OGH 7Ob125/21i

OGH7Ob125/21i24.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* N*, vertreten durch Dr. Alfred Schmidt und andere, Rechtsanwälte in Wörgl, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Mai 2021, GZ 33 R 20/21k‑19, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 5. Jänner 2021, GZ 62 Cg 52/20i‑14, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00125.21I.1124.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung der Deckung (die Position „Schnellestrich neu“ und die Position „Abbruch und Entsorgung des gesamten Fußbodens“, soweit sich diese auf die Entfernung des bestehenden mangelhaften Estrichs bezieht), mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen sind, werden einschließlich der Kostenentscheidung aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist bei der Beklagten betrieblich haftpflichtversichert. Auf den Versicherungsvertrag sind unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 2004) anzuwenden, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 1

Was gilt als Versicherungsfall und was ist versichert?

1. Versicherungsfall

1.1 Versicherungsfall ist ein Schadenereignis, das dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (Pkt. 2.) erwachsen oder erwachsen könnten.

[...]

2. Versicherungsschutz

2.1 Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer

[...]

2.1.2 die Kosten der Feststellung und der Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzverpflichtung im Rahmen des Art. 5, Pkt. 5.

[...]

Artikel 5

Bis zu welcher Höhe und bis zu welchem Umfang leistet der Versicherer?

[...]

5. Rettungskosten; Kosten

[...]

5.2 Die Versicherung umfasst ferner die den Umständen nach gebotenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Feststellung und Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzpflicht, und zwar auch dann, wenn sich der Anspruch als unberechtigt erweist.

[...]

Artikel 7

Was ist nicht versichert? (Risikoausschlüsse)

1. Unter die Versicherung gemäß Art. 1 fallen insbesondere nicht

1.1 Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel;

[...]

1.3 die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung;

[...]

Artikel 8

Was ist vor bzw. nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten? (Obliegenheiten)

Wozu ist der Versicherer bevollmächtigt?

1. Obliegenheiten

Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt:

[...]

1.3 Der Versicherungsnehmer hat alles ihm Zumutbare zu tun, um Ursachen, Hergang und Folgen des Versicherungsfalles aufzuklären und den entstandenen Schaden gering zu halten.

1.4 Er hat den Versicherer umfassend und unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche ab Kenntnis, zu informieren, und zwar schriftlich, falls erforderlich auch fernmündlich oder auf andere geeignete Weise. Insbesondere sind anzuzeigen:

1.4.1 der Versicherungsfall;

1.4.2 die Geltendmachung einer Schadenersatzforderung;

[…]

1.4.4 alle Maßnahmen Dritter zur gerichtlichen Durchsetzung von Schadenersatzforderungen.

[…]

1.5 Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer bei der Feststellung und Erledigung oder Abwehr des Schadens zu unterstützen.

[…]“

[2] Auf den Versicherungsvertrag sind darüber hinaus die Besonderen Bedingungen „Voribau Plus – Vollrisikodeckung für das Bau- und Baunebengewerbe mit besonderen Deckungserweiterungen“ (Voribau Plus) anzuwenden, die auszugsweise wie folgt lauten:

Voribau Plus

Vollrisikodeckung für das Bau- und Baunebengewerbe sowie für Baumeister und dem Baumeistergewerbe entstammende Teilgewerbe

Es gelten die AHVB/EHVB, soweit sie nicht durch die nachfolgenden besonderen Bedingungen abgeändert oder ergänzt werden.

[…]

13. Haftung für Fremdunternehmen

Es wird klargestellt, dass im Rahmen des Vertrages auch Versicherungsschutz für die Haftung des Versicherungsnehmers nach § 1313a und § 1315 ABGB besteht.

