OGH 7Ob2061/96f

OGH7Ob2061/96f17.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingeborg K*****, vertreten durch Dr.Stefan Prokop, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, wider die beklagte Partei Dr.Wolfgang K*****, vertreten durch Hügel, Dallmann & Partner, Rechtsanwälte in Mödling, wegen Unterlassung (Streitwert S 50.000,--), infolge außerordent- licher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 5. Dezember 1995, GZ 44 R 1155/95v-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 8.September 1995, GZ 2 C 152/94f-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 10.387,12 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 1.179,52 USt und S 3.310,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Streitteilen ist ein Ehescheidungsverfahren anhängig. Das Haus in M*****, welches als gemeinsame Ehewohnung diente, steht im Alleineigentum des Beklagten. Seit 1993 kam es zwischen den Streitteilen wiederholt zu Auseinandersetzungen. Am 8.12.1993 packte der Beklagte nach einem Streit die Klägerin an den Schultern und hielt sie mit Gewalt fest, um sie am Verlassen der Ehewohnung zu hindern. Die Klägerin befreite sich dadurch, daß sie auf den Beklagten mit einem Pantoffel einschlug, wobei der Beklagte eine leichte Verletzung am Ohr erlitt. Am 13.12.1993 zog die Klägerin endgültig aus der Ehewohnung aus und übersiedelte zunächst zu ihrer Tochter. Einen Teil ihrer persönlichen Gegenstände ließ sie in der Ehewohnung zurück. Im Dezember 1993 betrat die Klägerin nochmals die Ehewohnung, um sich ein Mikrowellengerät zu holen. Da ihr der Beklagte deshalb mit einer Besitzstörungsklage drohte, brachte sie dieses Gerät wieder zurück. Ende Jänner 1994 stellte die Klägerin fest, daß der Beklagte das Türschloß zwischen Garage und Haus ausgewechselt hatte. Bei der Eingangstür steckte der Schlüssel innen, sodaß sie mit ihrem Schlüssel nicht aufsperren konnte. Die Klägerin wollte das Haus des Beklagten damals betreten, um ihre persönlichen Gegenstände abzuholen. Sie beabsichtigt nicht, wieder in die Ehewohnung zurückzukehren.

Seit Februar 1994 wohnt die Klägerin in einer von ihr angeschafften Eigentumswohnung in M*****.

Im Zuge eines von der Klägerin gegen den Beklagten angestrengten Besitzstörungsverfahrens einigten sich die Streitteile am 27.4.1994, daß die Klägerin wieder in die Ehewohnung zurückkehren werde. Als die Klägerin jedoch mit ihrer Tochter die Wohnung betreten wollte, kam es zu einer lautstarken Auseinandersetzung. Sie zog daher weder in die Ehewohnung ein noch nahm sie ihre persönlichen Sachen mit.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, die Eingangstür zum Haus M***** in einer Weise versperrt zu halten, daß diese Türe mit dem im Besitz der Klägerin befindlichen Schlüssel von außen nicht geöffnet werden kann. Sie habe die Ehewohnung aus Furcht vor dem Beklagten verlassen. Ihre persönlichen Gegenstände und der Hausrat, den sie in die Ehe mitgebracht habe, befänden sich noch immer dort. Der Beklagte verhindere in rechtswidriger Weise, daß die Klägerin diese Gegenstände abhole.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe die Lebensgemeinschaft eigenmächtig aufgelöst und sei ausgezogen. Aufgrund der Tätlichkeiten, die sich die Klägerin ihm gegenüber habe zuschulden kommen lassen, sei es dem Beklagten nicht zuzumuten, daß die Klägerin ohne jegliche Kontrolle sein Haus betrete. Das Benützungsrecht der Klägerin an der vormaligen Ehewohnung aber sei durch ihren Auszug erloschen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. § 97 ABGB gewähre dem anderen Ehegatten gegen den über die Ehewohnung verfügungsberechtigten Ehegatten für die Dauer der Ehe einen familienrechtlichen Anspruch auf Wohnung. Dieses Wohnrecht setze aber eine tatsächliche Wohnungsbenützung voraus. Unter diesen Voraussetzungen müsse der andere Ehegatte ein Aussperren nicht hinnehmen. Fehle allerdings das gemäß § 97 ABGB erforderliche dringende Wohnbedürfnis oder verzichte der andere Ehegatte auf diese Wohnung, die er freiwillig endgültig verlassen habe, und verfüge er auch über eine ausreichende Ersatzwohnung, dann bestehe für ihn kein Anspruch mehr auf das Betreten der vormaligen Ehewohnung. Die Klägerin sei aus der Ehewohnung ausgezogen und verfüge nunmehr über eine Eigentumswohnung. Auf den Anspruch gemäß § 97 ABGB habe sie damit verzichtet.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. § 90 ABGB verpflichte die Ehegatten zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen. Dem über die Ehewohnung nicht verfügungsberechtigten Ehegatten stehe bei aufrechter Ehe daher ein aus dem familienrechtlichen Verhältnis abgeleitetes Mitbenützungsrecht zu. Den gemäß § 97 ABGB bestehenden Anspruch auf Unterlassung von Verfügungen, die zum Verlust der Wohnung führten, könne die Klägerin zwar nicht mehr geltend machen, weil sie die Wohnung verlassen, dort keinen Wohnungsbedarf mehr habe und auch die eheliche Gemeinschaft nicht mehr aufnehmen wolle. Der Klägerin stehe aber nach wie vor ein eingeschränktes familienrechtliches Mitbenützungsrecht an der Ehewohnung zu. Darauf habe sie weder ausdrücklich noch schlüssig verzichtet. Die Klägerin habe beim Ausziehen aus der Ehewohnung einen Schlüssel behalten und zahlreiche ihr gehörende Sachen zurückgelassen. Unter diesen Umständen dürfe ein stillschweigender Verzicht auf jedes weitere Benützungsrecht an dieser Wohnung nicht angenommen werden. Die Klägerin habe die Wohnung durch die Lagerung ihrer Gegenstände weiter benützt. Der Beklagte habe das Betreten der Wohnung durch die Klägerin auch bis Ende Jänner 1994 geduldet. Solange aber die Klägerin ihre Gegenstände in der Ehewohnung verwahre, habe sie nicht auf ein weiteres Betreten der Wohnung verzichtet. Daß die Klägerin die Wohnung nicht mehr bewohnen wolle, sei unter diesen Umständen für den geltend gemachten Anspruch unerheblich. Die Klägerin habe daher Anspruch auf das Betreten der Wohnung zum Zwecke der Abholung ihrer Fahrnisse unter Verwendung ihres eigenen Schlüssels, ohne auf ein Entgegenkommen des Beklagten angewiesen zu sein.

