OGH 7Ob32/94

OGH7Ob32/9414.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing.Karl K*****, vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei M***** AG, ***** vertreten durch Dr.Heinz Oppitz und Dr.Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung (Streitwert S 120.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 22.Juni 1994, GZ 2 R 85/94-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 3. Jänner 1994, GZ 5 Cg 171/93d-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird teilweise dahin abgeändert, daß die Entscheidung zur Gänze wie folgt zu lauten hat:

Es wird festgestellt, daß die beklagte Partei der klagenden Partei aufgrund des Rechtschutzversicherungsvertrages Polizzennummer ***** für das Verfahren 18 Cga ***** A*****gerichtes***** insoweit Rechtsschutz zu gewähren hat, als Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis des Klägers zur S*****gmbH geltend gemacht werden, die nicht auch den Bestand von Arbeitszeiten voraussetzen, in denen der Kläger auch Geschäftsführer der S*****gmbH war.

Das darüber hinausgehende, auf Gewährung des Rechtsschutzes in dem genannten Verfahren schlechthin gerichtete Mehrbegehren wird hingegen abgewiesen."

Die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die Hälfte der mit insgesamt S 27.840,-- bestimmten Barauslagen binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Streitteilen besteht eine Rechtsschutzversicherung, in deren Rahmen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1988) gelten. Gemäß Art 20 ARB umfaßt der Versicherungsschutz auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeits- oder Lehrverhältnissen in Verfahren vor österreichischen Gerichten als Arbeitsgerichten. Ausgeschlossen von diesem Rechtsschutz ist gemäß Art 7.1.6. ARB die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Anstellungsverträgen gesetzlicher Vertreter juristischer Personen sowie aus dem Bereich des Handelsvertreterrechtes. Der Versicherungsfall gilt im Rahmen des Arbeitsrechtschutzes gemäß Art 2.3. ARB in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

Am 7.8.1979 gründete der Kläger mit fünf weiteren Personen die S*****gmbH (kurz Firma S*****). Im Gesellschaftsvertrag wurden die Gesellschafter für die Dauer ihres Gesellschaftverhältnisses zu Geschäftsführern bestellt. Seit 1.12.1979 war der Kläger auch Angestellter der Firma S*****. Am 15.12.1983 traten die Gesellschafter ihre Anteile der Qu***** GmbH ab, wurden jedoch gleichzeitig wieder zu Geschäftsführern bestellt. Am 23.9.1992 wurde der Kläger von seiner Funktion als Geschäftsführer enthoben; das Ausscheiden des Klägers als Geschäftsführer wurde am 6.11.1992 in das Firmenbuch eingetragen. Das Angestelltenverhältnis des Klägers wurde sodann zum 31.3.1993 gekündigt.

Mit Schreiben vom 7.4.1993 forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm für ein beim A*****gericht ***** einzuleitendes Verfahren gegen die Firma S***** Rechtsschutz zu gewähren. Die Beklagte lehnte die Deckung unter Hinweis auf Art 7.1.6 ARB ab.

Am 7.5.1993 erhob der Kläger beim A*****gericht ***** zu 18 Cga ***** gegen die Firma S***** eine Klage auf Zahlung von S 1,393.323,20 sA. Die Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma S***** hätten stets gleich hohe Bezüge erhalten und seien überhaupt in jeder Beziehung gleich behandelt worden. Im Jahr 1991 sei davon probeweise abgegangen worden. Die Abrechnung am Jahresende habe zu einer groben Benachteiligung des Klägers geführt. Der Kläger sei deshalb mit einer Fortführung dieser Entgeltsregelung nicht einverstanden gewesen. Die Qu***** GmbH, an der alle Geschäftsführer der Firma S***** mit gleichen Anteilen beteiligt seien, habe im Jahr 1992 eine für den Kläger noch ungünstigere Entgeltsregelung beschlossen. Da der Kläger eine Änderung dieser Regelung nicht habe durchsetzen können, habe er die Geschäftsführung am 15.9.1992 zurückgelegt. Im Jahr 1993 sei dem Kläger neuerlich eine Entgeltskürzung mitgeteilt worden. Die Firma S***** habe sich dabei auf den Standpunkt gestellt, daß die dem Kläger für 1992 geleisteten Entgeltzahlungen nur Akonti gewesen seien und daher eine Rückverrechnung stattzufinden habe. Die beschriebenen Vorgangsweisen verstießen gegen die über zehn Jahre hindurch gepflogene Entlohnung, von der die Firma S***** nicht habe einseitig abgehen können.

