Normen
AKHB Art6 Abs2 litb
AKHB Art8 Abs2 Z2
KFG 1967 §64
ZPO §482
AKHB Art6 Abs2 litb
AKHB Art8 Abs2 Z2
KFG 1967 §64
ZPO §482
Spruch:
Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Verletzung der Führerscheinklausel trifft nicht schon bei vorläufiger Abnahme des Führerscheines, sondern erst nach Zustellung des Bescheides über den Entzug der Lenkerberechtigung ein
Der Versicherungsnehmer muß den Beweis fehlender Kausalität seiner Obliegenheitsverletzung nicht mehr führen, wenn schon nach der Sachlage feststeht, daß nach menschlichem Ermessen durch die Obliegenheitsverletzung eine Beeinträchtigung des Versicherers nicht eingetreten sein kann
Das erstgerichtliche Urteil darf nicht bloß deshalb aufgehoben werden, um einer Partei ein bisher nicht einmal angedeutetes Vorbringen zu ermöglichen
OGH 31. Jänner 1980, 7 Ob 2/80 (OLG Graz 7 R 181/79; LG Klagenfurt 20 Cg 153/79).
Text
Der Kläger war am 16. August 1978 mit seinem PKW bei der Beklagten gegen Haftpflicht versichert. An diesem Tage verschuldete er einen Unfall, dessentwegen die Beklagte Leistungen an Reinhold P. erbringen mußte. Dem Kläger war bereits am 11. August 1978 von der Gendarmerie der Führerschein wegen Trunkenheit vorläufig abgenommen worden. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan vom 16. August 1978 wurde hierauf die dem Kläger erteilte Lenkerberechtigung für die Dauer von sechs Monaten ab der Abnahme entzogen. Eine Zustellung dieses Bescheides ist erst nach dem Unfall erfolgt. In dem Bescheid wurde darauf verwiesen, daß es sich um eine Wiederholung handle und die geforderte Verkehrszuverlässigkeit nicht mehr gegeben sei, die Weiterbelassung der Lenkerberechtigung vielmehr eine Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer bedeute.
Nach dem Unfall verweigerte der Kläger trotz des Verdachtes einer Alkoholisierung die Blutabnahme mit der Begründung, er sei nicht der Lenker des Fahrzeuges gewesen, dieses habe sein beim Unfall schwer verletzter und nicht vernehmungsfähiger Beifahrer gelenkt. Erst zwölf Tage später gab er zu, den PKW gelenkt zu haben.
Die Beklagte verweigert Versicherungsschutz, weil der Kläger ohne Lenkerberechtigung gefahren sei und durch die unrichtige Angabe bezüglich der Lenkung des Fahrzeuges sowie durch die Verweigerung der Blutabnahme eine Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB begangen habe.
Der Kläger begehrt die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm Versicherungsschutz zu leisten. Der Entzug der Lenkerberechtigung sei zum Unfallszeitpunkt noch nicht rechtskräftig gewesen. Außerdem hätte das Fehlen eines Führerscheines keinen Einfluß auf den Unfall gehabt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es bejahte sowohl eine Obliegenheitsverletzung nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB als auch eine solche nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es verneinte eine Obliegenheitsverletzung nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB, weil die Lenkerberechtigung durch die vorläufige Abnahme des Führerscheines nicht erlösche. Leistungsfreiheit der Beklagten nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB trete nur ein, wenn der Kläger nicht nachweisen könne, daß seine unrichtigen Angaben und die Verweigerung der Blutabnahme keinen Einfluß auf die Feststellungen gehabt haben oder daß er an einem Unfallschock gelitten habe. Ein bloßer Unfallschreck genüge jedoch nicht. Diesbezüglich seien noch Erhebungen erforderlich.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge und verwies die Rechtssache zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Obliegenheitsverletzung nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB begeht ein Lenker, der keine Lenkerberechtigung für die Gruppe besitzt, in die das Fahrzeug fällt. Die Lenkerberechtigung darf mit dem Führerschein nicht verwechselt werden. Letzterer ist nur eine Urkunde über die erteilte Lenkerberechtigung. Das Nichtmitsichführen des Führerscheines ist zwar ein von der Verwaltungsbehörde zu ahndender Verstoß gegen § 102 Abs. 5 KFG 1967, doch ist eine Person, der die Lenkerberechtigung nicht entzogen worden ist, auch dann zum Lenken eines Fahrzeuges grundsätzlich berechtigt, wenn sie nicht im Besitz eines Führerscheines ist. Dies ergibt sich insbesondere auch aus dem Allgemeinen Durchführungserlaß des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie zum KFG 1967, demzufolge Lenkern, die auf der Fahrt ihren Führerschein nicht mitführen, die Weiterfahrt zu gestatten ist, wenn sie ihre Identität nachweisen, glaubhaft machen, daß sie eine Lenkerberechtigung für das Fahrzeug besitzen und die volle Herrschaft über ihren Geist und ihren Körper besitzen (zu § 102 Abs. 5). Erst durch den Entzug der Lenkerberechtigung nach § 73 KFG 1967 erlischt diese. Dagegen bewirkt die vorläufige Abnahme des Führerscheines gemäß § 76 KFG 1967 noch nicht den Verlust der Lenkerberechtigung. Eine Person, der der Führerschein vorläufig abgenommen wurde, ist daher zur Lenkung von Kraftfahrzeugen weiterhin berechtigt (Dittrich - Veit - Veit, Österreichisches Straßenverkehrsrecht[2] II, 2 zu § 64 KFG).
