European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119759
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die einstweilige Verfügung wie folgt zu lauten hat:
„1. Dem Gegner der gefährdeten Partei wird aufgetragen, die Wohnung *, und deren unmittelbare Umgebung zu verlassen und es wird ihm verboten dorthin zurückzukehren.
Die einstweilige Verfügung gilt bis zur rechtskräftigen Beendigung des zwischen den Parteien zu AZ 1 C 9/17t des Bezirksgerichts Innsbruck anhängigen Scheidungsverfahrens.
Mit dem Vollzug werden die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beauftragt.“
2. Der Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei binnen 14 Tagen die mit 964,53 EUR (darin 160,69 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des gesamten Sicherungsverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
Die gefährdete Partei (fortan: Antragstellerin) und der Gegner der gefährdeten Partei (fortan: Antragsgegner) sind miteinander verheiratet. Der derzeitige gemeinsame Wohnsitz der Parteien (Ehewohnung) ist das im Spruch bezeichnete Objekt.
Der Ehe entstammen die mj Kinder Marie Luise, geboren am *, und Felix Erich, geboren am *. Die Scheidungsverfahren der Parteien behängen zu AZ 1 C 7/17y (Klage des Antragsgegners) und zu AZ 1 C 9/17t (Widerklage der Antragstellerin) des Erstgerichts. Zu AZ 1 P 26/17y des Erstgerichts ist ein Pflegschaftsverfahren wegen Aufhebung der gemeinsamen Obsorge für die Kinder anhängig, wobei die Antragstellerin und der Antragsgegner jeweils die alleinige Obsorge anstreben. In diesem Pflegschaftsverfahren erheben die Parteien gegeneinander massive Vorwürfe betreffend die Erziehungsfähigkeit des jeweils anderen Elternteils. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ua Überforderung, Drogen- und Alkoholkonsum, Beziehungsdefizite, mangelnde Erziehungsfähigkeit und Eltern-Kind-Entfremdung vorgeworfen. Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner ua vorgeworfen, die Kinder in Loyalitätskonflikte zu bringen, manipulativ auf die Kinder einzuwirken und sich bei der Erziehung gegen das Kindeswohl zu verhalten. Eine auch nur im Ansatz konstruktive Gesprächsbasis zwischen den Parteien war für das Erstgericht im Pflegschaftsverfahren nicht zu erkennen. Es ist nicht davon auszugehen, dass es zeitnah gelingen wird, eine einvernehmliche Regelung im Pflegschaftsverfahren herbeizuführen, weil beide Elternteile überzeugt sind, jeweils besser für die Obsorge geeignet zu sein.
Der Antragsgegner hat in der Küche der gemeinsamen Wohnung im März 2017 ohne Wissen der Antragstellerin ein Handy als Aufnahmegerät eingerichtet und damit ua Gespräche der Antragstellerin mit ihrer Mutter und ihrem Rechtsvertreter aufgenommen. Dieses Abhörgerät hat die „Antragstellerin bzw ihr Vater“ am 13. 5. 2017 entdeckt und die Antragstellerin hat daraufhin Anzeige wegen Missbrauchs von Tonaufnahme- und Abhörgeräten erstattet.
Der Antragsgegner hat die WhatsApp-Kommunikation der Antragstellerin mit einem näher bezeichneten Mann und mit ihrer Mutter fotografiert und kopiert. Er hat sich Zugang zum Handy der Antragstellerin verschaffen können, weil er den Code des Handys kannte.
Der Antragsgegner hat sich (zum Zweck des Nachweises eines Drogenkonsums der Antragstellerin) auch Haarproben von einer Haarbürste beschafft und die Haare in einem forensisch-toxikologischen Labor im Frühjahr 2017 auswerten lassen, wobei er sich auch dazu bekennt, dass er das ohne Kenntnis der Antragstellerin gemacht hat. Der Nachweis, ob die Haarprobe tatsächlich von der Antragstellerin stammt, ist noch nicht erbracht.
Die so „erworbenen“ Beweismittel (Tondokumente über Telefongespräche sowie einen dazugehörenden USB‑Stick und Auszüge aus Chatprotokollen von WhatsApp‑Nachrichten) hat der Antragsgegner sowohl im Pflegschafts- als auch im Scheidungsverfahren vorgelegt.
Die Antragstellerin fühlt sich in der Wohnung ständig beobachtet und lebt in der Angst, dass jedes Wort, welches sie in der Ehewohnung zu wem auch immer spricht, wieder vom Antragsgegner aufgezeichnet wird. Sie hat auch ein neues Smartphone angeschafft, traut sich aber auch mit diesem nur mehr eingeschränkt zu telefonieren und Nachrichten zu versenden, weil sie fürchtet, dass der Antragsgegner auch dieses „filzt“. Sie lebt in der Angst, dass der Antragsgegner in der Wohnung mit dem Handy fotografiert.
