Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Gegner der gefährdeten Partei hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung
Etwa 500 m von der Ehewohnung der seit 19. Mai 1995 (jeweils zum zweiten Male) verheirateten Streitteile - deren Scheidungsverfahren anhängig ist - entfernt befindet sich das seit 1995 de facto von beiden Eheleuten gemeinsam geführte Gasthaus. Die Liegenschaft, auf der sich das Gasthaus befindet, steht im Eigentum des Mannes und Antragsgegners. Beide Parteien haben kein anderes Einkommen und sind auf die Einkünfte aus dem Gasthausbetrieb angewiesen. Die Antragstellerin und gefährdete Partei besitzt die gewerberechtliche Bewilligung zu dessen Führung. Dem Antragsgegner wurde zweimal Nachsicht von der Konzession erteilt; die Konzessionsprüfung bestand er dann nicht.
Die Antragstellerin war bereits zweimal von ihrem Gatten geschlagen worden, einmal im September 1996 derart, daß sie am Kinn blutete, und einmal anläßlich eines Streites über den Hausbau. Am 27. Oktober 1998 wurde sie von ihrem Gatten im Gasthaus gewürgt, geohrfeigt und leicht verletzt (6 cm langer Kratzer am Hals sowie Schwellung am linken Jochbein). Sie unternahm deshalb in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober 1998 einen Selbstmordversuch mit Tabletten, wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, lag dort im Koma und wurde am 9. November 1998 aus dem Spital entlassen.
Ausgehend von diesem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt bestätigte das Erstgericht nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens (§§ 397 f EO) die mit Beschluß vom 18. Dezember 1998 - ohne Anhörung des Antragsgegners - erlassene einstweilige Verfügung gemäß § 382b EO, mit der dem Antragsgegner aufgetragen wurde, die Ehewohnung unverzüglich zu verlassen und verboten wurde, diese und die unmittelbare Umgebung der Ehewohnung auf die Dauer von drei Monaten zu betreten. Weiters untersagte der Erstrichter dem Antragsgegner für die Dauer von drei Monaten, das Gasthaus zu betreten und sich in dessen unmittelbarer Umgebung aufzuhalten. Rechtlich kam das Erstgericht zum Ergebnis, daß der Antragstellerin auf Grund der wiederholten tätlichen Angriffe ein Zusammenleben mit dem Antragsgegner nicht (mehr) zumutbar sei. Da sie ihren Lebensunterhalt aus den Einkünften aus dem Gasthaus bestreite, der Antragsgegner kein Recht an diesem Gasthaus bzw Unternehmen habe und schwerwiegende Interessen des Antragsgegners der Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht entgegenstünden, sei ihm auch das Betreten des Gasthauses und der Aufenthalt in dessen unmittelbarer Nähe - wogegen der Antragsgegner bereits nach Erlassung der einstweiligen Verfügung absichtlich verstoßen habe - zu verbieten.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß, der nur in Ansehung des Verbots zum Betreten des Gasthauses und des Aufenthalts in dessen Umgebung angefochten worden war. In rechtlicher Hinsicht vertrat die zweite Instanz im wesentlichen die Auffassung, in den Fällen des § 382b Abs 2 EO sei eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese Intention des Gesetzgebers könne jedoch nicht in der - vom Antragsgegner gewünschten - Art ausgelegt werden, der eine Interessenabwägung darauf beschränke, daß bei einer Verletzung von Interessen des Antragsgegners kein "Aufenthaltsverbot" erlassen werden könne. Eine Interessenabwägung könne nur in der Gegenüberstellung der schutzwürdigen Interessen beider Parteien bestehen. Hier seien beide Parteien auf die Einkünfte aus dem Gasthaus zur Bestreitung ihres Unterhaltes angewiesen. Hinzu komme bei der Antragsstellerin das Recht auf die Wahrung ihrer körperlichen und seelischen Integrität, die im Anlaßfall gerade durch Differenzen über die Führung des Gasthauses (Entlassung einer Kellnerin ohne Zustimmung des Antragsgegners) und in den Betriebsräumlichkeiten verletzt wurde. Es erscheine widersinnig, den Antragsgegner wegen der im gemeinsamen Betrieb stattgefundenen Tätlichkeiten aus der Wohnung zu verweisen, ihm jedoch weiterhin das Betreten des Gasthauses zu gewähren. Durch eine einstweilige Verfügung allein nach § 382b Abs 1 EO könnte auch deren Zweck, die Antragstellerin vor weiteren tätlichen Angriffen zu schützen, nicht erfüllt werden. Durch eine einstweilige Verfügung nach § 382 Abs 2 EO dürften dem Antragsgegner auch nur für ihn unbedingt nötige Verhaltensweisen nicht untersagt werden. Zur Durchsetzung seiner vereinbarten (oder aufgrund der Eigentumsverhältnisse bestehenden) Ansprüche auf einen Anteil am Erlös des Geschäftsbetriebes sei jedoch dessen Betreten (oder die Mitarbeit) nicht unbedingt nötig. In die bestehenden Rechtsverhältnisse am Gasthaus werde durch die auf drei Monate beschränkte einstweilige Verfügung nicht eingegriffen. Eine Interessenabwägung ergebe somit, daß durch Verbot des Betretens des Gasthauses die schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners weit weniger verletzt würden als jene der Antragstellerin im Falle der Antragsabweisung.
