Spruch:
Der Revision wird nicht stattgegeben.
Punkt 2 des erstinstanzlichen Urteiles über das Feststellungsbegehren hat zu lauten:
"Zwischen den Streitteilen wird festgestellt, daß die beklagte Partei verpflichtet ist, dem Kläger alle Nachteile zu ersetzen, die er auf Grund seiner Behandlung im Krankenhaus Stockerau in der Zeit vom 16. bis 19.April 1984 in Hinkunft erleiden wird."
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der damals fünf Jahre alte Kläger wurde nach Einweisung durch einen praktischen Arzt am Montag, dem 16.April 1984 gegen 18 Uhr in das von der beklagten Stadtgemeinde erhaltene Allgemeine Krankenhaus aufgenommen. Der in der Krankenhausambulanz tätige Sekundararzt fand bei seiner gegen 18 Uhr 30 vorgenommenen Untersuchung des Kindes keinerlei Anzeichen für eine Hirnhautentzündung, Hirnhautreizung oder Hirnentzündung, stellte keine gesteigerten oder krankhaften Reflexe fest und bestätigte den in der ärztlichen Einweisung festgehaltenen Verdacht auf das Vorliegen einer Darm- oder Blinddarmentzündung. Das Kind fieberte hoch, war aber bei klarem Bewußtsein. Der als Chirurg tätige Oberarzt erklärte eine sofortige Blinddarmentfernung als angezeigt, hielt aber vor einer Operation eine Senkung des Fiebers für geboten. Der als Anästhesist vorgesehene Primararzt untersuchte ebenfalls das Kind. Er schätzte wegen der erhöhten Körpertemperatur und der im Monat vor der Spitalsaufnahme durchgemachten Maserninfektion des Kindes das Risiko der in Vollnarkose auszuführenden Operation als gering erhöht (Risikogruppe II) ein. Während einer zweistündigen Beobachtungszeit besserten sich die Beschwerden des Knaben nicht. Darauf entschloß sich der Chirurg zur Operation. Die Eltern des Patienten wurden zwar auf das bei jeder Operation bestehende Risiko hingewiesen, ohne daß besondere risikoerhöhende Umstände erwähnt worden wären. Die Eltern des Patienten hegten keinerlei Bedenken gegen die Fähigkeit der Ärzte, vertrauten auch deren Ansicht, ohne Operation könnte es zu einem Durchbruch kommen, und stimmten der Operation ihres Kindes zu. Die entsprechende schriftliche Einwilligungserklärung unterschrieb der Vater allerdings erst am folgenden Tag.
Gegen 20 Uhr 30 wurde mit der Narkose begonnen. Dabei wurde dem etwa 20 kg wiegenden Kind vom Einschlafmittel Thiopental, dessen Dosierung üblicherweise mit 3 bis 5 mg/kg Körpergewicht gewählt wird, 200 mg, also die doppelte Menge der oberen Dosierungsmenge verabreicht. Auch die während der Operation gegebene Infusionsmenge (von 500 ml) entsprach mehr als dem Doppelten der üblichen Dosierung. Der Eingriff selbst verlief unauffällig. Gegen Ende der Operation trat ein plötzlicher Herzstillstand mit einer Null-Linie im EKG-Monitor auf. Die Ursachen dieses Herzstillstandes sind nicht mehr mit Sicherheit feststellbar. Die vorangegangene Maserninfektion, bei der fast immer eine Gehirnbeteiligung vorhanden ist, das hohe Fieber, eine überhöhte Flüssigkeitszufuhr während der Operation könnten zu einer akuten Hirnschwellung geführt haben, die über einen plötzlichen Hirndruckanstieg zum Kreislaufstillstand geführt haben könnte. Auch die ungewöhnlich hohe Dosierung des Einschlafmittels belastete den Kreislauf. An Hirnhautentzündung oder Reizung der Hirnhaut hatte das Kind nicht gelitten. Der Anästhesiefacharzt leitete auf den während der Operation wahrgenommenen Herzstillstand des Patienten die Reanimationsmaßnahmen. Er selbst führte die Sauerstoffbeatmung durch, der Chirurg übernahm die externe Herzmassage. Zur Reanimation wurden auch Adrenalin und andere Medikamente verabreicht. Erst 15 bis 20 Minuten nach dem Beginn der Reanimationsmaßnahmen setzte die Herztätigkeit wieder ein und bald darauf begann auch wieder die Spontanatmung. Auch die Reflextätigkeit kehrte wieder. Zur Vorbeugung einer Hirnschwellung wurden Human-Albumin, Lasix und Cortison gegeben.
Eine gegen 21 Uhr 30 vorgenommene Blutgasanalyse ergab eine erhöhte Kohlendioxydkonzentration im Blut.
