OGH 7Ob165/15p

OGH7Ob165/15p16.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** H*****, vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Rudolf Deitzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 7.457,61 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 7. Juli 2015, GZ 2 R 171/15k‑29, womit das Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom 30. April 2015, GZ 33 C 1/15v‑23, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass ‑ unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung von 828,39 EUR ‑ das Urteil des Erstgerichts in der Hauptsache wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.679,90 EUR (darin enthalten 616,63 EUR an USt und 980 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Krankenzusatzversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten‑ und Krankenhaus‑Tagegeldversicherung, Fassung 1999, (in Folge: AVB), und die Zusatzklausel „*****“ zugrunde. Die AVB lauten auszugweise:

1. Gegenstand und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes

1.1a Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung des Versicherten wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung, er endet, wenn nach medizinischem Befund die Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht mehr besteht. Muss die Heilbehandlung auf eine Krankheit oder Unfallfolgen ausgedehnt werden, die mit der (den) bisher behandelten nicht ursächlich zusammenhängen, so entsteht insoweit ein neuer Versicherungsfall.

...

2. Einschränkung des Versicherungsschutzes

2.1 Kein Versicherungsschutz besteht für

...

2.1b kosmetische Behandlungen und Operationen und deren Folgen, soweit diese Maßnahmen nicht der Beseitigung von Unfallfolgen dienen

[…].

Die Klägerin litt seit Jahren an massiven Rückenproblemen. Sie hatte sich bereits einer Vielzahl von Therapien und Behandlungen unterzogen, welche erfolglos waren. Aus diesem Grund wurde ihr von zwei Ärzten eine Brustverkleinerung empfohlen. Diese wurde letztlich aufgrund einer ärztlichen Überweisung einer weiteren Ärztin am 23. 10. 2013 durchgeführt. Der Operateur bestätigte mit Schreiben vom 21. 10. 2013 (zur Vorlage beim Versicherer), eine Mammareduktion (Brustverkleinerung) sei medizinisch indiziert und es sei ein voraussichtliches Resektionsgewicht von 500 g pro Seite zu erwarten. Die Operation sei als Heilbehandlung einzustufen, es handle sich um keine kosmetische Korrektur.

Bei der Klägerin war nach langjähriger frustranter konservativer Therapie ihrer Rückenbeschwerden und des durch eine Mammahypertrophie mit Körbchen D‑E gegebenen Beschwerdebildes eine Brustverkleinerungs‑ operation (Mammareduktionsplastik) indiziert. Aus orthopädischer Sicht bestand bei der Klägerin eine begründete Indikation und Aussicht auf Verbesserung des Beschwerdebildes. Durch den Eingriff wurden letztlich von der rechten Mamma nur 184 g und von der linken Mamma nur 165 g entfernt. Aufgrund dieses Reduktionsgewichts ist langfristig nicht mit der Besserung des Beschwerdebildes zu rechnen. Für die Klägerin veränderte sich optisch durch die Operation an den Brüsten nichts. Subjektiv kam es zu einer 70%igen Besserung der Nacken‑ und Rückenschmerzen, die Beschwerden sind aber nicht ganz weg, sodass die Klägerin nach wie vor Physiotherapien und Massagen in Anspruch nimmt. Über das konkrete Reduktionsgewicht wurde zwischen der Klägerin und dem Operateur nicht gesprochen, sie hatte darauf auch keinen Einfluss.

