Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil lautet:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei in dem zu AZ 33 Cg 200/94 vor dem Handelsgericht Wien zwischen der klagenden Partei Ing.Michael R***** und der beklagten Partei Firma A*****-GesmbH & Co KG wegen S 189.600,-- anhängigen Rechtsstreit aufgrund des aufrechten Versicherungsverhältnisses aus der Rechtsschutzversicherungspolizze Nr.0315458 Deckung zu gewähren.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die in allen Instanzen mit insgesamt S 63.081,-- (darin enthalten S 5.658,50 USt und S 29.130,-- Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist bei der beklagten Partei im Privat-, Berufs- und Betriebsbereich rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die ARB 1988 zugrunde. Gemäß deren Art.23.3.5. besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Betriebsbereich, wenn die tatsächlichen oder behaupteten Gesamtansprüche des Versicherungsnehmers oder seines Gegners aufgrund desselben Versicherungsfalles die vereinbarte Streitwertgrenze übersteigen. Gemäß Art.2.3. gilt für den Betriebsbereich der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen; bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben.
Für den Betriebsbereich wurde zwischen den Streitteilen eine Streitwertgrenze von S 300.000,-- vereinbart.
Der Kläger führte für die Firma A*****-GesmbH & Co KG Planungsarbeiten um den vereinbarten Werklohn von S 624.000,-- durch. Er legte hierüber drei Teilrechnungen, und zwar am 28.9.1992 über S 124.800,--, am 19.10.1992 über S 218.400,-- und am 28.10.1992 (im Ersturteil wohl irrtümlich: 14.10.1992) über S 124.800,--. Am 4.12.1992 legte er Schlußrechnung über S 624.000,--. Die Firma A***** zahlte am 20.1.1993 S 150.000,--. Weitere Zahlungen erfolgten nicht.
Am 22.12.1993 wurde über das Vermögen der Firma A***** das Ausgleichsverfahren eröffnet. Der Kläger meldete seine restliche Werklohnforderung im Ausgleichsverfahren an. Die Forderung wurde in der Prüfungstagsatzung vom 10.3.1994 zur Gänze bestritten. Im Mai 1993 legte der Kläger der Beklagten einen Entwurf einer Klage auf Zahlung von S 300.000,-- (vorbehaltlich der Ausdehnung) zum Zweck der Erteilung einer Deckungszusage vor. Die Beklagte lehnte die Deckung wegen Überschreitung der vereinbarten Streitwertgrenze ab. Der Kläger brachte daraufhin zu 33 Cg 200/94 des Handelsgerichtes Wien eine Klage gegen die Firma A***** ein, mit der er "vorerst nur" und vorbehaltlich einer Klagsausdehnung 40 % der restlichen Werklohnforderung von S 474.000,--, sohin S 189.600,--, begehrte, weil mit einer Entscheidung über die Klage nicht vor Ausgleichsbestätigung zu rechnen sei. Der Ausgleich wurde mit Beschluß vom 8.6.1994 mit einer Ausgleichsquote von 40 % bestätigt.
