Normen
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art8 Abs2 Z2
KFG §60
VersVG §6 Abs3
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art8 Abs2 Z2
KFG §60
VersVG §6 Abs3
Spruch:
Die Verweigerung der Blutabnahme bei Verdacht, daß sich der Lenker in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet, verwirklicht im allgemeinen den Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB
Der Versicherer hat die Verweigerung der Blutabnahme, der Versicherungsnehmer aber die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise dennoch vorhandene Leistungspflicht des Versicherers nachzuweisen. Der Vorsatz des Versicherungsnehmers kann nicht nur in den Fällen der Unzurechnungsfähigkeit oder eines schweren Unfallschocks ausgeschlossen sein, sondern auch unter anderen besonderen Verhältnissen
Art. 8 Abs. 2 AKHB enthält eine zulässige Ausnahme von der Regel des § 6 Abs. 3 VersVG, wonach bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung jedenfalls volle Leistungsfreiheit des Versicherers eintritt. Der Versicherungsnehmer kann hier beweisen, daß die Obliegenheitsverletzung auf die Leistung des Versicherers keinen Einfluß hatte
OGH 17. Oktober 1973, 7 Ob 179/73 (OLG Linz 5 R 56/73; KG Wels 6 Cg 178/72)
Text
Der Beklagte, der mit seinem Kraftfahrzeug bei der Klägerin gegen Haftpflicht versichert ist, verschuldete am 4. Mai 1969 einen Unfall, bei dem mehrere Personen verletzt wurden. Er wurde rechtskräftig der Übertretung der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 335 StG schuldig erkannt. Die Klägerin begehrt im Regreßweg die Bezahlung eines Betrages von 30.000 S weil der Beklagte den Unfall im alkoholisierten Zustand verschuldet und die Obliegenheit der Aufklärungsfrist durch Verweigerung der Blutabnahme verletzt habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - bis auf eine in Rechtskraft erwachsene Teilabweisung an Zinsen - statt und stellte fest, der nach dem Unfall von der Gendarmerie durchgeführte Alkotest sei positiv gewesen, weil sich das Teströhrchen über die 0.8 Promille Grenze verfärbt habe. Der Beklagie sei daraufhin dem diensthabenden Arzt des Krankenhauses Vöcklabruck zur klinischen Untersuchung vorgeführt worden. Der Arzt habe im Formular die Diagnose merkbare Alkoholisierung angeführt und als Ergebnis des klinischen Gutachtens bestätigt, daß der Beklagte sich im Zeitpunkte der Untersuchung in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe, der erfahrungsgemäß einem Alkoholgehalt im Blute von mindestens 0.8 Promille zur Deliktszeit entspreche, wobei eine bloße Übermüdung ausgeschlossen sei. Ferner sei festgestellt worden, daß ein Geruch nach Alkohol kaum vorhanden sei. Nach dem Vorliegen dieses Ergebnisses der klinischen Untersuchung wurde der Beklagte von dem begleitenden Gendarmeriebeamten gefragt, ob er mit einer Blutabnahme einverstanden sei. Der Beklagte lehnte eine solche ab und unterschrieb die Ablehnung der Blutentnahme auf dem Formblatt. Mit Bescheid der Verwaltungsbehörde wurde der Beklagte wegen Übertretung nach § 5 Abs. 6 StVO in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. c StVO rechtskräftig verurteilt.
Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes stellte die Verweigerung der Blutabnahme bei positivem Alkotest und positivem Ergebnis der klinischen Untersuchung eine Verletzung der Obliegenheit nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB, 1967 dar, nach Eintritt des Versicherungsfalles nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen. Die Klägerin sei daher im Umfang des Klagebegehreris leistungsfrei und das Klagebegehren berechtigt, zumal ihr Vorbringen, Entschädigungsbeträge von insgesamt mehr als 146.000 S erbracht zu haben, nach dem Unfallserfolg der schweren Verletzung von der Radfahrerinnen durchaus glaubhaft erscheine.