Fraglich könnte sohin nur sein, ob Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB, wenn er vom "Besitz" einer Lenkerberechtigung spricht, damit die Verpflichtung des § 102 Abs. 5 KFG 1967 zum Besitz der Urkunde meint. Dies muß verneint werden. Die AKHB sind eine auf Grund des KFG 1967 erlassene Verordnung, die daher im Zweifel gesetzeskonform auszulegen ist. § 60 Abs. 2 Z. 4 lit. b KFG 1967 gestattet die Festsetzung der Leistungsfreiheit auf Grund einer Obliegenheitsverletzung durch Verstoß gegen § 64 Abs. 1 KFG 1967. Die letztgenannte Bestimmung besagt aber nur, daß das Lenken eines Kraftfahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur auf Grund einer von der Behörde erteilten Lenkerberechtigung zulässig ist. Daß eine erteilte Lenkerberechtigung durch vorläufige Abnahme des Führerscheines gemäß § 76 KFG 1967 nicht erlischt, wurde bereits dargetan. Die Ermächtigung, einen Verstoß gegen § 102 Abs. 5 KFG 1967 als Obliegenheitsverletzung zu werten, enthält § 60 dieses Gesetzes nicht. Sohin kann das Lenken eines Kraftfahrzeuges vor Entzug der Lenkerberechtigung nach § 73 KFG 1967 nicht zur Leistungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB führen (vgl. ZVR 1961/240, ZVR 1959/152, ebenso für den deutschen Bereich Pienitz - Flöter, AKB[4], 21 zu § 2; Stiefel - Wussow - Hofmann, KFZ-Versicherung[10] 158 f.; Prölss - Martin, VVG[21] 850).
Da im vorliegenden Fall dem Kläger der Bescheid über den Entzug der Lenkerberechtigung am Unfallstag noch nicht zugestellt war, hat sohin das Berufungsgericht mit Recht eine Obliegenheitsverletzung nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB verneint.
Eine Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB begeht der Versicherungsnehmer, wenn er nicht zur Feststellung des Sachverhaltes nach Möglichkeit beiträgt. Ein diesbezüglicher Verstoß muß dem Kläger vorgeworfen werden, weil er eine nicht vernehmungsfähige Person als Lenker bezeichnet und den hiedurch bewirkten Irrtum der Behörde erst zu einem Zeitpunkt aufgeklärt hat, zu dem die Nachholung bestimmter Erhebungen nicht mehr möglich gewesen wäre. Darüber hinaus hat er trotz Vorliegens erheblicher Verdachtsmomente seine Untersuchung auf Alkoholisierung verweigert. Zwar bewirkt die genannte Obliegenheitsverletzung nur, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers auf jenen Betrag beschränkt wird, der auch bei gehöriger Erfüllung der Pflichten zu leisten gewesen wäre. Hat aber der Versicherer den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung bewiesen, daß die Obliegenheitsverletzung auf die Leistung des Versicherers ohne Einfluß war (SZ 46/104 = ZVR 1974/119 u. a.).
Im vorliegenden Fall bestand, wie sich aus dem Strafakt ergibt, der konkrete Verdacht einer erheblichen Alkoholisierung des Klägers. Durch die Verweigerung der Blutabnahme konnte dieser Verdacht nicht entkräftet werden. Die Beklagte hat demnach eine Obliegenheitsverletzung des Klägers bewiesen, weshalb es dessen Sache gewesen wäre, den Beweis zu erbringen, daß diese Obliegenheitsverletzung auf die Leistung des Versicherers ohne Einfluß war. Der Kläger hat im Verfahren erster Instanz nicht nur keinen Beweis dafür erbracht, daß Alkoholgenuß keinerlei Einfluß auf seine Befähigung, das Kraftfahrzeug zu lenken, gehabt hat, sondern die Erstattung jegliches Vorbringens in dieser Richtung unterlassen. Es geht aber nicht an, ein erstgerichtliches Urteil nur aufzuheben, um dem Kläger ein Vorbringen zu ermöglichen, das er bisher nicht einmal angedeutet hat. Vielmehr erweist sich die Sache auf jeden Fall bezüglich der Alkoholisierung, die allerdings im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 AKHB lediglich eine Leistungsfreiheit der Beklagten bis zu 30 000 S bewirken würde, als spruchreif.
