Spruch:
Willkürliche Gefahrenerhöhung gemäß § 23 VersVG. durch Überladen eines Lastkraftwagens (Haftpflichtversicherung).
Verschuldete Unkenntnis des Versicherungsnehmers steht hier der positiven Kenntnis von der Gefahrenerhöhung gleich.
Entscheidung vom 29. November 1967, 7 Ob 164/67.
I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Der Kläger klagt auf Feststellung, daß ihm als Halter des LKW "Steyr- Diesel 480 zfk" die Beklagte als Haftpflichtversicherer im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der sich am 23. April 1965 ereignete, Versicherungsschutz zu gewähren habe.
Die Beklagte macht demgegenüber Leistungsfreiheit nach §§ 23 ff. VersVG. geltend. Der Unfall sei auf die Überladung des auch sonst ständig überbelasteten Fahrzeuges und auf die Schadhaftigkeit seiner Bremsen zurückzuführen. Diese beiden Umstände seien dem Kläger bekannt gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen den nachstehend dargelegten Sachverhalt fest:
Der bei der Beklagten haftpflichtversicherte LKW des Klägers ist für eine Nutzlast von sechs Tonnen zugelassen. Seit dem 1. April 1965 wurde dieses Fahrzeug von dem in den Diensten des Klägers stehenden Kraftfahrer Johann K. gefahren. In der Zeit vom 6. bis 27. April 1965 hatte K. im Auftrag des Klägers in einem Kieswerk in G. Schotter zu übernehmen und auf dem erwähnten LKW von dort wegzubringen. Insgesamt handelte es ich dabei um sechs Fuhren mit jeweils folgendem Ladegewicht:
Am 6. jedes Monates 6700 kg am 16. jedes Monates 7200 kg am 20. Jedes Monates 6800 kg am 24. jedes Monates 6800 kg am 26. jedes Monates 7600 kg am 27. jedes Monates 8700 kg.
Jede dieser Schotterladungen wurde im Kieswerk gewogen, eine Durchschrift des betreffenden Wiegezettels dem Kraftfahrer K. ausgefolgt und von diesem an den Kläger weitergegeben. Als K. am 27. April 1965 den mit 8700 kg Schotter beladenen LKW unterwegs vor einem Bahnschranken anhalten mußte, machte er die Wahrnehmung, daß die aus einer Luftdruck- und einer Öldruckbremse bestehende Bremsanlage, die gelegentlich ihrer Überprüfung bei der Ausfahrt an jedem Tage noch einen Druck von sechs atü aufgewiesen hatte, infolge Schadhaftigkeit eines ihrer Bestandteile nicht mehr richtig funktionierte. Doch zeigte das Bremsbarometer auch damals noch einen Druck von zwei atü an. Auf der weiteren Fahrt nach O., wo K. den LKW zur Behebung des Bremsschadens einer Werkstatt übergeben wollte, stieß das Fahrzeug im Bereich einer unübersichtlichen Straßenkurve mit einem entgegenkommenden LKW des Transportunternehmers Franz W. zusammen. Hiebei wurden beide Fahrzeuge schwer beschädigt. Die Geschwindigkeit des von K. gelenkten LKW betrug unmittelbar vor dem Zusammenprall etwa 15 km/h. Diese Geschwindigkeit hätte ohne wesentliche Überladung des Fahrzeuges ein noch rechtzeitiges Anhalten gestattet, sodaß die Kollision vermieden worden wäre. Der damalige Bremsdefekt hatte lediglich den Ausfall des der Erleichterung der Bremstätigkeit des Fahrers dienenden Druckluftverstärkers zur Folge und war, zumal in Anbetracht der geringen Fahrgeschwindigkeit des LKW unmittelbar vor dem Zusammenstoß nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Im Hinblick auf den Verkehrsunfall wurde K. wegen Übertretung nach § 431 StG. verurteilt, hingegen der Fahrer des anderen Fahrzeuges, gegen den ebenfalls Strafantrag gestellt worden war, gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.
In rechtlicher Beziehung führte des Erstgericht aus, die bei den sechs festgestellten Schotterfuhren erfolgte Überlastung des LKW um durchschnittlich 20% des zulässigen Ladegewichtes habe eine erhebliche Steigerung der Betriebsgefahr mit sich gebracht. Denn ein wesentlich überbelastetes Fahrzeug komme langsamer zum Stehen, als ein normal belastetes. Es unterliege keinem Zweifel, daß durch die in Frage stehenden Fahrten mit dem überladenen LKW, die an sechs Tagen innerhalb von drei Wochen stattfanden, die von der Beklagten übernommene Gefahr des Betriebes eines zulässig beladenen Fahrzeuges überschritten worden sei. Diese Fahrten seien daher generell geeignet gewesen, einen neuen Gefahrenzustand von so langer Dauer zu schaffen, daß er die Grundlage eines natürlichen Schadenverlaufes habe bilden können. Dabei sei es ohne Belang, daß der Kläger keine Kenntnis von der Überladung des Wagens durch seinen Fahrer hatte. Die Gefahrenerhöhung gereiche dem Versicherungsnehmer auch dann zum Verschulden, wenn er sie aus Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Der Kläger habe nicht bewiesen, daß er von der Gefahrenerhöhung ohne sein Verschulden nichts gewußt habe. Daß K. von der Überladung des Wagens dem Kläger keine Mitteilung machte und dieser von ihr erstmals anläßlich des Unfalles erfuhr, entschuldige ihn nicht. Hätte er doch, wenn er schon nicht die jeweilige Beladung des Wagens selbst kontrollierte, jedenfalls bei entsprechender Sorgfalt den ihm übergebenen Wiegezetteln die dauernde Überladung des Wagens entnehmen können. Angesichts des erwiesenen Kausalzusammenhanges zwischen der Überladung und dem Verkehrsunfall brauche auf die Frage des Bremsdefekts als Unfallsursache nicht eingegangen zu werden.
