European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00185.22I.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Konsumentenschutz und Produkthaftung, Versicherungsvertragsrecht
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie nunmehr insgesamt lauten:
1.1 Die beklagte Partei ist schuldig, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel:
„Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit hoheitlichen Anordnungen durch Gesetze oder Verordnungen aufgrund einer Ausnahmesituation (Art 7.1.2)“
oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen; sie ist ferner schuldig, es zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannte Klausel oder sinngleiche Klauseln zu berufen. Die Leistungsfrist wird mit drei Monaten bestimmt.
1.2 Der klagenden Partei wird die Ermächtigung erteilt, den klagsstattgebenden Teil des Urteilsspruchs im Umfang des Unterlassungsbegehrens und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Samstagsausgabe des redaktionellen Teils der „Kronen‑Zeitung“, bundesweit erscheinende Ausgabe, auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen.
2. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel:
„Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit Katastrophen; eine Katastrophe liegt vor, wenn durch ein Naturereignis oder ein sonstiges Ereignis dem Umfang nach eine außergewöhnliche Schädigung von Menschen oder Sachen eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht (Art 7.1.3)“
oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen; sie sei ferner schuldig es zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannte Klausel oder sinngleiche Klauseln zu berufen und das sich auf diese Klausel beziehende Urteilsveröffentlichungsbegehren, werden abgewiesen.
3. Der Antrag der beklagten Partei, ihr die Ermächtigung zu erteilen, den klagsabweisenden Teil des Urteilsspruchs im Umfang der Klagsabweisung und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in der Samstagsausgabe des redaktionellen Teils der „Kronen‑Zeitung“, bundesweit erscheinende Ausgabe, auf Kosten der klagenden Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen, wird abgewiesen.
4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 778 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.669,50 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der klagende Verein ist nach § 29 KSchG klagebefugt. Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen.
[2] Die Beklagte verwendet gegenüber Verbrauchern ihre „Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung“ (ARB 2020). Sie lauten auszugsweise:
„ Artikel 7
Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen
1. im Zusammenhang
[...]
1.2 mit hoheitsrechtlichen Anordnungen durch Gesetze oder Verordnungen aufgrund einer Ausnahmesituation;
1.3 mit Katastrophen; eine Katastrophe liegt vor, wenn durch ein Naturereignis oder ein sonstiges Ereignis dem Umfang nach eine außergewöhnliche Schädigung von Menschen oder Sachen eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht.“
[3] Der Kläger begehrt, der Beklagten die Verwendung der Klauseln Art 7.1.2 und Art 7.1.3 oder sinngleicher Klauseln zu verbieten und ihr zu verbieten, sich auf diese zu berufen. Weiters erhob er ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Die Klauseln würden gegen gesetzliche Verbote sowie gegen die guten Sitten verstoßen und seien für den Verbraucher gröblich benachteiligend und intransparent. Die Klausel Art 7.1.2 konkretisiere nicht, wann ein Sachverhalt „im Zusammenhang“ mit einer „hoheitsrechtlichen Anordnung durch Gesetze oder Verordnungen“ aufgrund einer „Ausnahmesituation“ stehe. Das Tatbestandsmerkmal „Ausnahmesituation“ sei zudem unbestimmt. Der Schutzzweck des Risikoausschlusses, unüberschaubare und unkalkulierbare Teilrisiken auszunehmen, werde dadurch überspannt. Das Abstellen auf die Kausalität ohne Berücksichtigung der Adäquanz führe dazu, dass der Umfang des Risikoausschlusses gänzlich unklar bleibe. Die in der Klausel Art 7.1.3 genannten Kriterien, die der Definition des Begriffs „Katastrophe“ dienen sollten, seien zu unbestimmt. Die Ausdrücke „sonstiges Ereignis“ und „außergewöhnliche Schädigung“ ließen für durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer völlig offen, was darunter zu verstehen sei. Der Ausschluss vom Versicherungsschutz umfasse überdies sämtliche Sachverhalte, die in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit einer Katastrophe stünden.
[4] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren, beantragte Klagsabweisung und wandte zusammengefasst ein, die gegenständlichen Risikoausschlüsse zielten darauf ab, keine Deckung für besonders schwer kalkulierbare, weil unüberschaubare Risiken zu gewähren. Es gebe keine einschlägigen dispositiven Regelungen. Die Tatbestandsmerkmale seien ausreichend präzise. Die Beklagte beantragte für den Fall der Klagsstattgebung eine Leistungsfrist von drei Monaten und erhob für den Fall der Klagsabweisung ein Gegenveröffentlichungsbegehren.
[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und wies den Gegenveröffentlichungsantrag der Beklagten ab. Die Klausel Art 7.1.2 erkläre dem Konsumenten nicht, welche behördlichen Anordnungen inhaltlich gemeint sein könnten. Auch werde der Zusammenhang mit einer behördlichen Anordnung nicht erläutert. Der Konsument werde daher in einer konkreten Lebenssituation, in der er möglicherweise Rechtsschutz benötige, im Unklaren darüber sein, ob Deckung vorliege. Die Klausel sei daher intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG. Bei der Klausel Art 7.1.3 könne sich auch der juristisch gebildete Leser kein Bild darüber machen, ob Zugunfälle, Autobusunfälle oder Massenkarambolagen unter den Begriff der Katastrophe fielen, wenn ja, ab welchem Ausmaß der dadurch hervorgerufenen Schäden dies der Fall sei. Auch diese Klausel bezwecke offenbar gerade diese Unklarheit. Sie sei ebenfalls intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG. Die Leistungsfrist sei entsprechend dem Antrag der Beklagten mit drei Monaten zu bemessen. Auch das Veröffentlichungsbegehren bestehe angesichts der Informationsinteressen der Öffentlichkeit zu Recht. Aufgrund des großen Personenkreises, an den sich Versicherungen richteten, sei die Veröffentlichung in einem österreichweit erscheinenden Printmedium geboten.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Die Klausel Art 7.1.2 genüge insgesamt nicht den Anforderungen des Transparenzgebots. Zwar werde ein durchschnittlicher, auch nicht rechtskundiger Verbraucher und Versicherungsnehmer ein Verständnis für den „Begriffskern“ haben, allerdings bleibe unklar, ob und welche darüber hinausgehenden Konstellationen vom Ausschluss umfasst seien. Zur Intransparenz trage schließlich auch die Verwendung des Begriffs „Ausnahmesituation“ bei, für welchen es an jeglicher Definition der „Regelsituation“ und der erforderlichen qualitativen und/oder quantitativen Abweichungen davon fehle. Auch die Klausel Art 7.1.3 sei intransparent. So sei der Begriff des nicht näher umschriebenen „Ereignisses“ unbestimmt.
