Spruch:
Ein Vergleich ist seinem Wesen nach entgeltlich, er bedarf daher zu seiner Gültigkeit keiner besonderen Form.
Entscheidung vom 15. Oktober 1969, 7 Ob 177/69.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Die am 6. Dezember 1965 verstorbene Mutter der Streitteile unterfertigte am 12. Mai 1941 für den Beklagten als Käufer einen Kaufvertrag, laut welchem die Liegenschaft EZ. 115 KG. VI J. in Graz zum Preis von RM 85.000 erworben und in der Folge der Beklagte als bücherlicher Eigentümer eingetragen wurde, obwohl dieser tatsächlich nichts zum Erwerb der Liegenschaft aufgewendet hatte.
Am 2. Februar 1955 unterfertigte der Beklagte als "nomineller Besitzer" der angeführten Liegenschaft eine Erklärung, nach deren Inhalt die Liegenschaft nach dem Ableben der Mutter der Streitteile beiden Parteien je zur Hälfte "gehört".
Unter Berufung auf diese Erklärung, die vom Kläger angenommen und womit zwischen den Streitteilen eine neue Vereinbarung getroffen worden sei, begehrte der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Einwilligung in die Einverleibung des Hälfteeigentums des Klägers ob der genannten Liegenschaft. Sein nicht immer gleichlautendes Vorbringen darüber, wie es zur Vereinbarung vom 2. Februar 1955 kam, präzisierte der Kläger schließlich dahin, daß er und nicht der Beklagte auf Grund einer mit seiner Mutter getroffenen Vereinbarung aus seinen und seiner Mutter Ersparnissen eine Liegenschaft hätte bekommen sollen, daß die Einverleibung des Beklagten als Eigentümer der gegenständlichen Liegenschaft nur zum Schein erfolgt sei und daß der Beklagte in Kenntnis dieses Sachverhaltes im Februar 1955 mit dem Kläger die Herausgabe der Hälfte dieser Liegenschaft nach dem Tod der Mutter vereinbart habe, worin einerseits eine Anerkennung der zwischen dem Kläger und der Mutter der Streitteile getroffenen Vereinbarung durch den Beklagten, andererseits eine Abänderung dieser Vereinbarung - Verpflichtung zur Herausgabe bloß der Hälfte der Liegenschaft - gelegen sei.
Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und brachte vor, die Liegenschaft nicht zum Schein, sondern zur finanziellen Gleichstellung mit seinen Brüdern erhalten, seiner Mutter das lebenslängliche Fruchtgenuß- und Wirtschaftsführungsrecht an der Liegenschaft eingeräumt und auch die im Fruchtgenuß enthaltene Auflage der Bezahlung von Geldbeträgen an seine Brüder nach dem Ableben der Mutter erfüllt zu haben. Die Erklärung vom 2. Februar 1955 habe der Beklagte in einer Zwangslage unterschrieben, weil ihre Unterfertigung zur Bedingung der Auszahlung eines vom Beklagten dringend benötigten Darlehens gemacht worden sei, ferner sei die vom Kläger behauptete erste Vereinbarung unbestimmt, die Vereinbarung laut Erklärung vom 2. Februar 1955 mangels Notariatsaktes ungültig.
