OGH 7Ob14/88

OGH7Ob14/8819.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Angst und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johanna V***, Angestellte, Wien 11., Mautner Markhof-Gasse 17-21/1/17, vertreten durch Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*** A*** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 13., Hietzinger Kai 101-105, vertreten durch Dr. Oswald Karminski-Pielsticker, Rechtsanwalt in Wien, wegen Bestellung eines Schiedsgutachters (Streitwert S 30.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 9. Februar 1988, GZ 1 R 319/87-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 3. August 1987, GZ 11 C 202/87-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat bei der beklagten Partei eine Rechtsschutzversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1965) zugrunde liegen. Sie wurde bei einem Verkehrsunfall am 21. Jänner 1983 verletzt und machte mit der am 20. Jänner 1986 gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer erhobenen Klage Schadenersatzansprüche, darunter auch einen Anspruch auf Zahlung einer abstrakten Rente von monatlich S 1.112,71 und einen Anspruch auf Ersatz frustrierter Aufwendungen von S 2.870,-- geltend. Nach der Auffassung der beklagten Partei besteht hinsichtlich des Anspruches auf eine abstrakte Rente und auf Ersatz der frustrierten Aufwendungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weshalb die beklagte Partei in diesem Umfang die Klage nicht genehmigte. Verneint der Versicherer bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nach Prüfung des Sachverhaltes das Vorliegen einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg, so hat er dies nach Art. 7 Abs. 5 ARB 1965 dem Versicherten unter Bekanntgabe der Gründe und Hinweis auf das Recht, die Einleitung eines Schiedsverfahrens nach Art. 8 ARB 1965 zu beantragen, unverzüglich schriftlich mitzuteilen. Nach Art. 8 ARB 1965 wird bei Meinungsverschiedenheiten über die Aussichten der vom Versicherten angestrebten Rechtsverfolgung gemäß Art. 7 Abs. 5 ausschließlich in einem Schiedsverfahren entschieden. Der Versicherte kann binnen 2 Wochen nach Erhalt der ablehnenden Mitteilung des Versicherers bei diesem schriftlich die Einleitung des Schiedsverfahrens beantragen. Er hat innerhalb dieser Frist einen Rechtsanwalt für das Schiedsverfahren namhaft zu machen. Unterläßt der Versicherte die Namhaftmachung, so gilt der Antrag auf Durchführung des Schiedsverfahrens als nicht gestellt (Abs. 1). Der vom Versicherten genannte und ein vom Versicherer bestellter Anwalt sind zu beauftragen, binnen 2 Wochen über die Streitfrage nach Abs. 1 neuerlich zu entscheiden (Abs. 2). Kommen beide Rechtsanwälte zu keiner gemeinsamen Meinung, so kann jeder von ihnen unverzüglich den Präsidenten der nach dem Wohnsitz des Versicherten örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer ersuchen, einen Rechtsanwalt namhaft zu machen, der nach Prüfung der beiden Meinungen binnen 2 Wochen die endgültige Entscheidung zu treffen hat (Abs. 3).

Die Schreiben der beklagten Partei enthielten keinen Hinweis auf das Recht der Klägerin, die Einleitung des Schiedsverfahrens nach Art. 8 ARB 1965 zu beantragen. Die Klägerin begehrte mit Schreiben vom 12. März 1986 die Einleitung des Schiedsverfahrens und machte einen Rechtsanwalt namhaft. Die beklagte Partei lehnt das Schiedsverfahren ab.

Das Erstgericht gab dem auf Namhaftmachung eines Schiedsmannes durch die beklagte Partei gerichteten Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und die Revision zulässig ist.

Aus Art. 8 Abs. 2 ARB 1965 ergebe sich die Verpflichtung des Versicherers, auch seinerseits einen Rechtsanwalt für das Schiedsverfahren namhaft zu machen, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb der zweiwöchigen Frist des Art. 8 Abs. 1 ARB 1965 die Einleitung eines Schiedsverfahrens beantragt habe. Der Antrag der Klägerin sei rechtzeitig gestellt worden, weil die Frist mangels Hinweises der beklagten Partei in ihrem Ablehnungsschreiben auf das Recht, die Einleitung eines Schiedsverfahrens zu beantragen, noch nicht zu laufen begonnen gehabt habe. Der Umstand, daß die Klage auf Schadenersatz bereits eingebracht worden sei, stehe einem Schiedsverfahren nicht entgegen. Die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten zum Zeitpunkt der Klagserhebung als Voraussetzung der Pflicht des Versicherers zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreites könne auch nach Einleitung des Rechtsstreites erfolgen und sei nicht zwecklos, weil die Entscheidung der Schiedsgutachter verbindlich sei. Ob die beklagte Partei allenfalls wegen Verletzung der Obliegenheit nach Art. 4 lit. g ARB 1965 durch die Klägerin, sich zur Verfolgung ihrer Ansprüche eines vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes zu bedienen, leistungsfrei sei, sei im vorliegenden Rechtsstreit bedeutungslos. Im Schiedsverfahren sei nur eine einzelne Voraussetzung des Anspruches aus der Versicherung, nämlich die hinreichende Aussicht auf Prozeßerfolg, zu klären. Seien zwischen den Parteien auch andere Anspruchsvoraussetzungen strittig, so sei hierüber im Deckungsprozeß abzusprechen, der auch parallel zum Sachverständigenverfahren geführt werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Beizupflichten ist dem Berufungsgericht im Ergebnis darin, daß eine allfällige Leistungsfreiheit der beklagten Partei wegen Verletzung der (verhüllten) Obliegenheit des Versicherten nach Art. 4 lit. g ARB 1965, sich zur Verfolgung seiner Ansprüche nur eines vom Versicherer beauftragten Rechtsanwaltes zu bedienen, nicht zu prüfen ist. Bei vereinbarter Leistungsfreiheit muß sich der Versicherer auf die besondere Vereinbarung schon im Verfahren erster Instanz berufen (Petrasch in ZVR 1985, 67), was jedoch hier nicht geschehen ist. Es kann daher auch unerörtert bleiben, ob die beklagte Partei durch ihre Zusage der Deckungspflicht dem Grunde nach auf die Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung verzichtet hat (vgl. Prölss-Martin VVG24 110 f; VersR 1983, 30).

