Spruch:
Mißbräuchliche Rechtsausübung.
Entscheidung vom 11. Mai 1955, 7 Ob 227/55.
I. Instanz: Bezirksgericht Reutte; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.
Text
Der Kläger ist Eigentümer des Hauses Nr. 18, der Beklagte ist Eigentümer des Hauses Nr. 19 in W. Es handelt sich um ein real geteiltes Doppelhaus, dessen erster Stock dem Kläger und dessen Erdgeschoß dem Beklagten gehört. Auf Grund einer Besitzstörungsklage des Beklagten, der die Behauptung zugrunde lag, daß der Kläger einen Hörschacht von seiner Wohnung aus in die Wohnstube des Beklagten hergestellt habe, verpflichtete sich der Kläger in dem am 24. Juni 1954 vor dem Bezirksgericht Reutte geschlossenen Vergleich, den quadratischen Ausschnitt im Zwischenboden zwischen den beiden Wohnungen zu beseitigen. Noch vor Abschluß dieses Vergleiches stellte der Beklagte senkrecht zwischen dem Überboden seiner Wohnstube und dem Fußboden der darüberliegenden Wohnstube des Klägers ein Kantholz hinein, das die Öffnung im Zwischenboden schließen sollte. Dieses Kantholz reicht, wie das Erstgericht feststellte, bis knapp unter die Fußbodenbretter der Wohnstube des Klägers, somit offenkundig in dessen Eigentumssphäre.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Entfernung des Kantholzes, soweit dieses über die untere Hälfte des Zwischenraumes hinaus in die obere, dem Kläger gehörige Hälfte hineinreicht, mit der Begründung ab, daß eine rein schikanöse Klageführung vorliege, die nichts anderes als eine Reaktion gegen die vom Beklagten eingebrachte Besitzstörungsklage darstelle.
Das Berufungsgericht erkannte in Abänderung des Ersturteiles nach dem Klagebegehren.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Oberste Gerichtshof vermag allerdings die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht zu teilen, daß die Behauptung schikanöser Rechtsausübung nur zur Begründung von Schadenersatzansprüchen, nicht aber zur Abweisung des schikanös erhobenen Klagsanspruches führen könne. Wenn auch im österreichischen Recht eine dem § 226 DBGB. entsprechende Bestimmung fehlt, ergeben doch die Stellung mißbräuchlicher Rechtsausübung unter die Sanktion der Schadenersatzpflicht (§ 1295 ABGB.), ferner die rechtliche Gleichstellung des gegen die guten Sitten verstoßenden Tatbestandes mit dem gegen ein gesetzliches Verbot verstoßenden Tatbestand (§ 879 ABGB.) sowie das Vorhandensein einer Reihe von Spezialbestimmungen des Gesetzes, die sich gegen mißbräuchliche Rechtsausübung wenden (§§ 1212, 830 ABGB.) die rechtliche Schlußfolgerung, daß einer mißbräuchlichen Rechtsausübung einredeweise entgegengetreten werden kann. Verstößt die Ausübung des vermeintlichen Rechtes gegen die guten Sitten, dann liegt eben in Wahrheit nur eine Scheinrechtsausübung vor (Wolff in Klang 2. Aufl. VI 43/44 zu § 1295, 1 Ob 342/54, vgl. auch SZ. XXV 218).
Von einer gegen die guten Sitten verstoßenden, mißbräuchlichen Rechtsausübung kann nur gesprochen werden, wenn demjenigen, der sein Recht ausübt, jedes andere Interesse abgesprochen werden muß als eben das Interesse, dem anderen Schaden zuzufügen. Besteht ein begrundetes Interesse des Rechtsausübenden, einen seinem Rechte entsprechenden Zustand herzustellen, wird die Rechtsausübung nicht schon dadurch zu einer mißbräuchlichen, daß der sein Recht Ausübende u. a. auch die Absicht verfolgt, mit der Rechtsausübung dem anderen Schaden zuzufügen. Im vorliegenden Fall läßt sich nicht sagen, daß dem Kläger jegliches Interesse an der Rechtsausübung abgesprochen werden kann. Denn nach der Feststellung des erstgerichtlichen Urteiles, die vom Beklagten im Rechtsmittelverfahren gar nicht bekämpft wird, könnte der vom Beklagten rechtswidrigerweise in die Eigentumssphäre des Klägers getriebene Zapfen eine Behinderung des Klägers jedenfalls dann darstellen, wenn die Auswechslung eines Balkens im Fuß- oder Zwischenboden notwendig würde. Darauf, daß eine solche Auswechslung in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht wird erfolgen müssen, kommt es nicht an. Es genügt die Möglichkeit, daß dieser Fall einmal eintreten könnte. Träte aber dieser Fall ein, könnte der Kläger den Zapfen nicht eigenmächtig entfernen oder abschneiden, ohne sich der Gefahr der erfolgreichen Erhebung einer Besitzstörungsklage durch den Beklagten auszusetzen. Er müßte daher dann erst den Beklagten auf Entfernung des Kantholzes klagen, um die beabsichtigte Reparatur durchführen zu können. Es kann ihm daher nicht das Recht abgesprochen werden, schon jetzt auf die Entfernung des Kantholzes, soweit dieses in seine Eigentumssphäre hineinreicht, zu klagen. Von einer gegen die guten Sitten verstoßenden Rechtsausübung, die nur den Zweck verfolgt, dem Beklagten Schaden zuzufügen, kann daher nicht gesprochen werden.
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