European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00121.16V.0706.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS‑Justiz RS0042936). Auch die im Rahmen eines Garantievertrags abgegebenen Erklärungen des Garanten unterliegen den Auslegungsregeln der §§ 914, 915 ABGB (RIS‑Justiz RS0033002; RS0017670), sodass deren Interpretation regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft. Dies gilt ebenso für eine in der Bankgarantie enthaltene Effektivklausel (RIS‑Justiz RS0033002 [T11] = RS0017670 [T10]).
1.2 Dem steht der Grundsatz der formellen Garantiestrenge nicht entgegen, weil dieser kein Selbstzweck ist, sondern nur soweit trägt, als dies dem Willen der Vertragsparteien entspricht (RIS‑Justiz RS0033002). Im Regelfall ist nur der Text der Garantieerklärung für die Interpretation maßgeblich. Im Hinblick auf das beträchtliche Risiko, das bei einer Bankgarantie für die garantierende Bank besteht, entspricht es der Verkehrssitte, dass ihr Wortlaut genau zu beachten ist und immer besondere Gründe vorliegen müssen, von ihm abzuweichen (RIS‑Justiz RS0016999).
1.3.1 Infolge der Abstraktheit der Garantie sind nur solche Einwendungen zulässig, die sich aus der Auslegung des Garantietextes selbst ergeben (RIS‑Justiz RS0016984 [T2]). Die Auslegung richtet sich danach, wie die Effektivklausel vom Begünstigten, dem Erklärungsempfänger, redlicherweise verstanden werden musste (RIS‑Justiz RS0033002 [T4]). Die formelle Garantiestrenge gilt nach entsprechender Interessenabwägung zu Gunsten des Begünstigten dann nicht uneingeschränkt, wenn die exakte Erfüllung der Garantiebedingungen an Umständen scheitert, die vom Begünstigten weder beeinflusst wurden noch zu beeinflussen waren, wenn die Hindernisse also nicht seiner Sphäre zuzurechnen sind. Trifft dieses hingegen nicht zu, hat der Begünstigte die Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich pedantisch genau zu erfüllen (RIS‑Justiz RS0017670 [T14]; RS0033002 [T17]).
1.3.2 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass, selbst wenn man der Auffassung der Beklagten folgte, dass ihre Zahlungspflicht an die Bedingung der Zahlung der Klägerin von insgesamt 1.454.641,39 EUR an Deckungsrücklässen an die Auftragnehmerin geknüpft wäre, die Garantie dennoch im Umfang der von der Klägerin tatsächlich aufgrund der Teilrechnungen 1 bis 15 geleisteten Deckungsrücklässe in Höhe von 1.233.415,01 EUR wirksam geworden sei, hält sich im Rahmen der Judikatur. Es legte ausführlich dar, dass die Zahlung der bis dahin noch nicht fälligen 16. Teilrechnung samt darauf entfallenden Deckungsrücklass infolge Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Rücktritt des Insolvenzverwalters vom Vertrag gemäß § 21 IO unterblieb, und daher aus Gründen, die außerhalb des Einflussbereichs der Klägerin lagen. Dagegen hat die Beklagte keine stichhaltigen Argumente vorgebracht.
1.3.3 Die von der Beklagten zitierten Entscheidungen sind nicht einschlägig. Hier wurde die Garantie nicht bloß von der Zahlung eines ganz bestimmten Betrags abhängig gemacht, sondern vielmehr an einen „Deckungsrücklass von der Verdienstsumme“ angeknüpft, der, da es sich um einen zukünftigen Verdienst handelt, im Zeitpunkt der Garantieerklärung ungewiss war.
1.4 Das Erstgericht stellte fest, dass in der Baubranche und im Vertrag zwischen der Klägerin und der Auftragnehmerin der Begriff „Deckungsrücklass“ bzw „Deckungsrücklassgarantie“ so verstanden wird, wie es bereits seit Jahrzehnten jenem der ÖNORM B 2110 Punkt 1.2.13 bzw der derzeit geltenden ÖNORM A 2050 Punkt 3.20.3 entspricht, wonach der Deckungsrücklass auch Sicherstellung für die Vertragserfüllung durch den Auftragnehmer ist, sofern diese nicht durch Kaution abgesichert ist.
Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der von der Beklagten in der Garantie verwendete Begriff von der Klägerin in diesem Sinn habe verstanden werden müssen, zumal Anhaltspunkte dafür gefehlt hätten, dass die Beklagte den Begriff branchenunüblich verwenden könnte, ist nicht zu beanstanden. Zudem ist in der Garantie vermerkt, dass sie sich in dem durch den Deckungsrücklass erfassten Bereich auch auf Ansprüche nach §§ 21, 22 IO bezieht.
2. Die Schutzwürdigkeit des Begünstigten aus einer Bankgarantie ist dann nicht mehr gegeben, wenn er eine Leistung in Anspruch nimmt, obwohl schon eindeutig feststeht, dass er keinen derartigen Anspruch gegen den Dritten hat und daher das Erhaltene jedenfalls sofort wieder herauszugeben hätte. Die Inanspruchnahme der Garantie durch den Begünstigten wäre diesfalls eine missbräuchliche Rechtsausübung. Voraussetzung für Rechtsmissbrauch – dabei muss an § 1295 Abs 2 ABGB im Sinn der neueren Judikatur und der Lehre angeknüpft werden – ist, dass zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht; der Schädigungszweck muss augenscheinlich so sehr im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten (RIS‑Justiz RS0018006). Rechtsmissbrauch wurde angenommen, wenn die Bankgarantie vom Begünstigten für ein Ereignis in Anspruch genommen wird, für das sie nicht übernommen wurde, oder wenn der Begünstigte die Bankgarantie abgerufen hat, obwohl ihm bewusst war, dass ihm keine Leistung gebührt (RIS‑Justiz RS0018027 [T8]). Erfolgt die Abberufung einer Bankgarantie hingegen – wie hier – aufgrund einer vertretbaren Auslegung des im Valutaverhältnis abgeschlossenen Vertrags, liegt Rechtsmissbrauch nicht vor (RIS‑Justiz RS0016950).
3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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