Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden hinsichtlich des Verschuldensausspruchs und der Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass das Urteil insoweit lautet:
Das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft den Kläger (§ 61 Abs 3 EheG).
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 4.081,08 EUR (darin enthalten 863,65 EUR an USt und 1.051 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Parteien schlossen am 20. 7. 1984 die Ehe. Sie verlief sechs bis sieben Jahre harmonisch. Dann begann der Prozess einer schrittweisen Entfremdung. Vor vielen Jahren unterhielt der Kläger mit Susanne S***** eine ehebrecherische kurze Beziehung. Nachdem die Beklagte das Verhältnis zufällig aufdeckte, beendete es der Kläger. Einige Monate danach teilte der Kläger Susanne S***** noch mit, dass er einen Sohn erwarte, womit auch für sie klar war, dass sich der Kläger nicht für sie entscheiden werde. Durch den Sohn bestand zwischen den Parteien nunmehr ein „verbindender Fokus". Beide waren berufstätig, wobei der Kläger viel Arbeit hatte und des öfteren spät am Abend nach Hause kam. Die Beklagte führte den Haushalt.
Die Parteien sind in ihren Wesen sehr unterschiedlich, was regelmäßig zu Spannungen führte. Der Kläger und die Beklagte konnten sich nicht austauschen. Das tägliche Leben war von gegenseitigen kleinen „Verletzungen" geprägt. Der Kläger ist handwerklich nicht begabt, die Beklagte kann nach Ansicht des Klägers nicht sehr gut Auto fahren und ist nicht sehr sportlich. Dies hielten sie sich gegenseitig vor. Bevor die Beklagte das Haus am Wochenende oder vor einem Urlaub verließ, musste zusammengeräumt werden. Dem Kläger waren „diese Dinge völlig egal", er wollte wegfahren, „solange die Sonne schien". Während die Beklagte beschäftigt war, warteten er und der gemeinsame Sohn darauf, dass die Beklagte mit ihren Arbeiten im Haushalt fertig werde. Die Beklagte störte Unordnung. Sie legte Wert auf gutes Essen zu Weihnachten und wandte dafür viel Zeit auf. Dem Kläger hätte „ein einfaches Essen ohne Stress" genügt. Er fühlte sich durch das Verhalten der Beklagten unter Druck gesetzt. Die Beklagte wünschte sich, dass der Kläger früher nach Hause komme. Sie äußerte wiederholt, dass sie so viel Arbeit mit der Haushaltsführung und der Kindererziehung habe und der Kläger mehr Spaß bei seiner Arbeit habe. Der Kläger interpretierte dies dahingehend, dass sie auf seine Arbeit „neidisch" sei und hatte deshalb Schuldgefühle. Die Beklagte fühlte sich durch die alltäglichen Streitigkeiten nicht so belastet wie der Kläger, für sie war die Ehe in Ordnung.
Den Kläger zermürbte der Alltag mit der Beklagten zusehends. 2003 erlitt er eine Nierenkolik und fühlte sich insgesamt sehr schwach. Er empfand die Beklagte als dominant und begann, „sich die Sinnfrage zu stellen". Er hatte nicht den Mut, mit der Beklagten ein Gespräch zu führen, er fühlte sich von ihr unverstanden und nicht ernst genommen. Die Beklagte konnte bei Konflikten sehr heftig reagieren, der Kläger zog sich zurück. Nach der Nierenkolik erlitt der Kläger Panikattacken und hatte Angst, er könnte verrückt werden oder seinen Beruf nicht mehr ausüben. Er sagte der Beklagten nie ausdrücklich, dass es ihm schlecht gehe. Die Beklagte sprach ihn auf seinen Zustand nicht an, obwohl ihr hätte auffallen können, dass der Kläger zwölf Kilo abgenommen hatte. Die Ehegatten hatten Angst, Probleme in der Ehe anzusprechen.
Seit zwei oder drei Jahren vor dem Auszug des Klägers tauschten die Parteien kaum noch Zärtlichkeiten aus. Ab dem Sommer 2003 kam es aufgrund der Wesensunterschiede und den unterschiedlichen Bedürfnissen der Parteien zu einer „langsamen Entfremdung". Kurz vor dem Auszug des Klägers am 31. 3. 2004 besichtigten die Parteien aber noch ein Haus, das sie zu kaufen beabsichtigten. Zum Kauf kam es nicht, weil der Kläger darin letztlich keinen Sinn mehr erblickte. Den für April 2004 gebuchten Urlaub verbrachten sie nicht gemeinsam. Dem Auszug aus der Ehewohnung ging ein Streitgespräch voraus, bei welchem die Beklagte zum Kläger sagte: „Zieh halt aus". Er packte am nächsten Tag seine persönlichen Sachen und zog in ein altes Holzhaus einer Geschäftspartnerin. Die Beklagte hatte die Differenzen mit dem Kläger als nicht so belastend und keinesfalls als ehezerrüttend empfunden. Für sie kam der Auszug überraschend. Für den Kläger hingegen war die Situation unerträglich geworden. Er sah keine andere Lösung, als die Familie zu verlassen. Er teilte der Beklagten mit, dass er sie nicht mehr liebe. „Er war sich zwar nicht sicher, ob sein Auszug endgültig und für immer sein würde, fühlte aber instinktiv, dass es kein Zurück geben" werde.