[…]

27. Nachbesserungs-Begleitsch äden

1. Abweichend von Art. 1 und Art. 7, Pkte. 1.1 sowie 10.3 AHVB bezieht sich der Versicherungsschutz auch auf Sch äden, die darauf zurückzuführen sind, dass zur Durchführbarkeit von Nachbesserungsarbeiten Sachen des Auftraggebers beschädigt werden müssen (z.B. Abreißen von Tapeten, Aufschlagen von Wänden, Abschlagen von Fliesen, Böden, usw.).

2. Versicherungsschutz besteht nicht, wenn die Sachen, die zur Durchf ührbarkeit der Nachbesserungsarbeiten beschädigt werden müssen, ursprünglich vom Versicherungsnehmer selbst (oder in seinem Auftrag oder für seine Rechnung von Dritten) geliefert, verlegt oder angebracht worden sind.

3. Der Versicherungsschutz wird im Rahmen der Pauschalversicherungssumme geleistet. Abweichend von Art. 5 AHVB stellt diese Versicherungssumme gleichzeitig die H öchstleistung des Versicherers für diese Deckungserweiterung aus allen Versicherungsfällen während des Versicherungsjahres dar.

[...]“

[3] Im Jahr 2015 führte der Kläger im Auftrag der M* GmbH (in der Folge Auftraggeberin) Estrichlegearbeiten im Einfamilienhaus des Dr. F* Z* (in der Folge Bauherr) in Deutschland, durch.

[4] Seit 28. August 2017 ist zu 2 OH * des Landgerichts Traunstein ein „selbständiges Beweisverfahren“ zwischen Bauherr und Kläger anhängig (in der Folge Beweisverfahren). Der Bauherr begehrt die Feststellung der Mängel sowie ihrer Ursachen und fordert vom Kläger den Ersatz der Kosten der Mängelbeseitigung, aufgegliedert entsprechend einem Sachverständigengutachten wie folgt:

„Schutz der Türzargen ca. 250,00 €

Entfernen bzw. Rückbau der Küche und Schreinerarbeiten, Zwischenlagern der Küche und Wiedereinbau ca. 14.000,00 €

Abbruch und Entsorgung gesamte Fußbodenkonstruktion ca. 3.500,00 €

Fußbodenheizung neu einschl. Dämmung und Funktionsheizen ca. 4.500,00 €

Schnellestrich neu (Belegung nach 11 Tagen) ca. 4.000,00 €

Untergrundvorbereitung/Grundierung ca. 1.296,00 €

Kleber ca. 1.620,00 €

Parkett (einschl. Sockelleiste und Oberflächenbehandlung) ca. 21.600,00 €

netto ca. 50.766,00 €

zuzügl. 19 % MwSt. ca. 9.645,54 €

brutto ca. 60.411,54 €

gerundet 60.500,00 €“

[5] Mit Schreiben vom 23. März 2020 forderte die Auftraggeberin vom Kläger erfolglos die Abgabe eines Verjährungsverzichts.

[6] Mit Schreiben vom 1. April 2020 ersuchte der Kläger die Beklagte unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten des Beweisverfahrens, ihre Deckungspflicht für die aus dem Schadensfall (seitens des Bauherren bzw der Auftraggeberin) resultierenden Schadenersatzansprüche zu erklären.

[7] Mit E‑Mail vom 3. April 2020 bestätigte die Beklagte die Deckung für jene Schadenersatzansprüche, für die im Rahmen der Haftpflichtversicherung Versicherungsschutz vorgesehen sei und bat um Benennung der konkreten Forderungen.

[8] Daraufhin gab der Klagevertreter an, dass lediglich die Position „Schnellestrich neu“ das Erfüllungssurrogat betreffe. Alle anderen Positionen aus dem Sachverständigengutachten des Beweisverfahrens seien von der Versicherung gedeckt.

[9] Mit Schreiben vom 13. Mai 2020 führte die Beklagte aus, sie müsse davon ausgehen, dass es sich überwiegend um einen Schaden aus Vertragserfüllung oder Gewährleistung handle und lediglich zu einem geringen Anteil um Folgeschäden am Gewerk Dritter. Für Forderungen aus Vertragserfüllung bestehe keine Deckung aus dem Vertrag. Die Beklagte erteile daher nur eine eingeschränkte Deckungszusage und weise darauf hin, dass, wenn im Endeffekt nur ein vom Versicherungsschutz nicht umfasster Gewährleistungs‑ oder Vertragserfüllungsanspruch übrig bleibe, weder die Hauptsache noch die Vertretungskosten übernommen werden können. Unter dieser Prämisse werde sehr eingeschränkt Deckung gegeben und gebeten, die Beklagte ständig zu informieren, damit der Versicherungsschutz geprüft werden könne.

[10] Der Klagevertreter erwiderte darauf, dass diese Einschränkungen nicht dem Schreiben vom 3. April 2020 entsprochen hätten und forderte die Beklagte auf, die Deckungszusage entsprechend zu revidieren, um eine gerichtliche Klärung zu vermeiden.

[11] In dem seit 26. Mai 2020 zu 2 * des Landgerichts Traunstein anhängigenVerfahren begehrt dieAuftraggeberin vom Kläger des nunmehrigen Verfahrens als Beklagten Folgendes (in der Folge Feststellungsverfahren):

[12] „Es wird festgestellt, dass der Beklagte gegenüber der Klägerin für folgende Mangelsymptome an dem [im] Anwesen […] eingebauten Estrich gewährleistungsrechtlich einstandspflichtig ist:

1. Die zu geringe Biegezugfestigkeit [...], wie auch im Beweisverfahren im Gutachten des Sachverständigen […] ausgeführt;

2. Sedimentation und Feinteilanreicherung in der oberen Zone des Estrichquerschnitts, wie auch im Beweisverfahren im Gutachten [...] ausgeführt.“

[13] Anspruchsbegründend brachte dieAuftraggeberinzusammengefasst vor, die Klage werde zur Verhinderung einer allenfalls drohenden Verjährung eingebracht. In mehreren Räumen im Erdgeschoß des Bauherren habe sich der Parkettboden vom Untergrund abgelöst und weise dazu „Hohlstellen“ auf. Dies liege nach dem im Beweisverfahren eingeholten Sachverständigengutachten daran, dass der Estrich nicht die notwendige Festigkeit aufweise, was der (hier) Klägerzu verantworten habe. Da nicht feststehe, wie, mit welchen Inhalten und auf welche Weise sich der geltend gemachte Anspruch ergebe, bestehe auch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Die Bewertung erfolge auf Basis der Kostenschätzung des Sachverständigen aus dem Beweisverfahren.

[14] Am 10. Juni 2020 setzte der Kläger die Beklagte über das Feststellungsverfahren in Kenntnis und ersuchte um Deckungszusage.

[15] Die Beklagte sagte daraufhin am 16. Juni 2020 die gleiche Deckung wie im vorangegangenen Schreiben vom 13. Mai 2020 zu.

[16] Der Kläger begehrt die Feststellung der Versicherungsdeckung für das gegen ihn von der Auftraggeberin geführte Verfahren vor dem Landgericht Traunstein. Der Anspruch ergebe sich insbesondere aus Art 27 Voribau-Plus. Da sich die Beklagte trotz mehrfacher Aufforderung bezüglich einer Deckung nicht positioniert habe, könne den Kläger schwerlich ein Vorwurf daran treffen, dass er sie nicht über den von der Auftraggeberin geforderten Verjährungsverzicht informiert habe.

[17] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Versicherungsschutz erstrecke sich nicht auf Ansprüche aus Gewährleistung oder Erfüllung. Da der Kläger weder den von der Auftraggeberin geforderten Verjährungsverzicht abgegeben noch die Beklagte über diese Aufforderung informiert habe, liege eine Obliegenheitsverletzung vor, welche die Leistungsfreiheit der Beklagten bewirke.

