OGH 7Ob290/56

OGH7Ob290/565.9.1956

SZ 29/60

Normen

ABGB §418
ABGB §418

 

Spruch:

Das Wissen des Gründeigentümers im Sinne des § 418 ABGB. muß alle zur Beurteilung des Falles erforderlichen Begleitumstände umfassen.

Ein unentschuldbarer Irrtum des Gründeigentümers steht einem wissentlichen Schweigen im Sinne des § 418 ABGB. gleich.

Bei Unredlichkeit des Bauführers fällt das Gebäude dem Gründeigentümer auch dann zu, wenn er von der Bauführung gewußt hat.

Der Eigentumserwerb nach § 418 ABGB. umfaßt nicht allein die verbaute Fläche, sondern auch die zur bestimmungsgemäßen Benützung des Hauses unentbehrliche Fläche.

Entscheidung vom 5. September 1956, 7 Ob 290/56.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die beiden Beklagten waren miteinander verheiratet; bereits am 22. Oktober 1935 strengte der Zweitbeklagte unter Cg 898/35 beim Landesgericht Salzburg einen Scheidungsprozeß an, der nach Fällung des Urteils in erster Instanz mit der Anzeige der Wiedervereinigung endete; im Jahr 1940 wurden die Beklagten dann geschieden.

Mit Vertrag vom 31. Oktober bzw. 7. November 1935 verkauften sie von der ihnen je zur Hälfte gehörigen Liegenschaft EZ. 198 Grundbuch T. die Parzelle 5/24 Wald im Ausmaß von 1458 m2 um 510 S 30 g an die "Salzburger Gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft", deren Rechtsnachfolgerin die klagende Partei ist. In EZ. 198 verblieben den beiden Beklagten noch die Parzellen 5/5 und 5/25 Wald; für die abgeschriebene Parzelle 5/24 wurde die EZ. 241 Grundbuch T. eröffnet und darin das Eigentumsrecht der Siedlungsgenossenschaft einverleibt.

Im Kaufvertrag wurde die Absicht der Siedlungsgenossenschaft festgehalten, auf der gekauften Parzelle ein Wohnhaus zu errichten. Allerdings war mit der Errichtung des Hauses schon vorher am 20. Oktober 1935 begonnen worden; es wurde im wesentlichen am 5. Dezember 1935 fertig und erhielt die Bezeichnung T. Nr. 62. Das Haus wurde aber irrtümlich nicht auf der von der Siedlungsgenossenschaft gekauften und ihr dann zugeschriebenen Parzelle 5/24 erbaut, sondern auf der im Eigentum der Beklagten verbliebenen Parzelle 5/5, was auch noch bei der am 3. Jänner 1936 erfolgten baubehördlichen Kommissionierung sowie bei der Baubewilligung und bei der Benützungsbewilligung übersehen wurde. Die Teilfläche, auf der das Haus steht, erhielt die Parzellenbezeichnung 135 Bauarea und gehört weiter zum Gutsbestand der den Beklagten zugeschriebenen EZ. 198 Grundbuch T. Der Irrtum kam erst später auf.

Am 25. Februar 1952 brachte die Erstbeklagte gegen den Zweitbeklagten zu 2 Cg 195/52 eine Klage auf Rechnungslegung und Erträgnisauszahlung in Ansehung der EZ. 198 einschließlich des Hauses ein. Neben anderen Einwendungen brachte der Zweitbeklagte dort vor, das Haus stehe zufolge Gutgläubigkeit der Siedlungsgenossenschaft gem. § 418 ABGB. in deren Eigentum; er sei allein Siedlungswerber gewesen, er allein habe nach gänzlicher Abzahlung der für die Hauserrichtung zu entrichtenden Annuitäten ein Anwartschaftsrecht auf das Haus; die Erstbeklagte habe zudem auf alle Ansprüche verzichtet. Der Prozeß ist bis zur Erledigung des vorliegenden Rechtsstreites unterbrochen.