Mit Schreiben vom 17. 1. 2014 teilte die Beklagte mit, dass eine Leistung aus dem gegenständlichen Versicherungsvertrag an die Klägerin nicht erfolgen werde, da angesichts des Resektionsgewichts, welches weit unter 500 g pro Seite liege, von einer kosmetischen Maßnahme ausgegangen werde.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 7.457,61 EUR sA für eine medizinisch indizierte Brustverkleinerung, nachdem vorbeugende operations‑ verhindernde Maßnahmen gescheitert gewesen seien. Die Beurteilung der Leistungspflicht bei einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung habe ex ante zu erfolgen und sei vom Erfolg der Operation unabhängig.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung. Von ihr seien ausschließlich Kosten einer medizinisch notwendigen stationären Heilbehandlung zu tragen. Eine Brustverkleinerung sei nur dann medizinisch indiziert, wenn ein Resektionsgewicht von 500 g je Brust gegeben sei, also bei einer bestehenden Körbchengröße D aufwärts und einem BMI von maximal 25 bis 26. Tatsächlich seien der Klägerin rechts nur 184 g und links nur 165 g Brustgewebe entnommen worden, weshalb der Eingriff nicht medizinisch indiziert gewesen sei; es habe sich vielmehr um eine vom Versicherungsschutz nicht umfasste kosmetische Operation gehandelt.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 6.629,22 EUR. Das Mehrbegehren von 828,39 EUR wies es ab. Im Übrigen verhielt es die Beklagte zur Zahlung der Prozesskosten in Höhe von 2.517,60 EUR an die Klägerin. Die bei der Klägerin durchgeführte Brustverkleinerung sei zum Zeitpunkt der Behandlung medizinisch notwendig und somit auch vom Deckungsumfang der gegenständlichen Krankenversicherung umfasst gewesen. Ausschlaggebend sei nicht der Erfolg der Behandlung, sondern ob nach objektiven Kriterien zum Zeitpunkt der Behandlung eine medizinische Indikation für die Heilbehandlung vorgelegen habe. Grundsätzlich habe die Beklagte für die Heilbehandlung der Klägerin aufzukommen, allerdings nur im Umfang des zugesprochenen Betrags. Die Kostenentscheidung gründete es auf die Bestimmung des § 43 Abs 2 erster Fall ZPO. Die Klägerin sei nur mit einem verhältnismäßig geringfügigen Teil des Anspruchs, dessen Geltendmachung überdies besondere Kosten nicht veranlasst habe, unterlegen. Sie habe daher Anspruch auf Ersatz der Vertretungskosten auf der Basis des ersiegten Betrags von 6.629,22 EUR, sohin 2.324,31 EUR. Dies gelte auch für die Pauschalgebühr, weshalb der diesbezügliche Ersatzanspruch 299 EUR betrage. Die Sachverständigenkosten, welche ausschließlich von der Beklagten getragen worden seien, seien von der Klägerin entsprechend dem Umfang des Obsiegens der Beklagten (11 %), und somit im Betrag von 105,71 EUR zu tragen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen den klagsstattgebenden Teil des Urteils Folge und wies das Klagebegehren auch im Umfang von 6.629,29 EUR ab. Dass eine Mammareduktionsplastik, bei welcher mindestens 500 g pro Mamma entfernt würden, grundsätzlich geeignet gewesen wäre, das bei der Klägerin bestehende Beschwerdebild auf Dauer zu verbessern, sei unstrittig. Allerdings sei bei der Klägerin nicht die laut Schreiben vom 21. 10. 2013 in Aussicht genommene Mammareduktion im vorangeführten Umfang vorgenommen, sondern am 23. 10. 2013 ein geringerer ‑ laut Sachverständigengutachten plastisch‑chirurgischer ‑ Eingriff durchgeführt worden, bei dem von der rechten Mamma 184 g und von der linken Mamma 165 g Brustgewebe entfernt worden sei. Aufgrund dieses geringen Reduktionsgewichts sei nicht mit einer Besserung des Beschwerdebildes der Klägerin zu rechnen. Es habe sich daher beim konkret durchgeführten Eingriff um keine medizinisch indizierte Behandlung gehandelt. Da die abändernde Entscheidung in der Hauptsache auch eine neue Kostenentscheidung bedinge, werde die Klägerin mit ihrem Kostenrekurs auf diese Entscheidung verwiesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil soweit überblickbar, höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs der medizinischen Notwendigkeit in § 178b VersVG fehle.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. In § 178b Abs 1 und 2 VersVG, an dem sich die AVB orientieren, ist sowohl für die Krankheitskostenversicherung als auch für die Krankenhaus‑Tagegeldversicherung die Deckungspflicht an die „medizinische Notwendigkeit“ der Heilbehandlung oder des stationären Aufenthalts gebunden.

2. Nach Lehre und Rechtsprechung zur vergleichbaren deutschen Rechts ‑ (§ 178b VVG aF, § 192 VVG 2007) ‑ und Bedingungslage (MB/KK) ist eine Behandlungsmaßnahme medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen (7 Ob 52/13t; Kalls in Münchener Kommentar, § 192 VVG, Rn 18; Voit in Prölls/Martin 29 , § 192 VVG Rn 61 je mwN). Die medizinische Notwendigkeit ist also nach objektiven Kriterien zu beurteilen ( Kalls aaO, Voit aaO). Medizinisch notwendig ist eine konkret durchgeführte Maßnahme oder Leistung dann, wenn sie erforderlich war, um eine Krankheit zu erkennen oder zu behandeln. Es genügt nicht, wenn die Maßnahme lediglich sinnvoll oder nützlich ist oder wenn sie für den Patienten nur bequemer oder praktikabler als andere gleichermaßen geeignete Behandlungsformen ist ( Boetius , Notwendige Heilbehandlung und Bedingungsanpassung in der privaten Krankenversicherung, VersR 2008, 1431 [1433]). Aber nicht nur die Heilung einer Erkrankung, auch die Linderung der Krankheit kann eine medizinisch notwendige Heilbehandlung sein (BGH NJW 1987, 703). Dabei ist die medizinische Notwendigkeit strikt ex ante zu beurteilen. Die medizinische Notwendigkeit kann nicht deswegen verneint werden, weil sich im Nachhinein betrachtet, etwa wegen des nicht eingetretenen Behandlungserfolgs, andere Maßnahmen als besser herausstellen ( Kalls in Bach/Moser , Private Krankenversicherung 4 , § 1 Rn 30). Ob eine Heilbehandlung medizinisch notwendig ist, ist nicht ex post und nach dem Ergebnis der Behandlung, sondern allein auf der Grundlage der jeweils bei Beginn oder im Verlauf der Behandlung erkennbaren Tatsachen zu beurteilen ( Wriede in Bruck/Möller , VVG 8 , VI/2 G 8 [K 314 f]).