[18] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme der Kosten für die Position „Schnellestrich neu“ sowie der Kosten für die Position „Abbruch und Entsorgung des gesamten Fußbodens“ statt. Die AHVB 2004 seien durch die Besonderen Bedingungen „Voribau Plus“ im Sinne einer Besserstellung des Versicherungsnehmers abgeändert worden. Die Beschädigung der Fußbodenkonstruktion sei durch Art 27.1. Voribau Plusgedeckt, weil in diesem explizit der Versicherungsschutz für Schäden bejaht werde, die darauf zurückzuführen seien, dass zur Durchführbarkeit von Nachbesserungsarbeiten Sachen des Auftraggebers beschädigt werden müssten. Ein Fall des Art 27.2. Voribau Plus liege nicht vor, weil lediglich der Estrich und nicht auch der Parkettboden vom Versicherungsnehmer verlegt worden sei. Nur der auf den Estrich entfallene Teil der Schadensberechnung sei somit vom Versicherungsschutz ausgenommen. Dies umfasse die im Gutachten des Beweisverfahrens angeführten Kosten für die Positionen „Schnellestrich neu“ und anteilsweise – soweit es sich auf die Entfernung des bestehenden, mangelhaften Estrichs beziehe – den „Abbruch und Entsorgung des gesamten Fußbodens“. Eine Obliegenheitsverletzung des Klägers gemäß Art 8 AHVB 2004 liege nicht vor, weil dem vorprozessualen Schriftverkehr Erkundigungen seitens des Klägers in Bezug auf die Abgabe einer Verjährungsverzichtserklärung nicht zu entnehmen seien. Es lasse sich weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit des Klägers ableiten.

[19] Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung Folge und wies das Klagebegehren ab. Das Hauptverfahren sei allein auf die Feststellung der Gewährleistungspflicht des Klägers gerichtet. Nach Art 7.1.1 AHVB 2004 sei die Deckung solcher Ansprüche ausgeschlossen. Das Erstgericht habe offenbar das – hier nicht zu beurteilende – Beweisverfahren mit dem Feststellungsverfahren vermengt. Schäden, die über das Erfüllungsinteresse der Auftraggeberin an der (mangelfreien) Leistung des Klägers hinausgingen, seien schon nach dem Klagebegehren nicht Gegenstand des Hauptverfahrens. Auch Art 27.1. Voribau Plusführe zu keiner abweichenden Beurteilung, weil der hier zu beurteilende Haftpflichtprozess allein die Frage der Mangelhaftigkeit der Leistung des Klägers und der daraus resultierenden Gewährleistungspflicht zum Gegenstand habe. Auf die Frage einer Obliegenheitsverletzung sei daher nicht mehr einzugehen.

[20] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[21] Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[22] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

[23] 1.1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[24] 1.2. Das Klagebegehren allein führt nicht zur Klagsabweisung.  Das Begehren des Klägers ist auf Versicherungsdeckung für das von der Auftraggeberin gegen ihn eingeleitete Verfahren vor dem Landgericht Traunstein gerichtet. Sein Vorbringen zeigt jedoch deutlich, dass er – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – trotz des Begehrens im Verfahren vor dem Landgericht Traunstein nicht die Feststellung der Versicherungsdeckung für Gewährleistungsansprüche anstrebt, sondern für den Schadensfall an sich, der daraus resultiert, dass sich im Erdgeschoß des Hauses des Bauherren infolge von Estrichmängeln der Parkettboden vom Untergrund abgelöst hat und dieser „Hohlstellen“ aufweist (vgl RS0081040 [T1]; 7 Ob 12/93). Dem Begehren ist daher in diesem Sinn bloß eine deutlichere Fassung zu geben (vgl RS0039357 [T2, T36, T44]).

[25] 2. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[26] 3. Bei der Haftpflichtversicherung ist der Versicherer gemäß § 149 VersVG verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat.