Schließlich habe der Beklagte auf die Liegenschaft zahlreiche Aufwendungen gemacht, die er compensando einwende, und die nur zu einer Verpflichtung zur Herausgabe gegen Refundierung seines Aufwandes führen könnten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen wesentlichen Feststellungen drängten die Brüder des Beklagten, auf eine angebliche Verfügung der gemeinsamen Mutter pochend, vor 1955 jahrelang auf die Regelung der Besitzverhältnisse an der gegenständlichen Liegenschaft. Anläßlich einer Zusammenkunft der Streitteile und ihres Bruders Karl B. am 2. Februar 1955 unterfertigte der Beklagte die von Karl B. verfaßte Erklärung Beilage C und äußerte in diesem Zusammenhang seine Genugtuung darüber, daß er nur die halbe Liegenschaft herauszugeben habe. Die Unterfertigung dieser Erklärung stand in keinem Zusammenhang mit der Erlangung eines Darlehens, welches der Beklagte erst wesentlich später (teilweise im Mai und teilweise im Herbst 1966) und überdies von Karl B. erhielt.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß der Kläger die Erklärung vom 2. Februar 1955 nicht als selbständigen Verpflichtungsgrund herangezogen habe. Es brachte hinsichtlich des somit zu untersuchenden Grundgeschäftes dem Sinne nach zum Ausdruck, daß angesichts der unterschiedlichen Beweisergebnisse nicht eindeutig zu klären sei, um welches Grundgeschäft es sich gehandelt habe, der Kläger sich daher in Ansehung der Vereinbarung vom 2. Februar 1955 auf keinen gültigen Erwerbstitel berufen könne, zumal eine Schenkung ohne Übergabe bzw. ein Übergabsvertrag auf den Todesfall eines Notariatsaktes bedürfe.
Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Ersturteil infolge Berufung des Klägers unter Rechtskraftvorbehalt auf.
Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, daß der Kläger sein Begehren eindeutig auf die Vereinbarung laut Erklärung vom 2. Februar 1955 gestützt und mit dem Hinweis auf ein "Anerkenntnis" nur zum Ausdruck gebracht habe, daß die damalige Verpflichtung des Beklagten in Anerkennung bzw. Beachtung einer zwischen dem Kläger und der gemeinsamen Mutter erfolgten Vereinbarung geschehen sei; es sei daher zu untersuchen, ob die Erklärung vom 2. Februar 1955 eine wirksame, das Klagebegehren rechtfertigende Verpflichtung des Beklagten enthalte.
Diesbezüglich übernahm das Berufungsgericht zunächst die Feststellung des Erstgerichtes als unbedenklich, daß die Erklärung vom 2. Februar 1955 ohne Zwang und ohne Beziehung auf ein Darlehen abgegeben wurde. Es beurteilte die darin enthaltene Verpflichtung als Schenkung, bezeichnete diese auf Grund einer Reihe zusätzlicher tatsächlicher Feststellungen als Erfüllung einer moralischen Verpflichtung bzw. einer Anstandspflicht und sah daher die vom Beklagten eingegangene Verpflichtung auch ohne Vorliegen eines Notariatsaktes als verbindlich an.
Mit Rücksicht auf das Vorbringen des Beklagten hinsichtlich des für die Liegenschaft gemachten Aufwandes, das inhaltlich die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechtes gemäß § 471 ABGB. darstelle, erachtete das Berufungsgericht die Rechtssache als noch nicht spruchreif, weil zu dieser Frage in erster Instanz keine Erörterung stattgefunden hatte und keine Feststellungen getroffen worden waren.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Entgegen den Rekursausführungen führte der Kläger zur Stützung seines Begehrens schon von Anfang an die der Erklärung vom 2. Februar 1955 zugrundeliegende Vereinbarung als rechtserzeugende Tatsache an. Eine rechtliche Qualifikation dieser Vereinbarung brauchte er nicht vorzunehmen (Fasching III S. 36 u. a.). Sein Vorbringen über die näheren Umstände bzw. die Vorgeschichte der Vereinbarung mag zunächst nicht gleichlautend gewesen sein. Mit der Präzisierung des diesbezüglichen Vorbringens brachte der Kläger jedoch eindeutig zum Ausdruck, daß er auf Grund einer mit seiner Mutter abgeschlossenen Vereinbarung an sich Anspruch auf Übertragung der gesamten Liegenschaft - unklar allerdings, ob direkt gegen den Beklagten oder auf dem Weg über die Mutter - hätte erheben können, und daß die "neue", zwischen den Streitteilen erstmalige Vereinbarung zwar auf Grundlage der erwähnten Vereinbarung mit der Mutter der Streitteile, jedoch in Abänderung ihres Inhaltes erfolgt sei. Mit diesem präzisierten Vorbringen wurde der Abschluß eines Vergleiches im Sinn des § 1380 ABGB. behauptet, wobei die dem Kläger obliegende Unterlassung in seinem Verzicht auf eine etwaige Beanspruchung der anderen Liegenschaftshälfte (sowie eine Geltendmachung zu Lebzeiten der Mutter) zu erblicken ist. Die Rekursbehauptung, daß der Kläger der Vereinbarung vom 2. Februar 1955 nur rechtsbezeugenden Charakter beigemessen habe, stimmt demnach mit der Aktenlage nicht überein.
