OGH 7Ob25/09s

OGH7Ob25/09s13.5.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. Ralf H*****, vertreten durch Dr. Karl Newole, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, und 2. Ärztekammer für Wien, 1010 Wien, Weihburggasse 10-12, vertreten durch Spitzauer & Backhausen Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Vergabe einer Kassenplanstelle (hier: einstweilige Verfügung), über die Revisionsrekurse der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 3. Dezember 2008, GZ 16 R 229/08a-16, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Oktober 2008, GZ 8 Cg 118/08v-5, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortungen vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt, die Beklagten schuldig zu erkennen, hinsichtlich einer näher bezeichneten, ausgeschriebenen Kassenplanstelle ein gesetzliches Vergabeverfahren unter Außerachtlassung der Bedingung einer Ablösevereinbarung mit dem Ordinationsvorgänger für alle Bewerber (in eventu für den Kläger) um die genannte Kassenplanstelle einzuhalten, hilfsweise, den Kläger nicht vom weiteren Vergabeverfahren über diese Kassenplanstelle auszuschließen. Die Vorinstanzen gaben dem Sicherungsbegehren statt. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil seiner Ansicht nach bei Bejahung der zu 7 Ob 165/03w dargelegten Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber einem seine Ordination aufgebenden Kassenarzt oder gegenüber dessen Rechtsnachfolger ein sicherungsfähiger, dem Klagebegehren entsprechender Anspruch des Klägers zu verneinen sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Rechtsansicht des Rekursgerichts liegt die als erheblich bezeichnete Rechtsfrage nicht vor. Die Zurückweisung der Revisionsrekurse kann sich auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 402, 78 EO iVm §§ 528a, 510 Abs 3 ZPO).

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 299/00x dargelegt, dass die am Auswahlverfahren zur Ermittlung eines Kandidaten für den Abschluss eines Einzelvertrags zwischen Arzt und zuständigem Träger der Krankenversicherung beteiligten Körperschaften öffentlichen Rechts im öffentlichen Interesse privatrechtlich tätig seien. Aufgrund der Fiskalgeltung der Grundrechte und auch § 16 ABGB seien sie bei ihrer Tätigkeit an die Grundrechte gebunden. Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, sachlich nicht gerechtfertigte Auswahlkritierien bei der Vergabe eines Kassenvertrags anzuwenden. Die für die Vergabe eines Kassenvertrags ergehenden Besetzungsvorschläge und damit die zugrundeliegenden Richtlinien müssten daher auf objektiven und nachprüfbaren Erwägungen beruhen, die transparent und sachlich gerechtfertigt seien. Zum Reihungskriterium einer vorvertraglichen privatrechtlichen Einigung mit dem Praxisvorgänger oder einer Bereitschaftserklärung zur Leistung des von der Kommission festgestellten Bewertungsbetrags an den bisherigen Praxisinhaber führte der Oberste Gerichtshof aus, dass darin kein Ausdruck einer spezifischen fachlichen Qualifikation eines Kandidaten zum Ausdruck komme und dieses Kriterium sohin sachlich nicht gerechtfertigt sei. Es solle damit lediglich die Bezahlung eines - wenn nicht vereinbarten, dann zumindest von der Kommission festgesetzten - Betrags an den Vorgänger gesichert werden. Der Kassenvertrag sei aber kein gesondertes, umlauffähiges und übertragbares Vermögensrecht. Der Erhalt des Ordinationsstandorts werde auch gar nicht von den Richtlinien gefordert. Diese Entscheidung hat im Schrifttum Zustimmung gefunden (beispielsweise Schrammel in ZAS 2002, 79, Kienast/Newole, Vergabe von Kassenverträgen im Visier des OGH in RdW 2002/155, 160). Mittlerweile wurde auch in den Entscheidungen 3 Ob 127/06g und 3 Ob 153/06f die Einigung mit dem Ordinationsvorgänger (oder das Akzeptieren des durch die Kommission festgesetzten Betrags) als Bedingung für den Abschluss eines Kassenvertrags als unsachlich beurteilt (RIS-Justiz RS0115621).

Es ist der Zweitbeklagten zuzugestehen, dass im Unterschied zu dem dem Verfahren 7 Ob 299/00x zugrundeliegenden Sachverhalt hier die Reihung der Bewerber ohne Berücksichtigung der Einigung mit dem Praxisvorgänger vorgenommen wird. Dies entspricht der novellierten Regelung in § 343 Abs 1 ASVG, nach der verbindliche Kriterien für die Reihung der Bewerber um Einzelverträge auf Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer durch Verordnung des Bundesministers für Soziale Sicherheit und Generationen festzulegen sind, wobei die fachliche Eignung der Bewerber und die zeitliche Reihenfolge der Bewerbungen um Einzelverträge zu berücksichtigen sind und die Reihungskriterien jedenfalls dem Gleichheitsgebot, der Erwerbsausübungs- und Niederlassungsfreiheit sowie den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu entsprechen haben. Im vorliegenden Fall ist zwar die Einigung mit dem Praxisvorgänger kein Reihungskriterium. Der Erstgereihte wird aber nach § 12 der „Richtlinien zur Invertragnahme" aufgefordert, sich mit dem Praxisvorgänger über einen angemessenen Preis zu einigen oder den von der Schlichtungskommission als angemessen festgestellten Preis zu zahlen. Kommt es zu keiner Einigung und weigert sich der Erstgereihte, den von der Kommission als angemessen festgesetzten Preis zu zahlen, so stellt die Schlichtungskommission fest, dass der erstgereihte Bewerber aus dem Vergabeverfahren auszuscheiden ist. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits zu 3 Ob 127/06g und 3 Ob 153/06f ausgesprochen, dass dieses Vorgehen, nämlich die Ablösevereinbarung als Bedingung für einen Vertragsabschluss zu konstruieren, noch unsachlicher sei, als die Einigung als Reihungskriterium zu bestimmen. Die Entscheidung des Rekursgerichts hält sich also im Rahmen der Judikatur. Eine Bedingung wirkt naturgemäß noch strikter als ein Reihungskriterium, das - zumindest theoretisch - durch andere Kriterien ausgeglichen werden kann.

