European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E115909
Spruch:
Der Revisionsrekurs ist teilweise berechtigt.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Anordnung der Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung bestätigt, hinsichtlich der Festlegung der gemeinsamen Obsorge hingegen ersatzlos behoben.
Begründung:
Die Eltern des Minderjährigen waren nicht miteinander verheiratet und lebten nie in häuslicher Gemeinschaft. Der Mutter kam bislang – ex lege – die alleinige Obsorge zu.
Der Minderjährige ist für sein Alter hinsichtlich seiner intellektuellen Entwicklung etwas weiter entwickelt. Er sieht sowohl in der Mutter (und dem mütterlichen Familiensystem mit der mütterlichen Großmutter und dem mütterlichen Onkel, die im selben Haus leben), als auch im Vater starke Bezugspersonen. Der Minderjährige hat zum Vater eine starke emotionale und positive Beziehung. Er fühlt sich bei ihm wohl und er bietet ihm auch Sicherheit und Geborgenheit.
Zwischen den Eltern besteht derzeit eine massive Kommunikationsstörung. Ein funktionierendes Austauschen von Informationen ist schon seit längerer Zeit nicht gegeben. Es ist aber zu erwarten, dass nach einer gewissen Konsolidierung des Kontaktrechts eine sinnvolle Kommunikationsbasis zwischen den Eltern geschaffen werden kann.
Eine Kindeswohlgefährdung ist bei einer gemeinsamen Obsorge der Eltern nicht gegeben und zu befürchten.
Der Vater begehrt die gemeinsame Obsorge.
Die Mutter spricht sich gegen diesen Antrag aus.
Das Erstgericht ordnete eine – näher ausgestaltete – Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung für die Dauer von sechs Monaten an und legte fest, dass die Obsorge hinsichtlich des Minderjährigen den Eltern gemeinsam zukomme.
Die Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge aber auch die Belassung einer solchen Obsorgeregelung könne auch gegen den Willen beider oder gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden. Maßgeblich sei dabei, das dem Willen der Eltern übergeordnete Kindeswohl. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setze ein gewisses Mindestmaß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit beider Elternteile voraus. Wenn nun von einem Elternteil ohne nachvollziehbare Gründe behauptet werde, es wäre keine Kommunikationsbasis gegeben, so könne dies nicht dazu führen, dass von vornherein die gemeinsame Obsorge scheitere. Aufgrund der vorherrschenden Situation solle mit der vorläufigen elterlichen Verantwortung den Eltern die Möglichkeit gegeben werden, eine Beruhigung der Situation eintreten zu lassen. Nach Ablauf eines halben Jahres werde beurteilt werden können, ob nun die gemeinsame Obsorge dem Wohl des Kindes entspreche oder welche andere Regelung zu treffen sein werde.
Das Rekursgericht gab dem von der Mutter erhobenen Rekurs keine Folge. Die Obsorge beider Elternteile solle die Regel sein. Es stehe fest, dass in absehbarer Zeit mit einer entsprechenden Gesprächsbasis zwischen den Eltern gerechnet werden könne. Durch die angeordnete Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung solle der Vater in die elterliche Verantwortung eingeführt werden.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit einem Aufhebungsantrag. Hilfsweise wird ein Abänderungsantrag gestellt.
Der Vater begehrt in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch teilweise berechtigt.
1. Voranzustellen ist, dass sich aus der Begründung des Erstgerichts eindeutig ergibt, dass es keine endgültige Obsorgeentscheidung treffen, sondern lediglich die näher ausgestaltete Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung einleiten wollte.
2.1 Nach § 180 Abs 1 ABGB hat das Gericht eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung (= Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung) zu treffen, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht und wenn nach Auflösung der Ehe oder der häuslichen Gemeinschaft der Eltern binnen angemessener Frist eine Vereinbarung nach § 179 ABGB nicht zustande kommt oder ein Elternteil die Übertragung der alleinigen Obsorge an ihn oder seine Beteiligung an der Obsorge beantragt.
2.2 Die Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung soll nach dem Gesetz darin bestehen, dass das Gericht einem mit der Obsorge betrauten Elternteil unter Aufrechterhaltung der bisherigen Obsorgeregelung für den Zeitraum von sechs Monaten die hauptsächliche Betreuung des Kindes in seinem Haushalt aufträgt, und dem anderen ein derart ausreichendes Kontaktrecht einräumt, dass er auch die Pflege und Erziehung wahrnehmen kann (Barth/Jelinek, Die Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung nach § 180 ABGB. Einige erste Überlegungen zum neuen Rechtsinstitut, iFamZ 2013, 12). In der Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung ändert sich an den bisher maßgeblichen Obsorgeverhältnissen nichts (Kathrein, Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, ÖJZ 2013/23). Die Aufrechterhaltung der bisherigen Obsorgeregelung bedeutet in den Fällen des § 180 Abs 1 Z 2 ABGB, in denen der Vater – wie hier – seine Beteiligung an der Obsorge begehrt, dass die nach § 177 Abs 2 Z 1 ABGB allein mit der Obsorge betraute Mutter auch allein mit der Obsorge betraut bleibt (Weitzenböck in Schwimann/Kodek 4 § 180 Rz 15).
2.3 Die im Zuge der Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung erfolgte (Neu‑)Festlegung der gemeinsamen Obsorge ist demnach unzulässig. Die Entscheidungen der Vorinstanzen dazu waren somit ersatzlos zu beheben.
3. Für die 6‑monatige Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung sind vom Gericht nach § 180 Abs 1 ABGB die hauptsächliche Betreuung, die Details des Kontaktrechts, der Pflege und Erziehung sowie der Unterhaltsleistung festzusetzen (vgl Barth/Jelinek aaO). Die vom Erstgericht – über die Festlegung der gemeinsamen Obsorge hinausgehend – vorgenommene Ausgestaltung der Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung, die von beiden Elternteilen nicht bekämpft wird, gefährdet schon nach den Feststellungen nicht das Kindeswohl. Inwieweit die Mutter vor diesem Hintergrund durch die Einleitung der Phase an sich beschwert sein soll, zeigt sie nicht auf. Ob letztlich die Voraussetzungen für eine Festlegung der gemeinsamen Obsorge vorliegen, wird das Erstgericht – wie es selbst ausführt – nach Ablauf der 6-monatigen Phase beurteilen.
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