OGH 7Nc16/10b

OGH7Nc16/10b15.7.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen K***** R*****, geboren am *****, wohnhaft bei der Mutter N***** R*****, Vater M***** R*****, vertreten durch Mag. Manfred Sigl, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen Übertragung der Obsorge, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Haag vom 26. Mai 2010, GZ 1 PS 90/10f-2, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Traun wird genehmigt.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern ist aufrecht. Bislang wurde nur ein Unterhaltsvorschussverfahren geführt. Das Bezirksgericht St. Pölten übertrug das Pflegschaftsverfahren mit Beschluss vom 25. 10. 2007 an das Bezirksgericht Haag gemäß § 111 JN, weil sich das Kind nunmehr ständig in S***** aufhalte (ON U22). Das Bezirksgericht Haag übernahm die Zuständigkeit mit Beschluss vom 31. 10. 2007 (ON U24). Mit Beschluss vom 23. 6. 2009 übertrug das Bezirksgericht Haag die Zuständigkeit in der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Amstetten, weil das Kind nunmehr seinen ständigen Aufenthalt in A***** habe (ON U32). Das Bezirksgericht Amstetten übernahm die Zuständigkeit mit Beschluss vom 6. 7. 2009 (ON U34). Mit Beschluss vom 10. 3. 2010 stellte das Bezirksgericht Amstetten die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 UVG ein (ON U42).

Am 28. 4. 2010 teilte die Lebensgefährtin des Vaters dem Gericht mit, dass das Kind seit sechs Monaten beim Vater in S***** wohne und dort den Kindergarten besuche. Das Kind sei aber von der Mutter abgeholt und dem Vater nicht mehr zurückgebracht worden.

Das Bezirksgericht Amstetten fasste am 28. 4. 2010 den Beschluss auf Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 1 JN an das Bezirksgericht Haag mit der Begründung, dass sich das Kind nunmehr in S***** aufhalte (ON U44). Die Zuständigkeit wurde vom Bezirksgericht Haag mit Beschluss vom 6. 5. 2010 (ON U45) übernommen.

Am 20. 5. 2010 stellte der Vater an das Bezirksgericht Haag den Antrag auf Übertragung der alleinigen Obsorge und den Antrag auf Zuteilung der vorläufigen alleinigen Obsorge. Er brachte vor, dass er mit dem Minderjährigen nach S***** übersiedelt sei. Seit Mitte April 2010 habe er mit der Sanierung seiner Wohnung begonnen und daher die Mutter gebeten, sich kurz um den gemeinsamen Sohn zu kümmern. Es sei vereinbart worden, dass die Mutter den Minderjährigen am 26. 4. 2010 wieder zurückbringe. Die Mutter habe jedoch nun mitgeteilt, dass der Minderjährige ab jetzt bei ihr wohnen werde. Sie habe mit dem Vater jeglichen Kontakt abgebrochen.

Das Bezirksgericht Haag fasste am 26. 5. 2010 den Beschluss auf Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Traun gemäß § 111 JN, da sich der Minderjährige nunmehr bei der Mutter im Sprengel des Bezirksgerichts Traun aufhalte. Die Eltern des Minderjährigen lebten getrennt, sodass sein gewöhnlicher Aufenthalt bei dem Elternteil liege, der wolle, dass sich das Kind bei ihm dauernd aufhalte. Dieser Beschluss wurde den Eltern zugestellt.

Das Bezirksgericht Traun verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit. Von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes könne bei einer bestimmten Dauer und Beständigkeit (ungefähr sechs Monate) gesprochen werden. Bei kürzerer Aufenthaltsdauer sei eine dauerhafte Beziehung zwischen dem Minderjährigen und dem Aufenthalt vonnöten. Von einer Beständigkeit des Aufenthalts könne jedoch keine Rede sein. Das Einvernehmen der Eltern habe sich nur auf einen vorübergehenden Aufenthalt bezogen. Es ergebe sich aus dem Akt kein Umstand, der auf eine dauerhafte Beziehung zum Aufenthalt der Mutter schließen lasse. Es sei nicht dokumentiert, dass sich der Minderjährige endgültig am Wohnsitz der Mutter aufhalten werde.

Das Bezirksgericht Haag legt nun den Akt gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Delegierung gemäß § 111 JN ist zu genehmigen.

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

Der Aufenthalt des Pflegebefohlenen mit einem erziehungsberechtigten Elternteil in einem anderen Gerichtssprengel muss nicht in allen Fällen die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 1 JN zur Folge haben, doch wird es in der Regel den Interessen des pflegebefohlenen Kindes entsprechen, wenn als Pflegschaftsgericht jenes Gericht tätig wird, in dessen Sprengel sein gewöhnlicher Aufenthalt und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RIS-Justiz RS0047300). Die ständige Rechtsprechung steht zwar einer Zuständigkeitsübertragung dann ablehnend gegenüber, wenn ein Obsorgeantrag unerledigt ist, weil noch nicht feststeht, ob das Kind überhaupt im Sprengel des Gerichts bleiben werde, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll (RIS-Justiz RS0047027), doch ist eine Entscheidung durch das bisher zuständige Gericht nur dann sinnvoll, wenn das Gericht bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht. Nur dann ist es für den Pflegebefohlenen von Vorteil, dass das bisher zuständige Gericht über den Obsorgeantrag entscheidet. Ist beispielsweise die aktuelle Lebenssituation der Mutter und ihre derzeitigen Zukunftspläne unbekannt, können diese für die Obsorgeentscheidung besonders bedeutsamen Umstände effizienter Weise nur vom nunmehrigen Wohnsitzgericht von Mutter und Kind erhoben werden (5 Nc 103/02w mwN).

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass bisher nur ein Unterhaltsvorschussverfahren geführt wurde, also keines der Gerichte bereits Kenntnis über die für die Obsorgeentscheidung relevanten Kriterien hat. Das Kind wohnt nun im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Vater bei der Mutter. Diese hat die Absicht, es bei sich zu behalten. Damit ist der Lebensmittelpunkt des Kindes im Sprengel des Bezirksgerichts Traun. Dies ist im Sinn der oben dargelegten Erwägungen ausschlaggebend. Es ist davon auszugehen, dass jenes Gericht die für die Obsorgeentscheidung besonders bedeutsamen Umstände effizienter erheben kann, in dessen Sprengel Mutter und Kind ihren Wohnsitz haben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte