OGH 7Ob13/94

OGH7Ob13/9423.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. I. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Dr. Friedrich Aichberger und Dr. Friederike Wallentin, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Johannes L*****, vertreten durch Dr. Michel Walter, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 95.791,‑- sA, infolge Revision beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. August 1993, GZ 16 R 144/93‑31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17. März 1993, GZ 4 Cg 741/91‑27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0070OB00013.940.0323.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung lautet:

Das Klagebegehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei zur ungeteilten Hand mit Robert N***** schuldig, der klagenden Partei S 95.791,‑- samt 4 % Zinsen seit Klagstag binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit insgesamt S 23.384,20 (einschließlich S 3.877,40 USt und S 120,‑ ‑ Barauslagen) bestimmten Kosten dieses Rechtsstreites binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist zum Ersatz der im § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Beträge verpflichtet.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 14. 6. 1987 verschuldete Robert N***** als Lenker des PKWs des Beklagten, der bei der klagenden Partei haftpflichtversichert war, einen Verkehrsunfall. Die klagende Partei ersetzte den dadurch Geschädigten den Schaden in Höhe von S 95.791,‑ ‑.

Der Beklagte wollte seinen PKW verkaufen. Er wendete sich deshalb an Robert N*****, der bei einer Tankstelle beschäftigt war, damit er Kaufinteressenten für den PKW suche. Dem Beklagten war bekannt, daß Robert N*****, den er ca 6 Monate vor dem Unfall kennengelernt hatte, über keine Lenkerberechtigung verfügte, weil sie ihm entzogen worden war. Am Tag des Unfalls übergab der Beklagte dem Robert N***** die Autoschlüssel und den Typenschein und trug ihm auf, sich bei an einer Probefahrt interessierten Personen zu vergewissern, ob diese im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung seien. Die Frage, ob Robert N***** selbst mit dem Fahrzeug fahren könne oder nicht, war nicht Thema dieses Gespäches.

Die klagende Partei begehrte von Robert N***** (als ursprünglich Erstbeklagtem) und dem Beklagten den Ersatz des von ihr geleisteten Betrages von S 95.791,‑- zur ungeteilten Hand. Hinsichtlich des Beklagten begründete sie ihren Anspruch dahin, daß dieser seinen PKW an Robert N***** überlassen habe, ohne sich davon zu überzeugen, ob dieser einen Führerschein besitzt.

Gegen Robert N***** erging ein Versäumungsurteil, das in Rechtskraft erwuchs.

Der Beklagte wendete ein, er habe seinen PKW ausschließlich zum Zweck des Verkaufes auf dem Tankstellengelände abgestellt und dem Robert N***** ausdrücklich untersagt, den PKW in Betrieb zu nehmen.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es vertrat aufgrund des festgestellten, einleitend wiedergegebenen Sachverhaltes die Ansicht, daß der Beklagte gegen die Obliegenheit des § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 verstoßen habe, weil er gewußt habe, daß Robert N***** keinen Führerschein besitze und weil ihm klar gewesen sein müsse, daß Robert N***** unter Umständen die Gelegenheit ausnützen werde, das Fahrzeug in Betrieb zu setzen.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Auf den vorliegenden Sachverhalt seien nicht die AKHB 1988, sondern die AKHB 1985 anzuwenden. Die betreffende Obliegenheit sei dort im § 7 Abs 2 Z 1 geregelt. Der Versicherungsnehmer müsse das Fehlen des Verschuldens am Obliegenheitsverstoß beweisen. Ihn treffe auch die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, daß der Lenker das Fahrzeug ohne Willen des Halters gelenkt habe. Für einen unbefugten Gebrauch des Fahrzeuges, bei dem trotz fehlender Lenkerberechtigung keine Leistungsfreiheit des Versicherers eintrete, lägen keine sicheren Anhaltspunkte vor. Der Beklagte habe damit rechnen müssen, daß Robert N***** mit dem PKW fahren werde. Der Beklagte wäre daher verpflichtet gewesen, dagegen entsprechend Vorsorge zu treffen. Er hätte Robert N***** zumindest untersagen müssen, das Fahrzeug selbst zu lenken.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig, weil die Entscheidungen der Untergerichte der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes widersprechen, daß der Versicherer dem versicherten Fahrzeughalter für Fahrten eines unberechtigten Lenkers Versicherungschutz zu gewähren hat, gleichgültig ob der unberechtigte Fahrer einen Führerschein besitzt oder nicht und ob dem Halter der Mangel der Lenkerberechtigung des Schwarzfahrers bekannt war. Der Versicherungsschutz hat auch dann einzugreifen, wenn der Halter nach õ 6 Abs 1 zweiter Satz EKHG für die Folgen einer Schwarzfahrt einzustehen hat (ZVR 1969/352 = SZ 42/78; EvBl 1968/198; VR 1974, 306 ua).