Rechtliche Beurteilung
Der von der zweiten Instanz zugelassene Revisionsrekurs des Antragsgegners ist rechtzeitig, weil die Rekursentscheidung zuerst nicht an die nunmehrigen Rechtsvertreters des Antragsgegners zugestellt wurde, zulässig, aber nicht berechtigt.
a) Der von der zweiten Instanz vorgenommene Bewertungsausspruch, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 52.000 S, nicht aber 260.000 S, ist entbehrlich. Zwar weist der Entscheidungsgegenstand einer Regelung nach § 382b EO auch geldwerte Aspekte auf, doch wird er im wesentlichen durch den nicht geldwerten Gehalt, der in der Änderung der Lebensgestaltung der betroffenen Familienangehörigen (hier: Eheleute) liegt, charakterisiert (1 Ob 90/98m). Das Verfahren über den Sicherungsantrag richtet sich ausschließlich nach den Bestimmungen der EO (§ 382c und 382d EO) und den nach diesem Gesetz anwendbaren Bestimmungen der ZPO. Zufolge § 402 Abs 1 EO iVm § 521a ZPO ist das Provisorialverfahren in dritter Instanz zweiseitig, jedoch hat die Antragstellerin keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.
b) Nach stRspr des Obersten Gerichtshofes fehlt das für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderliche Rechtsschutzinteresse, wenn der Entscheidung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, über bloß theoretisch bedeutsame Fragen abzusprechen. So wurde auch seit mehr als zwei Jahrzehnten unverändert der Rechtssatz aufrecht erhalten, ein durch einstweilige Verfügung angeordnetes Verbot könne auch nach Ablauf der Zeit (§ 389 Abs 1, § 391 Abs 1 EO), für die es erlassen worden sei, für den Betroffenen schon im Hinblick auf seine möglichen Ersatzansprüche nach § 394 EO noch einen anfechtungswerten Beschwerdegegenstand darstellen (ÖBl 1971, 98; GesRZ 1991, 106; 6 Ob 564, 565/93 für den Fall eines Sicherungsantrages nach § 382 Abs 1 Z 8 lit b EO; 1 Ob 2334/96h = JBl 1997, 467 uva; RIS-Justiz RS0005521). Dieses Ergebnis billigt König (in JBl 1996, 599) mit der Auffassung, auch bei inhaltlicher Überholung erlösche die einstweilige Verfügung nicht von selbst, sondern bleibe bis zur ihrer Aufhebung (§ 399 EO) aufrecht; vor einer Aufhebung könne dem Rechtsmittel die Beschwer nicht abgesprochen werden, nach ihrer Aufhebung könnten aber mögliche Schadenersatzansprüche den Beschwermangel nicht substituieren. Da im vorliegenden Fall die einstweilige Verfügung noch nicht aufgehoben wurde, muß dem Antragsgegner ein Interesse an einer meritorischen Entscheidung (und nicht nur an einer Kostenentscheidung gemäß § 50 Abs 2 ZPO) zugebilligt werden.
c) Auf das am 12. November 1998 eingeleitete Sicherungsverfahren sind die Bestimmungen der EO idFd Art II Z 5 des am 1. Mai 1997 in Kraft getretenen Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie, BGBl 1996/759 (GeSchG), anzuwenden. Die inhaltlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung regelt nun § 382b EO, soweit hier relevant, wie folgt:
...