[27] 3.1. Der Anspruch des Versicherungsnehmers aus der Haftpflichtversicherung ist auf die Befreiung von begründeten und die Abwehr von unbegründeten Haftpflichtansprüchen gerichtet. Unbeschadet dieser beiden Komponenten (Befreiungs‑ und Rechtsschutzanspruch) handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch des Versicherungsnehmers. Er entsteht und wird in dem Zeitpunkt fällig, in dem der Versicherungsnehmer von einem Dritten auf Schadenersatz wegen eines unter das versicherte Risiko fallenden Ereignisses oder einer solchen Eigenschaft in Anspruch genommen wird (vgl RS0081228; RS0080013; RS0080086). Ab der Inanspruchnahme durch den Dritten steht dem Versicherungsnehmer (vorerst nur) ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Versicherungsschutzes (der Deckungspflicht) zu, wenn der Versicherer die Deckung – wie hier – ablehnt (RS0038928). Diesfalls hat der Versicherungsnehmer grundsätzlich auf Feststellung zu klagen, dass der Versicherer wegen eines im einzelnen genau bezeichneten Versicherungsfalls Versicherungsschutz zu gewähren hat (RS0081040 [T1]).

[28] 3.2. Der Deckungsanspruch des Haftpflichtversicherten ist durch das versicherte Risiko spezifiziert und von dem vom Geschädigten erhobenen Anspruch abhängig (RS0081015). Zwar umfasst der Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung auch die den Umständen nach gebotenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Feststellung und Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzpflicht. Versicherungsschutz besteht aber nur für die Abwehr jener Ansprüche, die grundsätzlich von der Deckungspflicht des Versicherers umfasst sind. Die Kostendeckung für die Anspruchsfeststellung und ‑abwehr reicht nicht weiter als das materiell gedeckte Risiko (RS0132326).

[29] 3.3. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]; RS0080068). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[30] 3.4. Einigkeit besteht zwischen den Parteien, dass nach Art 7.1 AHVB 2004 keine Versicherungsdeckung für Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel (Art 7.1.1 – Gewährleistungsklausel) sowie die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung (Art 7.1.3 – Erfüllungsklausel) besteht.

[31] 3.5. Der Kern des Streits dreht sich um die Frage, welche Positionen in dem im Beweisverfahren eingeholten Sachverständigengutachten als Nachbesserungsbegleitschäden im Sinn von Art 27 der Besonderen Bedingungen Voribau Plus anzusehen sind.

[32] 3.5.1. Soweit der Holzboden im Haus des Bauherren infolge von Estrichmängeln unbrauchbar wurde, handelt es sich schon um einen Mangelfolgeschaden, weil die Werkleistung des Versicherungsnehmers (Estrichverlegung) einen Folgeschaden an einer anderen Sache (Holzboden) angerichtet hat, sodass diesbezüglich schon aufgrund der Basisdeckung Versicherungsschutz besteht. Sofern er nur entfernt werden musste, um den Estrich erneuern zu können fiele er unter Nachbesserungsbegleitschäden, worauf gleich eingegangen wird.

[33] 3.5.2. Im vorliegenden Fall haben die Parteiendurch die AHVB 2004 nicht gedeckte „Nachbesserungsbegleitschäden“ gemäß Art 27 der Besonderen Bedingungen Voribau Plus in die Deckung eingeschlossen. Diese werden als Schäden definiert, „die darauf zurückzuführen sind, dass zur Durchführbarkeit von wegen eines Mangels notwendigen Nachbesserungsarbeiten Sachen des Auftraggebers beschädigt werden müssen“, wobei als Beispiele das Abschlagen von Wänden oder Abschlagen von Fliesen oder Böden genannt werden (vgl allgemein dazu Lübben, Versicherungsschutz für sog. „Nachbesserungsbegleitschäden“ in der Betrieblichen Haftpflichtversicherung, VersR 2020, 1225; Gisch, Haftpflichtversicherung: Deckung von Nachbesserungs-begleitschäden, ZVers 2021, 40 [41]). Dieser zusätzliche Versicherungsschutz beruht auf der Überlegung, dass der Werkunternehmer bei Verbesserung seines mangelhaften Gewerks in vielen Fällen im Rahmen von Vorbereitungs‑ und Nachbereitungsarbeitenzwangsläufig Gebäudeteile oder sonstige Sachen des Werkbestellers beschädigen muss und dieses Risiko zusätzlich versichern will (Lübben, VersR 2020, 1125 [1127]). Die Deckungserwartung des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers geht daher in Richtung einer Einschränkung der Gewährleistungsklausel. Der Deckungsumfang muss sich an der vereinbarten Klausel orientieren.

