Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 24.816,60 (darin S 4.136,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin schloß 1992 bei der Beklagten eine Transportversicherung für Transporte von Bankvaloren per Eisenbahn, Post und Luftfracht innerhalb des europäischen Festlandes ab. Dem Versicherungsverhältnis lagen die Allgemeinen Österreichischen Transportversicherungs-Bedingungen (ATÖB 1988) und die Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken (Fassung 1975) zugrunde. Gemäß § 6 Abs 1 lit e AÖTB 1988 sind unter anderem die Gefahren der Veruntreuung von der Deckung ausgeschlossen. Gemäß § 3 Abs 1 lit a der Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken haftet der Versicherer während der Dauer der Versicherung für Verlust und Beschädigung unter anderem durch Raub, Diebstahl, Abhandenkommen, bei unversiegelten Einschreibsendungen jedoch nur für Totalverlust des ganzen Poststückes.
Am 10.1.1992 sandte die Klägerin auf dem Postweg in drei Wertbriefsendungen Bargeldbeträge in ausländischer Währung im Gegenwert von S 1,820.000,- an die R***** AG, *****. Diese Wertbriefsendungen wurden mit einer Versicherungssumme von 1,820.000,- S bei der Beklagten als dem Transportversicherer gemeldet. Der Wert des Inhalts wurde allerdings entsprechend einer bei derartigen Wertbriefsendungen in ganz Österreich geübten Gepflogenheit, um Kosten zu sparen, auf dem Aufgabeschein nur mit S 10.000,- bis S 15.000,- deklariert. Tatsächlich befanden sich in derartigen Wertbriefen oft jedoch Devisen im Wert mehrerer Millionen Schilling.
Der für die Zustellung in Wien zuständige Postoffizial Rudolf N***** stellte diese Wertbriefe nicht an die Empfängerin zu, sondern setzte sich am 13.2.1992 mit den darin enthaltenen Devisen nach Brasilien ab. Rudolf N***** kannte zwar nicht die genaue Summe der in den Briefen enthaltenen Devisen, wußte aber, daß in den Briefen Millionenwerte transportiert werden. Er wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ***** wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs 1 und 2 StGB verurteilt, weil er als Offizial der Post- und Telegraphenverwaltung mit dem Vorsatz, den Staat und die Absender sowie die Empfänger in ihrem Recht auf Zustellung von Postsendungen zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch, daß er sich von ihm zuzustellende Postsendungen mit einem Gesamtinhalt von S 14,677.027,-
in verschiedenen Fremdwährungen, und zwar unter anderem zum Nachteil der Klägerin Devisen zu einem Kurswert von S 1,819.274,-, zueignete und die ordnungsgemäße Zustellung unterließ, wissentlich mißbraucht hat.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten unter Berufung auf den Transportversicherungsvertrag die Bezahlung einer Entschädigung von S 1,729.400,- und brachte vor, die Post habe auf ihren Schaden nur S 90.600,- bezahlt.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach und beantragte unter Hinweis auf § 6 Abs 1 lit e AÖTB 1988 kostenpflichtige Klageabweisung. Die Tat des Rudolf N***** sei als Veruntreuung zu qualifizieren. Der geltend gemachte Ausschluß umfasse jede Gefahr des Mißbrauches eines Treueverhältnisses, also auch eines Treueverhältnisses, welches nur Mitgewahrsame begründet habe. Sinn der Ausschlußbestimmung sei es, eine Gefahr, die sich aus der Sphäre des Innenverhältnisses zwischen Treugeber und Treunehmer ergebe, von der Deckung auszuschließen. Gedeckt sei lediglich das allgemeine Diebstahlsrisiko aufgrund der Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es beurteilte die Tat Rudolf N***** als Mißbrauch der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 StGB, weil er seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht und mit Schädigungsvorsatz gehandelt habe. Insoweit könne daher weder der Klägerin, die die Tat Rudolf N***** als Diebstahl qualifiziert habe, noch der Beklagten, die von einer Veruntreuung ausgegangen sei, gefolgt werden, zumal das Verhalten des Rudolf N***** nicht schlechthin auf eine Geldentnahme reduziert werden könne. Der geltend gemachte Deckungsausschluß der Veruntreuung sei daher zu verneinen. Selbst wenn sich die zum Tatbestand des Amtsmißbrauches getroffenen Konstatierungen ohne weiteres auf das Vergehen der Veruntreuung übertragen lassen würden, könne dies nicht dazu führen, daß der Katalog der ausgeschlossenen Gefahren einfach auf die Gefahr des Amtsmißbrauches erweitert werde, zumal nach der Unklarheitenregel des § 915 ABGB undeutliche Formulierungen in den Versicherungsbedin gungen zum Nachteil der Beklagten auszulegen seien.
Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei. Mangels einer besonderen Vereinbarung habe sich die Klägerin nach § 4, letzter Satz, AÖTB zu einer "eingeschränkten Deckung" iSd § 4 Abs 2 AÖTB entschieden. Nach § 6 Abs 1 lit e AÖTB seien (auch) bei dieser Deckungsform die Gefahren der Veruntreuung ausgeschlossen. Da der von der Klägerin geltend gemachte Ersatzanspruch nicht Folge eines der in § 4 Abs 2 lit a-k AÖTB 1988 taxativ aufgezählten Ereignisse sei, bedürfe es, soweit das Versicherungsverhältnis auf der Grundlage der AÖTB 1988 zu prüfen sei, gar nicht der Berufung auf den Ausschluß der Gefahr der Veruntreuung, um einen Deckungsanspruch der Klägerin zu verneinen. Nach den dem Versicherungsverhältnis ebenfalls zugrunde liegenden Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken kämen die Allgemeinen Transportversicherungsbedingungen nur insoweit zum Tragen, als in den Besonderen Bedingungen keine Sonderregelungen getroffen werden. Die Besonderen Versicherungsbedingungen gingen den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vor. Nach § 3 der Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken hafte der Versicherer während der Dauer der Versicherung für Verlust oder Beschädigung durch einen Unfall des Transportmittels; Brand, Blitzschlag, Explosion; höhere Gewalt; Nässe; Raub, Diebstahl und Abhandenkommen. Die Tathandlung des Rudolf N***** sei als Amtsmißbrauch gemäß § 302 Abs 1 StGB und nicht als Diebstahl oder Veruntreuung unter Ausnützung einer Amtsstellung im Sinne der §§ 127 bzw 133, 313 StGB zu qualifizieren. Entscheidendes Kriterium für den Mißbrauch der Amtsgewalt sei es, daß der Beamte das inkriminierte Tatverhalten in Ausübung (und als Ausfluß) einer ihm zustehenden Befugnis, namens des Rechtsträgers als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte in der Bedeutung des § 302 Abs 1 StGB vorzunehmen, gesetzt habe, sein Verhalten demnach in einem engen (äußeren und inneren) Zusammenhang mit den von ihm als Organ des betreffenden Rechtsträgers zu besorgenden Aufgaben stehe. Der Verlust der versicherten Bankvaloren sei somit nicht durch Diebstahl oder Raub eingetreten. Die beklagte Transportversicherung hafte aber schon bei "Abhandenkommen" der versicherten Bankvaloren bei einem Transport mit der Post. Ein versichertes Gut sei (auch) dann bei einem Transport abhanden gekommen, wenn es wie im vorliegenden Fall zufolge Amtsmißbrauches auf unzulässige Art aus der Gewahrsame der Post entzogen worden sei. Die Beklagte habe der Klägerin daher gemäß § 3 der Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken Deckung zu gewähren. Es könne dahingestellt bleiben, ob durch die Vereinbarung der Besonderen Bedingungen der in § 6 AÖTB vereinbarte Ausschluß der Gefahr der Veruntreuung abbedungen worden sei. Bei einer Auslegung der Versicherungsbedingungen am Maßstab eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers gingen Unklarheiten stets zu Lasten des Versicherers. Dies bedeute, daß der Ausschluß der Gefahr der Veruntreuung nicht im Sinn der extensiven Argumentation der Beklagten zu verstehen sei, wonach die Gefahr jeglichen Befugnismißbrauches ausgeschlossen werden sollte, somit auch der Mißbrauch der Amtsgewalt, und nur der von außen kommende Eingriff durch Diebstahl gedeckt sein sollte, da im Rahmen der eingeschränkten Deckung des Art 4 Abs 2 AÖTB 1988 auch nicht Ersatz für Verlust aufgrund von Diebstahl geleistet werde und der Versicherungsfall des Abhandenkommens auch keinen von außen kommenden Eingriff voraussetze.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision ist nicht berechtigt.