Jedenfalls seit der Antragsgegner zur Antragstellerin im März 2017 den Wunsch nach Scheidung geäußert hat, leidet diese an Schlafstörungen. Es gelingt ihr zumeist erst gegen Mitternacht einzuschlafen und sie wacht häufig wieder auf.
Die unklare Situation im Pflegschaftsverfahren und die Auseinandersetzung im Scheidungsverfahren sind auch für den Antragsgegner belastend, der aber seinerseits die Wohnung nicht verlassen will. Es ist nicht bescheinigt, dass der Antragsgegner sein Handy in der Wohnung mehr als andere Menschen seiner Generation und zu anderen Zwecken verwendet. Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich angesichts der ungeklärten Obsorge‑ und Vermögenssituation das Zusammenleben der Ehegatten im gemeinsamen Haushalt schwierig und konfliktträchtig gestaltet.
Den Parteien ist es aber gelungen, den Geburtstag eines Kindes gemeinsam in der Zeit von 14:30 Uhr bis etwa 16:30 Uhr in einem Schwimmbad zu verbringen. Danach haben sie noch zu viert gemeinsam gegessen. An einem weiteren Tag waren die Streitteile gemeinsam mit Freunden und ihren Kindern schwimmen.
Die von der Antragstellerin angegebenen gesundheitlichen Beschwerden wie Schlafstörungen, Schwitzen in der Nacht und Herzrasen sind auf die laufenden Verfahren, insbesondere das Scheidungsverfahren und auch auf das Pflegschaftsverfahren mit ungewissem Ausgang zurückzuführen. Auch die widerrechtlich und gegen ihr Wissen erlangten Beweismittel, die intime Details preisgeben, belasten die Antragstellerin.
„Aktuell“ ging das Erstgericht – in dem es sich bloß der Aussage des Antragsgegners anschloss – „keineswegs davon aus, dass der (Antragsgegner) weiterhin versucht, Tondokumente zu beschaffen und (es) (ging) (…) auch nicht davon aus, dass der (Antragsgegner) Abschriften aus Chatprotokollen von WhatsApp‑Nachrichten der (Antragstellerin) anfertigt“.
Die Antragstellerin beantragte die Erlassung der aus dem Spruch ersichtlichen einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO und verwies zu deren Begründung auf die Abhörmaßnahmen und die Beweismittelbeschaffungen des Antragsgegners mit den ihr daraus resultierenden massiven psychischen Belastungen.
Der Antragsgegner bestritt eine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit der Antragstellerin, die über die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene nervliche Belastung hinausginge.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Das nach Angaben der Antragstellerin die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigende Verhalten, nämlich das Beschaffen von Beweismitteln für das Pflegschafts‑ und Scheidungsverfahren sei möglicherweise strafbar. Es gehe aber nicht an, dass der Antragsgegner zu einer allenfalls auszusprechenden Strafe noch zusätzlich der Wohnung verwiesen werde. Selbst wenn man das Verhalten des Antragsgegners als Psychoterror einstufen würde, rechtfertige es die Erlassung einer einstweiligen Verfügung deshalb nicht, weil nicht bescheinigt sei, dass dadurch die psychische Gesundheit der Antragstellerin erheblich beeinträchtigt worden sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Es sei die Erheblichkeitsschwelle gerade noch nicht überschritten. Der Antragsgegner werde nicht versuchen, die Antragstellerin weiterhin zu überwachen und abzuhören. Die Parteien hätten auch nach Aufdeckung der Abhöraktion des Antragsgegners gemeinsame Aktivitäten unternommen und seien zusammen mit Freunden und ihren Kindern schwimmen gewesen. Dies zeige, dass es den Parteien noch möglich sei, zumindest zeitweise konsensual miteinander umzugehen. Da bescheinigt sei, dass die psychische Gesundheit der Antragstellerin durch das Verhalten des Antragsgegners noch keinen Schaden genommen habe, sei dem Erstgericht beizupflichten, dass die Voraussetzungen des § 382b EO nicht erfüllt seien.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht vorlägen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Stattgebung des Sicherungsantrags. Hilfsweise stellt die Antragstellerin auch einen Aufhebungsantrag.
Der Antragsgegner erstattete eine ihm freigestellte Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den Revisionsrekurs der Antragstellerin zurückzuweisen, hilfsweise diesem keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt, weil die Vorinstanzen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 382b Abs 1 EO nicht mehr vertretbar verneint haben.
1. Nach § 382b Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf deren Antrag 1. das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung aufzutragen und 2. die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verbieten, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient.
