Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag des Vaters auf Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung abgewiesen wird.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern des jetzt 19jährigen Kindes wurde 1987 geschieden. Die Obsorge kam der Mutter zu. Der Vater ist seit 1. 1. 1995 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 3.720 S verpflichtet. Er ist wiederverheiratet und für ein aus dieser Ehe stammendes, am 5. 10. 1990 geborenes Kind sorgepflichtig. Seit 1995 betreibt der Vater das Notenfachgeschäft seiner Gattin.
Der Vater beantragte am 7. 7. 1998 seine Enthebung von der Unterhaltspflicht. Der Minderjährige sei selbsterhaltungsfähig. Er habe die sechste Klasse AHS zweimal nicht positiv beendet. Im Verhältnis zu Gleichaltrigen sei er mit der Schulausbildung drei Jahre in Verzug. Der (damals noch) Minderjährige hätte sich um eine Arbeit bemühen müssen und nicht den Vorbereitungslehrgang einer HTL für Elektrotechnik belegen dürfen. Dort besuche er die Abendschule. Daneben könne das Kind einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen (ON 146). Aufgrund der intellektuellen Möglichkeiten sei der Minderjährige nicht imstande, die HTL erfolgreich abzuschließen (ON 151).
Der unterhaltsberechtigte Sohn sprach sich gegen den Enthebungsantrag aus. Er habe auch bei der Wiederholung der sechsten Klasse des Gymnasiums negativ abgeschlossen und sich entsprechend seinen Neigungen für den Wechsel in eine HTL entschieden. Dort könne er eine Matura und eine technische Fachausbildung erreichen. Im Vorbereitungslehrgang der HTL habe er gute Noten erzielt. Neben den schulischen Aufgaben sei eine Berufstätigkeit nicht möglich.
Das Erstgericht enthob den Vater von seiner Unterhaltsverpflichtung. Es stellte über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch fest, daß der Vater nach Zahlung eines Abfindungsbetrages für seine Tochter aus erster Ehe nicht mehr unterhaltspflichtig sei. Der Sohn sei nach erfolgreichem Abschluß des Vorbereitungslehrgangs für Berufstätige an der HTL berechtigt, in das erste Semester der höheren Lehranstalt für Berufstätige für Elektrotechnik bzw für Elektronik aufzusteigen.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes dann anzunehmen sei, wenn es in der Lage sei, die Mittel zur Bestreitung eines standesgemäßen Unterhalts zu verdienen. Wenn es aus Verschulden des Unterhaltsberechtigten zum Scheitern einer Berufsausbildung komme, sei von seiner Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen. Wenn ein Minderjähriger nach Überschreiten des Schulpflichtalters weder ein Studium zur Erlangung der Reifeprüfung noch eine andere Schul- oder Berufsausbildung anstrebe oder einen Beruf ergreife, führten die vorwerfbaren Versäumnisse zur Selbsterhaltungsfähigkeit. Hier könne von einer zielstrebigen Berufsausbildung nicht mehr ausgegangen werden, weil auch die Wiederholung der sechsten Klasse Gymnasium negativ verlaufen sei. Grundsätzlich werde in der Judikatur ein einmaliger Berufswechsel oder ein einmaliger Studienwechsel toleriert. Das derzeitige Studium des Kindes sei darauf ausgerichtet, daß Berufstätige neben ihrer Arbeit das Maturastudium nachholen könnten. Eine Berufstätigkeit sei dem Kind zumutbar.
Das Rekursgericht bestätigte die Enthebung des Vaters von seiner Unterhaltsverpflichtung. Es führte in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen aus, daß nur ein selbstverschuldetes Scheitern an einer angemessenen Berufsausbildung Selbserhaltungsfähigkeit begründe. Nach Zitierung einer Reihe von oberstgerichtlichen Entscheidungen zu nicht ganz vergleichbaren Fällen vertrat das Rekursgericht die Ansicht, daß die HTL für Berufstätige acht Semester dauere. Bewerber, die weder eine Lehrabschlußprüfung in einem Lehrberuf erfolgreich abgelegt, noch eine einschlägige Fachschule der Werkmeisterschule erfolgreich abgeschlossen hätten, müßten einen einjährigen Vorbereitungslehrgang absolvieren. Damit habe der Minderjährige im Ergebnis doch um drei Jahre verspätet den Wechsel in die HTL vollzogen. Der Ausbildungswechsel sei nicht unverzüglich vorgenommen worden. Es sei bereits 1995/96 offensichtlich gewesen, daß ein positiver Abschluß der AHS nicht zu erwarten sei. Dennoch habe der Minderjährige die sechste Klasse wiederholt, aber nicht besser abgeschnitten. Infolge der negativen Beurteilungen in Physik und Mathematik treffe es nicht zu, daß hier nur von einer mangelnden Sprachbegabung auszugehen wäre. Auch wenn die HTL den Neigungen des Minderjährigen besser entspreche und der positive Abschluß dieser Schule im Vergleich zur Absolvierung einer AHS sogar bessere Berufschancen biete, sei der Mißerfolg des Minderjährigen in der AHS doch so deutlich gewesen, daß an seiner Fähigkeit zum Abschluß einer höheren Schule massive Zweifel bestünden. Aus unterhaltsrechtlicher Sicht sei es nicht mehr vertretbar, daß der Sohn die Ausbildung in der HTL aufnehme. Aus dem positiven Abschluß des Ausbildungslehrgangs könne noch nicht ein grundlegender Wandel des Fleißes und der Fähigkeiten des Minderjährigen abgeleitet werden. Da erst einige Wochen seit dem Beginn der ersten Klasse der HTL verstrichen seien, könne der schulische Erfolg noch nicht beurteilt und keine verläßliche Prognose über den Schulerfolg gestellt werden. Im vorliegenden Fall sei die zeitliche Verzögerung durch den Schulwechsel annähernd so groß wie in einem vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu beurteilenden Fall (EFSlg 80.797). Dort sei ausgeführt worden, daß Berufstätige neben ihrer Arbeit die Matura nachholen könnten. Dem Minderjährigen könne zugemutet werden, ins Arbeitsleben einzutreten.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Frage der Einschätzung der Vertretbarkeit einer weiteren langjährigen schulischen Ausbildung nach einem um Jahre verspäteten Abbruch einer AHS erhebliche Bedeutung zukomme.
Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt das Kind die Abänderung dahin, daß der Enthebungsantrag des Vaters abgewiesen werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die zu lösende Rechtsfrage der Selbsterhaltungsfähigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes zwar von den Umständen des Einzelfalls abhängt, das von den Vorinstanzen gefundene Ergebnis aber zumindest in Teilbereichen durch oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht gedeckt ist und nach Auffassung des erkennenden Senates auch nicht der Einzelfallgerechtigkeit entspricht.
Die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes kann vor oder nach der Volljährigkeit eintreten. Sie liegt vor, wenn das Kind imstande ist, seinen Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu verdienen. Diese muß dem Kind zumutbar sein, was nach Abschluß einer Berufsausbildung grundsätzlich bejaht werden kann (SZ 70/36 mwN). Nach den Umständen des Einzelfalls kann aber durchaus auch eine Weiterbildung des Kindes unter Aufrechterhaltung der Unterhaltspflicht der Eltern gerechtfertigt sein (ÖA 1994, 187; 6 Ob 2220/96f uva). Die Reifeprüfung bedeutet noch keine bestimmte Berufsausbildung (ÖA 1992, 141 ua), umsoweniger die positive Absolvierung von nur fünf Klassen Gymnasium. Es ist ständige oberstgerichtliche Rechtsprechung, daß die Matura grundsätzlich zur Weiterbildung auf der Hochschule berechtigt und daß die Unterhaltspflicht der Eltern in diesem Fall weiterläuft. Zumindest der erste Wechsel der Studienrichtung des unterhaltsberechtigten Studenten löst noch nicht das Erlöschen der Unterhaltspflicht aus (ÖA 1992, 87). Nicht nur beim Hochschulstudium sondern auch bei anderen beruflichen Ausbildungen ist zumindest ein einmaliger Wechsel zu