3. Für die österreichische Rechtslage vertritt Schauer (in Fenyves/Schauer , VersVG, § 178b Rz 6) gleichermaßen, dass die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Dabei ist eine ex ante Betrachtung vorzunehmen, sodass es darauf ankommt, ob die Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Anordnung nach dem medizinischen Befund und den medizinischen Erkenntnissen geeignet erschien, den angestrebten Behandlungserfolg herbeizuführen. Nicht entscheidend ist, ob sich ein solcher Erfolg tatsächlich eingestellt hat.

Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an.

4. Nach den maßgeblichen Feststellungen litt die Klägerin bereits seit vielen Jahren an massiven Rückenproblemen. Aus diesem Grund wurde ihr von zwei Ärzten eine Brustverkleinerung empfohlen, die letztlich auch aufgrund der ärztlichen Überweisung einer weiteren Ärztin durchgeführt wurde. Der Operateur bestätigte noch kurz vor der Operation die medizinische Indikation, wobei er ein voraussichtliches Resektionsgewicht von 500 g pro Seite erwartete. Auch aus orthopädischer Sicht war die Brustverkleinerung medizinisch indiziert und bestand Aussicht auf Verbesserung des Beschwerdebildes.

Damit war aber bei der vorzunehmenden ex ante Betrachtung, nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung die Behandlungsmaßnahme der Brustverkleinerung vertretbar. Dass diese Behandlung ‑ letztlich anders als geplant ‑ verlief, nur ein Reduktionsgewicht von 184 g bzw 165 g erzielt werden konnte und sich daher der gewünschte Erfolg rückblickend nicht (zur Gänze) einstellte, führt nicht dazu, dass die bei der Behandlung gegebene medizinische Indikation zu verneinen ist. Nach den Feststellungen nahm die Klägerin keinen Einfluss auf das Reduktionsgewicht.

5. Da die Deckungspflicht der Beklagten somit gegeben ist, ist das erstinstanzliche Urteil in der Hauptsache wiederherzustellen.

6.1 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 43 Abs 2 iVm 41 ZPO.

6.2 Hat das Berufungsgericht einer Berufung stattgegeben und das erstgerichtliche Urteil abgeändert, wodurch ein gegen dieses Urteil erhobener Kostenrekurs gegenstandslos wurde, und stellt der Oberste Gerichtshof das erstinstanzliche Urteil wieder her, so hat dieser über die Verfahrenskosten zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0036069).

Die Klägerin hat die erstinstanzliche Kostenentscheidung mit dem Argument bekämpft, dass bei einem Vorgehen nach § 43 Abs 2 ZPO die überwiegend unterlegene Partei 100 % der Barauslagen der geringfügig unterlegenen Partei zu ersetzen habe. Die Beklagte sei daher verpflichtet, der Klägerin die gesamten Pauschalgebühren in Höhe von 707 EUR zu ersetzen, die Klägerin sei hingegen nicht zum Ersatz der von der Beklagten getragenen Sachverständigengebühren im Umfang von 11 %, sohin 105,71 EUR, verpflichtet.

Bei Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO ist dem Kostenzuspruch als Bemessungsgrundlage nicht der ursprünglich begehrte, sondern nur der obsiegte Betrag zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0116722), auch die Pauschalgebühr ist auf Basis des ersiegten Betrags zu honorieren (RIS‑Justiz RS0116722 [T2]). Davon ausgehend hat das Erstgericht zutreffend die Pauschalgebühr lediglich in Höhe von 299 EUR und nicht die verzeichneten 707 EUR als ersatzfähig erkannt.

Nicht streitwertabhängige Kosten (wie Sachverständigengebühren) sind gemäß § 43 Abs 2 ZPO hingegen in der vollen Höhe zuzusprechen, woraus folgt, dass bei Vorgehen nach dieser Bestimmung die geringfügig unterlegene Partei der überwiegend unterlegenen Partei auch keine Sachverständigenkosten zu ersetzen hat. Hier hat das Erstgericht unrichtig die von der Beklagten getragenen Sachverständigenkosten nach § 43 Abs 1 ZPO ermittelt und den der Obsiegensquote der Beklagten entsprechenden Betrag von 105,71 EUR dem Kostenersatzanspruch der Klägerin gegenübergestellt. Der Kostenersatzanspruch der Klägerin für das erstinstanzliche Verfahren beträgt daher 2.623,31 EUR.

6.3 Für ihren ‑ bis auf einen geringfügigen Teilbetrag ‑ erfolglosen Kostenrekurs hat die Klägerin nach §§ 40, 50 ZPO iVm § 11 RATG keinen Anspruch auf Kostenersatz. Eine Kostenrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

6.4 Im die Hauptsache betreffenden Rechtsmittelverfahren hat die Klägerin zur Gänze obsiegt, sodass ihr für das Berufungs‑ und Revisionsverfahren voller Kostenersatz (814,28 EUR und 1.242,31 EUR) zusteht. Bereits im Berufungsverfahren betrug die Bemessungsgrundlage jedoch nur mehr 6.629,22 EUR.

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