Die im Arbeitsgerichtsprozeß eingeklagte Forderung setzt sich aus einer Lohnnachforderung für das Jahr 1992 in der Höhe von S 382.298,50, für das Jahr 1993 in der Höhe von S 375.124,62 sowie aus einer Abfertigung in der Höhe von S 485.124,62 zuzüglich S 21.000,-- und einer Urlaubsentschädigung von S 129.775,53 zusammen.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß ihn die Beklagte aufgrund des bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages im Verfahren 18 Cga ***** des A*****gerichtes ***** Rechtsschutz zu gewähren und im Rahmen des Versicherungsvertrages die Verfahrenskosten zu übernehmen habe. Die von ihm im Arbeitsgerichtsprozeß erhobenen Ansprüche fielen nicht unter den Ausschluß des Art 7.1.6 ARB, weil alle Ansprüche erst nach seinem Ausscheiden als Geschäftsführer der Firma S***** fällig geworden seien. Daß er davor auch Geschäftsführer gewesen sei, habe auf die Deckungspflicht der Beklagten keinen Einfluß. Als Versicherungsfall sei die Weigerung der Firma S***** anzusehen, die geforderten Beträge auszuzahlen. Diese sei ebenfalls erst nach der Beendigung der Geschäftsführertätigkeit des Klägers ausgesprochen worden.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Gemäß Art 7.1.6 ARB umfasse der Versicherungsschutz nicht die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Anstellungsverträgen gesetzlicher Vertreter juristischer Personen. Die vom Kläger in dem Arbeitsgerichtsprozeß erhobenen Ansprüche hätten allesamt ihre Grundlage in Vereinbarungen, die der Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und Angestellter der Firma S***** abgeschlossen habe. Nach Art 7.1.5 ARB umfasse der Versicherungsschutz aber auch nicht die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem Bereich des Rechts der Handelsgesellschaften. Da der Kläger auch Gesellschafter der Firma S***** gewesen sei, liege auch dieser Ausschluß vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger mache im Prozeß gegen die Firma S***** Ansprüche geltend, die er als deren Geschäftsführer und Gesellschafter erworben habe. Weiters stütze er sich auf eine langjährige, während der Dauer seiner Geschäftsführertätigkeit gepflogene Übung. Daher komme die Ausschlußklausel des Art 7.1.6 ARB zum Tragen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Nach der für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen maßgebenden Auffassung eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers sei Art 7.1.6 ARB nicht dahin einzuschränken, daß im Fall der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit jedenfalls auch Streitigkeiten aus Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern vom Versicherungsschutz umfaßt wären. Der genannte Ausschluß beruhe auf der Erwägung, daß sich bei Streitigkeiten aus Anstellungsverträgen gesetzlicher Vertreter juristischer Personen häufig sehr hohe Streitwerte und damit hohe Kosten ergäben, wobei ohnehin nur relativ wenige Versicherungsnehmer gesetzliche Vertreter juristischer Personen seien. Dem Kläger werde durch diesen Ausschluß im Hinblick auf das Institut der Verfahrenshilfe auch nicht die Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung abgeschnitten. Art 2.1 ARB, wonach als Versicherungsfall der Eintritt des Schadenereignisses gelte, sei auf den Arbeitsgerichts-Rechtsschutz nicht anzuwenden. Der Kläger erhebe in dem Arbeitsgerichtsprozeß auch nicht Schadenersatz-, sondern Entgeltsansprüche. Im Rahmen dieses Rechtsschutzes sei für den Eintritt des Versicherungsfalles Art 2.3. ARB heranzuziehen, so daß der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt eingetreten sei, in dem die Firma S***** nach dem Vorbringen des Klägers begonnen habe, gegen Rechtspflichten zu verstoßen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger aber noch Geschäftsführer der Firma S***** gewesen. In dem zu beurteilenden Arbeitsgerichtsprozeß mache der Kläger daher Ansprüche aus seinem Anstellungsvertrag als Geschäftsführer der Firma S***** geltend. Die Deckung dieses Risikos sei aber durch Art 7.1.6 ARB ausgeschlossen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Kläger erhobene Revision ist teilweise berechtigt.

Der Auffassung in der Revision, der Kläger habe Anspruch auf Rechtsschutz für die Durchsetzung sämtlicher Forderungen, die nach dem 15.9.1992 (Zurücklegung der Geschäftsführung) entstanden (fällig geworden) sind, kann nur zum Teil gefolgt werden:

Nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senates sind Allgemeine Versicherungsbedingungen grundsätzlich wie Verträge, demnach nach §§ 914 f ABGB auszulegen; daraus folgt, daß die Auslegung am Maßstab eines verständigen, durchschnittlichen Versicherungsnehmers vorzunehmen ist (SZ 60/52; SZ 62/29; SZ 63/51; VR 1992, 88; VR 1992, 183; VR 1993, 103; JBl 1992, 717 ua). Die Ausschlußklausel gemäß Art 7.1.6 ARB, wonach der Versicherungsschutz nicht die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Anstellungsverträgen gesetzlicher Vertreter juristischer Personen (sowie aus dem Bereich des Handelsvertreterrechts) umfaßt, beruht auf der Erwägung, daß nur relativ wenige Versicherungsnehmer gesetzliche Vertreter einer juristischen Person sind, wogegen sich im Streit aus einem solchen Anstellungsvertrag häufig sehr hohe Streitwerte und damit hohe Kosten ergeben (Harbauer, ARB-Komm4 196 f). Der Ausschluß greift auch Platz, wenn der gesetzliche Vertreter stark weisungsabhängig war (Prölss/Martin VVG25, 1704 Anm 4 zu § 4 dARB). Zweck einer solchen Vereinbarung ist nach den genannten Auslegungsregeln demnach nur, die Wahrung all jener Interessen, die aus Anstellungsverträgen gesetzlicher Vertreter juristischer Personen abgeleitet werden, soweit aus dem Versicherungsschutz auszunehmen, als sie auch mit der Organstellung zusammenhängen. Ein solcher Zusammenhang ist - decken sich die beiden Funktionen des Versicherungsnehmers zeitlich nicht - nicht immer schon dann gegeben, wenn diese beiden Funktionen irgendwann einmal zeitlich zusammgengefallen sind. Daß sich die Interessenwahrung auf Ansprüche bezieht, die das Angestelltenverhältnis voraussetzen, ist ebenfalls nicht allein ausschlaggebend. Geht es - wie hier - um die Wahrung rechtlicher Interessen eines Versicherungsnehmers, dessen Funktionsperiode als gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person sich zeitlich mit dessen Angestelltenverhältnis überschnitten hat, dann bildet auch der Zeitpunkt des Entstehens oder Fälligwerdens eines Anspruches nicht das entscheidende Abgrenzungskriterium. Die Verfolgung von Ansprüchen, die während einer solchen Doppelfunktion entstanden sind, wird zwar regelmäßig unter den Ausschlußtatbestand fallen. Auch die Verfolgung solcher Ansprüche aber, die erst nach Beendigung der Funktion des Versicherungsnehmers als gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person fällig geworden sind, als er also nur mehr Angestellter war, kann wegen des Zusammenhanges mit der Organstellung unter den Ausschlußtatbestand fallen. Es ist daher immer im Einzelfall zu prüfen, ob die Ansprüche den Bestand bloß des Angestelltenverhältnisses oder aber auch des organschaftlichen Vertretungsverhältnisses voraussetzen. Daß der erste Verstoß als Versicherungsfall im Sinne des Art 2.3 ARB in eine Periode fällt, in welcher der Versicherungsnehmer sowohl Angestellter als auch gesetzlicher Vertreter der juristischen Person war, schließt den Rechtsschutz somit nicht zur Gänze aus. Den Versicherungsschutz im Bereich des Arbeitsgerichts-Rechtsschutzes genießt der Versicherungsnehmer, der Angestellter und gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person war, demnach nur für die Geltendmachung solcher Ansprüche, die nicht auch den Bestand von Arbeitszeiten voraussetzen, in denen er auch Geschäftsführer der juristischen Person war.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus folgendes: Die Lohnforderung des Klägers für den Zeitraum, in dem er Angestellter und gesetzlicher Vertreter der Firma S***** war, fällt unter den Ausschluß des Art 7.1.6 ARB, jene für den Zeitraum, in dem er nur mehr Angestellter dieses Unternehmens war, hingegen nicht. Der Abfertigungsanspruch hängt wesentlich von Beschäftigungszeiten des Klägers ab, in denen er auch gesetzlicher Vertreter der Firma S***** war. Der Anspruch auf Urlaubsentschädigung hingegen steht mit der Eigenschaft des Klägers als gesetzlicher Vertreter der Firma S***** dann nicht im Zusammenhang, wenn er Urlaubsansprüche für Zeiträume betrifft, in denen der Kläger nicht mehr Geschäftsführer der Firma S***** war. Nach diesen Kriterien macht der Kläger im Arbeitsgerichtsprozeß somit Ansprüche in der Höhe von knapp der Hälfte dessen Gesamtstreitwertes geltend, welche unter die Deckungspflicht der Beklagten fallen.

Daher war der Revision teilweise Folge zu geben und die Entscheidung dahin abzuändern, daß der Kläger im Verfahren 18 Cga ***** des A*****gerichtes ***** Rechtsschutz nur soweit genießt, als er Ansprüche geltend macht, die nicht auch den Bestand von Arbeitszeiten voraussetzen, in denen er auch Geschäftsführer der Firma S***** war; das darüber hinausgehende Mehrbegehren war hingegen abzuweisen.

Der Kläger ist, berücksichtigt man die Höhe der in der Klage 18 Cga ***** des A*****gerichtes ***** geltend gemachten Ansprüche, auch mit ca der Hälfte des Deckungsanspruches durchgedrungen, sodaß die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen gegeneinander aufzuheben waren; die Beklagte hat dem Kläger hingegen die Hälfte seiner Barauslagen zu ersetzen (§ 43 Abs 1 ZPO).

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