Die Hauptpflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Übernahme der Kosten des Verfahrens in allen Instanzen des ordentlichen Rechtsweges, insbesondere auch der Kosten eines Rechtsanwaltes. Diese Pflicht besteht auch, wenn die Rechtsverfolgung letztlich erfolglos bleibt. Aus diesem Grund erfordert es das Interesse der Versichertengemeinschaft, aus deren Prämienaufkommen die Kosten letztlich bestritten werden, daß die Führung von vornherein aussichtsloser Rechtsstreitigkeiten unterbleibt. Dem entsprechen die Bestimmungen der Art. 7 Abs. 5 und Abs. 8 und Art. 8 ARB 1965, aus denen sich ergibt, daß trotz Vorliegens des Versicherungsfalles keine Pflicht des Versicherers zur Kostendeckung gegeben ist, wenn für die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Bei Meinungsverschiedenheiten über die hinreichende (gänzliche oder teilweise) Erfolgsaussicht sieht Art. 8 ARB 1965 ein Schiedsverfahren vor, das kein Schiedsgerichtsverfahren im Sinne der §§ 577 ff ZPO, sondern ein Schiedsgutachter (Sachverständigen)Verfahren im Sinne des § 64 VersVG ist (ZVR 1980/30). Daß für dieses Schiedsverfahren auch der Versicherer einen Rechtsanwalt namhaft zu machen bzw. zu bestellen hat, ergibt sich aus Art. 8 Abs. 2 ARB 1965 und ist zwischen den Parteien hier auch nicht strittig. Streit besteht lediglich darüber, ob es sich hiebei um eine echte Rechtspflicht (und nicht bloß um eine Obliegenheit) des Versicherers aus dem Versicherungsvertrag handelt, deren Erfüllung der Versicherungsnehmer, der die Einleitung eines Schiedsverfahrens beantragt hat, durch Klage und Exekution erzwingen kann und ob das Schiedsverfahren auch noch nach vorgenommener Prozeßhandlung durchgeführt werden kann. Diese Fragen sind im Wege der Auslegung zu prüfen, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob Versicherungsbedingungen wie Gesetze oder wie Verträge auszulegen sind (vgl. hiezu Bydlinski in Rummel ABGB Rdz 1 zu § 6), weil sich am Ergebnis nichts ändert.

Zweck des Schiedsverfahrens nach Art. 8 ARB 1965 ist es

ersichtlich, die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht als eine

der Voraussetzungen der Kostentragungspflicht des Versicherers zu

klären. Nach dem Wortlaut dieser Klausel wird bei

Meinungsverschiedenheiten über die Aussichten der vom Versicherten

angestrebten Rechtsverfolgung ausschließlich in einem

Schiedsverfahren entschieden und der Versicherungsnehmer

hat ..... einen Rechtsanwalt namhaft zu machen. Der vom

Versicherungsnehmer benannte und der vom Versicherer bestellte

Anwalt sind zu beauftragen ..... über die Streitfrage zu

entscheiden. Kommen beide Rechtsanwälte zu keiner gemeinsamen Meinung, so hat ein vom Präsidenten der nach dem Wohnsitz des Versicherten örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer namhaft gemachte Rechtsanwalt die endgültige Entscheidung zu treffen. Der Zweck und die imperative Fassung der Klausel sprechen für eine echte Ernennungspflicht. Auch nach der im Vertragsbereich maßgeblichen objektiven Erklärungsbedeutung, gemessen am Horizont eines redlichen Erklärungsempfängers, kann die Klausel nicht anders verstanden werden. Wird dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit eingeräumt, die Streitfrage ohne Deckungsprozeß durch ein Schiedsgutachterverfahren klären zu lassen, kann er dies nur so verstehen, daß dann, wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, auch der Versicherer verpflichtet ist, die personelle Voraussetzung für das Gutachterverfahren zu schaffen, und den Versicherungsnehmer nicht wieder auf die Möglichkeit eines Deckungsprozesses verweisen kann. Anders mag dies in jenen Fällen sein, in denen eine Delegierung des Ernennungsrechtes einer Partei vorgesehen ist, wie etwa nach Art. 16 AKIB oder nach Art. 19 AEB und vieler anderer, wo im Falle der Nichternennung seitens einer Partei ein Gericht den Sachverständigen ernennt (vgl. Bruck-Möller VVG8 II 684; Sieg in VersR 1965, 632).