Im Februar oder März 2004, noch vor seinem Auszug, rief der Kläger nach siebzehn Jahren Susanne S***** wieder an und sie vereinbarten für März/April 2004 ein gemeinsames Treffen im Beisein eines Arbeitskollegen, das auch stattfand. In der Folge rief sie der Kläger wiederholt an ihrer Arbeitsstelle an, um sich auszusprechen. Er erzählte von seiner gescheiterten Ehe und dass er ausgezogen sei. Im September 2004 lud Susanne S***** den Kläger ein. Sein Gesundheitszustand hatte sich gebessert. Bei der Geburtstagsfeier kamen sich der Kläger und Susanne S***** wieder näher. Das Verhältnis intensivierte sich und wurde „sehr freundschaftlich und eng". Die Beklagte gab am 17. 6. 2004 an eine Detektei einen Überwachungsauftrag. Der Kläger wurde am 10. 10. 2004 mit Susanne S***** beobachtet. Sie hatten „engen körperlichen Kontakt, tauschten intensive Küsse auf den Mund aus und hielten sich an der Hand". Der Kläger verbrachte die Nacht vom 10. auf den 11. 10. 2004 in der Wohnung von Susanne S***** in S*****. „Den ersten sexuellen Kontakt hatten der Kläger und Susanne S***** erst 2005".
Susanne S***** und der Kläger sind mittlerweile Lebensgefährten. Sie haben eine Tochter.
Der Kläger begehrt die Scheidung nach § 55 Abs 1 EheG und bestreitet das von der Beklagten eingewandte alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe. Die Beklagte habe für ihn kein Verständnis gezeigt und ihn ständig unter Druck gesetzt, sodass bereits Jahre vor seinem Auszug die Ehe unheilbar zerrüttet gewesen sei. Erst nach unheilbarer Zerrüttung der Ehe habe der Kläger etwa Anfang 2005 eine Lebensgemeinschaft mit Susanne S***** aufgenommen. Der Kläger stellte einen Mitverschuldensantrag.
Die Beklagte stellt einen Antrag nach § 61 Abs 3 EheG. Das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe den Kläger. Der Grund für seinen Auszug sei die Beziehung zu einer anderen Frau gewesen. Das Erstgericht sprach aus, dass die Ehe der Streitteile gemäß § 55 Abs 1 EheG geschieden sei. Den Antrag der Beklagten auf Ausspruch des alleinigen Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe nach § 61 Abs 3 EheG wies es ab. In rechtlicher Hinsicht kam es zu dem Ergebnis, dass das Verschulden der Parteien, „wenn man überhaupt von Verschulden sprechen kann", als etwa gleich zu werten sei. Der Ehebruch des Klägers mit Susanne S***** vor siebzehn Jahren sei von der Beklagten verziehen und damals nicht als ehezerrüttend empfunden worden. Ursächlich für die Zerrüttung seien vielmehr die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Parteien und deren unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche gewesen. Das könne aber keiner Partei zum Vorwurf gemacht werden. Durch die Wesensunterschiede sei es schrittweise zu einer Entfremdung gekommen. Wenn von einem Verschulden an der Zerrüttung der Ehe überhaupt auszugehen sei, so sei beiden Parteien vorzuwerfen, dass sie zu wenig Augenmerk auf einen verständnisvollen Austausch miteinander gelegt hätten. Der Kläger habe mit der Beklagten kein Gespräch gesucht. Die Beklagte habe den gesundheitlich angegriffenen Zustand des Klägers nicht beachtet und nicht hinterfragt. „Möglicherweise gab der Kontakt zu Susanne S***** im Februar/März 2004 den Ausschlag dafür, dass der Kläger schlussendlich aus der Ehewohnung auszog." Für den Kläger sei die Ehe subjektiv jedenfalls ab Juni 2004 unheilbar zerrüttet, für die Beklagte erst ab Kenntnis der Beziehung zu Susanne S*****. Beide Ehegatten hätten daher ein annähernd gleiches Verschulden an der Zerrüttung der Ehe, sodass kein Verschuldensausspruch erfolgen könne. Das Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil in der Hauptsache und änderte es im Kostenpunkt ab. Es gelangte zur Rechtsansicht, dass es beim Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG nicht darauf ankomme, ob der Kläger einen Scheidungstatbestand verwirklicht habe. Entscheidend sei allein, ob ihm eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten sei und ob, falls beiden Eheleuten ein Verschulden an der Zerrüttung vorzuwerfen sei, seine Schuld deutlich überwiege. Der lang zurückliegende Ehebruch des Klägers habe keinen Einfluss auf die Zerrüttung der Ehe gehabt. Diese sei vielmehr durch die Charakterverschiedenheit hervorgerufen und auf mangelnde Kommunikation der Streitteile, die im Wesentlichen beiden anzulasten sei, zurückzuführen. Auf Seiten der Beklagten falle ins Gewicht, dass diese die Verschlechterung des Zustands der Ehe und die Auswirkungen dieses Umstands auf den Kläger nicht einmal wahrgenommen habe, auf Seiten des Klägers, dass dieser gar keine (wenn nicht allzu erfolgversprechende) Versuche einer Veränderung unternommen habe, sondern die eheliche Lebensgemeinschaft verlassen habe. Über die Jahre sei von einem deutlich in den Hintergrund tretenden Verschulden eines Streitteils nichts zu erkennen. Wenn aber das Erleben beider Streitteile hinsichtlich des Verlaufs und Zustands der Ehe derart unterschiedlich gewesen sei, dass der Kläger bereits unter seelischen und körperlichen Beschwerden gelitten habe und die Beklagte diese Beschwerden gar nicht als wesentlich wahrgenommen, sondern nur oberflächlich abgetan habe, sei bereits vor dem Auszug des Klägers und dem Wiederanknüpfen der Bekanntschaft mit Susanne S***** die Zerrüttung so weit fortgeschritten gewesen, dass mit der Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht ernsthaft gerechnet habe werden können. Daher habe auch das nachfolgende Verhalten des Klägers, insbesondere ab Herbst 2004, auf die Zerrüttung keinen nachhaltigen Einfluss mehr gehabt. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe gemäß § 61 Abs 3 EheG festgestellt werde.