§ 51 Abs 4 ÄrzteG steht dem nicht entgegen. Die dort normierte Pflicht des Kassenplanstellennachfolgers, die Dokumentation von seinem Vorgänger zu übernehmen und für die der Aufbewahrungspflicht entsprechenden Dauer aufzubewahren, kann auch ohne Einigung über einen Abgabepreis erfüllt werden.

Den vom Berufungsgericht vermuteten Widerspruch zur Entscheidung 7 Ob 165/03w gibt es nicht. Dieser Entscheidung lag ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde, nämlich der Vorwurf der Witwe eines Ordinationsvorgängers, der Träger der Sozialversicherung und die Ärztekammer hätten erklärt, sie würden bei Bezahlung eines höheren Übergabebetrags die Vergabe eines Kassenvertrags verhindern und hätten dadurch gemeinsam rechtswidrig und schuldhaft zum Nachteil der Witwe die Bezahlung eines willkürlichen, unangemessen niedrigen Preises erzwungen; dies, obwohl die Bereitschaft zur Zahlung eines höheren Preises bei den Bewerbern bestanden habe. In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass der Gesamtvertrag zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger und den Ärztekammern auch eine Schutzwirkung zugunsten der Vertragsärzte und ihrer Rechtsnachfolger habe und daher auch die Witwe gegen allfällige rechtswidrige und schuldhafte Handlungen des Sozialversicherungsträgers und der Ärztekammer (dies blieb noch zu prüfen) vorgehen könne. Daraus ergibt sich lediglich, dass die genannten Körperschaften die Interessen aller, die sich ihrem Urteil unterwerfen und ihr Einschreiten akzeptieren, zu wahren haben. Aus diesen Ausführungen kann aber nicht abgeleitet werden, dass es grundsätzlich zulässig wäre, im Verfahren zur Vergabe von Einzelverträgen zum Vorteil des Ordinationsvorgängers unsachliche Bedingungen anzuwenden.

Der Oberste Gerichtshof hat zu 3 Ob 127/06g bereits bejaht, dass der Anspruch auf Einhaltung eines gesetzmäßigen Vergabeverfahrens unter Außerachtlassung der Bedingung einer Ablösevereinbarung für alle Bewerber um die Kassenplanstelle sicherbar ist.

Nach ständiger Judikatur gilt ein Schaden dann als unwiederbringlich, wenn die Zurückversetzung in den vorigen Stand nicht tunlich ist und Geldersatz entweder nicht geleistet werden kann (infolge Zahlungsunfähigkeit des Schädigers) oder die Leistung des Geldersatzes dem angerichteten Schaden nicht völlig adäquat ist (RIS-Justiz RS0005270, RS0005275). Die Leistung von Geldersatz ist etwa dann nicht adäquat, wenn die durch die einstweilige Verfügung zu verbietende Handlung die gefährdete Partei in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bringen könnte (6 Ob 175/07t). Für die Annahme eines unwiederbringlichen Schadens reicht auch bereits ein drohender Kundenverlust aus (RIS-Justiz RS0005256).

Einerseits vermittelt ein Kassenvertrag einem Arzt eine konkrete, nicht in Geld auszugleichende Rechtsstellung, andererseits kann ein allfälliger Schaden aufgrund der Vielzahl der in Betracht kommenden Faktoren kaum festgestellt werden. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass hier ein unwiederbringlicher Schaden drohe, hält sich im Rahmen der Judikatur.

Dem Einwand der Erstbeklagten, der Kläger begehre negativ formuliert den Abschluss eines Kassenvertrags mit ihm, was unzulässig sei, ist zu erwidern, dass sich das Begehren des Klägers auf Abhaltung eines gesetzmäßigen Vergabeverfahrens richtet und mit der einstweiligen Verfügung nur gesichert wird, dass dies seitens der Beklagten nicht von vornherein verhindert wird. Welcher Kandidat nach Abschluss eines gesetzmäßigen Vergabeverfahrens zum Zug kommt, ist damit nicht festgelegt.

Es werden somit insgesamt keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 402, 78 EO iVm §§ 50, 40 ZPO.

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