(2) Das Gericht hat einer Person, die einem nahen Angehörigen durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, auf dessen Antrag 1. den Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten zu verbieten und 2. aufzutragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden, soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen.
Mit den §§ 382b bis 382d EO traten somit neue Bestimmungen an die Stelle der früher in § 382 (Abs 1) Z 8 lit b und Abs 2 EO enthaltenen Regelungen über die Ausweisung eines Ehegatten und nun auch anderer Personen aus der Wohnung und deren unmittelbaren Umgebung zum Schutz eines nun größeren Personenkreises als nach der alten Regelung (§ 382b Abs 3 EO). Hier sind die neuen Bestimmungen indes an - in Scheidung lebenden - Ehegatten zu messen. Beurteilungsmaßstab bei Regelungsverfügungen gegen Gewalt in der Familie ist nun nicht mehr der strenge Maßstab der Unerträglichkeit, sondern jener der Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens (Abs 1) und eines weiteren Zusammentreffens (Abs 2) mit dem Antragsgegner (vgl dazu eingehend 1 Ob 90/98m = Jus-Extra OGH Z 2610 mwN). Daß diese Voraussetzungen einer Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammentreffens der Antragstellerin mit ihrem Ehegatten hier vorliegen, wird vom Rechtsmittelwerber gar nicht in Zweifel gezogen. Es erübrigt sich demnach ein Eingehen auf diese Frage.
d) Das Instrumentarium der Vorgängerbestimmung des § 382 Abs 1 Z 8 lit b EO aF war nur ein Mittel zur vorläufigen Sicherung der Wohnmöglichkeit, der Aufenthalt des Antragsgegners an anderen Orten oder Räumlichkeiten (Schule oder Arbeitsplatz) konnte damit nicht untersagt werden. Durch die Novelle erfolgte nun eine Erweiterung des räumlichen Schutzbereichs auf Örtlichkeiten im sozialen Naheraum (Mottl, Alte und neue rechtliche Instrumente gegen Gewalt in der Familie in ÖJZ 1997, 542 ff, 544). Die nunmehrigen Verbote nach § 382b Abs 2 EO sollen die gefährdete Partei davor schützen, außerhalb der Wohnung und insbesondere auch an Orten, an denen sie sich regelmäßig aufhält, von einem gewalttätigen, drohenden oder psychisch erheblich belastenden Verhalten des Antragsgegners behelligt zu werden. Gedacht ist hier vor allem an Örtlichkeiten, die die gefährdete Partei im Alltag immer wieder aufsucht oder aufsuchen muß, etwa an den Arbeitsplatz und -weg, die Haltestellen der regelmäßig benützten Verkehrsmittel, an Geschäfte für den Einkauf des täglichen Bedarfs oder an Betreuungseinrichtungen für die Kinder. Mit einer solchen Maßnahme soll den in der Praxis nicht so seltenen Fällen, daß ein gewalttätiger Angehöriger zwar die Ausweisung aus der Wohnung respektiert, die gefährdete Partei dafür aber außerhalb der Wohnung attackiert oder in Angst versetzt, Rechnung getragen werden (Hopf/Kathrein, Eherecht, § 382b EO Anm 14; vgl dazu auch JMZ 4.214/214-I 1/97 in ÖA 1997, 139).
Fraglich ist nun, ob beim Schutz des Antragstellers an seinem Arbeitsplatz nach § 382b Abs 2 Z 1 EO dem Antragsgegner auch das Betreten seiner Arbeitsstätte verboten werden kann, wenn beide Parteien im selben Betrieb arbeiten oder gemeinsam einen Betrieb führen.