In diesem macht die klagende Partei als Rechtsnachfolgerin der Siedlungsgenossenschaft durch jenen Anwalt, dessen sich der Zweitbeklagte in der Sache 2 Cg 195/52 bediente, beiden Beklagten gegenüber unter Berufung auf § 418 ABGB. das Eigentumsrecht an der irrtümlich verbauten Fläche von 77 m2 (Parzelle 135 Bauarea), darüber hinaus aber noch an einer weiteren, im Vorausplan eines Geometers genau bezeichneten Fläche im Ausmaß von ursprünglich 855 m2, später eingeschränkt auf 757 m2, mit der Begründung geltend, sie sei unter Berücksichtigung des Wohnsiedlungsgesetzes und nach den Richtlinien für Parzellierung und Grundstückteilung im Bereich der Stadt H. zur Erlangung der Abschreibungsgenehmigung erforderlich. Zugleich erbot sich die klagende Partei, den Beklagten den Schätzwert der an sie zu überschreibenden Fläche zu bezahlen, wofür sie schließlich den Beklagten zur gesamten Hand 9084 S, allenfalls je 4542 S, anbot.

Der Zweitbeklagte hat sich am Prozeß nicht beteiligt.

Der Erstrichter stellte fest, daß die Siedlungsgenossenschaft redliche Bauführerin war, da sie irrtümlich annahm, auf der gekauften Parzelle zu bauen; die Erstbeklagte habe ebenso wie der Zweitbeklagte von der Bauführung als solcher gewußt, jedoch nichts dagegen unternommen, weil sie ebenfalls irrtümlich annahm, der Bau werde auf der abverkauften Parzelle errichtet. Der Erstrichter gab dem Klagebegehren unter Auferlegung einer Zahlung von je 4542 S aus der Erwägung statt, daß der Fall der Bestimmung des § 418 Schlußsatz ABGB. zu unterstellen sei und der Eigentumserwerb durch die Bauführung auch die zur Benützung des Gebäudes und zur Aufschließung nach dem Wohnsiedlungsgesetz nötige Fläche umfasse; die begehrte Fläche sei nach diesen Bestimmungen erforderlich; die angebotene und zugesprochene Gegenleistung übersteige sogar den laut Sachverständigengutachten anzunehmenden gemeinen Wert.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil infolge Berufung der Erstbeklagten unter Rechtskraftvorbehalt auf; die Bestimmung des § 418 Schlußsatz ABGB. sei auf den vorliegenden Fall anwendbar, weil es sich um eine Schutzbestimmung zugunsten des redlichen Bauführers handle, die auch dann gelte, wenn der Gründeigentümer in einem Irrtum über die Grundgrenzen befangen war; der Gründerwerb nach dieser Gesetzesstelle umfasse auch die für die Benützung des Gebäudes unentbehrliche anschließende Grundfläche; dagegen sei es verfehlt, eine weitere Fläche unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des erst lang nach der Bauführung in Österreich eingeführten Wohnsiedlungsgesetzes einzubeziehen. Da die Frage, welche Fläche um das Haus herum für die Benützung des Gebäudes unentbehrlich ist, nur nach den Umständen des Falles beantwortet werden könne, hiefür wohl Anhaltspunkte vorlägen, aber keine Feststellungen getroffen seien, sei die Sache nicht spruchreif.

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen der klagenden Partei und der Erstbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Bauführung mit fremdem Material oder auf fremdem Grund wird vom Gesetz als ein Sonderfall des künstlichen Zuwachses durch Verarbeitung oder Vereinigung aufgefaßt; die Vorschriften des § 418 ABGB. stellen daher zunächst Sonderbestimmungen gegenüber jenen des § 415 ABGB., außerdem aber gegenüber der des § 297 ABGB. dar. § 418 ABGB. regelt nicht alle Fälle einer Bauführung auf fremdem Grund. Dies ist für den Fall allgemein anerkannt, daß der Gründeigentümer von der Bauführung eines unredlichen Bauführers mit allen Begleitumständen, insbesondere auch vom Eigentumsrechte am verbauten Grundstück, Kenntnis hat, aber dagegen nichts unternimmt. In diesem Fall ist nach herrschender Lehre (vgl. Klang 2. Aufl. zu § 418 ABGB., Ehrenzweig 2. Aufl. I/2 S. 278) nicht sogleich auf § 415 ABGB. zurückzugreifen (so Swoboda im ZBl. 1922 S. 100 ff.), sondern zunächst zu prüfen, ob mit der Anwendung der aus § 418 ABGB. erkennbaren Grundsätze ein befriedigendes Ergebnis erzielbar ist. Auf diese Weise kommt die herrschende Lehre dazu, den Fall beiderseitiger Unredlichkeit analog dem ersten Satz des § 418 ABGB. zu lösen, d. h. das Gebäude dem Gründeigentümer zuzusprechen; dieser Lösung kann beigetreten werden, weil kein Anlaß besteht, die grundsätzliche Bestimmung des § 297 ABGB. zugunsten eines unredlichen Bauführers zu durchbrechen.

