OGH 7Ob240/11m

OGH7Ob240/11m21.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H***** P*****, als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen der O*****gesmbH 2 S 110/10d des Handelsgerichts Wien, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P*****Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Pöch Krassnigg Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 90.013 EUR (sA), über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Oktober 2011, GZ 1 R 183/11f-47, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die spätere Gemeinschuldnerin O*****gesmbH (im Folgenden Versicherungsnehmerin) hatte bei der Beklagten eine Globalversicherung zur Abdeckung von Forderungsausfällen bei dem von ihr betriebenen internationalen Handel mit Obst und Gemüse abgeschlossen. Nach § 4 Z 3 der dem Versicherungsvertrag zugrunde gelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Globalversicherung-Ausfuhr mit wirtschaftlicher Deckung (AVB-GAW) erlischt der Versicherungsschutz mit Beendigung des Versicherungsvertrags, soweit nicht der Versicherungsfall eingetreten ist.

Im vorliegenden Fall endete der Versicherungsvertrag am 30. 9. 2008. Die prozessentscheidende Frage lautet, ob der Versicherungsfall der italienischen Kundin der Versicherungsnehmerin „M***** SpA“ an diesem Tag bereits eingetreten war.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 9 AVB-GAW tritt der Versicherungsfall ein, wenn der Kunde zahlungsunfähig wird. Wann Zahlungsunfähigkeit im Sinn dieser Bestimmung vorliegt, wird sodann taxativ aufgezählt, wobei der Nachweis eines dieser Tatbestände durch den Versicherungsnehmer ausreicht (RIS-Justiz RS0119831). Dass die unter Z 1. lit a) bis d) aufgezählten Tatbestände der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Kunden oder Abweisung des Konkursantrags mangels Masse, Ausgleichseröffnung, Abschluss eines außergerichtlichen Ausgleichs oder erfolglose Vornahme einer Zwangsvollstreckung durch den Versicherer im vorliegenden Fall nicht verwirklicht waren, bildet keinen Streitpunkt. Die Revisionswerberin beruft sich allein auf § 9 Z 1. lit e) AVB-GAW, wonach Zahlungsunfähigkeit vorliegt, wenn „infolge nachgewiesener ungünstiger Umstände eine Bezahlung aussichtslos erscheint, weil eine Zwangsvollstreckung, ein Konkursantrag oder eine andere gegen den Kunden gerichtete Maßnahme des Versicherungsnehmers keinen Erfolg verspricht“. Als Zeitpunkt für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in diesem Fall bezeichnet Z 2. der Klausel den Tag, „an dem auf Grund entsprechenden Beweismaterials die Aussichtslosigkeit von Maßnahmen gegen den Schuldner angenommen werden muss“.

Ob eine Bezahlung „aussichtslos erscheint, weil eine Zwangsvollstreckung, ein Konkursantrag oder eine andere gegen den Kunden gerichtete Maßnahme des Versicherungsnehmers keinen Erfolg verspricht“, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dies stellt daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste. Davon kann hier entgegen der Ansicht der Revisionswerberin keine Rede sein:

Weder die Meldung der Überschreitung des äußersten Kreditziels der Kundin „M*****“, noch die Aufhebung der Versicherungssumme (die Erklärung, für weitere Geschäfte mit der Kundin nicht mehr zu haften) durch die Beklagte, noch Außenstände der Kundin bei anderen Gläubigern, ließen auf eine Aussichtslosigkeit von exekutionsrechtlichen oder insolvenzrechtlichen Maßnahmen gegen die Kundin schließen. Dies umso weniger, als die Versicherungsnehmerin am 18. 9. 2008 zur Hereinbringung der Forderung gegen die Kundin einen Inkassoauftrag erteilte, welches Vorgehen der Annahme, jede Maßnahme sei als aussichtslos angesehen worden, wohl entgegensteht. Der Wortlaut der zitierten Bestimmung der Z 2. „im Falle e) der Tag, an dem aufgrund entsprechenden Beweismaterials die Aussichtslosigkeit von Maßnahmen gegen den Schuldner angenommen werden muss“, erlaubt keine andere Interpretation, als dass an diesem Tag der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherer entsprechendes Beweismaterial bereits vorliegen muss. Dies traf im vorliegenden Fall nicht zu. Ob, wie die Revisionswerberin behauptet, im September 2008 Vorbereitungen der Geschäftsführung der Kundin für einen Kreditbetrug seitens der italienischen Behörden aufgezeigt wurden, kann, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, dahingestellt bleiben, weil diesbezügliches Beweismaterial am 30. 9. 2008 weder der Versicherungsnehmerin noch der Beklagten zur Verfügung stand. Die von der Revisionswerberin für erheblich erachtete Rechtsfrage, ob (dem Versicherungsnehmer vor Beendigung des Versicherungsvertrags bereits zur Verfügung gestandenes) Beweismaterial, das erst nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses beigebracht wird, zu berücksichtigen ist, um die Zahlungsunfähigkeit des Kunden zu belegen, stellt sich im vorliegenden Fall gar nicht. Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 9 AVB-GAW (arg „nachgewiesener“; „Tag, an dem aufgrund entsprechenden Beweismaterials die Aussichtslosigkeit […] angenommen werden muss“) kann daran, dass entsprechendes Beweismaterial bei Eintritt des Versicherungsfalls jedenfalls bereits vorhanden sein muss, nicht ernstlich gezweifelt werden. Dass dieser Aspekt in der Entscheidung 7 Ob 48/05t ZIK 2005, 216, in der der Oberste Gerichtshof die betreffende Klausel bereits auszulegen hatte, nicht besonders zu beachten war, ändert entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nichts. Nach ständiger Rechtsprechung ist auch die Auslegung von Versicherungsbedingungen jedenfalls dann nicht revisibel, wenn die betreffende Bestimmung - wie hier - so eindeutig ist, dass nur eine Möglichkeit der Auslegung in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0121516 [T6 und T17]).

Für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung reicht auch eine einzige, ausführlich begründete, veröffentlichte Entscheidung aus, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch im Schrifttum nicht auf Kritik gestoßen ist (RIS-Justiz RS0042833 [T3]). Diese Voraussetzungen treffen auf die zu 7 Ob 48/05t ergangene Entscheidung zu.

Soweit die Klägerin schließlich noch das Unterbleiben der Beischaffung von „M*****“ betreffenden italienischen Gerichtsakten als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt, übersieht sie, dass ein Mangel erster Instanz, der in der Berufung zwar geltend gemacht, aber vom Berufungsgericht - wie hier - verneint wurde, nach ständiger Rechtsprechung in dritter Instanz nicht mehr gerügt werden kann (RIS-Justiz RS0042963 uva).

Die außerordentliche Revision ist daher mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Dies bedarf nach § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung.

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