[34] Kein Versicherungsschutz besteht gemäß Art 27.2. Voribau Plus, wenn die Sachen, die zur Durchführbarkeit der Nachbesserungsarbeiten beschädigt werden müssen, ursprünglich vom Versicherungsnehmer selbst (oder in seinem Auftrag oder für seine Rechnung von Dritten) geliefert, verlegt oder angebracht worden sind. Die Beseitigung von Mängeln an dem vom Versicherungsnehmer hergestellten Gewerk ist somit nicht vom Versicherungsschutz umfasst.

[35] 3.5.3. In diesem Sinn ist die Abweisung zur Position „Schnellestrich neu“ und anteilsweise – soweit es um die Entfernung des bestehenden, mangelhaften Estrichs geht – die Position „Abbruch und Entsorgung des gesamten Fußbodens“ in Rechtskraft erwachsen. Bei der Position „Untergrundvorbereitung/Grundierung“ ist den Feststellungen nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob es sich um einen Bestandteil des vom Kläger hergestellten Gewerks handelt oder nicht, sodass dazu im fortzusetzenden Verfahren klare Feststellungen nachzutragen sind.

[36] 3.5.4. Bei den übrigen vom Erstgericht festgestellten Positionen handelt es sich hingegen grundsätzlich um von Art 27.1. Voribau Plus umfasste Vorbereitungs‑ und Nachbereitungsarbeiten. Allerdings verlangt die Klausel weiters, dass Sachen des Auftraggebers wegen der aufgrund des Mangels notwendigen Verbesserungsarbeiten „beschädigt“ werden. Aufwendungen für „beschädigungsfreie“ Vorbereitungs‑ und Nachbereitungsarbeiten sind somit aufgrund des eindeutigen Wortlauts der vorliegenden Klausel nicht mitversichert.

[37] Dass die Entfernung der Fußbodenheizungsrohre nicht ohne Beschädigung möglich ist, ergibt sich hinreichend klar aus dem festgestellten Sachverhalt. Hingegen lässt sich den Feststellungen nicht zweifelsfrei entnehmen, ob der Aus- und Einbau der Küche ohne Beschädigung möglich ist, sodass auch insoweit aussagekräftige Feststellungen nachgetragen werden müssen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Gutachten, das die Basis für die erstgerichtlichen Feststellungen bildet, noch weitere – allerdings nicht festgestellte – mit der Verbesserung zwangsweise verbundene Nachbereitungsarbeiten angeführt sind, nämlich Putzausbesserungen und Malerarbeiten (vgl Beilage ./C, S 27 sowie das diesbezügliche Vorbringen des Klägers in ON 8, S 4), sodass die Feststellungsgrundlage auch insoweit ergänzungsbedürftig ist.