Mit seiner am 24.5.1994 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei für den zu 33 Cg 200/94 beim Handelsgericht Wien anhängigen Rechtsstreit.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Gesamtanspruch im Sinn des Art.23.3.5. der ARB 1988 die vereinbarte Streitwertgrenze übersteige.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es komme nicht auf die Höhe der einzelnen Teilrechnungen, sondern auf die gesamte noch offene Werklohnforderung an, weil auf den Zeitpunkt der Klagseinbringung abzustellen sei. Da die Bestätigung des Ausgleiches erst nach Einbringung der Klage gegen die Ausgleichsschuldnerin erfolgt sei, sei die dadurch eingetretene Anspruchsreduktion unbeachtlich.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Ansicht, daß unter dem Begriff des Gesamtanspruches der gesamte aus einem Geschäftsfall abzuleitende Anspruch zu verstehen sei, wobei es ohne Bedeutung sein müsse, ob der Anspruch etwa durch Teilleistungen bereits vermindert worden sei. Jede andere Auslegung würde dazu führen, daß durch Parteiendisposition, etwa durch Einflußnahme auf Höhe und Fälligkeit von Teilrechnungen oder durch Vornahme von Teilzahlungen Geschäftsfälle in den Versicherungsschutz einbezogen werden könnten, die wegen ihres ursprünglich großen Umfanges nicht in die Kategorie der einfachen, unkomplizierten Verfahren fielen, die vom Versicherungsschutz umfaßt sein sollten. Die Frage des Deckungsschutzes könne nicht davon abhängen, ob der Gläubiger oder - wie im Fall des Ausgleiches - der Gesetzgeber einen Schulderlaß einräume. Zudem seien Leistungsklagen ungeachtet des Ausgleiches zugunsten der gesamten Forderung ohne Rücksicht auf die sich aus § 53 Abs.1 AO ergebende Kürzung möglich, weil der hiedurch geschaffene Exekutionstitel auch für den Fall des Wiederauflebens nach § 53 Abs.4 AO wirke und das Fehlen der Voraussetzungen für das Wiederaufleben erst im Exekutionsverfahren zu prüfen sei (SZ 57/138). Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil das Gericht zweiter Instanz in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung entschieden habe und die Auslegung der im Einzelfall zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarungen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darstelle.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist jedoch zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage vorliegt, welcher Betrag unter dem Begriff des Gesamtanspruches im Sinn des Art.23.3.5. ARB 1988 zu verstehen ist, wenn der zu klagende Schuldner im Ausgleich ist und die Ausgleichsquote im Gegensatz zur ursprünglichen Forderung unter der vereinbarten Streitwertgrenze liegt.
Die Revision ist auch berechtigt.
Die Bestimmung des Art.23.3.5. ARB 1988 enthält einen sekundären Risikoausschluß, womit der durch die primäre Risikoabgrenzung gewährte Versicherungsschutz eingeschränkt wird. Es ist ihr klar und eindeutig zu entnehmen, daß im Fall des Übersteigens der vereinbarten Streitwertgrenze überhaupt kein Versicherungsschutz, also auch nicht auf Tragung anteiliger Kosten besteht. Wie der erkennende Senat bereits in 7 Ob 12/94 = VR 1994, 399, ausgeführt hat, kann in dieser Bestimmung ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht erblickt werden. Die Frage, ob die stets in AVB festgelegte Risikoumschreibung in Versicherungsverträgen der Inhaltskontrolle des § 879 Abs.3 ABGB unterliegt, kann hier ebenso wie in der zitierten Entscheidung dahingestellt bleiben, weil der Kläger gar nicht vorgetragen hat, in welcher von der beklagten Partei erweckten Erwartung er durch den Inhalt des Art.23.3.5. ARB 1988 enttäuscht worden wäre.
Die Revision wendet sich allerdings zu Recht gegen die Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz, daß der Gesamtanspruch im Sinn des Art.23.3.5. ARB 1988 durch Teilzahlungen oder durch teilweisen Forderungsverzicht nicht verringert werde. Die vereinbarte Streitwertobergrenze würde zwar ihren Sinn verlieren, wenn es im Belieben des Versicherten stünde, einen aus einem bestimmten Geschäftsfall resultierenden Anspruch in mehreren Teilbeträgen einzuklagen. Eine Klagsausdehnung oder gesonderte Einklagung weiterer Forderungsteile kommt aber nicht in Betracht, wenn die ursprüngliche Forderung durch Teilzahlung oder Teilverzicht teilweise getilgt wurde oder erloschen ist. Es existiert dann ja insoweit kein weiterer Anspruch mehr. Dabei kann es nach dem Sinn und Zweck der vereinbarten Streitwertobergrenze, die das vom Versicherer übernommene Risiko beschränken soll, nicht davon abhängen, ob die Teilzahlung oder der Forderungsverzicht vor oder nach dem Eintritt der Fälligkeit der Forderung erfolgte. Selbst wenn der Versicherungsfall im Sinn des Art.2.3. ARB 1988 zu irgendeinem Zeitpunkt hinsichtlich einer die Streitwertgrenze überschreitenden Gesamtforderung eingetreten sein sollte, wird der gemäß Art.23.3.5. ARB 1988 maßgebliche Gesamtanspruch durch Teilzahlung oder Forderungsverzicht entsprechend reduziert.
