OGH 7Ob118/16b

OGH7Ob118/16b6.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** W*****, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Herausgabe, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. März 2016, GZ 1 R 19/16w‑23, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. November 2015, GZ 52 Cg 13/14x‑19, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00118.16B.0706.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision zur Auslegung des § 3 Abs 2 und 3 VersVG, insbesondere zu der Frage, wie lange der Versicherungsnehmer berechtigt sei, die in diesen Bestimmungen genannten Rechte auszuüben, zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

Selbst wenn das Berufungsgericht – zu Recht – ausgesprochen hätte, die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, das Rechtsmittel aber nur Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist die Revision trotz der Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0102059).

1. Die Klägerin wendet sich nur mehr gegen die Abweisung ihres auf Herausgabe von Versicherungsanträgen und Versicherungspolizzen samt Bedingungen im Zusammenhang mit vier konkret bezeichneten Versicherungsverhältnissen gerichteten Begehrens, weil nur eine – nach ihren Behauptungen hier nicht gegebene – rechtliche Unmöglichkeit oder „faktische Absurdität im Sinn des § 878 ABGB“ ihrem Herausgabeanspruch entgegenstünde.

2. § 878 ABGB handelt von der ursprünglichen (anfänglichen), im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses bereits bestehenden (absoluten) Unmöglichkeit der versprochenen Leistung, die das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts überhaupt in Frage stellt, während die nachträgliche Unmöglichkeit in den Bereich der Leistungsstörungen gehört (RIS‑Justiz RS0016422). Entgegen den Revisions-ausführungen liegt zur – hier allein interessierenden – nachträglichen Unmöglichkeit nicht nur ausreichend Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor; ob Unmöglichkeit der Leistung gegeben ist, ist darüber hinaus immer nur nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0115570 [T6]).

3. Die Unmöglichkeit der (Gegen‑)Leistung kann zwar nach Lehre und Rechtsprechung eine den Anspruch aufhebende Tatsache sein. Einen Oppositionsgrund bildet sie aber nur dann, wenn die Unmöglichkeit der Leistung nach dem in § 35 Abs 1 EO bezeichneten Zeitpunkt eingetreten ist (RIS‑Justiz RS0001233). Lässt sich jedoch die Behauptung des Verpflichteten, die Leistung sei unmöglich, schon im Zuge des Rechtsstreits überprüfen, dann kann über diese Behauptung nicht mit dem Hinweis auf eine mögliche Klarstellung im Exekutionsverfahren hinweg gegangen werden, weil die Verpflichtung zu einer Leistung, deren Unmöglichkeit dem Gericht bekannt oder erkennbar ist, nicht Inhalt eines Urteilsspruchs sein darf (RIS‑Justiz RS0034219, RS0001138).

4. Die Erfüllung ist vereitelt, wenn dem Schuldner die Bewirkung der versprochenen Leistung physisch oder rechtlich dauernd (endgültig) unmöglich geworden ist (RIS‑Justiz RS0018391 zu § 920 ABGB). Unmöglichkeit im Sinn des § 1447 ABGB bedeutet ebenfalls, dass der Leistung ein dauerhaftes Hindernis entgegensteht, also nach der Verkehrsauffassung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Leistung auch in Zukunft nicht erbracht werden kann. Besteht jedoch eine ernst zu nehmende irgendwie ins Gewicht fallende Chance, dass diese zumindest zu einem späteren Zeitpunkt wieder möglich sein wird, so liegt nicht Unmöglichkeit, sondern Verzug vor (RIS‑Justiz RS0109496, vgl auch RS0016423, RS0016403 [T9]). Der Einwand der Unmöglichkeit der Leistung ist auch bei schuldhafter Verletzung der Vertragspflichten durch den Schuldner an sich nicht ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0011210 [T3] = RS0011215 [T14]; auch [T16]).

5. Ausgehend von den Feststellungen, dass zu den vier bereits vor Jahren übertragenen Versicherungsverträgen der Beklagten keine Abschriften mehr vorliegen und solche auch nicht mehr angefertigt werden können, weil keine Datensätze im EDV‑System der Beklagten gespeichert sind, bejahten die Vorinstanzen – nicht korrekturbedürftig – die (endgültige) Unmöglichkeit der Herausgabe der noch strittigen Versicherungsunterlagen, zumal für eine andere Möglichkeit der Rekonstruktion der Unterlagen weder konkrete Anhaltspunkte bestehen noch derartige Behauptungen aufgestellt wurden.

6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

7. Der vom Berufungsgericht ausgesprochene Kostenvorbehalt erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit nicht entgegen (vgl RIS‑Justiz RS0129365 [T1]), die hier auf §§ 41, 50 ZPO gründet. Die im Revisionsverfahren strittigen Versicherungsverhältnisse sind von den (jeweils mit 7.270 EUR bewerteten) Punkten 1.1, 1.2 und 1.3 des Klagebegehrens betroffen, die sich aber auf insgesamt 21 Versicherungsverhältnisse bezogen. Das Revisionsinteresse für die vier im Revisionsverfahren allein gegenständlichen Versicherungsverhältnisse beträgt daher nur 4.154 EUR.

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