Untersuchungen betreffend einen die Leistungsfreiheit bewirkenden Unfallschock sind nicht erforderlich, weil der Kläger im Verfahren erster Instanz keinerlei Behauptungen in dieser Richtung aufgestellt hat. Auch die erstrichterlichen Feststellungen bilden keine Anhaltspunkte in dieser Richtung, weil wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nur eine dermaßen starke Zerrüttung der Bewußtseins- und Willensbildung maßgebend wäre, daß die betreffende Person als unzurechnungsfähig anzusehen ist (VersR 1975, 363; 7 Ob 67/77 u. a.). Derartiges hat der Kläger im Verfahren erster Instanz nicht behauptet und hat das Erstgericht auch nicht festgestellt. Das Verhalten des Klägers nach dem Unfall läßt im übrigen geradezu den Schluß auf das Gegenteil zu, weil aus ihm, abgesehen davon, daß es eine ganz besondere Verantwortungslosigkeit erkennen läßt, eine planmäßige und überlegte Irreführung der einschreitenden Organe abgeleitet werden kann. Sohin würde auch dieser Umstand eine zusätzliche Erörterung der Frage eines allfälligen Unfallschocks nicht nahelegen.
Im übrigen ist wohl davon auszugehen, daß der Kläger durch sein Verhalten eine Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB begangen hat, eine solche jedoch nicht schlechthin zur Leistungsfreiheit führt, sondern die Deckungspflicht des Versicherers auf jenen Betrag beschränkt, der auch bei Einhaltung der Obliegenheit zu leisten gewesen wäre. Daß trotz der vom Versicherer bewiesenen Obliegenheitsverletzung eine Leistung im selben Umfang zu erbringen gewesen wäre, hat allerdings der Versicherungsnehmer zu beweisen. Irgendwelche Zweifel in dieser Richtung gehen zu seinen Lasten. Eine Beweisführung kann von ihm jedoch nur verlangt werden, wenn nicht schon auf Grund der Sachlage feststeht, daß nach menschlichem Ermessen durch die Obliegenheitsverletzung eine Beeinträchtigung des Versicherers nicht eingetreten sein kann. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Haftpflichtversicherung, weshalb ein allfälliges grobes Verschulden des Klägers an der Herbeiführung des Versicherungsfalles ohne Einfluß auf die Leistung des Versicherers wäre. Selbstverständlich hatte das Verhalten des Klägers Einfluß auf die Feststellung oder Nichtfeststellung seiner Alkoholisierung. Diesbezüglich ist die Leistungsfreiheit der Beklagten jedoch, wie bereits ausgeführt wurde, mit 30 000 S begrenzt. Denkbar wäre eine Leistungsfreiheit wegen Gefahrenerhöhung doch ist nicht erkennbar, inwieweit die ursprünglich unrichtigen Angaben des Klägers diesbezüglich eine Aufklärung verhindert haben könnten. Der Unfall wurde sofort von einschreitenden Gendarmerieorganen aufgenommen, weshalb das Verhalten des Klägers die Sicherung objektiver Unfallspuren (Unfallstelle, Zustand des Wagens u. dgl.) nicht beeinträchtigt hat. Was allfällige erhöhte Gefahrenmomente, die in der Person des Klägers gelegen sein könnten, anlangt, so hätten diese auch durch eine nachträgliche Befragung des Klägers im selben Ausmaß wie bei sofortiger Befragung geklärt werden können, soweit sie nicht die Alkoholisierung betrafen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung wurde daher im vorliegenden Fall durch die Obliegenheitsverletzung des Klägers keine für die 30 000 S übersteigende Deckungspflicht der Beklagten erhebliche Aufklärung verabsäumt. Daß aber im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände vorgelegen wären, die nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zu erwartende Ergebnisse möglich erscheinen hätten lassen, hätte die Klägerin zumindest behaupten müssen. An derartigen Behauptungen fehlt es. Auch hier durfte das erstgerichtliche Urteil nicht nur zu dem Zweck aufgehoben werden, um der Beklagten die Möglichkeit zum Aufstellen bisher unterlassener und nicht einmal angedeuteter Behauptungen zu geben.
Das Verfahren erweist sich sohin zur Gänze als spruchreif, das Begehren auf Gewährung des Versicherungsschutzes bis zu einem Betrag von 30 000 S im Sinne einer Bestätigung des erstgerichtlichen Urteiles, darüber hinaus im Sinne des Klagebegehrens.
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