2. Die Behauptungs‑ und Bescheinigungslast dafür, dass die Ehewohnung nicht der Befriedigung eines „dringenden“ Wohnbedürfnisses eines Ehegatten dient, trifft den Antragsgegner; er hat den Ausnahmefall der anderweitigen Deckung des Wohnbedürfnisses seines Ehegatten zu bescheinigen (RIS‑Justiz RS0014672). Dass der Antragstellerin eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft (vgl dazu RIS‑Justiz RS0006012) zur Verfügung steht, hat der Antragsgegner weder konkret behauptet noch bescheinigt. Er beschränkt sich in seiner Revisionsrekursbeantwortung auf bloße Vermutungen dahin, die Antragstellerin könnte sich allenfalls eine andere Wohnung suchen.
3. Die Gründe für die Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO sind verschuldensunabhängig (RIS‑Justiz RS0110444 [T6]). Es kommt auf die Auswirkungen des bescheinigten Verhaltens und nicht auf das Unrechtsbewusstsein oder die Absichten des Antragsgegners an (RIS‑Justiz RS0110444 [T7]). „Psychoterror“ ist, weil die Zumutbarkeitsfrage entscheidet, nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen; von Bedeutung ist daher nicht ein Verhalten, das der Durchschnittsmensch als „Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche der Antragstellerin (RIS‑Justiz RS0110446 [T4, T8, T15]). Hat die Antragstellerin eine erhebliche psychische Beeinträchtigung glaubhaft gemacht, so kann diese Verhaltensweise als Indiz für die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens sprechen (RIS‑Justiz RS0110446 [T6]). Die subjektive Auslegung des Begriffs „Psychoterror“ kann allerdings nicht so weit gehen, dass jegliches Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, aus einer subjektiven Sichtweise heraus die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens begründen könnte. Die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene nervliche Belastung ist daher noch keine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit (RIS‑Justiz RS0121302).
4. Das vom Antragsgegner zu verantwortende Überwachen und Ausspionieren der Telefonkontakte der Antragstellerin und seine „Beweismittelbeschaffungen“ für die anhängigen Gerichtsverfahren stellen schwerwiegende Vertrauensbrüche und unerträgliche Eingriffe in die Privatsphäre eines Ehegatten dar, die auch im Rahmen eines anhängigen Scheidungsverfahrens keinesfalls zu tolerieren sind. Das Erstgericht hat als bescheinigt angenommen, dass (auch) die widerrechtlich und gegen ihr Wissen erlangten Beweismittel, die intime Details preisgeben, die Antragstellerin belasten. Sie fühlt sich – angesichts des Verhaltens des Antragsgegners durchaus nachvollziehbar – in der Ehewohnung ständig beobachtet, lebt in der Angst, dass jedes Wort vom Antragsgegner aufgezeichnet wird und getraut sich daher nur mehr eingeschränkt, zu telefonieren und Nachrichten zu versenden. Sie leidet auch unter bestimmten vegetativen Beschwerden, für die das beschriebene Verhalten des Antragsgegners offenbar zumindest Mitursache ist. Das ist eine Situation, die der Antragstellerin aufgrund des Verhaltens des Antragsgegners das weitere Zusammenleben unzumutbar macht. Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Rekursgerichts, dass die psychische Gesundheit der Antragstellerin durch das Verhalten des Antragsgegners noch keinen Schaden genommen habe, schlicht nicht nachvollziehbar.
5. Es trifft zwar zu, dass die Parteien außerhalb der Ehewohnung bei einzelnen (bloß stundenweisen) Kontakten mit ihren Kindern teilweise im Beisein von Freunden eine Begegnung ohne offene Konflikte absolvieren konnten. Dies ändert allerdings nichts daran, dass das Verhältnis der Parteien zueinander und auch im Zusammenhang mit ihren Kindern schwer belastet ist und es lässt auch das Verhalten des Antragsgegners in keinem milderen Licht erscheinen.
6. Dass das Erstgericht „aktuell“ keine weiteren Abhöraktionen des Antragsgegners erwartet, ist bloß eine Momenteinschätzung, die angesichts der anhängigen Gerichtsverfahren keine zuverlässige Einschätzung dahin zulässt, dass der Antragsgegner künftig nicht doch wieder einen Bedarf nach dieser Art von Beweismittelbeschaffung erkennt. Diese Einschätzung des Erstgerichts ändert daher am Sicherungsbedürfnis der Antragstellerin nichts.
7.1. Im Ergebnis erweist sich damit das Sicherungsbegehren der Antragstellerin als berechtigt, weshalb die von ihr begehrte einstweilige Verfügung zu erlassen war.
7.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 2 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Für den Sicherungsantrag gebührt nur eine Verbindungsgebühr (83,20 EUR; Obermaier, Kostenhandbuch² Rz 521). Der Schriftsatz ON 5 ist nicht gesondert zu honorieren. Die Tagsatzung vom 7. 6. 2017 ist auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 730 EUR zu entlohnen (418,18 EUR). Der Rekurs und der Revisionsrekurs sind ebenfalls auf Basis von 730 EUR zu honorieren (210,84 EUR und 252,31 EUR).
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