Das Berufungsgericht gab der vom Beklagten erhobenen Berufung Folge und hob den stattgebenden Teil des Ersturteils mit Rechtskraftvorbehalt auf. Es übernahm die Feststellung, daß der Beklagte die nach dem Unfall vom Erhebungsorgan des Gendarmeriepostens geforderte Blutabnahme abgelehnt habe, als unbedenklich und vertrat die Rechtsansicht, daß nach dem das Gericht bindenden Bescheid der Verwaltungsbehörde überdies der Verdacht, daß der Beklagte den Verkehrsunfall in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand begangen habe, begrundet war. Nach Art. 8 Abs. 2 AKHB - werde aber die Leistungsfreiheit des Versicherers bei Verletzung u. a. der Obliegenheit, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, auf den Betrag beschränkt, den der Versicherer auch bei gehöriger Erfüllung der Pflichten zu leisten gehabt hätte. Der Beklagte habe daher die Möglichkeit zu beweisen, daß er sich entweder überhaupt nicht in einem durch Alkohol beieinträchtigten Zustand befunden, oder daß er die Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe. Diese Fragen seien nicht erschöpfend erörtert. Eine verläßliche Feststellung über die Alkoholbeeinträchtigung des Beklagten könne erst dann getroffen werden, wenn ein medizinisches Sachverständigengutachten den Widerspruch zwischen dem Untersuchungsbefund und dem klinischen Gutachten geklärt habe und die tatsächlich genossenen Mengen des Alkohols feststunden. Ebenso sei es zur Feststellung, ob die Obliegenheitsverletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen wurde, notwendig, die damals anwesenden Personen ergänzend über die näheren Umstände der Ablehnung der Blutabnahme zu vernehmen. Schließlich sei auch die Höhe der Ersatzleistungen der Klägerin noch zu prüfen.
Der Oberste Gerichtshof gab den Rekurs der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, wird die von der Klägerin behauptete Verletzung der Obliegenheit nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB 1967 nicht dadurch gegenstandslos, daß das gegen den Beklagten ergangene Straferkenntnis keinen Hinweis auf eine Alkoholisierung im Sinne des Art. 6 Abs. 3 enthält. Denn der Umstand, daß das Straferkenntnis inhaltlich nicht genügt, um Leistungsfreiheit des Versicherers (schon) wegen Alkoholmißbrauches des Lenkers zu begrunden, kann geradezu die Folge davon sein daß dieser gegen die fragliche Obliegenheit verstoßen hat. Die Obliegenheitsverletzung bildet also einen selbständigen Befreiungsgrund (ZVR 11970/53). Unbekämpft geblieben ist weiters auch die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Verweigerung der Blutabnahme bei Verdacht, daß sich der Lenker in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet, den Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 2 Z. 2 AKHB im allgemeinen verwirklicht, weil der Grad der Trunkenheit für die Aufklärung des Sachverhaltes und die Entschließung des Versicherers, Deckung zu gewähren oder abzulehnen, von entscheidender Bedeutung ist. Schließlich treffen auch die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen über die Beweislastverteilung zu, daß nämlich der Versicherer die Verweigerung der Blutabnahme, der Versicherungsnehmer aber die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise dennoch vorhandene Leistungspflicht des Versicherers nachzuweisen hat (SZ 42/40, SZ 43/214 u. a.), Das Berufungsgericht war im weiteren der Ansicht, daß der Sachverhalt in mehreren Richtungen noch nicht genügend geklärt sei. Dem kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nur unter der Voraussetzung einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung entgegen treten (SZ 43/167 u. v. a.). Eine solche liegt jedoch nicht vor:
Die Rekurswerberin hält die aufgetragene Verfahrensergänzung zur Feststellung des Verschuldensgrades des Beklagten bei der Verweigerung der Blutabnahme für entbehrlich, weil eine solche Weigerung begrifflich nur mit Vorsatz möglich sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Es genügt zwar für den Vorsatz das allgemeine Bewußtsein, daß der Grad der Trunkenheit für die Aufklärung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, und eine solche Kenntnis der Verhaltensnormen ist bei jedem Kraftfahrer im allgemeinen vorauszusetzen (SZ 43/214). Dennoch kann der Vorsatz des Versicherungsnehmers ausnahmsweise nicht nur in den - hier allerdings nicht behaupteten - Fällen der Unzurechnungsfähigkeit oder eines schweren Unfallsschocks ausgeschlossen sein (ZVR 1969/93, ebenso 7 Ob 168/70), sondern auch unter anderen besonderen Verhältnissen. Denn Vorsatz (böse Absicht) setzt Wissen und Willen des Täters voraus (§ 1294 ABGB), also die bewußte und billigende Vorstellung des Erfolges der Tätigkeit. Diese Schuldform ist nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichtes im vorliegenden Fall durch die Behauptung des Beklagten in Frage gestellt, daß ihn der Arzt geradezu belehrt habe, die Blutabnahme sei infolge Widerlegung des Verdachtes der Alkoholisierung durch den klinischen Befund nicht erforderlich. Dem Auftrag des Berufungsgerichtes, diesen weiteren rechtserheblichen Umstand zu prüfen, liegt ein Rechtsirrtum nicht zugrunde, weil eine solche Belehrung das Bewußtsein, eine Obliegenheit erfüllen zu müssen, trotz guten Willens ausgeschlossen haben könnte. Bei bloß leichter Fahrlässigkeit träte die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit schon wegen § 6 Abs 3 VersvG und § 60 Abs 2 Z. 1 KFG 1967 keinesfalls ein.