Auch der hier zur Entscheidung stehende Fall ist im § 418 ABGB. nicht geregelt, denn unter dem "Wissen des Gründeigentümers von der Bauführung", das bei Unterlassung der Untersagung den Übergang des Eigentumsrechtes an den redlichen Bauführer zur Folge hat (§ 418 Schlußsatz ABGB.), kann nur ein Wissen verstanden werden, das alle zur Beurteilung des Falles erforderlichen Begleitumstände umfaßt (vgl. dazu Stubenrauch, Commentar zum ABGB., 8. Aufl. I S. 519; Nippel, Erläuterung des ABGB., III S. 344); andernfalls könnte von einer konkludenten Willenserklärung, auf deren Annahme diese Bestimmung fußt, nicht gesprochen werden. Allerdings wird in der Lehre, wie von den Unterinstanzen hervorgehoben wurde, die Ansicht vertreten, der Gründeigentümer verliere sein Eigentum an den Bauführer, wenn er dessen Irrtum über die Berechtigung zur Bauführung teilt. Zur Begründung dieser These wird die Bedeutung der Baukommissionsverhandlung und der Untätigkeit des zu ihr geladenen Gründeigentümers ins Treffen geführt (vgl. Ehrenzweig a. a. O.; Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung S. 242; Randa, Der Besitz nach österreichischem Recht, 4. Aufl. S. 282 ff.). Damit allein ist für die hier zu beurteilende Frage aber nichts Wesentliches gewonnen, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, in dem die Baukommission erst nach Fertigstellung des Hauses abgehalten wurde.

Die Heranziehung dieses Argumentes gibt aber einen bedeutungsvollen Anhaltspunkt für die Beurteilung eines Irrtums auf Seite des Gründeigentümers. Der zur Baukommissionsverhandlung geladene Eigentümer wird durch diese behördliche Maßnahme vor einem drohenden Eingriff in seine Privatrechtssphäre gewarnt. Bleibt er dennoch untätig, muß ein Irrtum, sofern er überhaupt noch angenommen werden kann, als unentschuldbar gewertet werden. Es bestehen keine Bedenken, an einen unentschuldbaren, Irrtum die gleichen Folgen im Verhältnis zu einem redlichen Bauführer zu knüpfen wie an ein wissentliches Schweigen zur wahrgenommenen Bauführung auf fremdem Grund. Die analoge Anwendung der im § 418 ABGB. aufgestellten Grundsätze (hier des Schlußsatzes) führt also auch in diesem Fall zu einem befriedigenden Ergebnis. Auf § 415 ABGB. braucht nicht zurückgegangen zu werden.

Ist der Irrtum des Gründeigentümers aber entschuldbar, wäre eine solche Lösung unbefriedigend. Wohl hat § 418 ABGB. den Zweck, den redlichen Bauführer zu schützen, doch kann dies nicht ungebührlich im Sinn automatischen Eigentumserwerbes ausgedehnt werden. Daran vermag auch der Hinweis des Berufungsgerichtes, der Wert des verbauten Gründes sei in der Regel geringer als der des Bauwerkes, nichts zu ändern. § 415 ABGB., dem gegenüber § 418 ABGB. eine Spezialvorschrift darstellt, läßt nämlich bei Absonderungsunmöglichkeit Miteigentum entstehen und sieht gerade im Fall beiderseitiger Schuldlosigkeit das Wahlrecht desjenigen, dessen Anteil mehr wert ist, vor, ob er sich auszahlen lassen oder den Partner abfinden will. Der Hinweis auf den gewöhnlich höheren Wert des Bauwerkes spricht also eher gegen eine analoge Anwendung des § 418 ABGB. Soll sie aber bei entschuldbarem Irrtum erwogen werden, könnte nur zweifelhaft sein, ob der erste Fall des § 418 ABGB. (Alleineigentum des Gründeigentümers) anzuwenden ist oder auf § 415 ABGB. zurückgegangen werden muß. Eine eingehendere Prüfung dieser Frage ist hier entbehrlich, weil die Klage ausdrücklich auf § 418 ABGB., und zwar auf den Schlußsatz, gestützt ist und das daraus abgeleitete Begehren gegenüber einem Auswahlbegehren nach dem Schlußsatz des § 415 ABGB. jedenfalls ein aliud darstellt; der Eigentumsübergang nach § 418 ABGB. tritt nämlich ex lege durch die Bauführung ein; das zu fällende Urteil hat also Feststellungscharakter. Hingegen wäre ein Urteil nach dem Schlußsatz des § 415 ABGB. rechtsgestaltend.

