OGH 7Ob32/19k

OGH7Ob32/19k27.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** K*****, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 12.414,98 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 18. Oktober 2018, GZ 5 R 121/18b‑17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 24. Mai 2018, GZ 261 Cg 13/18i‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00032.19K.0227.000

 

Spruch:

Das Verfahren 7 Ob 32/19k wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018 des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z‑12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Parteien schlossen am 30. 8. 2002 einen indexgebundenen Lebensversicherungsvertrag mit 10-jähriger Laufzeit ab. Die Klägerin erhielt bei Vertragsabschluss keine Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG (in der damals geltenden Fassung).

Die Laufzeit des Lebensversicherungsvertrags endete mit 31. 10. 2012. Mit Vertragsende wurden sämtliche vertraglich vereinbarten Leistungen von beiden Seiten vollständig erbracht, insbesondere erhielt die Klägerin alle ihr zugesagten Leistungen.

Die Klägerin machte wegen unterbliebener Belehrung nach § 165a VersVG den Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag geltend und begehrt infolge Rückabwicklung des Vertrags ex‑tunc die Bezahlung von 12.414,98 EUR sA.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und erwiderte – soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich –, dass nach vollständiger Vertragsabwicklung kein Rücktrittsrecht mehr zustehe und keine Rückabwicklung mehr zu erfolgen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ob ein Rücktritt von einem Lebensversicherungsvertrag bei nicht (ordnungsgemäß/oder fehlerhaft) erfolgter Belehrung über das Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG auch nach Beendigung des Vertrags durch Ablauf der vereinbarten Laufzeit mit vollständiger Vertragserfüllung durch „lückenlosen“ Leistungsaustausch beider Parteien noch möglich ist, sei eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagestattgebung. Hilfsweise stellt die Klägerin auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen :

In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 12. Juli 2018, GZ 13 C 738/17z‑12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C‑479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua ):

1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?

2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):

Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?

3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – das Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Vertrag spätestens erlischt, nachdem ihm auf Grund seiner Kündigung des Vertrages der Rückkaufswert ausbezahlt wurde und damit die Vertragspartner die sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten vollständig erfüllt haben?

4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?

5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):

Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“

Die Beantwortung dieser Vorlagefragen ist auch für die im vorliegenden Verfahren zu klärenden Fragen nach der Zulässigkeit eines Vertragsrücktritts nach gänzlicher Vertragsabwicklung und den dann bejahendenfalls dem Versicherungsnehmer zustehenden Ansprüchen maßgeblich. Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583 mwN).

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