Gegen 22 Uhr wurden die künstliche Beatmung abgesetzt und der Beatmungsschlauch aus der Luftröhre entfernt.
Nach dem Stand der Fachwissenschaft hätte es dem Narkosearzt bewußt sein müssen, daß wegen der festgestellten, die Neigung zu einer Hirnschwellung weiter verstärkenden, Kohlendioxydkonzentration im Blut des Patienten die Fortführung seiner künstlichen Beatmung dringend erforderlich gewesen wäre. Nach medikamentöser Ruhigstellung des Kindes wäre eine Hyperventilationsbehandlung einzuleiten gewesen, um mit solch einer kontrollierten Überdosis der Beatmung einer Schwellung des Hirns entgegenzuwirken. Das Kind blieb zur weiteren Beobachtung bis etwa 23 Uhr 30 im Operationssaal. Dann wurde es in ein Kinderzimmer verlegt. Noch in der Nacht traten wiederholt Krampfanfälle auf. Die Betreuung überwachte der Narkosefacharzt.
Nach dem Operationszwischenfall wäre eine intensiv-medizinische Betreuung geboten gewesen. Das Kind hätte nach Stabilisierung seines Herz-Kreislaufsystems unter Beatmung in ein Krankenhaus mit intensiv-medizinischer Abteilung für Kinder überstellt werden sollen. Bis zum vierten Tag nach der Operation kehrte beim Kind das Bewußtsein nicht zurück. Hierauf erfolgte am Gründonnerstag, dem 19. April 1984, die Überstellung des Kindes an ein Krankenhaus mit Kinderabteilung. Dort blieb das Kind fast 15 1/2 Wochen in stationärer Behandlung und wurde im Anschluß daran am Montag, dem 6. August 1984 in ein anderes Krankenhaus zur Weiterbehandlung auf der Abteilung entwicklungsgestörter Kinder überwiesen. Die dort erhobenen EEG-Befunde weisen auf eine massive diffuse Hirnschädigung hin. Eine Besserung des Zustandes ist ausgeschlossen. Aus ärztlicher Sicht liegt bei einem Zwischenfall, wie er beim Kläger während der Operation in Gegenwart von Fachärzten auftrat, unter der Voraussetzung sofort einsetzender Herz-Kreislauf-Wiederbelebungsmaßnahmen und einer fachgerechten intensiv-therapeutischen Behandlung die Wiederherstellungserwartung bei über 50 %. Im Falle sofortiger Einleitung weiterer intensiv-medizinischer Maßnahmen wäre das Ausmaß der Hirnschädigung mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich geringer geblieben. Mit seiner am 27.März 1987 angebrachten Klage begehrte das schwerst geschädigte Kind vom Krankenhaus-Rechtsträger Schmerzengeld sowie die Abgeltung des Betreuungsaufwandes seiner Mutter, die sich durch den hilfebedürftigen Zustand ihres Kindes vom geplanten Wiedereintritt in das Erwerbsleben habe abhalten lassen, in Höhe des dadurch entfallenden Verdienstes, der immer noch niedriger anzusetzen sei als die Kosten einer Unterbringung des Kindes in einem seinem Zustand entsprechenden Pflegeheim. Überdies stellte das Kind ein Begehren auf Feststellung der vollen Ersatzpflicht des Krankenhaus-Rechtsträgers für alle Schäden, die das Kind in Hinkunft "aus Anlaß der Vorfälle vom 16. bis 19.April 1984" erleide. Der Kläger stützte seine Begehren auf die Behauptung einer voreiligen Operationsentscheidung, einer unterbliebenen Aufklärung der Eltern über das Ausmaß des Operationsrisikos, auf eine unsachgemäß vorgenommene Anästhesie, auf unzureichende Maßnahmen nach dem Erkennen des Operationszwischenfalles sowie auf das Unterbleiben einer sofortigen Überstellung des Patienten in ein nahe gelegenes Krankenhaus mit einer intensiv-medizinischen Abteilung für Kinder. Der Kläger schränkte aber seine Anspruchsableitung ausdrücklich auf keinen bestimmten Rechtsgrund ein. Die Beklagte bestritt jeden haftungsbegründenden Behandlungsfehler. Sie stellte insbesondere in Abrede, daß der Verbleib des Kindes in ihrem Krankenhaus zu irgendeiner Verschlechterung im Zustand des Kindes beigetragen hätte. Die Beklagte bestritt das Leistungsbegehren ausdrücklich auch der Höhe nach.
