OGH 7Ob33/16b

OGH7Ob33/16b6.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwälte in Wien und des Nebenintervenienten Dr. F***** H*****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. November 2015, GZ 4 R 50/15z‑21, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Jänner 2015, GZ 51 Cg 6/14k‑15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00033.16B.0406.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und dem Nebenintervenienten, die jeweils mit 2.369,70 EUR (darin enthalten 394,95 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte ist aufgrund einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung („Exzedenten‑ haftpflichtversicherung“) der Klägerin als Mitglied der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gegenüber verpflichtet, Versicherungsschutz zu gewähren, soweit Schäden nicht durch eine eigene individuell abgeschlossene Vermögensschadenhaftpflichtversicherung der Klägerin gedeckt sind.

Der Insolvenzverwalter im Konkurs über das Vermögen einer Klientin der Klägerin nimmt diese im Verfahren 24 Cg 22/13p des Handelsgerichts Wien auf Ersatz von angeblich durch einen unrichtig erteilten Bestätigungsvermerk verursachte Schäden in Anspruch.

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RIS‑Justiz RS0007484). Dabei muss ein Widerspruch im Spruch selbst oder ein Fehlen von Gründen überhaupt vorliegen; eine mangelhafte Begründung reicht nicht aus (RIS‑Justiz RS0042133).

Die von der Beklagten als unzureichend erachtete Auseinandersetzung des Berufungsgerichts mit ihren Ausführungen zu sekundären Feststellungsmängeln bewirkt demnach keine Nichtigkeit des Berufungsurteils: Sowohl der Spruch als auch die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils lassen klar erkennen, warum das Berufungsgericht die Deckungspflicht der Beklagten bejahte.

2. Aber auch die relevierte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor:

2.1 Die Frage, ob weitere Feststellungen zu treffen gewesen wären, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS‑Justiz RS0043304 [T5]). Die Geltendmachung vermeintlicher Feststellungsmängel ist daher der Rechtsrüge zuzuordnen (RIS‑Justiz RS0043304 [T6]). Dass das Berufungsgericht nicht konkret auf alle in der Berufung der Beklagten vermissten Feststellungen und damit alle vorgetragenen rechtlichen Argumente eingegangen ist, könnte allenfalls zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung führen, verwirklicht aber nicht den Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO (2 Ob 163/09y). Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Berufungsgericht die Rechtsrüge zu Unrecht als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtet und deshalb ihre sachliche Behandlung verweigert hätte (RIS‑Justiz RS0043231). Ein derartiger Verfahrensmangel wird von der Beklagten nicht releviert.

2.2 Unzutreffend ist der Vorwurf der Beklagten, die Ausführungen des Berufungsgerichts zu ihrer Beweisrüge im Zusammenhang mit der Übermittlung der Klage und dem Klagebeantwortungsentwurf im Haftpflichtprozess durch den Nebenintervenienten an sie seien unnachvollziehbar. Vielmehr lässt sich klar erkennen, dass die von der Beklagten gewünschten Ersatzfeststellungen nicht als im Widerspruch zu den tatsächlich getroffenen Feststellungen stehend ‑ sondern als zusätzlich gewünscht ‑ beurteilt wurden.

3. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob das Verhalten des vom Versicherten im Einverständnis mit dem Versicherer im Haftpflichtprozess mit der Vertretung betrauten Rechtsanwalts dem Versicherten zuzurechnen sei, stellt sich aus folgenden Gründen nicht:

3.1 Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS‑Justiz RS0116978). Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe. Dass ‑ bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung ‑ die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat, ist vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RIS‑Justiz RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS‑Justiz RS0043728 [T4]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat. Dies kann für den Gesamtschaden oder einen Teil des Schadens gelingen (RIS‑Justiz RS0116979). Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“) ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt (RIS‑Justiz RS0081253 [T10], RS0109766).

3.2 Eine Aufklärungsobliegenheit verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung den Versicherten nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen und alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Schadenereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte (RIS‑Justiz RS0080972 [T12]). Damit sollen nicht nur die nötigen Feststellungen über den Ablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des Schadens ermöglicht, sondern auch die Klarstellung aller Umstände gewährleistet werden, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können. Der Versicherer soll ganz allgemein in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen (7 Ob 98/14h).