Wie das Berufungsgericht ausführt, hat sich die Klägerin mangels einer besonderen Vereinbarung (iS des § 4, letzter Satz AÖTB) zu einer Transportversicherung mit eingeschränkter Deckung iS des § 4 Abs 2 AÖTB entschieden. Dieser Unterscheidung kommt jedoch, nachdem die Ausschlußbestimmungen sowohl für die eine als auch die andere Versicherungsart gelten, keine rechtserhebliche Bedeutung zu.
Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß nach den von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsgrundsätzen besondere Bedingungen den allgemeinen vorgehen (vgl Prölss-Martin VVG25 Vorbem III, 1 mwN). Ein Widerspruch zwischen den Risikoausschlußbestimmungen des § 6 der AÖTB 1988 und jenen des § 3 der Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken (Fassung 1975) liegt nicht vor. Mit einem Risikoausschluß gibt der Versicherer dem Versicherungsnehmer all jene Gefahren bekannt, die er unabhängig von einem Verhalten des Versicherungsnehmers nicht versichern will und bei deren Eintritt er Leistungsfreiheit in Anspruch nimmt (vgl Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3 146 ff, Prölss-Martin aaO, § 6 Anm 3, zuletzt 7 Ob 9/95). Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist die Auslegung aller nicht im Verordnungsweg erlassenen Versicherungsbedingungen am Maßstab eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers vorzunehmen. Eine derartige Auslegungsregel nähert sich weitgehend der Regelung der §§ 914 f ABGB. Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende allgemeine Versicherungsbedingungen müssen daher so ausgelegt werden, wie sie der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehen mußte, wobei Unklarheiten zu Lasten des Versicherers gehen. Zu berücksichtigen ist in allen Fällen der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der allgemeinen Geschäftsbedingungen (EvBl 1982/94; VersE 1472 ua, zuletzt 7 Ob 1/95). Versicherungsbedingungen sind auch aus ihrem Zusammenhang heraus auszulegen (vgl Prölss-Martin aaO, 29). Nach ständiger Rechtsprechung hat der Versicherer den Risikoausschluß nachzuweisen (vgl Fenyves, Die AHB 1978 aus der Sicht der Lehre VR 1982, 84 ff insbesondere 96 mwN).
Während § 6 Abs 1 lit e der AÖTB die Gefahr eines Verlustes des transportierten Gutes durch Veruntreuung vom versicherten Risiko ausschließt, schließt § 3 Abs 1 lit a letzter Satz der Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken das Risiko des Verlustes durch Raub, Diebstahl und Abhandenkommen von unversiegelten Einschreibsendungen, jedoch nur im Falle des Totalverlustes des gesamten Poststückes, ausdrücklich ein und stellt insofern eine Erweiterung des versicherten Risikos gegenüber dem Klauselkatalog des § 6 Abs 1 lit a bis m der AÖTB 1988 dar. Da es bei den genannten Delikten auf den rein objektiven strafrechtlichen Tatbestand ankommt (vgl Koller, Transportrecht2 zu § 54 ADSp Rz 6), liegt kein Widerspruch vor. Offenkundiger Zweck der Ausschlußklausel des § 6 Abs 1 lit e ist es, Gefahren durch jemanden, dem die Verfügung (Disposition) über das beförderte und damit versicherte Gut nach seiner eigenen Entscheidung überlassen worden ist, vom Versicherungsschutz auszunehmen, stünde doch bei einer Beurteilung eines derart gelagerten Versicherungsfalles immer der diesem Vertreter eingeräumte Ermessensspielraum im Vordergrund, was keiner typischen Transportgefahr entspräche (vgl Enge Transportversicherung, 297 f). Während beim Raub stets ein Angriff von außen auf das beförderte Gut erfolgt, setzt Diebstahl eine unerlaubte Gewahrsamsänderung des Gutes voraus; dagegen umschreibt der Begriff des Abhandenkommens generell alle weiteren Möglichkeiten des Verlustes des transportierten Gutes, soweit nicht ein besonderer Ausschlußtatbestand eingreift, sohin Gefahren, die der Versicherungsnehmer versichert haben will und die vom Risiko des Versicherers umfaßt sein sollen. Damit soll dem Versicherungsnehmer der ihm wohl nur schwer gelingende Nachweis der Entwendungsart des beförderten Gutes abgenommen werden. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes zum Abhandenkommensbegriff lassen sich aber schwer bei einer voll aufgeklärten Straftat nachvollziehen.