Das Prozeßgericht erster Instanz hat mit Teilurteil dem Feststellungsbegehren stattgegeben und mit Teilzwischenurteil ausgesprochen, daß der klageweise erhobene Schmerzengeldanspruch dem Grunde nach zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. In rechtlicher Beurteilung ging das Prozeßgericht erster Instanz davon aus, daß die Beklagte als Rechtsträgerin des Allgemeinen Krankenhauses, in das der Kläger aufgenommen worden war, für ein schuldhaftes Verhalten der Personen, denen sie sich zur Erfüllung ihrer Behandlungspflicht bedient habe, gemäß § 1313 a ABGB wie für eigenes Verschulden einzustehen hätte. Die Entscheidung zur Vornahme der Operation sei aus der Sicht im Entscheidungszeitpunkt nicht als Kunstfehler anzusehen. Die Verabreichung einer Überdosis des Einschlafmittels und die überhöhte Flüssigkeitszufuhr ließen sich nicht mit Sicherheit mit dem eingetretenen Herzstillstand in Zusammenhang bringen. In der vorzeitigen Absetzung der künstlichen Beatmung und in der Unterlassung einer sofortigen Überstellung des Kindes in ein Krankenhaus mit einer Intensivstation für Kinder lägen aber Kunstfehler. Diese Unterlassungen erachtete das Prozeßgericht erster Instanz auch für den nicht mehr verbesserbaren Zustand des operierten Kindes als kausal, weil eine Unterlassung für einen Schadenseintritt kausal sei, wenn die pflichtgemäße Handlung den Eintritt des Schadens weniger wahrscheinlich gemacht hätte als deren Unterlassung.
Das Berufungsgericht übernahm zur Kausalitätsfrage die vom Prozeßgericht erster Instanz zitierte Formel, Unterlassungen seien für den Schadenseintritt dann kausal, wenn die pflichtgemäße Handlung den Eintritt des Schadens weniger wahrscheinlich gemacht (nicht etwa mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen) hätte als deren Unterlassung. In Anwendung dieser Formel bejahte auch das Berufungsgericht die (volle) Kausalität des vom Krankenhaus-Rechtsträger zu vertretenden Unterbleibens einer Fortsetzung der künstlichen Beatmung, einer Hpyerventilation und einer sofortigen Anwendung intensiv-therapeutischer Maßnahmen (nicht näher konkretisierter Art), weil dadurch die tatsächlich eingetretenen Hirnschädigungen weniger wahrscheinlich gewesen wären. Die Beklagte ficht das bestätigende Berufungsurteil aus dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO mit einem auf Klageabweisung zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.
Die Klägerin strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Beklagte schuldete dem Kind aufgrund seiner Aufnahme zur Behandlung und Operation die nach den konkreten Umständen dem ärztlichen Wissensstand entsprechende aussichtsreichste Behandlung. Daran ließen es die behandelnden Ärzte als Erfüllungsgehilfen der Beklagten insoweit fehlen, als sie die künstliche Beatmung nach dem aufgetretenen Operationszwischenfall vorzeitig abbrachen, ohne daß ein Schuldlosigkeitsbeweis erbracht worden wäre. Zur Kausalitätsfrage ist dabei zu erwägen:
Die Ursächlichkeit bestimmter Umstände für den Eintritt der gesundheitsschädigenden Folgen ist nicht mit Sicherheit beweisbar. Der Schadenseintritt kann daher weder eindeutig dem vom Patienten auf sich genommenen natürlichen Risiko noch dem unterlaufenen Kunstfehler der Ärzte zugewiesen werden. Sicher ist aber, daß die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes durch den ärztlichen Kunstfehler nicht bloß unwesentlich erhöht wurde. Die Erfüllungsgehilfen der Beklagten haben durch den ihnen unterlaufenen Kunstfehler zwar nicht unmittelbar gegen ein Schutzgesetz aber gegen die behandlungsvertragliche Verpflichtung zur Vornahme alles dessen, was nach den "anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft" (§ 8 Abs 2 KAG) geboten erscheint, verstoßen.
Diese erwiesene Vertragsverletzung bürdet der Beklagten - ähnlich wie bei der Verletzung eines Schutzgesetzes - den vollen Beweis dafür auf, daß das nach Erfahrung und logischer Erwägung vom Patienten zu tragende natürliche Behandlungsrisiko einer bleibenden Gesundheitsschädigung wesentlich erhöhende Verhalten (Unterlassung einer Fortsetzung der künstlichen Beatmung) im konkreten Behandlungsfall mit größter Wahrscheinlichkeit für die Folgen des während der Operation eingetretenen Herzstillstandes unwesentlich geblieben sei. Diesen Beweis vermochte die Beklagte nicht zu erbringen.
Die Vorinstanzen haben deshalb die volle Haftung der Beklagten für das vom Kind geforderte Schmerzengeld mit Recht dem Grunde nach bejaht und ebenso zu Recht dem Feststellungsbegehren stattgegeben. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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