Der Kläger beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revision, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur der Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger einen Scheidungstatbestand verwirklicht hat. Entscheidend ist allein, ob ihm eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist und ob, falls beiden Eheleuten ein Verschulden an der Zerrüttung vorzuwerfen ist, seine Schuld deutlich überwiegt (RIS-Justiz RS0057256). Es genügt also für den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG das wesentlich geringgradigere Zerrüttungsverschulden (RIS-Justiz RS0057262). Dabei ist das Gesamtverhalten der Ehegatten während der Ehedauer zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0057268). Es kommt nicht bloß auf die Schwere der Verfehlungen an sich an, sondern auch darauf, in welchem Umfang diese Verfehlungen zu der unheilbaren Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (RIS-Justiz RS0056751). Auch bei Aussprüchen nach § 61 Abs 3 EheG ist ein überwiegendes Verschulden nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RIS-Justiz RS0057251). Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verschulden eines Teils überwiegt, ist nicht nur zu berücksichtigen, wer mit dem Verhalten, das später zur Zerrüttung der Ehe geführt hat, begonnen hat, sondern auch, wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (RIS-Justiz RS0056755). Unheilbare Zerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört haben (RIS-Justiz RS0056832).
Das Berufungsgericht hat den Zeitpunkt der Zerrüttung der Ehe unrichtig beurteilt. Nach den Feststellungen sagte zwar der Kläger der Beklagten, er liebe sie nicht mehr, es steht aber auch fest, dass er sich nicht sicher war, ob sein Auszug endgültig und für immer sein würde. Die Beklagte ihrerseits empfand erst die Kenntnis von der Beziehung des Klägers zu Susanne S***** als ehezerrüttend. Als der Kläger mit Susanne S***** Kontakt aufnahm und im zeitlichen Zusammenhang, mag auch ein Streit vorangegangen sein, aus der Ehewohnung auszog, waren beide Ehegatten noch nicht sicher, dass die Trennung endgültig sein würde. Sie besichtigten kurz zuvor noch ein Haus, dessen Ankauf sie erwogen, wenn diese Möglichkeit auch vom Kläger letztlich verworfen wurde. Dass überhaupt ein Hauskauf in Betracht gezogen wurde, ist ein Zeichen, dass die Beendigung der Lebensgemeinschaft für die Ehegatten keineswegs klar war, mag sich auch ihr Zusammenleben nicht harmonisch gestaltet haben. Auch wenn sich aufgrund ihrer verschiedenen Charaktere das Zusammenleben als schwierig herausgestellt hatte, so bestand dennoch bis zum Auszug des Klägers eine Lebensgemeinschaft, die erst durch die Kontaktaufnahme des Klägers zu Susanne S*****, mit der er bereits siebzehn Jahre davor ein Verhältnis hatte, und dem Auszug des Klägers aus der Ehewohnung beendet wurde. Durch das Eingehen einer Beziehung zu Susanne S***** wurde die eheliche Gemeinschaft endgültig unheilbar zerrüttet. Soweit der Kläger in der Revisionsbeantwortung ausführt, er sei wegen gesundheitlicher Probleme zum Auszug „gezwungen" gewesen, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt. Auch wenn beiden Ehegatten an den Eheproblemen zunächst ein gleichteiliges Verschulden anzulasten sein sollte, weil sie sich beide nicht bemühten, aufeinander einzugehen und die Bedürfnisse des anderen zu respektieren und zu fördern, so hat der Kläger aber dennoch durch die Kontaktaufnahme mit Susanne S*****, dem Auszug aus der Ehewohnung und dem Eingehen einer Lebensgemeinschaft den entscheidenden Beitrag zur letztlich eingetretenen unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet. Damit trifft ihn das überwiegende Verschulden nach § 61 Abs 3 EheG.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 45a Abs 2 iVm 41 ZPO.
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