Die Revision ist auch berechtigt.

Nach der vom Gericht zweiter Instanz richtig zitierten Bestimmung des § 7 Abs 2 Z 1 AKHB 1985 (und nach der gleichlautenden Bestimmung der jeweils vorangehenden und nachfolgenden AKHB) bleibt die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung gegenüber dem Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen trotz Fehlens der Lenkerberechtigung des Fahrzeuglenkers bestehen, wenn diese ohne Verschulden annehmen konnten, daß der Lenker die Lenkerberechtigung besitzt oder wenn der Lenker das Fahrzeug ohne Willen des Halters gelenkt hat.

Bei der Beurteilung, ob eine sogenannte Schwarzfahrt vorliegt, kommt es auf die ausdrückliche oder stillschweigende Erlaubnis des Verfügungsberechtigten an. Ob eine konkludente Zustimmung vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei ist maßgebend, ob der Halter nach seiner Persönlichkeit, nach seinen Beziehungen zum Benutzer und dgl der Fahrt zugestimmt hätte, wäre er vorher befragt worden (ZVR 1980/242 mwN; vgl auch Prölss‑Martin VVG25, 1409 ff).

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes übergab der Beklagte den PKW und den Fahrzeugschlüssel an Robert N***** ausschließlich zum Zweck des Verkaufes und zu dem damit unmittelbar zusammenhängenden Zweck, daß Interessenten Probefahrten durchführen können. Der vom Erstgericht verwendeten Formulierung, daß die Frage, ob Robert N***** selbst mit dem Fahrzeug fahren könne oder nicht, kein Thema des Gespräches gewesen sei, läßt sich nicht unterstellen, der Beklagte hätte Robert N***** auch die eigene Benützung des PKWs gestattet. Dies ist umso unwahrscheinlicher, da der Beklagte ja wußte, daß und warum Robert N***** keinen Führerschein besaß. Der Wille des Beklagten war nach den erstgerichtlichen Feststellungen vielmehr ausschließlich darauf gerichtet, daß Robert N***** Kaufinteressenten auftreiben und den PKW zu diesem Zweck in Verwahrung nehmen sollte. Dieser Wille kam auch gegenüber Robert N***** eindeutig zum Ausdruck. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, daß das Erstgericht die Behauptung des Beklagten, er habe Robert N***** ausdrücklich untersagt, mit dem PKW zu fahren, nicht als erwiesen annahm. Auch ohne ein derartiges ausdrückliches Verbot war klargestellt, daß der Zweck der Überlassung nicht darin lag, daß Robert N***** selbst mit dem PKW Fahrten unternehmen kann. Es besteht daher kein Zweifel, daß Robert N*****, als er den PKW in Bewegung setzte, nicht berechtigter Fahrer war.

Gemäß § 6 Abs 1 EKHG haftet der Schwarzfahrer anstelle des Halters für den Ersatz des Schadens, den er verursacht hat. Ein Ausschluß der Haftung des Halters tritt aber nicht ein, wenn die Benützung des Fahrzeuges durch sein Verschulden ermöglicht wurde. Diese Bestimmung betrifft aber nur die Haftung des Halters gegenüber dem geschädigten Dritten, nicht jedoch die Deckungspflicht des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer. Das Haftpflichtversicherungsverhältnis wird auch dadurch nicht berührt, daß der Versicherungsnehmer einen längere Zeit andauernden Zustand schafft, der die Benützung des versicherten Kraftfahrzeuges zu Schwarzfahrten ermöglicht (ZVR 1967/352 = SZ 42/78). Ein Ausschluß der Leistungspflicht des Versicherers käme nur nach § 152 VersVG in Betracht, wenn der Versicherte den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hätte. Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht unterstellt werden, daß die Tatsache, die den Schaden herbeiführte, nämlich die Schwarzfahrt, vom Beklagten vorsätzlich ermöglicht worden wäre (vgl EvBl 1968/108).

Die dem Beklagten zum Vorwurf gemachte Obliegenheitsverletzung liegt daher nicht vor, sodaß ihm gegenüber kein Regreßanspruch des Versicherers besteht. Die Entscheidungen der Untergerichte waren daher in Stattgebung der Revision im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Der Ausspruch über die Ersatzpflicht hinsichtlich der in § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Beträge gründet sich auf § 70 ZPO.

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