European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00170.16Z.0928.000
Spruch:
I. Der Schriftsatz der beklagten Partei vom 22. Juli 2016 und die Rekursbeantwortung werden zurückgewiesen.
II. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung
Nachdem die beklagte GmbH gegen den bedingten Zahlungsbefehl Einspruch erhoben hatte, erschien für sie trotz Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung am 10. 12. 2015 niemand. Daraufhin erließ das Erstgericht über Antrag der Klägerin ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil. Dieses wurde der Beklagten – von einer Arbeitnehmerin übernommen – am 18. 12. 2015 zugestellt.
Das Berufungsgericht wies die am 18. 1. 2016 eingebrachte Berufung der Beklagten ebenso als verspätet zurück wie ihren Antrag vom 13. 5. 2016 auf Einvernahme einer bestimmten Auskunftsperson. Die von der Beklagten erst nach Vernehmung des Zustellers und ihres Geschäftsführers beantragte Einvernahme einer weiteren Person würde eine weitere Tagsatzung erforderlich machen. Sie hätte diesen Antrag bereits zwei Monate zuvor (anlässlich der ihr eingeräumten Möglichkeit eines Äußerungsschriftsatzes zu den Erhebungsergebnissen betreffend die Rechtzeitigkeit der Berufung) stellen können, sodass dieser Antrag analog § 179 ZPO als verspätet zurückzuweisen sei. Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, der Zustellschein weise den vorgesehenen Rundstempel des Aufgabepostamts auf. Ein Poststempel des Zustellpostamts sei kein notwendiger Inhalt des Zustellvorgangs. Die Zustellung des Versäumungsurteils sei am 18. 12. 2015 erfolgt; der Gegenbeweis (für die behauptete Zustellung am 28. 12. 2015) sei der Beklagten misslungen. Da die Fristenhemmung des § 222 Abs 1 ZPO auf den Ablauf der Berufungsfrist gegen Versäumungsurteile keinen Einfluss habe (Abs 2 leg cit), habe die Berufungsfrist bereits am 15. 1. 2016 geendet. Daher sei die verspätete Berufung zurückzuweisen.
Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
I.1. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Weitere Rechtsmittelschriften, Nachträge oder Ergänzungen sind selbst dann unzulässig, wenn sie innerhalb der gesetzlichen Frist eingebracht werden (RIS‑Justiz RS0041666; vgl RS0036673). Der Schriftsatz der Beklagten vom 22. 7. 2016, mit dem sie einen Schreibfehler im Rekurs korrigierte und diesen neuerlich einbrachte, ist daher zurückzuweisen.
I.2. Der Rekurs wurde der Klägerin gemäß § 89d Abs 2 GOG am 26. 7. 2016 zugestellt. Sie kann als Rekursgegnerin binnen der Notfrist von 14 Tagen ab der Zustellung beim Prozessgericht erster Instanz eine Rekursbeantwortung einbringen (§ 521a Abs 1 Satz 2 ZPO). Selbst wenn entgegen der Intention des Gesetzgebers, der mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 keine Änderung der Rechtslage beabsichtigte (ErläutRV 981 BlgNR XXIV. GP , 85), jedoch in § 222 Abs 2 Satz 1 ZPO nur von Notfristen im Berufungs‑ und Revisionsverfahren gegen Versäumungsurteile spricht (gegen eine Fristenhemmung im Rekursverfahren gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem die Berufung gegen ein Versäumungsurteil aus formellen Gründen zurückgewiesen wird, Annerl in Fasching/Konecny 3 II/3 § 222 ZPO Rz 11), die 14‑tägige Notfrist entsprechend § 222 Abs 1 ZPO gehemmt wäre, wäre der letzte Tag der Frist für die Rekursbeantwortung der 31. 8. 2016 gewesen. Die von der Klägerin erst am 1. 9. 2016 im elektronischen Rechtsverkehr eingebrachte Rekursbeantwortung ist jedenfalls verspätet und daher zurückzuweisen.
II.1. Gegen den Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückweist, kann gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstands und das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhoben werden (RIS‑Justiz RS0042770 [T4, T7]; RS0043861 [T1]; RS0043882 [T1]; RS0043886 [T1, T4]; RS0043893 [T1, T7]; RS0098745 [T3, T16, T17]). Das Rechtsmittel der Beklagten ist daher zulässig. Es ist jedoch nicht berechtigt.
II.2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, weil die erst nach Einvernahme des Zustellers und des Geschäftsführers der Beklagten beantragte Auskunftsperson, die ihm das Versäumungsurteil am 28. 12. 2015 sogleich nach dessen „Einlangen“ überreicht habe, nicht einvernommen worden sei, liegt nicht vor. Ein dem Berufungsgericht unterlaufener Verfahrensverstoß bildet nur dann einen Verfahrensmangel, wenn er abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0043027; RS0043049). Diese Behauptung hat der Rechtsmittelwerber aufzustellen (RIS‑Justiz RS0043027 [T1, T10]).