tolerieren (ÖA 1993, 141; 4 Ob 263/98z uva). Nach diesen Grundsätzen liegt das primäre Ziel der Unterhaltspflicht der Eltern in der Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes nach seinen Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten (§ 140 Abs 1 ABGB). Die Eltern haben ihrem Kind eine Berufsausbildung zu verschaffen. Dies ist hier nach dem Scheitern des Kindes im Gymnasium bisher noch nicht erfolgt. Grundsätzlich ist zwar auch unter bestimmten Voraussetzungen eine Verweisung des Kindes auf Hilfsarbeitertätigkeiten denkbar, etwa dann, wenn es nach abgeschlossener Berufsausbildung keine entsprechenden Arbeitsmöglichkeiten findet (SZ 70/36 mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, weil das Kind noch über keine Ausbildung verfügt, was aber Voraussetzung für die Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit wäre (1 Ob 506/93 uva). Es ist also die Frage zu klären, ob der Schüler seine Schulausbildung trotz Scheiterns im Gymnasium in einer anderen Schule, in der eine Fachausbildung, aber auch die Matura Ausbildungsziel ist, unter Wahrung der Unterhaltsrechte fortsetzen darf oder aber, ob er - wie dies der Vater anstrebt - auf Hilfsarbeitertätigkeiten zu verweisen ist. Letzteres ist nach Auffassung des erkennenden Senates aus mehreren Gründen zu verneinen:
Der Vater erblickt den festgestellten Mißerfolg des Kindes in der Schule in erster Linie in dessen fehlenden intellektuellen Fähigkeiten. Es steht aber nicht mit der von den Vorinstanzen angenommenen Sicherheit fest, daß dem Kind tatsächlich die Fähigkeiten mangeln, eine höhere Schulausbildung mit Abschluß zu erreichen. Es ist geradezu notorisch, daß mehrfache Klassenwiederholungen für sich allein noch keine Bedeutung für die Beurteilung der Eignung zum Besuch höherer Schulen haben und daß oft entwicklungsbedingte gravierende Fehlleistungen in der Mittelschulzeit nicht dazu führen müssen, daß nicht doch in der Folge sogar Hochschulstudien mit bestem Erfolg absolviert werden (1 Ob 506/93 mwN). Der Rekurswerber hat auch den einjährigen Vorbereitungslehrgang an der HTL positiv abgeschlossen.
Die Verweigerung einer weiteren schulischen Ausbildung widerspräche dem Grundsatz, daß Entscheidungen in Unterhaltssachen sich an der fiktiven "intakten Familie" zu orientieren haben, daß also zu fragen ist, ob maßstabgerechte "Durchschnittseltern" in einem vergleichbaren Fall ihr Kind ebenfalls auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen würden, wo es nur als ungelernte Kraft und ohne Aufstiegschancen eine Beschäftigung finden könnte oder aber, ob die Eltern nicht doch vor dieser Alternative einen Schulwechsel ins Auge fassen. Nach Ansicht des erkennenden Senates entspricht es der Lebenserfahrung, daß verantwortungsbewußte Eltern ihrem Kind, das immerhin die ersten fünf Klassen des Gymnasiums ohne Klassenwiederholung geschafft hat, eine weitere Chance zur Erreichung der angestrebten Matura nach einem Schulwechsel bieten, was hier auch deswegen angebracht erscheint, weil in der HTL doch - wie in den Schriftsätzen des Kindes vorgetragen - leichtere Bedingungen für den Schüler aus dem Grund vorliegen könnten, daß Belastungen in den Sprachfächern wegfallen oder geringer sind und die Neigungen des Kindes in den technischen Fächern (wie von ihm behauptet und vom Vater nicht bestritten) doch auf eine positive Entwicklung hoffen lassen. Wenn die Judikatur Studenten die Möglichkeit von zumindest einem Wechsel der Studienrichtung einräumt, soll dies auch für den Schulwechsel vor Erreichen der höheren Reife gelten, selbst wenn die von den Vorinstanzen in den Vordergrund gerückten bisherigen schulischen Mißerfolge durchaus eklatant waren. Daß der Schüler aber mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit auch in der neuen Schule scheitern werde, kann noch nicht gesagt werden zumindest vor Abschluß des ersten Schuljahres in der HTL nach dem erfolgreichen Abschluß des Vorbereitungslehrgangs.
Die Meinung des Vaters, daß der Schüler neben dem Unterricht und den Schulaufgaben noch einer Arbeit nachgehen müßte und deshalb als selbsterhaltungsfähig anzusehen sei, ist nicht zu teilen. Solange die Ausbildung des Kindes nicht abgeschlossen ist, besteht keine Verpflichtung, eine mit der Schulausbildung nicht in Zusammenhang stehende Erwerbstätigkeit auszuüben (ÖA 1989, 166; 7 Ob 640/92).
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