Die zweite Instanz gab der Berufung des Klägers Folge und erkannte in Abänderung des Ersturteiles nach dem Klagebegehren, wobei sie ihrer Entscheidung die erstrichterlichen Tatsachenfeststellungen zugrunde legte.
Der Oberste Gerichtshof stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Dadurch, daß K. innerhalb eines Zeitraumes von drei Wochen nicht weniger als fünfmal den LKW mit sehr erheblicher Überladung fuhr, kann von einer nur gelegentlichen und daher unbeachtlichen Gefahrenerhöhung keine Rede mehr sein. Vielmehr muß hier bereits von einem Gefahrenzustand von gewisser Dauer gesprochen werden, bestehend in einer fortgesetzten und augenfälligen Außerachtlassung der für den LKW geltenden Ladegewichtsbegrenzung. Daß sich bei den ersten fünf Fahrten mit dem überladenen Wagen kein Unfall ereignete, kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht als Argument dafür angeführt werden, daß eine Gefahrenerhöhung nicht eingetreten wäre. Die diesbezügliche Erwägung des Berufungsgerichtes läuft geradezu darauf hinaus, die Tatsache, daß es fünfmal gut gegangen ist, habe zur Annahme berechtigt, daß auch das sechstemal schon nichts passieren werde. Zu Unrecht wird im angefochtenen Urteil aber auch bezweifelt, ob eine Überladung überhaupt als Gefahrenerhöhung zu betrachten sei, wenn sie lediglich eine Verlängerung des Bremsweges bewirkt, da sich dies durch eine entsprechende Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit ausgleichen lasse. Dazu ist zunächst zu sagen, daß die in der Überladung gelegene Gefahr naturgemäß verschiedene Schadensmöglichkeiten in sich schließt, insbesondere etwa auch das vom Berufungsgericht als Beispiel angeführte Aufsprengen der Bordwände, und daß sich am Bestand jener Gefahr nichts ändert, wenn sie sich auf eine Weise (hier: Verlängerung des Bremsweges) aktualisiert, daß der Eintritt des Schadenereignisses durch ein die Gefahr kompensierendes Verhalten (hier: durch Langsamfahren) zu verhindern gewesen wäre. Hinzu kommt, daß diese Kompensation durchaus fragwürdig ist, weil sie in der Regel dem Lenker ein Übermaß an Vorsicht und Fahrvermögen abverlangen wird, das bei einem Durchschnittsfahrer nicht vorausgesetzt werden kann und, was die Vorsicht betrifft, von einem Fahrer wie Johann K., der sich aus der Mißachtung des Verbotes der Überladung kein Gewissen Macht, auch im übrigen nicht zu erwarten ist. Dem Erstgericht ist somit darin beizupflichten, daß im vorliegenden Fall die wiederholten Überladungen des Fahrzeuges als willkürliche Gefahrenerhöhung im Sinne des § 23 VersVG. anzusehen sind.
Ob der Kläger von ihr Kenntnis hatte, ist allerdings nach den untergerichtlichen Feststellungen ungewiß. Doch hat das Erstgericht, vom Kläger in der Berufung unangefochten, festgestellt, daß er die dauernde Überladung des Wagens aus den ihm übergebenen Wiegezetteln ersehen konnte. Unter diesen Umständen aber war es dem Kläger ohne weiteres zumutbar, durch einen Blick auf die ihm jeweils übergebenen Wiegezetteln die Einhaltung der Ladegewichtsgrenze zu kontrollieren. Dazu bestand für ihn um so mehr Anlaß, als er erst am 1. April 1965, also nur wenige Tage, bevor mit den festgestellten Schotterfuhren begonnen wurde, dem Kraftfahrer K. den Betrieb des fraglichen Fahrzeuges anvertraut und ihm über dessen zulässige Nutzlast, wie er bei seiner Parteivernehmung selber zugab, nichts gesagt hatte. Allerdings wird von Prölss (VVG.[16] S. 166 Anm. 9 zu § 23, S. 169, Anm. 2 zu § 25), und abgeschwächt, auch von Bruck - Möller (Kommentar zum VVG.[8] S. 387 Anm. 34) die freilich nicht näher begrundete Meinung vertreten, daß § 23 (2) und § 25 (2) Vers- VG. die positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Gefahrenerhöhung erfordern, also bloßes Kennenmüssen nicht ausreicht. Dies würde jedoch unter Umständen zu dem unbefriedigenden Ergebnis führen, daß im Vergleich zum sorgfältigeren Versicherungsnehmer der weniger sorgfältige, der sozusagen vor der Gefahrenerhöhung die Augen verschließt, besser gestellt wäre. Es ist daher in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Deutschen Bundesgerichtshofes (VersR. 1963 S. 349, 1965 S. 53) im fraglichen Zusammenhang der positiven Kenntnis die verschuldete Unkenntnis des Versicherungsnehmers gleichzuhalten.
Die Beklagte ist demnach von ihrer Verpflichtung zur Leistung des geforderten Versicherungsschutzes gemäß § 25 (1) VersVG. frei.
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