OGH 7Ob240/65

OGH7Ob240/6515.9.1965

SZ 38/136

Normen

Postordnung §252
Staatsvertragsdurchführungsgesetz §8 (2)
ZPO §88
Postordnung §252
Staatsvertragsdurchführungsgesetz §8 (2)
ZPO §88

 

Spruch:

Die Einordnung bescheinigter oder nicht bescheinigter Postsendungen an Ämter oder Behörden in ein offenes Fach hat nicht die Wirkung der Zustellung. Diese erfolgt vielmehr durch Übergabe an den Postabholer der betreffenden Behörde

Entscheidung vom 15. September 1965, 7 Ob 240/65

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz

Text

Die Antragstellerin Anna P. begehrte als testamentarische Alleinerbin ihres am 1. August 1953 verstorbenen Ehegatten Hubert P. für die Entziehung der diesem gehörigen Firma "K. & P.", Marburg/Drau, durch die Föderative Volksrepublik Jugoslawien eine Entschädigung im Sinne des 11. StVDG. Sie brachte vor, daß das Bundesministerium für Finanzen die Gewährung einer Entschädigung abgelehnt habe, weil zur Anmeldung nicht das amtlich aufgelegte Formblatt verwendet worden sei. Im Verfahren I. Instanz hat die Antragsgegnerin nicht nur diese Einwendung wiederholt, sondern weiters eingewendet, daß die Anmeldung nicht rechtzeitig erfolgt sei.

Der Erstrichter hat das Begehren abgewiesen. Nach seinen Feststellungen wurde in die von Anna P. ursprünglich erstattete Anmeldung österreichischer Vermögenschaften in Jugoslawien das nunmehr behauptete weitere Vermögen nicht aufgenommen. Mit formloser Eingabe vom 28. August 1961 habe die Antragstellerin wegen Leistung einer Vorschußzahlung auch für das "Marburger Geschäft" ihres verstorbenen Mannes angefragt, wobei ihr vom Bundesministerium für Finanzen am 1. September 1961 das entsprechende Anmeldeformular verbunden mit dem Antrag auf Vorschußzahlung mit der Aufforderung übermittelt worden sei, auch diesen weiteren Vermögensverlust anzumelden. Ein Urgenzschreiben der Antragstellerin vom 10. Oktober 1961 habe das Bundesministerium für Finanzen am 19. Oktober 1961 damit beantwortet, daß es der Antragstellerin den Inhalt seines Schreibens vom 1. September 1961 mitteilte und ihr neuerlich ein Antragsformular übersandte. Unter Verwendung eines der ihr zugesandten Formulare habe die Antragstellerin die Anmeldung ihres Entschädigungsanspruches für den Verlust der Firma "K. & P." am 30. Dezember 1963 beim Postamt Mureck eingeschrieben aufgegeben; der Antrag sei am 2. Jänner 1964 in der Einlaufstelle des Bundesministeriums für Finanzen eingelangt. Der Entschädigungsanspruch sei sohin verspätet erhoben. Überdies sei die Formvorschrift des § 8 (2) und (3) des 11. StVDG. zufolge der Verwendung eines überholten Formulares nicht beachtet worden.