[38] 3.5.5. Müssen im Zuge von Vorbereitungs- und Nachbereitungsarbeiten Sachen des Auftraggebers beschädigt werden, sind ausgehend vom dargestellten Zweck der Regelung und dem Verständnis eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht bloß die Materialkosten (zB Holz, Fliesen, Tapete), sondern auch der sonstige Aufwand (zB Personalkosten für das Entfernen, die Entsorgung und das Wiederverlegen des Bodens, der Fliesen) von der Versicherungsdeckung gemäß Art 27.1. Voribau Plus umfasst. Die Regelung spricht nämlich allgemein von „Schäden“, ohne diese in Richtung des bloßen Materialersatzes einzuschränken. Dies wird auch durch den Hinweis auf das Abreißen von Tapeten unterstützt, bei dem die Materialkosten in der Regel nur einen geringfügigen Teil des Gesamtaufwands ausmachen. Im vorliegenden Fall wird dieses Auslegungsergebnis noch dadurch bestärkt, dass die Deckungserweiterung von der Beklagten als „Vollrisikodeckung“ bezeichnet wird, was zusätzlich für einen möglichst umfassenden Versicherungsschutz spricht.

[39] 4. Da das Klagebegehren nach den bisherigen Ausführungen jedenfalls teilweise berechtigt sein wird, ist schon an dieser Stelle zu prüfen, ob die von der Beklagten behauptete Obliegenheitsverletzung vorliegt, weil sie der Kläger nicht über die Aufforderung von dessen Auftraggeberin informiert hat, einen Verjährungsverzicht abzugeben.

[40] 4.1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RS0116978).

[41] 4.2. Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe. Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gebotenen Umständen hätte geschehen müssen (RS0080371). Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0030272). Dass – bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung – die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluss gehabt hat, ist vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen (RS0081313).

[42] 4.3. Den Versicherungsnehmer trifft im Sinn der Art 8.1.4.4 und 8.1.5 AHVB grundsätzlich die Obliegenheit, den Versicherer über die Aufforderung des Geschädigten zuunterrichten, einen Verjährungsverzicht abzugeben, soll doch der Versicherer über alle Maßnahmen Dritter zur Durchsetzung von Schadenersatzforderungen informiert und bei der Feststellung und Erledigung oder Abwehr des Schadens unterstützt werden. Der Versicherer soll in die Lage versetzt werden zu entscheiden, ob er Prozesskosten (zumindest vorläufig) vermeiden will oder nicht. Da der Kläger die Beklagte über die Aufforderung der geschädigten Auftraggeberin, einen Verjährungsverzicht abzugeben, nicht informiert hat, liegt eine Obliegenheitsverletzung vor.

[43] Allerdings ist die Verletzung dieser Obliegenheit dem Kläger im vorliegendenFall nicht qualifiziert vorwerfbar: Der Kläger formulierte seine Deckungsanfrage unter Bezugnahme auf das im selbständigen Beweisverfahren eingeholte Gutachten und führte aus, dass lediglich die Postion „Schnellestrich neu“ das Erfüllungssurrogat betreffe; alle anderen Positionen seien von der Versicherung gedeckt. Die Beklagte antwortete darauf, dass es sich überwiegend um einen Schaden aus Vertragserfüllung oder Gewährleistung handle, der nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei, weshalb sie, wenn überhaupt, nur in sehr eingeschränktem Umfang Deckung geben könne. Trotz Nachfrage erhielt der Kläger keine konkretere Antwort. Vielmehr ließ ihn die Beklagte mit ihren bewusst allgemein gehaltenen Formulierungen im Dunkeln, ob und welche Positionen gedeckt sind. Wenn der Kläger bei einem derartigen – gerade nicht auf Streitvermeidung abzielenden – Verhalten des Versicherers diesen nicht darüber informiert, dass sein Gegner von ihm einen Verjährungsverzicht zum vorläufigen Abwenden eines Prozesses fordert, dann ist darin jedenfalls kein objektiv und subjektiv besonders schwerwiegender Verstoß gegen diese Obliegenheit zu sehen. Eine bloß leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung schadet aber nicht.

[44] 5. Da die Feststellungen ergänzungsbedürftig sind (vgl die Punkte 3.5.2.3. und 3.5.2.4.)kann über die Sache noch nicht abschließend entschieden werden. Die Urteile der Vorinstanzen – soweit sie nicht in Rechtskraft erwachsen sind – sind daher aufzuheben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[45] 6. Der Kostenvorbehalt gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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