OGH 7Ob215/70

OGH7Ob215/7025.11.1970

SZ 43/214

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art8 Abs1 Z1
VersVG §6 Abs3
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art8 Abs1 Z1
VersVG §6 Abs3

 

Spruch:

Vorsätzliche Obliegenheitsverletzung durch Unterlassung der nach Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB vorgeschriebenen Verständigung des Versicherers; die subjektive Ansicht des Versicherungsnehmers, an dem Unfall habe ihn kein Verschulden getroffen, ist nicht geeignet, diesen Vorsatz auszuschließen

OGH 25. November 1970, 7 Ob 215/70 (OLG Innsbruck 2 R 133/70; LG Innsbruck 24 Cg 50/70)

Text

Der Kläger, der mit seinem Kraftfahrzeug bei der Beklagten gegen Haftpflicht versichert ist, verschuldete am 20. März 1969 in Innsbruck einen Unfall, bei dem Anita B leicht verletzt wurde. Wegen dieses Unfalls wurde der Kläger der Übertretung der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 431 StG schuldig erkannt. Da die Beklagte Leistungsfreiheit behauptete, brachte der Kläger fristgerecht die Klage auf Feststellung ein, daß ihm die Beklagte Versicherungsschutz zu gewähren habe. Die Beklagte bestritt und behauptete, der Kläger habe die ihm nach Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB obliegenden Verpflichtungen verletzt.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Er stellte fest:

Der Kläger fuhr am 30. März 1969 vor 15 Uhr mit seinem PKW Opel Rekord über die Schweinsbrücke in Innsbruck-Mühlau. Er fuhr im Schrittempo an einer Personengruppe vorbei, die in gleicher Richtung wie er hintereinandergehend, die Brücke überquerte und aus Anita B, ihren drei Kindern und ihrer Mutter bestand. Als der Kläger an Anita B vorbeifuhr, streifte er sie mit der rechten Klinke und dem nachfolgenden hinteren Wagenteil und drückte sie gegen das Brückengeländer. Sie erlitt dadurch ein beträchtliches Hämatom an der Außenseite ihres linken Oberschenkels, eine Kontusion des linken Ellenbogens und eine Prellung ihres Kopfes. Der Kläger hielt einige Meter nach der Brücke, da er das Geräusch der Streifung wahrgenommen hatte, dieses allerdings so auslegte, als hätte die Fußgängerin mit der Hand gegen seinen Wagen geklopft. Anita B, die sogleich Schmerzen verspürte, ging zum Wagen des Klägers, der mit seiner Mitfahrerin im Auto sitzen blieb und machte dem Kläger Vorwürfe wegen seines unvorsichtigen Fahrens. Als sie dem Kläger erklärte, sie sei verletzt und habe Schmerzen, sagte dieser nur "ja ja" und fuhr weiter. Die Person des Klägers als Lenkers des gegenständlichen Fahrzeuges konnte erst über Anfrage beim Verkehrsamt ermittelt werden.

Rechtlich führte der Erstrichter aus, der Kläger habe gegen § 4 Abs 1 lit c, Abs 2 StVO 1960 verstoßen, weil er, ohne Anita B zu fragen, ob sie seiner Hilfe bedürfe, weitergefahren sei und auch nicht die Polizei von dem Unfall verständigt habe; auch habe er sich nicht ausgewiesen. Dadurch habe er vorsätzlich eine Obliegenheitsverletzung i S des Art 8 Abs. 1 Z 1 AKHB, § 6 Abs. 3 VersVG begangen, sodaß die Beklagte nicht verpflichtet sei, ihm Versicherungsschutz zu gewähren.

Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstrichters als unbedenklich und billigte dessen Rechtsausführungen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsausführungen der Revision wenden sich nur noch dagegen, daß dem Kläger eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung angelastet wurde. Dies sei unrichtig, da der Kläger in der Überzeugung weitergefahren sei, die Fußgängerin Anita B nicht verletzt zu haben.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß die Beklagte den ihr obliegenden Beweis einer Obliegenheitsverletzung des Klägers erbracht hat. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstrichters hat der Kläger nach dem Unfall der Anita B in Kenntnis des Umstandes, daß diese über Schmerzen klagte, weder Hilfe geleistet noch hat er die nächste Polizeidienststelle sofort von dem Unfall verständigt. Die Verständigungspflicht traf den Kläger ungeachtet, ob er sein Verschulden an dem Unfall als gegeben ansah, da Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB nicht auf das Vorliegen eines Verschuldens des Meldepflichtigen abgestellt ist, sondern als Voraussetzung für die Verständigungspflicht ausschließlich die "Verletzung von Personen" bestimmt. Der Umstand, daß die Obliegenheitsverletzung nicht auf Vorsatz beruht, ist vom Kläger als Versicherungsnehmer zu beweisen (ZVR 1969/93 u a, Prölss Versicherungsvertragsgesetz[17] 89 Anm 14). Ein derartiger Nachweis ist dem Kläger jedoch nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht gelungen. Vorsatz ist dann anzunehmen, wenn im Bewußtsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm die Obliegenheitsverletzung gewollt war (Prölss VersVG[17], 85 Anm 12). Dem Kläger als Autofahrer mußten die Bestimmungen der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung über die Verpflichtung zur Hilfeleistung und zur Anzeige bekannt sein; das Gegenteil wurde von ihm auch nicht behauptet. Dem Kläger war nach den Feststellungen der Vorinstanzen weiters bekanntgegeben worden, daß Anita B durch den Unfall verletzt wurde. Dies löste seine Verpflichtung nach Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB aus, gleichgültig ob er subjektiv davon überzeugt war, daß die ihm gemachte Verletzungsmitteilung begrundet war oder nicht. Dies zu untersuchen, wäre dann Sache der Behörde gewesen. Die subjektive Ansicht des Klägers, es habe ihn an dem Unfall kein Verschulden getroffen, die Fußgängerin sei durch das Anstreifen nicht verletzt worden, ist nicht geeignet, den Vorsatz der Obliegenheitsverletzung auszuschließen.

Die Vorinstanzen sind daher mit Recht davon ausgegangen, daß der Kläger nach Eintritt des Versicherungsfalls die ihm nach Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB obliegenden Verpflichtungen vorsätzlich verletzt hat. Dies hat aber nach § 6 Abs 3 VersVG die Leistungsfreiheit der Klägerin zur Folge.

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