3.3 Vor diesem Hintergrund hält sich die Rechtsansicht, aus der von der Beklagten herangezogenen Aufklärungsobliegenheit lasse sich keine Verpflichtung des Versicherten ableiten, dem Versicherer Bewertungen der Prozesssituation, Erfolgsaussichtsprognosen und Vorschläge für die weitere Prozessführung, die gerade keine Auskünfte über aktuelles Wissen über aufklärungsbedürftige Tatsachen darstellen würden, zu unterbreiten, im Rahmen der oberstgerichtlichen Rechtsprechung.

4. Die Beklagte beruft sich weiters darauf, dass trotz konkreter Nachfrage die mit Schreiben vom 22. 1. 2013 geforderte Beantwortung von 29 Tatsachenfragen und die Übermittlung von Unterlagen, über welche die Klägerin verfügte, unterblieben sei. Im Hinblick darauf, dass die Beklagte in der Revision nicht darlegt, welche konkrete Frage unbeantwortet blieb oder welche Urkunde nicht übermittelt wurde, lässt sie schon offen, ob und welche wesentlichen Informationen unterblieben. Sie zeigt daher keinen objektiven Tatbestand der Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit auf. Abgesehen davon haben die Vorinstanzen ‑ nicht korrekturbedürftig ‑ das Vorliegen von grobem Verschulden und Vorsatz verneint:

4.1 Für den Vorsatz iSd § 6 Abs 3 VersVG genügt das allgemeine Bewusstsein, dass ein Haftpflichtversicherter bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften mitwirken muss. Dieses Bewusstsein ist bei einem Versicherten in der Regel vorauszusetzen (RIS‑Justiz RS0080477). Es kann daher nur der Nachweis besonders entschuldbarer Umstände den Vorsatz in Frage stellen (RIS‑Justiz RS0080477 [T15]).

4.2 Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen; wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gebotenen Umständen hätte geschehen müssen (RIS‑Justiz RS0080371). Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS‑Justiz RS0030272). Bei der Beurteilung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, müssen die Umstände des einzelnen Falls und die persönlichen Verhältnisse berücksichtigt werden (RIS‑Justiz RS0080387, RS0030309).

4.3 Dass die Vorinstanzen ausgehend von den getroffenen Feststellungen die Kenntnis der wesentlichen Umstände des Haftpflichtprozesses bei der Beklagten voraussetzten und eine aktiv wahrzunehmende Informationspflicht verneinten, ist ebenso vertretbar, wie die Ansicht, dass aufgrund der äußerst knapp gesetzten Äußerungsmöglichkeit, des zeitnah zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und einem Mitarbeiter der Beklagten geführten Gesprächs, in dem die Beantwortung der Fragen nicht thematisiert wurde und der Deckungsablehnung noch vor der ohnehin vom Geschäftsführer der Klägerin beabsichtigten Beantwortung, besondere Umstände vorlägen, die Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausschließen würden.

5. Zuletzt argumentiert die Beklagte, die Klägerin habe dadurch, dass sie ohne Rücksprache mit der Beklagten und ohne Einholung einer Weisung auf die Gutachtenserörterung verzichtet habe, vorsätzlich bzw grob fahrlässig ihre Obliegenheit zur Schadensminderung verletzt. Der Inhalt der Rettungspflicht bestimmt sich danach, wie sich der Versicherungsnehmer verständiger Weise verhalten hätte, wenn er nicht versichert wäre (RIS‑Justiz RS0080439). Vor diesem Hintergrund gingen die Vorinstanzen unter Berücksichtigung der Feststellung, dass keine sich für einen Erörterungsantrag eignenden Fragen bestanden hätten, vertretbar davon aus, dass die Beurteilung durch die Klägerin, aus diesem Grund keine ‑ mit einem entsprechenden Kostenaufwand verbundene ‑ weitere Erörterung des Sachverständigengutachtens zu beantragen, nicht auf Vorsatz oder grobem Verschulden, beruhte. Im Übrigen wäre es der Beklagten freigestanden, von sich aus eine entsprechende Weisung zu erteilen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin und der Nebenintervenient wiesen auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

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