OGH 7Ob183/13g

OGH7Ob183/13g16.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI H***** P*****, vertreten durch Dr. Karl Bergthaler, Rechtsanwalt in Altmünster, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Dr. Reinitzer Rechtsanwalts KG in Wien, wegen 5.710 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 4. Juni 2013, GZ 22 R 164/13v‑23, womit das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 8. März 2013, GZ 2 C 272/12x‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloss bei der Beklagten eine ÖAMTC‑Gepäck‑ und Stornoversicherung ab. Als versicherte Personen wurden der Kläger und dessen Ehegattin angeführt. Zum Deckungsumfang wurde auf das beigelegte Leistungsblatt ÖAMTC‑Gepäck‑ und Stornoschutz verwiesen und festgehalten, dass als Vertragsgrundlage die europäischen Reiseversicherungsbedingungen ÖAMTC 2009 (ERV‑RVB ÖAMTC 2009) gelten. Die für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Bestimmungen lauten wie folgt:

Art 14 Versicherungsfall:

1. Ein Versicherungsfall liegt vor, wenn die versicherte Person aus einem der folgenden Gründe die Reise nicht antreten kann oder abbrechen muss:

[...]

1.4 Bedeutender Sachschaden am Eigentum der versicherten Person an ihrem Wohnsitz infolge Elementarereignis (Hochwasser, Sturm usw) oder Straftat eines Dritten, der ihre Anwesenheit erforderlich macht; ...“

Der Kläger buchte am 28. 5. 2011 für sich und seine Ehegattin eine „Addis Abeba‑Gruppenreise“ mit Reisedatum 20. 11. bis 4. 12. 2011 zum Preis von insgesamt 5.710 EUR.

Der Kläger und seine Ehegattin haben ihren Wohnsitz im G*****. Sie fuhren bereits am 19. 11. 2011 mit dem PKW nach Wien, wo sie um ca 11:30 Uhr eintrafen und einen Baumarkt besuchten. Danach stellten sie fest, dass das Reisegepäck, in dem sich unter anderem ein mechanischer Notschlüssel für das Fahrzeug, die Fahrzeugpapiere sowie die Reisepässe befanden, fehlte. Einbruchspuren am Auto waren nicht ersichtlich. Eigentümer des PKWs war die Audi AG, auf die er auch zugelassen war. Dem Kläger war das Auto im Rahmen einer sogenannten Managementüberlassung zur Verfügung gestellt worden. Dafür bezahlte er eine monatliche Nutzungspauschale. Schäden am Fahrzeug wurden von der Eigentümerin getragen, sofern der Kläger nicht grob fahrlässig handelte. Weil das Auto „aufgebrochen“ und das Gepäck des Klägers und seiner Ehegatten gestohlen worden war, entschlossen sich die beiden, die Reise nicht anzutreten. Am 21. 11. 2011 gab der Kläger den Auftrag, die Schlösser des PKWs zu wechseln. Die Kosten hiefür trug die Eigentümerin.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 5.710 EUR sA. Die Reise habe wegen der Straftat eines Dritten, die die Anwesenheit des Klägers und seiner Ehegattin erfordert habe, abgebrochen werden müssen. Da der PKW durch Unterbrechung der Funkfrequenz der Fernbedienung aufgebrochen worden sei, habe ein neuer „elektronischer Schlüssel“ für das Fahrzeug besorgt werden müssen, was frühestens am Montag dem 21. 11. 2011, möglich gewesen sei. Art 14.1.4 zweiter Halbsatz der anzuwenden Versicherungsbedingungen normiere einen eigenständigen Versicherungsfall. Im Übrigen sei Art 14.1.4 dahin auszulegen, dass ein Sachschaden an einem Fahrzeug, das der versicherten Person auf Dauer überlassen sei, rechtlich einem „Eigentumssachverhalt“ gleichzuhalten sei.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung. Der strittige Stornofall sei nicht versichert. Die Straftat habe sich nicht am Wohnsitz des Klägers ereignet. Das Besorgen eines neuen „elektronischen Schlüssels“ für das Fahrzeug habe nicht die persönliche Anwesenheit des Klägers erfordert. Der PKW stehe nicht im Eigentum des Klägers, sodass auch kein bedeutender Sachschaden an dessen Eigentum vorliege.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Art 14.1.4 der Versicherungsbedingungen könne schon nach dem Wortlaut (unter Berücksichtigung der Regeln der deutschen Grammatik) nur so verstanden werden, dass ein Versicherungsfall vorliege, wenn ein bedeutender Sachschaden am Eigentum der versicherten Person an ihrem Wohnsitz infolge einer Straftat eines Dritten eintritt, der die Anwesenheit der versicherten Person erforderlich macht. Zweck der Regelung sei, es dem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, an seinem Wohnsitz zu bleiben, wenn aufgrund unvorhersehbarer und von ihm unbeeinflussbarer Ereignisse größere Schäden an seinem Eigentum am Wohnsitz eintreten, wie zum Beispiel Schäden am Dach durch Unwetter oder eine aufgebrochene Haustür. In solchen Fällen sei naturgemäß die Notwendigkeit gegeben, den Wohnsitz nicht zu verlassen und eine Reparatur zu veranlassen. Hier sei der „Schaden“ ‑ sofern man von einem solchen in Anbetracht dessen, dass am Fahrzeug keinerlei Einbruchspuren zu finden gewesen seien, überhaupt sprechen könne ‑ an dem vom Kläger benutzten Fahrzeug nicht an dessen Wohnsitz eingetreten, sodass schon aus diesem Grund kein Versicherungsfall im Sinn der Versicherungsbedingungen der Beklagten vorliege.

