jährlich 23.481 S (Höhe unbestritten) und unter Anwendung des Multiplikators 11.51 ein kapitalisierter Wert von 270.266.31 S. Da der Pflichtteil 294.750 S ausmache und darauf noch der Wert des 3/6- Anteils eines Hauses in V. im Werte von 13.680 S und der 37/300- Anteil eines Hauses in W., im Betrage von 11.100 S anzurechnen sei, habe der Kläger 295.046.31 S, somit mehr erhalten als seinem Pflichtteil entspreche.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es trat der Ansicht des Erstgerichtes bei, daß die Anwendung des Bewertungsgesetzes 1955 abzulehnen sei, weil dieses lediglich der vereinfachten Wertfestsetzung für Zwecke der Steuern- und Abgabenerhebung diene und für den vorliegenden Fall auch zu ungenau wäre, weil es bloß Altersgruppen von je 10 Jahren vorsehe.
Auch die Bewertungsvorschrift des § 58 JN. könne nicht angewendet werden. Sie diene nur der ungefähren Feststellung des Streitwertes für die Bestimmung der Zuständigkeit und der Besetzung des Gerichtes. Es fehlten gesetzliche Vorschriften über die Berechnung des Wertes einer lebenslänglich wiederkehrenden Leistung. Dieser Wert sei in Anlehnung an die Entscheidung GlU. 11.295 nach der durchschnittlichen Lebenserwartung der bedachten Person zu ermitteln.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache an die erste Instanz zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
In der Revision wird neuerlich darzutun versucht, daß die Anwendung des Bewertungsgesetzes dem Gesetze entspreche.
Dieser Ansicht vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Wie bereits in der nichtveröffentlichten Entscheidung 2 Ob 754/54 ausgeführt wurde, kommt entgegen der Ansicht von Klang - Weiß zu § 784 ABGB., Klang[2] III S. 904, eine Schätzung unter Zugrundelegung des im § 58 JN. aufgestellten Maßstabes nicht in Betracht, da sie lediglich der Berechnung des für die Zuständigkeit maßgebenden Wertes des Streitgegenstandes dient. Ebensowenig kommt bei der Schätzung eines Vermächtnisses die Anwendung des Bewertungsgesetzes in Frage. Es ist vielmehr immer der wahre Wert zu ermitteln. Bei einem lebenslänglichen Fruchtgenußrecht hängt die Bewertung von der Lebensdauer des Berechtigten ab. Diese kann immer nur nach versicherungstechnischen Grundsätzen durch Sachverständige ermittelt werden (GlU. 11.295, GlUNF. 7.364). Dies ergibt sich aus der Bestimmung des § 102 (2) AußStrG. unter Bedachtnahme auf die gleichgelagerte Bestimmung des § 15 KO. Die vom Erstgericht selbst vorgenommene Berechnung entspricht diesen Bestimmungen nicht, weil dadurch nicht der Wert des legierten Fruchtgenußrechtes im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bestimmt wird.
Zu Unrecht macht der Kläger den Untergerichten den Vorwurf, daß sie vom Alter des Klägers im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin ausgegangen sind. Da der Kläger das Fruchtgenußrecht in Form eines Vermächtnisses erhielt, ist der Wert des Vermächtnisses maßgebend für die Anrechnung auf den Pflichtteil. Bei Vermächtnissen gilt als Anfallstag der Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 684 ABGB.). Vermächtnisse auf eine bestimmte Sache oder von Rechten auf eine bestimmte Sache sind nach § 685 ABGB. sofort fällig und § 687 ABGB. bestimmt ausdrücklich, daß bei wiederkehrenden Leistungen (Renten) das Recht auf die erste Rentenzahlung mit dem Todestag des Erblassers beginnt. Mit Recht haben die Untergerichte daher als entscheidenden Tag für die Berechnung der Lebenserwartung den Todestag der Erblasserin angenommen. Der Tag der wirklichen Zuteilung des Pflichtteils spielt dabei keine Rolle. Schon in GlU.
11.295 wurde die Bewertung nach dem Alter des Rentenempfängers am Todestage des Erblassers vorgenommen. Wenn in Lehre und Rechtsprechung bei der Berechnung des Pflichtteils vom Wert im Zeitpunkt der wirklichen Zuteilung des Pflichtteils ausgegangen wird, so nur deshalb, weil mit Rücksicht auf den Gesetzeswortlaut Werterhöhungen zwischen dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers und der Zuteilung des Pflichtteils auch dem Pflichtteilsberechtigten zugute kommen müssen. Die Ausmittlung des Pflichtteils erfolgt aber zunächst ebenfalls auf Grund der Schätzung des Nachlasses auf den Todestag des Erblassers, wobei nur spätere Werterhöhungen zu berücksichtigen sind (SZ. XXXII 78).
Da eine entsprechende Schätzung des Wertes des Fruchtgenußrechts durch Sachverständige nicht vorgenommen worden ist, leiden die Urteile der Unterinstanzen an einem Feststellungsmangel, der zur Aufhebung der Urteile führen mußte.
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