OGH 6Ob82/15z

OGH6Ob82/15z27.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. G. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in den zu AZ 48 C 173/05f und 48 C 19/10s des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien anhängigen verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. DI Markus Petrowsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. Mag. A*****, wegen 6.640 EUR sA und Räumung sowie 3.630 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 19. März 2015, GZ 16 Nc 4/15g‑2, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00082.15Z.0527.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Nachdem der Oberste Gerichtshof am 15. 7. 2011 einen Aufhebungsbeschluss (8 Ob 90/10h) gefasst hatte, sind die von der Klägerin eingeleiteten Mietzins‑ und Räumungsverfahren, die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien im zweiten Rechtsgang anhängig.

In der Verhandlungstagsatzung am 27. 11. 2013 schloss die Erstrichterin das Verfahren und verkündete den Beschluss, dass die Entscheidung schriftlich ergehe, sofern der am Vortag eingebrachte Ablehnungsantrag des Beklagten gegen die zuständige Richterin rechtskräftig zurückgewiesen werden sollte.

Mit Beschluss vom 14. 3. 2014, 32 Nc 121/13d‑13, wies die Vorsteherin des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien den vom Beklagten mit Schriftsatz vom 1. 12. 2013 ergänzten Ablehnungsantrag als unbegründet zurück.

Gegen diesen Beschluss erhob der Beklagte Rekurs. Außerdem lehnte er die Vorsteherin des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien wegen Befangenheit ab.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wies mit Beschluss vom 22. 4. 2014 (40 R 94/14s) den Rekurs (32 Nc 121/13d‑20) und mit Beschluss vom 14. 7. 2014, 40 Nc 5/14m‑4, den Ablehnungsantrag gegen die Vorsteherin des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien zurück.

Mit Beschluss vom 11. 9. 2014, 33 Nc 34/14z‑6, wies das Landesgericht für Zvilrechtssachen Wien den auf § 20 Abs 1 Z 5 JN gestützten Ablehnungsantrag des Beklagten gegen eine Richterin, die an der Fassung des Beschlusses vom 14. 7. 2014 beteiligt war, als offenbar unbegründet zurück.

Diesen Beschluss bekämpfte der Beklagte mit Rekurs. Das Oberlandesgericht Wien als Rekursgericht stellte mit Beschluss vom 22. 10. 2014, 13 R 170/14m‑10, dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien den Rekurs mit dem Auftrag zurück, das Verbesserungsverfahren zur Beseitigung des Formgebrechens der fehlenden Unterschrift eines Rechtsanwalts einzuleiten. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien trug dem Beklagten mit Beschluss vom 12. 11. 2014 die Verbesserung des Rekurses auf. Daraufhin lehnte der Beklagte mit Schriftsatz vom 17. 11. 2014 die Richter des Oberlandesgerichts Wien, die den Beschluss vom 22. 10. 2014 gefasst hatten, wegen Befangenheit ab.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies des Oberlandesgericht Wien den zuletzt genannten Ablehnungsantrag des Beklagten zurück, weil dessen Behauptungen konkrete Ablehnungsgründe nicht zu entnehmen seien.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist unzulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist nach Rechtskraft der Sachentscheidung eine Ablehnung der entscheidenden Richter ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0046032). Jede andere Auffassung führte zu dem systemwidrigen Ergebnis, dass eine rechtskräftige Entscheidung im Rahmen eines nachfolgenden Ablehnungsverfahrens beseitigt werden könnte, obwohl eine derartige Durchbrechung der Rechtskraft grundsätzlich der Nichtigkeitsklage nach § 529 ZPO vorbehalten ist und eine solche Klage nicht auf einen Ablehnungsgrund gestützt werden kann (3 Ob 5/13a mwN).

Im vorliegenden Fall führt die stufenweise Rückverfolgung der Ablehnungsanträge in das aufgrund des Ablehnungsantrags des Beklagten im Streitverfahren in Gang gesetzte Ablehnungsverfahren, in dem die dort in erster Instanz entscheidende Vorsteherin des Bezirksgerichts abgelehnt wurde. Deren Sachentscheidung ‑ die Zurückweisung des Ablehnungsantrags mangels Begründetheit ‑ ist in Rechtskraft erwachsen, nachdem der dagegen erhobene Rekurs vom Rekursgericht wegen Verspätung zurückgewiesen worden war und der Zurückweisungsbeschluss unbekämpft geblieben war.

Da selbst eine stattgebende Entscheidung im Ablehnungsverfahren gegen die Vorsteherin des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien keinen Einfluss auf die (rechtskräftige) Entscheidung im Ablehnungsverfahren gegen die Richterin im Mietzins‑ und Räumungsverfahren haben könnte, ist der Beklagte durch den angefochtenen Beschluss, dem das Ablehnungsverfahren gegen die Vorsteherin des Bezirksgerichts zugrundeliegt, nicht beschwert. Einer Entscheidung über den Rekurs käme nämlich nur noch theoretisch-abstrakte Bedeutung zu. Die Beschwer muss nach ständiger Rechtsprechung zur Zeit der Erhebung des Rechtsmittels fortbestehen, andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0041868).

Da der Rekurs jedenfalls als unzulässig zurückzuweisen ist, ist es nicht erforderlich, dem Rechtsmittelwerber Gelegenheit zur Behebung des Formgebrechens der fehlenden anwaltlichen Unterschrift zu geben (4 Ob 164/13s; RIS‑Justiz RS0005946). Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die für seinen Rekurs bestehende Anwaltspflicht mit Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar. Die Grundrechte ‑ wie die Wahrung der Verteidigungsrechte ‑ sind nach der Rechtsprechung des EuGH keine absoluten Rechte, sondern können Beschränkungen unterliegen (vgl EuGH 13. 6. 2012, C‑156/12, GREP GmbH, Rn 39 mwN). So sieht auch Art 19 Abs 3 der Satzung des EuGH für Verfahren vor dem EuGH Anwaltspflicht vor (zur Vereinbarkeit der Anwaltspflicht mit Art 6 EMRK vgl EGMR 25. 9. 1992, Croissant/GER, Nr 13611/88, Z 27, 32; RIS‑Justiz RS0109486; RS0035676).

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