Die dagegen vom Beklagten erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil zu der Frage, ob ein Ehegatte noch Anspruch auf das Betreten der (vormaligen) Ehewohnung zum Zwecke der Abholung seiner Fahrnisse hat, wenn er ausgezogen ist, über eine andere ausreichende Wohnmöglichkeit verfügt und nicht die Absicht hat, wieder die eheliche Gemeinschaft aufzunehmen, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes besteht. Sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

§ 90 ABGB verpflichtet die Ehegatten zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, insbesondere zum gemeinsamen Wohnen. Rechte an der Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses eines Ehegatten dient, über die jedoch der andere Ehegatte verfügungsberechtigt ist, begründet § 97 ABGB. Der Schutz nach dieser Bestimmung umfaßt den Erhaltungsanspruch, daß der verfügungsberechtigte Ehegatte nicht derart über die Wohnung verfügt, daß sie dem bedürftigen Ehegatten ganz oder teilweise entzogen wird (Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 97 mit Judikaturhinweisen). Der wohnungs- bedürftige Ehegatte kann gegen den anderen Ehegatten auf Unterlassung, allenfalls auch auf positives Handeln oder auf Wiederherstellung klagen. Die Bestimmung dient auch dem Schutz des Zutritts zur Wohnung (Pichler aaO Rz 4 zu § 97 mit Judikaturhinweisen). Die Ansprüche aus § 97 ABGB setzen allerdings ein dringendes Wohnbedürfnis des nicht verfügungsberechtigten Ehegatten voraus. Der Zweck des § 97 ABGB liegt darin, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung der den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnissen diente und die er weiter benötigt (SZ 54/37; EFSlg 38/8 uva). Ein dringendes Wohnbedürfnis im Sinne des § 97 ABGB ist im allgemeinen schon zu verneinen, wenn eine ausreichende gleichwertige Unterkunft vorhanden ist (SZ 54/37), wobei einerseits eine bloß ausreichende Ersatzwohnung nicht genügt, wenn sie die angemessenen Wohnbedürfnisse im Sinne des § 94 Abs 1 ABGB erheblich unterschreitet, andererseits Gleichwertigkeit der Ersatzwohnung hinsichtlich der tatsächlichen Verhältnisse nicht schlechthin verlangt werden kann (Pichler aaO Rz 1 zu § 97 mit Judikaturhinweisen). Dient die Wohnung, über die nur der andere Ehegatte verfügt, nicht mehr dem dringenden Wohnbedürfnis eines Ehegatten, stehen ihm keine Ansprüche aus § 97 ABGB zu, insbesondere auch nicht auf bloßes Betreten ohne Einvernehmen mit dem verfügungsberechtigten Ehegatten.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Ehewohnung verlassen und wohnt nunmehr in einer von ihr erworbenen Eigentumswohnung. Daß diese ihr dringendes Wohnbedürfnis an der vormaligen Ehewohnung nicht ausschlösse, wurde nicht behauptet. Die Klägerin behauptet auch nicht, die vormalige Ehewohnung zum Wohnen zu benötigen. Entgegen ihrem Standpunkt in der Revisionsbeantwortung dient § 97 ABGB nicht dazu, dem nicht bedürftigen Ehegatten Zutritt zur vormaligen Ehewohnung zu verschaffen. Daß sich der Beklagte weigert, ihr Zutritt zur Wohnung zum Zwecke der Abholung ihrer Fahrnisse zu gewähren, begründet nicht den geltend gemachten Anspruch, sondern bloß einen Herausgabeanspruch. Daß die Klägerin faktisch auch nach ihrem Auszug bis Ende Jänner 1994 in der Lage war, mit ihrem Schlüssel in das Haus des Beklagten zu gelangen, begründet ebenfalls für sich gesehen keinen Anspruch auf jederzeitigen ungehinderten Zutritt zu diesem Haus, worauf das Unterlassungsbegehren gerichtet ist. Darauf, ob die Klägerin auf ein solches Recht nicht verzichtet habe, kommt es somit nicht an.

Daher war das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Entgegen den Ausführungen der Beklagten in ihrer Berufung im Kostenpunkt bietet der Akteninhalt keine Handhabe für eine Kostenseparation.

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