Es trifft aber auch die weitere Meinung der Rekurswerberin nicht zu, daß nach Vorliegen des positiven Alkotests - den das Berufungsgericht übrigens nicht als unbedenklich festgestellt ansah - ein Gegenbeweis mangelnder Alkoholisierung nicht mehr zulässig sei, weil sein Ergebnis nur durch die vom Beklagten verweigerte Blutabnahme zu widerlegen gewesen wäre, so daß diese Weigerung jedenfalls die Sachverhaltsfeststellung hinsichtlich der Alkoholisierung beeinflußt habe. Nach der ausdrücklichen Einordnung in Art. 8 Abs. 2 AKHB 1967 gehört die Verpflichtung, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen, zu jenen Obliegenheiten, bei deren Verletzung sich die Leistungspflicht des Versicherers auf den Betrag beschränkt, den er auch bei gehöriger Erfüllung der Pflichten zu leisten gehabt hätte. Anders als in den im Sinne des § 6 Abs 3 VersvG (vgl. hiezu SZ 42/40) geregelten Fällen des Art 8 Abs. 1 AKHB und anders als nach § 7 Abs. 5 der deutschen AKH (vgl. hiezu Stiefel - Wussow, Kraftfahrversicherung[7], 291) bewirkt somit selbst die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers hier nicht schlechthin, sondern nur nach Maßgabe der nach dem wahren Sachverhalt des Versicherungsfalles (wäre er sogleich aufgeklärt worden) gegebenen Leistungspflicht.
Die Abweichung zugunsten des Versicherungsnehmers oder Mitversicherten mag ihren Grund in dem Unbehagen gefunden haben, daß das "alles oder nichts-Prinzip" im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung selbst bei geringfügigen vorsätzlichen Verletzungen der Aufklärungspflicht bis zum Existenzverlust des Versicherten führen konnte, was für die unbefriedigenden Ausnahmsfalle in der Bundesrepublik Deutschland im Wege einer - in Österreich nicht gangbaren (vgl. SZ 40/154) - rechtsschöpferischen Tätigkeit der Gerichte überwunden wurde (Stiefel - Wussow, Kraftfahrversicherung[7], 301, Bauer VersR 1972, 15, Prölss - Martin[10], 811). Es ist allerdings nicht leicht zu erkennen, warum durch die Neuregelung in den österreichischen AKHB auch jener Fahrer begünstigt werden soll, der die Feststellung seiner Alkoholisierung bewußt hintertrieben hat (vgl. Prölss 811), selbst wenn die ihn treffende Beweislast in allen Zweifelsfällen seine nachträgliche Entschuldigung verhindern wird. Jedenfalls konnte aber die gegenüber dem § 6 Abs. 3 VersVG doch eindeutig mildere Bestimmung in den AKHB wirksam festgesetzt werden, weil § 60 Abs. 2 Z. 1 KFG 1967 Abweichungen von den Bestimmungen des VersVG 1958 nur zum Nachteil des Versicherten und geschädigter Dritter ausschließt (vgl. auch § 15a VersVG). Die Entscheidungen ZVR 1963/273, ZVR 1973/114 und 7 Ob 249/72 betrafen Fälle auf anderer Rechtsgrundlage, nämlich jener der alten AKB der AHVB und der AKIB, die die Rechtsfolgen in Übereinstimmung mit § 6 Abs. 3 VersvG regeln.
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der Beklagte ungeachtet der Verweigerung der Blutabnahme auch das Fehlen eines durch Alkohol beeinträchtigten Zustandes im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO 1960 und des Art. 6 Abs. 2 lit. c AKHB nachweisen könne (und wegen der ihn treffenden Beweislast voll beweisen müsse), um die Leistungsfreiheit des Versicherers auszuschließen, entspricht somit ebenfalls dem Gesetz. Im einzelnen kann auf die Notwendigkeit der aufgetragenen Verfahrensergänzungen nicht eingegangen werden (SZ 43/167 wie oben) zumal die Bedenken des Berufungsgerichtes gegen die erstrichterliche Beweiswürdigung (vgl. hiezu RZ 1973/144) die Aufhebungsgrunde nur am Rande berühren.
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