Auch die Rechtsmeinung der beklagten Partei, daß nach Einleitung eines Rechtsstreites das Schiedsverfahren nach Art. 8 ARB 1965 nicht mehr in Betracht kommt, kann nicht geteilt werden. Soweit die Revision davon ausgeht, daß die teilweise Erfolglosigkeit der Klage (hinsichtlich des Rentenbegehrens und des Begehrens auf Ersatz frustrierter Aufwendungen) im Haftpflichtprozeß bereits feststeht, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt. Fest steht lediglich, daß in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz das Haftpflichtverfahren bereits geschlossen war, jedoch wieder aufgenommen wurde. Darauf, ob nach dem Verfahrensstand im Haftpflichtprozeß die Erfolglosigkeit bereits offenkundig ist, kommt es aber hier ohnehin nicht an, weil, wie schon oben dargelegt wurde, der Versicherer auch die Kosten einer erfolglosen Rechtsverfolgung zu tragen hat, sofern, abgesehen von der Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht, Deckungspflicht besteht und der Versicherer nicht leistungsfrei ist. Zweck des Schiedsverfahrens nach Art. 8 ARB 1965 ist es nicht, wie die Revision meint, die Beurteilung der Erfolgsaussichten bloß zu erleichtern, sondern wie schon oben dargelegt wurde, die hinreichende Aussicht auf Erfolg als eine der Voraussetzungen der sonst vom Ausgang des vom Versicherungsnehmer angestrengten Prozesses grundsätzlich unabhängigen Kostentragungspflicht des Versicherers zu entscheiden. Ist diese Entscheidung nicht schon vor Einleitung des Rechtsstreites getroffen worden, ist sie nachher zu treffen und ein Schiedsverfahren daher keineswegs zwecklos, zumal, entgegen der Meinung der Revisionswerberin, das Gericht an den Spruch der Sachverständigen gebunden ist, soferne dieser nicht von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht (§ 64 Abs. 1 VersVG; Lorenz-Liburnau, VersRdSch 1980, 339). Aus Art. 7 Abs. 4 4. Absatz ARB 1965 ist unter dem Gesichtspunkt des Bedeutungszusammenhanges und der Gesetzessystematik für die hier zu beurteilende Frage nichts zu gewinnen. Diese Bestimmung regelt lediglich das Verhalten des Versicherungsnehmers im Falle, daß in einem Verfahren zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen eine Person als Gegner des Versicherungsnehmers auftritt, der der Versicherer aufgrund eines Haftpflichtversicherungsvertrages aus dem gleichen ursächlichen Ereignis Versicherungsschutz zu gewähren hat. Richtig ist, daß der äußerste mögliche Wortsinn die Auslegung einer Norm begrenzt (Koziol-Welser8 I 21). Die von der Wortfolge "vom Versicherten angestrebten Rechtsverfolgung" ausgehenden, umfangreichen Revisionsausführungen zur Wortinterpretation sind jedoch im Ergebnis deshalb nicht zielführend, weil die Revision die Gesetzesanalogie überhaupt vernachlässigt. Legt man Versicherungsbedingungen in Übereinstimmung mit der Revision wie Gesetze aus, wogegen im Schrifttum allerdings erhebliche Bedenken angemeldet wurden (vgl. Bydlinski aaO), kann es nicht zweifelhaft sein, daß nach der offenkundigen Zielsetzung bei Schaffung des Schiedsverfahren nach Art. 8 ARB 1965 eine Gesetzeslücke vorliegt, die durch Analogie dahin zu schließen ist, daß dieses Verfahren auch dann Platz greift, wenn eine Prozeßhandlung bereits vorgenommen wurde. Dem Berufungsgericht ist daher darin beizupflichten, daß ein Schiedsverfahren nach Art. 8 ARB 1965 bei Zutreffen der hier nicht strittigen übrigen Voraussetzungen auch nach Einleitung eines Rechtsstreites, etwa wegen drohender Verjährung wie im vorliegenden Fall, durchgeführt werden kann (so auch Böhme, Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung6 245 zu dem insoweit vergleichbaren § 17 dARB). Die Beurteilung der Erfolgsaussicht wird dann aber aufgrund einer nachträglichen Prognose nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Rechtsstreites vorgelegenen Erhebungsmaterial zu erfolgen haben (vgl. Prölss-Martin aaO 1344). Ist die Frage aufgrund des damals vorgelegenen Sachverhaltes zu bejahen, ist der Versicherer auch dann zur Tragung der Kosten verpflichtet, wenn der Rechtsstreit tatsächlich erfolglos blieb. Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine Meinungsverschiedenheit über die Erfolgsaussicht nur hinsichtlich einzelner Ansprüche besteht. Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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