[7] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Kläger begehrt die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben. Die Revision ist zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.
Für sämtliche Klauseln sind folgende Grundsätze im Verbandsprozess maßgeblich:
[9] 1.1 Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914). Ein Abweichen vom dispositiven Recht wird unter Umständen schon dann eine „gröbliche“ Benachteiligung des Vertragspartners sein können, wenn sich für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung ergibt. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht, wenn also keine sachlich berechtigte Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm des nachgiebigen Rechts vorliegt (RS0016914 [T3, T4, T6]). Die Beurteilung, ob eine Klausel den Vertragspartner gröblich benachteiligt, orientiert sich am dispositiven Recht, das als Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessensausgleichs für den Durchschnittsfall gilt (RS0014676 [T7, T13, T43]).
[10] 1.2 Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Das setzt die Verwendung von Begriffen voraus, deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig sind oder von ihm jedenfalls festgestellt werden können. Das können naturgemäß auch Fachbegriffe sein, nicht aber Begriffe, die so unbestimmt sind, dass sich ihr Inhalt jeder eindeutigen Festlegung entzieht. Der durch ihre Verwendung geschaffene weite Beurteilungszeitraum schließt es aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann (RS0115217 [T3]). Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit formaler Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ sind (RS0122169 [T2]). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die den Verbraucher – durch ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position – von der Durchsetzung seiner Rechte abhalten oder ihm unberechtigte Pflichten auferlegen. Daraus kann eine Pflicht zur Vollständigkeit folgen, wenn die Auswirkungen einer Klausel für den Kunden andernfalls unklar bleiben (RS0115219 [T1, T14, T21, T22]; RS0115217 [T8]; RS0121951 [T4]).
[11] 1.3 Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen. Auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klausel kann nicht Rücksicht genommen werden, weil eine geltungserhaltende Reduktion – wie auch im Individualprozess – im Verbandsprozess nicht möglich ist (RS0038205 [insb T20]).
[12] 2.1 Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in 7 Ob 169/22m zu einem sinngleichen Risikoausschluss (dort Art 7.1.4 ARB 2019) dahin Stellung genommen: Der unbestimmte, nicht näher definierte Begriff „Ausnahmesituation“ ist unklar und intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG. Im allgemeinen Sprachgebrauch bestehen keine klaren Kriterien, die eine zweifelsfreie Zuordnung jeder möglichen Situation entweder als Regelfall oder als Ausnahme ermöglichen. Der Begriff lässt zahlreiche Interpretationen zu, die von der bloß unüblichen Situation bis hin zum nicht beherrschbaren außerordentlichen Zufall im Sinn des § 1104 ABGB reichen. Da ein Verbraucher die Reichweite dieses Risikoausschlusses nicht verlässlich abschätzen kann, besteht die Gefahr, dass er allenfalls berechtigte Ansprüche nicht gegen den Rechtsschutzversicherer geltend macht.
[13] 2.2 In der Entscheidung 7 Ob 160/22p hat der Oberste Gerichtshof sich mit dem – mit Art 7.1.3 ARB 2020 nahezu identen – Risikoausschluss des Art 7.1.2 ARB 2018 befasst und die Klausel weder als intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG noch als gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB qualifiziert. Bereits der Begriff der Katastrophe hat eine im allgemeinen Sprachgebrauch verständliche Bedeutung. Er charakterisiert ein besonders schweres überindividuelles Schadensereignis, ohne nach dessen Ursachen zu differenzieren und erfährt weitere Konkretisierung durch einen Rückgriff auf (hier: landes-)gesetzliche Definitionen. Keine Deckung für besonders schwer kalkulierbare, weil unabsehbare Risiken zu gewähren, die sich im Gefolge einer Katastrophe verwirklichen, entspricht den Interessen der Versicherungsnehmer nach zuverlässiger Tarifkalkulation und schränkt ihre berechtigten Deckungserwartungen nicht ein.
[14] 3.1 Damit war der Revision teilweise Folge zu geben und die Entscheidungen hinsichtlich der Klausel Art 7.1.2 ARB 2020 zu bestätigen. Betreffend die Klausel Art 7.1.3 ARB 2020 waren die Entscheidungen jedoch im klagsabweisenden Sinn abzuändern.
[15] 3.2 Auf den im erstgerichtlichen Verfahren erhobenen Gegenveröffentlichungsantrag ist die Beklagte bereits in ihrer Berufung nicht zurückgekommen (RS0043338).
[16] 4. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des erstgerichtlichen Verfahrens gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO; jene hinsichtlich der Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf die §§ 50, 43 Abs 1 ZPO. Es war mit einer Kostenaufhebung vorzugehen.
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