Die Beklagte, die an der Zustelladresse ein Wettlokal betreibt, gab nicht bekannt, wer am 18. 12. 2015 zum Schalterdienst eingeteilt war. Zu den Aufgaben der Mitarbeiterinnen am Schalter zählte unstrittig die Entgegennahme der Post. Sie behauptete auch nicht, dass die beantragte Auskunftsperson bei der Zustellung anwesend war oder das Versäumungsurteil selbst entgegennahm. Deren Name weicht deutlich vom Namenszug der Arbeitnehmerin auf dem Rückschein über die Zustellung des Versäumungsurteils ab. Unabhängig davon, ob – trotzdem die Zustellvorschriften zwingendes Recht sind und ihre Einhaltung vom Gericht von Amts wegen zu überprüfen ist (vgl § 87 Abs 1 ZPO; RIS‑Justiz RS0036440) – eine analoge Heranziehung des § 179 ZPO überhaupt in Betracht käme, ist die unterlassene Einvernahme der Auskunftsperson daher abstrakt nicht geeignet, Aufschluss über den konkreten Zustellvorgang zu geben.
II.3. Der Oberste Gerichtshof ist – sofern (wie hier) im Rekursverfahren keine Bescheinigungsmittel angeboten und aufgenommen werden (RIS‑Justiz RS0036430 [T3]) – nicht „Tatsacheninstanz“, weil die Rekursgründe nicht weiter als die in § 503 ZPO geregelten Revisionsgründe gehen können (1 Ob 636/95 mwN; vgl RIS‑Justiz RS0044032; 2 Ob 66/04a; 1 Ob 49/07y). Die beweiswürdigenden Überlegungen des Berufungsgerichts, die im Rekurs bekämpft werden, sind ein vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbarer Akt der Beweiswürdigung. Für die Zustellung am 18. 12. 2015 spricht überdies neben der Aussage des Zustellers ganz eindeutig der zeitliche Ablauf der Zustellung (Abfertigung des Versäumungsurteils durch das Erstgericht am 16. 12. 2015, Poststempel des Aufgabepostamts vom 17. 12. 2015 und Übernahmebestätigung der Arbeitnehmerin vom 18. 12. 2015).
II.4. Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. Der Rückschein über die Zustellung des Versäumungsurteils an die Beklagte weist die Paraphe des Zustellers (und den Rundstempel des Aufgabepostamts) auf. Dass nicht zusätzlich der Poststempel der Zustellbasis angebracht ist, ist – entgegen der Ansicht der Beklagten – für den Beurkundungsvorgang nicht essentiell (Stumvoll in Fasching/Konecny 2 ErgBd § 22 ZustG Rz 6). Darauf kommt es aber ohnehin nicht an, weil das Übernahmsdatum bescheinigt ist.
II.5. Die Zustellung wurde in Form der Ersatzzustellung vorgenommen. Voraussetzung ist dafür, dass die Sendung dem Empfänger nicht zugestellt werden kann, an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend ist und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder sein Vertreter regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (§ 16 Abs 1 ZustG). Nach § 16 Abs 2 ZustG kann Ersatzempfänger auch der Arbeitnehmer des Empfängers sein. Da bescheinigt ist, dass die Zustellung am 18. 12. 2015 ordnungsgemäß an eine Arbeitnehmerin der Beklagten erfolgte, ist die am 18. 1. 2016 eingebrachte Berufung gemäß § 464 Abs 1 iVm § 222 Abs 2 Satz 1 ZPO verspätet. Die vierwöchige Berufungsfrist war nicht gehemmt und endete bereits am 15. 1. 2016. Das Berufungsgericht hat daher zutreffend die Berufung zurückgewiesen.
II.6. Die angebliche Unrichtigkeit der berufungsgerichtlichen Kostenentscheidung kann in dritter Instanz grundsätzlich nicht geltend gemacht werden (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO). Auch Rekurse gegen Kostenentscheidungen, die das Berufungsgericht funktionell als erste Instanz gefällt hat, sind ausnahmslos unzulässig (RIS‑Justiz RS0110033). § 528 Abs 2 Z 3 ZPO wird vom Obersten Gerichtshof seit jeher ausdehnend ausgelegt. Der darin normierte Rechtsmittelausschluss ist daher nach ständiger Rechtsprechung auf alle Fälle anzuwenden, in denen in irgendeiner Form – materiell oder formell – über Kosten abgesprochen wird (RIS‑Justiz RS0007695 [T2]; RS0044233; 10 Ob 22/05s mwN).
II.7. Dem Rekurs der Beklagten ist aus den dargelegten Gründen ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO.
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