Gemäß § 53 Abs.1 AO besteht die Wirkung des bestätigten Ausgleiches darin, daß der Ausgleichsschuldner seinen Gläubigern jenen Teil der Forderungen, auf die sie im Ausgleich verzichtet haben, auch später nicht mehr ersetzen muß, wobei die schuldbefreiende Wirkung auch gegenüber jenen Ausgleichsgläubigern eintritt, die gegen den Ausgleich gestimmt oder sich am Ausgleichsverfahren überhaupt nicht beteiligt haben.
In der vom Gericht zweiter Instanz zitierten Entscheidung SZ 57/138 hat zwar der Oberste Gerichtshof die Ansicht vertreten, daß eine Ausgleichsforderung auch nach Bestätigung des Ausgleiches und unabhängig von einem etwaigen Wiederaufleben in voller Höhe einklagbar sei; das Fehlen der Wiederauflebensvoraussetzungen sei erst im Exekutionsverfahren zu prüfen. Dieser Ansicht trat der Oberste Gerichtshof allerdings in seiner Entscheidung SZ 65/56 mit dem Hinweis auf die Kritik von Fink in JBl 1986, 80 und unter Berufung auf die bisher herrschende Auffassung entgegen, daß der im Ausgleich erlassene Forderungsteil zur unklagbaren Naturalobligation werde (vgl. die in SZ 65/56 zitierten Belegstellen). Die bloße Möglichkeit, daß es künftig zu einem Wiederaufleben des erlassenen Forderungsteiles kommen könne, könne im Titelverfahren nicht mitberücksichtigt werden. § 53 Abs.3 AO setze - soweit sich die allgemeine Fassung dieser Bestimmung auch auf das Wiederaufleben beziehe - voraus, daß über die Forderung ein die Ausgleichsquote übersteigender Exekutionstitel, sei es im Ausgleichsverfahren selbst oder in einem anderen Verfahren, geschaffen worden sei. Aus dieser Bestimmung sei aber (auch in Verbindung mit § 54 Abs.4 AO) nicht abzuleiten, daß nach der Wirksamkeit des bestätigten Ausgleichs ohne Vorliegen eines Wiederauflebenstatbestandes ein Exekutionstitel in voller Höhe der ursprünglichen Forderung geschaffen werden dürfe.