Aus dem wiedergegebenen, allerdings ziemlich kursorischen Feststellungen des Erstgerichtes - aus dem Akteninhalt hätte sich die Möglichkeit zahlreicher weiterer, die rechtliche Beurteilung untermauernder Feststellungen ergeben - kann auch genügend verläßlich abgeleitet werden, daß die am 2. Februar 1955 zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung rechtlich als Vergleich im Sinn des § 1380 ABGB. zu qualifizieren ist. Der Kläger hatte ja festgestelltermaßen (mit Unterstützung des Bruders Karl B.) unter Hinweis auf die Zusage der gemeinsamen Mutter vom Beklagten jahrelang eine Regelung der Besitzverhältnisse verlangt, also das behauptete Recht auf die Liegenschaftsübertragung gegenüber dem Beklagten geltend gemacht. Der Beklagte äußerte nach Abschluß der Vereinbarung und Unterfertigung der Erklärung vom 2. Februar 1955 festgestelltermaßen seine Genugtuung darüber, daß er nur die halbe Liegenschaft herauszugeben brauche, also über den durch die Vereinbarung erzielten Teilerfolg. Gegenstand der Vereinbarung vom 2. Februar 1955 war somit das strittige Recht des Klägers auf Liegenschaftsübertragung, welches durch beiderseitiges Nachgeben neu fixiert wurde. Eine derartige Vereinbarung stellt rechtlich einen außergerichtlichen Vergleich dar (Wolff in Klang[2] VI S. 275, Ehrenzweig I/1 § 148 S. 354).
Ein Vergleich ist seinem Wesen nach entgeltlich, er bedarf daher zu seiner Gültigkeit keiner besonderen Form (ebenso Wolff und Ehrenzweig a. a. O., vgl. auch SZ. XXXIX 73 u. a.). Infolge seiner Bereinigungswirkung ist eine Untersuchung des Rechtscharakters des vor Vergleichsabschluß geltend gemachten Anspruches nicht erforderlich (Wolff a. a. O. S. 276, JBl. 1955 S. 500 u. a.). Schließlich ist die vom Beklagten im Februar 1955 übernommene Verpflichtung, nach dem Tod der gemeinsamen Mutter die Hälfte der gegenständlichen Liegenschaft auf den Kläger zu übertragen, auch genügend bestimmt, wenngleich über die mit der Übertragung verbundenen Gebühren und Kosten keine Regelung getroffen wurde (RiZ. 1968 S. 53 u. a.).
Angesichts der dargestellten Rechtslage war weder auf allfällige Divergenzen des ursprünglichen Klagsvorbringens über das Grundgeschäft, noch auf das Grundgeschäft selbst oder auf die Frage einzugehen, unter welchen Voraussetzungen eine Schenkung keines Notariatsaktes bedarf.
Die Rekursausführungen unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens betreffen ausschließlich Feststellungen, welche im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage unwesentlich sind, überdies greifen diese Ausführungen zum größten Teil ebenso wie die Ausführungen zur "unrichtigen Tatsachenfeststellung" in unzulässiger Weise die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung an.
Aus allen diesen Erwägungen ist dem Berufungsgericht beizutreten, daß die Rechtssache ohne den die Aufwendungen auf die Liegenschaft betreffenden Einwand des Beklagten im Sinne des Klagebegehrens spruchreif wäre. Dieser Einwand wurde vom Berufungsgericht zutreffend als Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechtes im Sinn der Bestimmung des § 471 ABGB. gewertet. Da dieser Einwand in erster Instanz unerörtert blieb, war der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes gerechtfertigt.
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