Die Materialien (EBzRV 252 BlgNR 20. GP, 8) führen dazu aus, Abs 2 schütze das Recht einer Person, an Orten, an denen er sich regelmäßig aufhalte, nicht einem gewalttätigen oder psychisch erheblich belastenden Verhalten eines nahen Angehörigen ausgesetzt zu sein. Aus Untersuchungen und Erfahrungsberichten von Einrichtungen, die sich dem Schutz und der Beratung von Opfern von Gewalt in der Familie widmen, gehe hervor, daß oft nach der Trennung dem ehemaligen Partner auf dem Arbeitsweg oder vor dem Kindergarten oder der Schule aufgelauert werde, wobei besonders in Fällen, in denen bereits wiederholt Gewalttaten vorgekommen seien, das Opfer dadurch ständig in Angst versetzt werde. Dem Gericht solle daher die Möglichkeit gegeben werden, dem Antragsgegner den Aufenthalt an genau bestimmten Orten zu verbieten, ihm aber auch allgemein den Auftrag zu geben, ein Zusammentreffen mit dem Antragsgegner möglichst zu vermeiden. Diese beiden Aufträge könnten auch kumulativ erlassen werden. Da jedoch Fälle denkbar seien, in denen dadurch schwerwiegende Interessen des Antragsgegners verletzt werden, habe das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen. Insbesondere in ländlichen Gebieten sei denkbar, daß beide Parteien im selben Betrieb arbeiten oder daß keine andere Möglichkeit zum Erreichen der Arbeitsstelle bestehe als mit einem bestimmten öffentlichen Verkehrsmittel zu einer bestimmten Zeit. Verhaltensweisen, die in diesem Sinne für den Antragsgegner unbedingt nötig seien, sollten ihm daher nicht untersagt werden können.
Anders als bei Verfügungen nach § 382b Abs 1 EO ist im Fall des Abs 2 eine Interessenabwägung zwingend vorzunehmen, weil ein "Aufenthaltsverbot" im Einzelfall zu einer Beeinträchtigung der maßgeblichen - materiellen (Hopf/Kathrein aaO Anm 15) - Interessen des Antragsgegners an der Durchführung seiner Berufs- oder Arbeitstätigkeit bzw der Gestaltung seiner persönlichen Verhältnisse führen kann. Ist dies der Fall, so hat die einstweilige Verfügung zu unterbleiben (Mottl aaO 544). Der Sicherungsantrag nach § 382b Abs 2 EO ist demnach abzuweisen, wenn die Interessenabwägung zu Gunsten des Antragsgegners ausgeht, das heißt, wenn schwerwiegende (Hopf/Kathrein aaO Anm 15) Interessen des Antragsgegners entgegenstehen. Der Gesetzgeber dachte - siehe die zitierten Materialien - an Fälle in ländlichen Gebieten, in denen Täter und Opfer - wie hier - im selben Betrieb arbeiten oder zum Erreichen der Arbeitsstelle auf bestimmte öffentliche Verkehrsmittel zu einer bestimmten Zeit angewiesen sind (Neuhauser, Der gesetzliche Schutz vor Gewalt in der Familie und dessen Auswirkungen auf den Jugendwohlfahrtsträger in ÖA 1997, 45 ff, 46). Auch Hopf/Kathrein (aaO Anm 15) bezeichnen die Tatsache, daß die Streitteile im selben Betrieb arbeiten, als schwerwiegend und somit als einer Antragsstattgebung entgegenstehendes Interesse. Der erkennende Senat tritt dem bei. Bei der dem Gericht auferlegten Interessenabwägung nach § 382b Abs 2 EO ist der Umstand, daß die Streitteile im selben Betrieb eines Dritten arbeiten, im allgemeinen ein schwerwiegendes und damit einer Antragsstattgebung entgegenstehendes Interesse des Antragsgegners, ohne daß die Verletzung von Interessen des Arbeitgebers des Antragsgegners durch eine solche einstweilige Verfügung hier näher zu untersuchen wäre. Wenn aber beide Parteien gemeinsam einen eigenen Betrieb führen und dieser Betrieb (auch) die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Antragstellers darstellt, kann bei der erforderlichen Interessenabwägung das Interesse des Antragstellers, weiters im eigenen Betrieb arbeiten zu können, dasselbe Interesse des Antragsgegners so überwiegen, daß der Erlassung einer einstweiligen Verfügung kein Hindernis entgegensteht. Ob dies der Fall ist, richtet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalles. Im vorliegenden Fall wird vom erkennenden Senat der Interessenabwägung der zweiten Instanz aus deren zutreffenden Gründen, im besonderen auch angesichts der zeitlichen Beschränkung des ausgesprochenen Verbots, beigetreten. Demnach ist die zweitinstanzliche Entscheidung zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 2 EO idFd Art II Z 8 GeSchG iVm §§ 41 und 50 ZPO. Die Antragstellerin beteiligte sich nicht am drittinstanzlichen Verfahren.
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