Die Amtsmißbrauchsdelikte umfassen als Sonderregelung in § 313 StGB eine Reihe von sonst allgemein strafbaren Tatbeständen, die im Zusammenhang mit der Beamtenteigenschaft des Täters einer höheren Bestrafung zugeführt werden (vgl Bertel im Wiener Kommentar zum StGB, Vorbemerkungen zu § 302 StGB, Rz 1, sowie Rz 1 zu § 313 StGB). Im vorliegenden Fall hatte Rudolf N***** verschlossene Kuverts mit Geldsendungen zuzustellen. Eine Dispositionsbefugnis über den Inhalt der Sendungen stand ihm nicht zu. Auf die in der Strafrechtsprechung umstrittene Frage, ob die Zueignung von Postgut durch Paketverlader Mißbrauch der Amtsgewalt sei, und inwieweit diese Auffassung auch auf den Zusteller von verschlossenen Geldsendungen anzuwenden ist (vgl Foregger-Serini StGB § 302 Anm III mwN), muß im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden, weil der Risikoausschluß des § 6 Abs 1 lit e der AÖTB nicht auf die Besonderheiten des Täters, sondern nur auf das Grunddelikt der Veruntreuung Bezug nimmt. Aufgrund seines Auftrages, die verschlossene Sendung dem Adressaten zu übergeben, kam N***** bestenfalls eine Mitgewahrsame zu, jedoch keine Dispositionsbefugnis im Sinne einer gewahrsamsändernden Verfügungsgewalt über das zuzustellende Gut. Rudolf N***** hat mit der Ansichnahme dieser Geldsendungen daher nicht eine Veruntreuung begangen, weil das Anvertrauen iS des § 133 StGB die ausschließliche Gewahrsame an einer Sache erfordert (Foregger-Serini, StGB5, Anm II zu § 133; vgl auch Koller aaO), sondern einen Diebstahl im Sinne des § 127 StGB (vgl Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechtes BT3 § 127 Rz 92 mwN, ÖJZ-LSK 1979/92). Die ihm im Rahmen seines Auftrages, die Briefsendung dem Adressaten auszufolgen, eingeräumte Mitgewahrsame über das Gut tritt gegenüber dem Zustellauftrag völlig in den Hintergrund, sie stellt nur die mit jedem Transportauftrag notwendigerweise verbundene Überlassung des zu befördernden Gutes dar, die allein seiner bestimmungsgemäßen Beförderung dient. Da sohin ein Diebstahl sowohl von einer betriebsfremden, als auch von einer beim Transport beschäftigten Person begangen werden kann (vgl Koller aaO), ist im vorliegenden Fall schon nach § 3 Abs 1 lit a letzter Satz der Besonderen Bedingungen für die Versicherung von Bankvaloren, Juwelierwaren und Briefmarken Deckung gegeben. Auf den vom Berufungsgericht untersuchten weitergehenden Abhandenkommensbegriff kommt es daher nicht mehr an.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
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