Das Berufungsgericht schloss sich dieser Rechtsansicht an und bestätigte das Urteil. Von einem verständigen Versicherungsnehmer könne die strittige Klausel jedenfalls nicht in dem vom Kläger gewünschten Sinn verstanden werden. Nach deren Wortlaut könne zunächst kein Zweifel daran bestehen, dass nicht die Straftat eines Dritten als solche einen unter Versicherungsschutz stehenden Grund für den Nichtantritt einer Reise bilde, zumal sich die Wortfolge „der ihre Anwesenheit erforderlich macht“ nicht auf die Straftat eines Dritten, sondern nur auf den Begriff „bedeutender Sachschaden“ beziehe. Ausgehend von den Regeln der Grammatik würden in der strittigen Bestimmung zwei Tatbestände aufgezählt, nämlich ein bedeutender Sachschaden am Eigentum der versicherten Person an ihrem Wohnsitz einerseits infolge eines Elementarereignisses (Hochwasser, Sturm etc) und andererseits infolge einer Straftat eines Dritten, wobei in beiden Fällen zusätzlich die Anwesenheit des Geschädigten zum Beispiel zur Schadensfeststellung, im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen oder zur (dringend) notwendigen Schadensbehebung erforderlich sein müsse. Hier sei kein Schaden am Wohnsitz des Klägers eingetreten. Weiters fehle es jedenfalls am Erfordernis eines bedeutenden „Eigentumsschadens“ des Klägers, weil dieser nur obligatorischer Nutzungsberechtigter des Fahrzeugs gewesen sei. Eine Auslegung der strittigen Klausel dahin, dass Versicherungsschutz auch für den Nichtantritt einer Reise aufgrund der Beschädigung einer Sache eines Dritten, zu deren Nutzung der Versicherungsnehmer nach einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Eigentümer der Sache berechtigt sei, bestehe, verbiete sich. Überdies handle es sich hinsichtlich des aus dem notwendigen Schlüsselwechsel resultierenden Schadens überhaupt nur um einen Vermögensschaden, den noch dazu der Kläger gar nicht zu tragen gehabt habe. Demnach bestehe keine Deckungspflicht der Beklagten für die dem Kläger entstandenen Stornokosten. Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Auslegung der strittigen Klausel keine oberstgerichtliche Judikatur bestehe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertragsauslegungsgrund-sätzen (§§ 914 ff ABGB) auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS‑Justiz RS0050063). Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen sind, wenn sie ‑ wie hier ‑ nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen. In allen Fällen ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0008901). Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen daher so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten im Sinn des § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der AGB, also des Versicherers gehen (RIS‑Justiz RS0050063).

Davon ausgehend ist die Auslegung des Art 14.1.4 der ERV‑RVB ÖAMTC 2009 durch die Vorinstanzen zu billigen. Der Revisionswerber vermag seine gegenteilige Ansicht nicht stichhältig zu begründen. Da er lediglich an seinem diesbezüglich bereits in erster und zweiter Instanz gebrauchten, schon von den Vorinstanzen verworfenen Argumenten festhält, genügt es, auf die zutreffenden Ausführungen zu verweisen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Sowohl nach dem Wortlaut als auch unter Bedachtnahme auf den ‑ schon von den Vorinstanzen richtig erläuterten ‑ Sinn und Zweck der betreffenden Versicherungsbedingungen liegt ein Versicherungsfall nur dann vor, wenn ein bedeutender Sachschaden am Eigentum der versicherten Person an ihrem Wohnsitz infolge einer Straftat eines Dritten eintritt, der die Anwesenheit der versicherten Person erforderlich macht.

Im vorliegenden Fall trat der Schaden nicht am Wohnsitz des Versicherungsnehmers ein. Bereits aus diesem Grund liegt kein Versicherungsfall nach Art 14.1.4 der AVB vor; die darüber hinausgehende Auslegung des Begriffs bedeutender Sachschaden am Eigentum der versicherten Person erübrigt sich.

Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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