Entscheidend ist daher die Frage, ob der der Erstbeklagten unterlaufene Irrtum entschuldbar war oder nicht. Die bisher getroffenen Feststellungen beziehen sich auf die Redlichkeit der klagenden Partei einerseits und die Tatsache des Irrtums der Gründeigentümer andererseits. Sie reichen aber zur Beurteilung der Entschuldbarkeit des Irrtums nicht hin, weil nicht erkennbar ist, ob er bei gehöriger Aufmerksamkeit vermeidbar war (vgl. Gschnitzer in Klang 2. Aufl. zu §§ 871 ff. unter A II 4). Der Erstrichter wird den Sachverhalt zunächst in dieser Richtung zu erörtern und klarzustellen haben; die Aufhebung seines Urteils erweist sich infolgedessen als gerechtfertigt.

Stellt sich heraus, daß der Irrtum der Erstbeklagten entschuldbar ist, kann die klagende Partei mit ihrem Begehren nicht durch, dringen. Es handelt sich hier nicht um eine Anfechtung nach Vertragsrecht, sondern um die Feststellung einer rechtlichen Voraussetzung des gemäß § 418 ABGB. ex lege bewirkten Eigentumsüberganges. Ist die Frage der Entschuldbarkeit des Irrtums zu verneinen, sind allerdings noch weitere Verfahrensergänzungen erforderlich, wie sie im angefochtenen Beschluß umrissen wurden. Den dagegen gerichteten Ausführungen des Rekurses der klagenden Partei kommt keine Berechtigung zu. Daß die Erstbeklagte die Feststellung des Erstrichters über das Ausmaß der nach den Bestimmungen des Wohnsiedlungsgesetzes nötigen Fläche nicht gesondert bekämpft hat, ist unerheblich, weil die klagende Partei mit dem Klagebegehren aus rechtlichen Gründen nur insoweit durchdringen kann, als es durch § 418 ABGB. gedeckt ist. Weder die Bestimmungen des seit 1939 geltenden Wohnsiedlungsgesetzes noch sonstige, auch schon für die Zeit der Bauführung in Betracht kommende gesetzliche Teilungs- und Grundverkehrsbeschränkungen können einen Titel zum Eigentumserwerb abgeben; sie können höchstens eine Verbücherung hindern. Die Ansicht der klagenden Partei, daraus ergebe sich ein Anspruch auf eine weitere zwangsweise Grundabtretung, ist verfehlt. Der Eigentumserwerb gemäß § 418 ABGB. erfolgt ex lege durch die Bauführung, unabhängig von einer grundbücherlichen Eintragung. Auch wenn eine bücherliche Anschreibung undurchführbar sein sollte, wäre die klagende Partei im Rahmen des § 418 ABGB. Eigentümerin geworden; es wäre ihr lediglich eine bücherliche Verfügung verwehrt, auch müßte sie sich nachteilige Auswirkungen des grundbuchsrechtlichen Vertrauensprinzips gefallen lassen. Dies wäre aber eine Folge ihrer Bauführung auf fremdem Grund, für welche die bisherigen Gründeigentümer nicht einzustehen hätten (vgl. hiezu Klang a. a. O., Ehrenzweig a. a. O. S. 305).

Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß der Eigentumserwerb nach § 418 ABGB. nicht allein die verbaute Fläche im streng technischen Sinn, sondern auch die zur bestimmungsmäßigen Benützung des Hauses unentbehrliche Fläche umfaßt (vgl. Klang a. a. O., 2 Ob 67/55). Eine weitere Ausdehnung ist aber ausgeschlossen. Dem Berufungsgericht kann daher hinsichtlich der Ermöglichung von Zugang, Zufahrt und Reparatur an den Hausmauern, nicht aber hinsichtlich der Ermöglichung einer Verbindung zu dem seinerzeit gekauften Grundstück 5/24, gefolgt werden, zumal für unbedingt erforderliche Verbindungen durch das Notwegegesetz vorgesorgt wird.

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