Infolge Rekurses der Antragstellerin hat das Rekursgericht den den Entschädigungsanspruch der Antragstellerin Anna P. abweisenden Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen. Über den Zeitpunkt der Einbringung des Antrages auf Gewährung einer Entschädigung beim Bundesministerium für Finanzen hat es folgende Feststellungen getroffen: Die Anmeldung sei am 30. Dezember 1963 beim Postamt Mureck eingeschrieben aufgegeben worden, und am 31. Dezember 1963 beim Postamt Wien 9 eingelangt. Das Bundesministerium für Finanzen, Sektion Vermögenssicherung, besitze bei diesem Postamt ein offenes Fach. Die Post werde von dort einmal täglich und zwar gegen 8 Uhr früh abgeholt. Bescheinigte Briefsendungen werden mit Postabholbrief behoben. Der Postabholer des Finanzministeriums habe am 2. Jänner 1964 insgesamt 10 eingeschriebene Briefsendungen, darunter auch den Entschädigungsantrag der Antragstellerin abgeholt. Er habe die Post der Einlaufstelle übergeben. Auf dem Entschädigungsantrag befinde sich neben dem Eingangsvermerk noch ein handschriftlicher Vermerk "30. Dezember 1963 Mureck, 31. Dezember 1963 Wien IX, laut Einlaufstelle daher rechtzeitig". Die eingeschriebene Sendung sei bereits am 31. Dezember 1963 ab 10 Uhr beim Postamt Wien 9 zur Abholung bereit gehalten worden. Für die Antragstellerin habe von diesem Zeitpunkt an die objektive Möglichkeit bestanden, das Schriftstück in Empfang zu nehmen und damit auch von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen. Sie hätte die Postsendung am 31. Dezember 1963 innerhalb der Amtsstunden abholen lassen können. Die in der Person oder in der Organisation des Empfängers gelegenen Umstände, die zu einer späteren Empfangnahme und Kenntnis der Postsendung führen, habe die Empfängerin zu vertreten. Der Entschädigungsantrag der Antragstellerin sei daher rechtzeitig (vor dem 1. Jänner 1964) eingelangt. Der Antragstellerin könne es auch nicht zum Nachteil gereichen, daß sie bei der Anmeldung ihres Entschädigungsanspruches ein Formblatt über die "Anmeldung österreichischer Vermögenschaften, Rechte und Interessen in Jugoslawien, verbunden mit Antrag auf Vorschußzahlung" verwendet habe. Es wäre zwar richtig gewesen, das nach § 8 (2) des 11. StVDG. amtlich aufgelegte Formular zu verwenden, durch die Nichteinhaltung dieser Vorschrift sei jedoch ihr Entschädigungsanspruch nicht untergegangen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin, Folge und stellte den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie bereits das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Frist des § 8 (1) des 11. StVDG. eine Frist des materiellen Rechtes. Es genügt zu ihrer Wahrung daher nicht, wenn der Entschädigungsantrag am letzten Tag der Frist zur Post gegeben wurde; er muß vielmehr rechtzeitig beim Empfänger eingelangt sein. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.

Nach § 252 PO. sind für die Behörden und Ämter einlangende Briefsendungen beim Postamt zur Abholung bereit zu halten, soweit nicht die Behörde oder das Amt ihre Zustellung ausdrücklich verlangt. Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung (bereit zu halten) ist zu erkennen, daß die Einordnung der für Behörden oder Ämter bestimmten bescheinigten oder nichtbescheinigten Postsendungen in ein sogenanntes offenes Fach nicht die Wirkung der Zustellung hat. Diese ist für nicht bescheinigte Sendungen vielmehr erst mit der Ausfolgung an den durch das Postabholbuch legitimierten Postabholer des betreffenden Amtes oder der Behörde und durch die Übernahme durch diesen bewirkt; bei bescheinigten Sendungen hat überdies die Bestätigung der Übernahme zu erfolgen. Im vorliegenden Fall wurde der eingeschrieben aufgegebene Entschädigungsantrag der Antragstellerin erst am 2. Jänner 1964 übernommen, an diesem Tage wurde auch die Übernahme bestätigt, so daß erst dieser Zeitpunkt als Tag des Einlangens des Antrages gilt. Die Gefahr einer Einflußnahme des Adressaten auf den Zeitpunkt der Zustellung durch willkürliche Verzögerung des Abholens ist deshalb gering, weil die Einrichtung des § 252 PO. auf Behörden und Ämter beschränkt ist. Allfällige Verzögerungen der Übernahme von bereitgehaltenen Postsendungen, die in der Organisation oder im Geschäftsbetrieb des Zustellungsempfängers ihre Ursache haben, müssen ohne Einfluß auf den Zeitpunkt der Zustellung bleiben; sie können allenfalls, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, Schadenersatzansprüche des durch eine verspätete Abholung Geschädigten begrunden. Der auf dem Antrag angebrachte Vermerk der Rechtzeitigkeit des Einlangens ist unerheblich. Der Oberste Gerichtshof hat wohl in seiner Entscheidung vom 7. März 1961, 3 Ob 101/61, die Rechtsansicht vertreten, daß eine Zustellung nicht bescheinigter Briefsendungen darin gelegen ist, daß diese in ein vom Empfänger gemietetes Schließfach eingelegt werden. Dieser Rechtssatz läßt sich jedoch nicht auf den vorliegenden Fall ausdehnen, da durch das Einlegen einer Postsendung in das Schließfach der Mieter des Schließfaches das alleinige Verfügungsrecht über die Postsendung erhält, vergleichbar mit dem Einwerfen der Sendung in den Briefkasten des Empfängers.

Der Oberste Gerichtshof billigt daher nicht die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß die Antragstellerin ihren Antrag vom 30. Dezember 1963 auf Gewährung einer Entschädigung rechtzeitig eingebracht hat ...

Da die Abweisung des Entschädigungsantrages der Antragstellerin schon wegen verspäteter Geltendmachung des Entschädigungsanspruches gerechtfertigt ist, erübrigt es sich, auf die Folgen der Verwendung eines überholten Formblattes bei der Anmeldung einzugehen.

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