European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00229.14Y.0409.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss der Revisionsrekurs nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Eine solche Frage zeigt der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter nicht auf:
1. Das Erstgericht sprach über Antrag des Vaters aus, dass die Obsorge künftig beiden Elternteilen „gemeinsam“ zukomme. Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin hat das Erstgericht damit keine dem Gesetz widersprechende Form der Obsorge in Gestalt einer Gesamtvertretung angeordnet. Der auch vom Rekursgericht gebilligte Ausspruch des Erstgerichts bringt vielmehr ‑ wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung 1 Ob 156/14v klargestellt hat ‑ nichts anderes zum Ausdruck, als dass beide Elternteile mit der Obsorge betraut werden. Mit der in diesem Sinne synonymen Verwendung des Wortes „gemeinsam“ (vgl auch § 178 Abs 1 erster Satz ABGB) wird weder das Einvernehmlichkeitsgebot nach § 137 Abs 2 letzter Satz ABGB angesprochen, noch eine von § 167 Abs 1 ABGB abweichende Anordnung getroffen.
2. Der Entscheidung über die Obsorge im Einzelfall kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde (RIS‑Justiz RS0007101, RS0115719). Insbesondere ist auch die Frage, ob die Gesprächsbasis zwischen den Elternteilen ausreicht, um beide an der Obsorge beteiligen zu können, einzelfallbezogen zu beantworten (RIS‑Justiz RS0128812 [T5]). Eine Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, ist den Vorinstanzen hier nicht unterlaufen.
Bei der Entscheidung über die Obsorge ist ausschließlich das Wohl des Kindes maßgebend (RIS‑Justiz RS0048632). Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Elternteile anzuordnen ist, so kommt es doch darauf an, welche Form der Obsorge dem Wohl des Kindes besser entspricht (RIS‑Justiz RS0128812). Dabei darf nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden, es sind auch Zukunftsprognosen anzustellen (RIS‑Justiz RS0048632). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Elternteile setzt ein Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinne des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist also eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits jetzt eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (RIS‑Justiz RS0128812 [T4]).
Die Vorinstanzen sind zu einer positiven Prognose betreffend die für eine gemeinsame Obsorge erforderliche Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit der Eltern gelangt sowie zur Auffassung, dass die Ausübung der Obsorge durch beide Elternteile dem Wohl des Kindes besser entspricht. Diese Rechtsansicht hält sich im Rahmen der Judikatur. Das Rekursgericht hat ‑ entgegen der Darstellung der Revisionsrekurswerberin ‑ die Wahrung des Kindeswohls in einer Gesamtschau beurteilt und seine Entscheidung nicht allein auf die Verneinung einer Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 181 ABGB gestützt. Wenn die Mutter der rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen in ihrem Revisionsrekurs weiters entgegenhält, dass sie angesichts ihrer wirtschaftlichen Schlechterstellung bei Bestehen einer Obsorge beider Elternteile in der Vergangenheit wichtige Entscheidungen gegen den Willen des Vaters nicht durchsetzen hätte können und dies auch in Zukunft nicht zu erwarten sei, weshalb das von der Rechtsprechung geforderte Mindestmaß an Kommunikationsbasis und Kooperationsfähigkeit tatsächlich nicht gegeben sei, setzt sie sich über die vom Erstgericht getroffenen - gegenteiligen - Feststellungen hinweg. Die von ihr in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen der Beweiswürdigung sind nicht revisibel (RIS‑Justiz RS0043125 [T13]; RS0043414 [T19]; RS0007236 [T4, T7]). Auch im
Außerstreitverfahren ist der Oberste Gerichtshof nicht
Tatsacheninstanz (RIS‑Justiz RS0007236).
3. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)