Aus dieser Entscheidung, der sich der erkennende Senat anschließt, folgt, daß der Schuldner nach Bestätigung des Ausgleichs grundsätzlich nur mit der Quote belangt werden kann. Die Restforderung kann zwar infolge Verzuges unter den Voraussetzungen des § 53 Abs.4 AO (vgl. auch § 66 AO) wieder aufleben. Im vorliegenden Fall wurde aber weder behauptet, daß sich die Firma A***** gegenüber dem Kläger mit der Erfüllung des Ausgleiches in Verzug befinde noch steht überhaupt fest, ob die Forderung bei Schluß der Verhandlung erster Instanz im gegenständlichen Verfahren (13.7.1994) bereits fällig war. Ob schon die bloße Möglichkeit, daß in Zukunft Umstände eintreten könnten, die eine aus einem bestimmten Geschäftsfall resultierende, noch offene Forderung in Zukunft auf einen über der vereinbarten Streitwertgrenze liegenden Betrag anwachsen könnten, die Rechtsschutzdeckung ausschließt, läßt sich aus Art.23.3.5. ARB 1988 nicht entnehmen. Diese Regelung läßt nicht erkennen, was in einem solchen Fall unter dem Begriff des "Gesamtanspruches" zu verstehen ist. Unklar ist auch, ob Versicherungsschutz besteht, wenn der klagbare Teil der Forderung gemeinsam mit einem unklagbaren Teil (Naturalobligation) die vereinbarte Streitwertgrenze übersteigt.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach nunmehr ständiger Rechtsprechung grundsätzlich wie Verträge, demnach nach §§ 914 f ABGB auszulegen. Die Auslegung ist am Maßstab eines verständigen, durchschnittlichen Versicherungsnehmers vorzunehmen. Unklarheiten gehen zu Lasten des Versicherers. Es ist jedoch stets der bei einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Klausel zu berücksichtigen (VR 1992/277, 183; JBl 1992, 717 ua). Da eine Rechtsschutzversicherung vor allem das Prozeßkostenrisiko abdecken soll und der Versicherer bei mangelnder Aussicht auf Erfolg, wie dies beim Versuch der Einklagung einer unklagbaren Forderung der Fall ist, die Deckung verweigern kann (Art.9 ARB 1988), kann der für einen verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Inhalt und Zweck der Streitwertbegrenzung nur darin liegen, daß unter "Gesamtanspruch" im Sinn des Art.23.3.5. ARB 1988 ausschließlich klagbare Ansprüche und Anspruchsteile zu verstehen sind und daß allenfalls aus demselben Versicherungsfall resultierende unklagbare Forderungen nicht dazuzurechnen sind.
Nach denselben Auslegungsgrundsätzen hat es zumindest für den Fall, daß sich die ursprüngliche Forderung durch die Ausgleichsbestätigung auf die (allein klagbare) Quote reduziert hat und die Frage des Wiederauflebens noch in keiner Weise absehbar ist, beim Grundsatz zu bleiben, daß für die Prüfung der Berechtigung des Deckungsanspruches der Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz über die Deckungsklage maßgebend ist (§ 406 ZPO) und die Möglichkeit zukünftiger Sachverhaltsänderungen nicht mitberücksichtigt werden darf (Fasching, Lehrbuch2, RN 1062). Im vorliegenden Rechtsstreit ist daher davon auszugehen, daß die (klagbare) Gesamtforderung des Klägers gegen die Firma A***** im maßgebenden Zeitpunkt auf die Ausgleichsquote reduziert war, sodaß die Voraussetzung für den Versicherungsschutz, daß die Gesamtansprüche des Klägers die vereinbarte Streitwertgrenze nicht übersteigen, zu bejahen ist.
Daß die Prozeßführung des Klägers keine Aussicht auf Erfolg habe (Art.6.3., Art.9 ARB 1988), weil die Fälligkeit der Forderung des Klägers gegen die Firma A***** infolge der Ausgleichsbestätigung hinausgeschoben sei, wurde von der hiefür behauptungs- und beweispflichtigen beklagten Partei nicht eingewendet. Abgesehen davon, daß die Frage der Fälligkeit nicht geprüft und insbesondere nicht festgestellt wurde, welches Zahlungsziel die Ausgleichsbestätigung beinhaltet, bestünde für den Kläger die Möglichkeit, sein Zahlungsbegehren gegen die Ausgleichsschuldnerin, soweit und solange die Fälligkeit noch nicht eingetreten ist, auf ein Feststellungsbegehren umzustellen (vgl. JBl 1976, 208 mwN). Ohne entsprechende Behauptungen der beklagten Partei kann daher nicht von einer auf der Hand liegenden Aussichtslosigkeit der Prozeßführung des Klägers gegen die Firma A***** ausgegangen werden.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher im Sinn einer Bejahung der Deckungspflicht der beklagten Partei abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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